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Und was tust Du?

von Georg Kasch

Berlin, 5. September 2011. Irgendwie passt er zu uns, dieser Hans Fallada. Schon seine Krisenromane "Kleiner Mann, was nun?" und "Wolf unter Wölfen" lasen sich wie eine Analyse und Überlebensstrategie für die jüngeren Weltwirtschaftserschütterungen. Und jetzt, da sein letztes Buch "Jeder stirbt für sich allein" von 1947 nach dem Bestseller-Erfolg der englischen Erstübersetzung wieder zurück nach Deutschland schwappt, ist da wieder das Gefühl, das uns einer was zu sagen hat.

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© Bettina Stöß

Schicksale auf schwarzem Grund

Woran liegt's? Jenseits des lebensprallen Spannungsbogens voller Schattierungen und schräger Typen dürfte es die Frage sein: Und was tust du? Provoziert nicht vom Arbeiterpaar Otto und Anna Quangel, das nach dem Fronttod ihres einzigen Sohnes mit stoischer Ruhe Postkarten gegen Hitler schreibt und in Berlin verteilt. Sondern von unpolitischen Charakteren wie Trudel und ihrem Mann.

Trudel Hergesell, einst Verlobte des Quangel-Sohnes und Mitglied einer kommunistischen Zelle, glaubt zwischendurch, ihr Glück im Privaten finden zu können. Als sie ihr Kind verliert, begreift sie: Eine lebenswerte Zukunft hätte das unter den Nazis ohnehin nicht gehabt. Ihrem Mann schlägt sie vor, auch etwas zu tun, eine Jüdin verstecken zum Beispiel, aber der sieht nur das Risiko: Prinzipiell wolle er ja auch was tun, aber...

"Wir denken nur an das, was uns geschehen könnte, nicht an das, was den andern geschieht", sagt sie – und damit endet, ziemlich abrupt, Jorinde Dröses Inszenierung am Berliner Maxim Gorki Theater, während überm Portal mit Schreibmaschinenlettern auf weißem Grund die Schicksale der Quangels und der Hergesells skizziert werden. Was wirkt, wie nicht fertig geworden – 135 Minuten für gut 650 Seiten sind ja auch sportlich – verschiebt den Fokus vom typensatten Bilderbogen zur Frage ans Publikum.

Ein Wort, zu groß für diese Welt

Auch davor skizziert Dröse eher, als dass sie erzählt. Als Prinzip: Statt epischer Breite sucht sie die Miniatur, die Situation, den Moment. Sieben Schauspieler stürzen sich mit Verve in die 22 Rollen, spitzen sie zu, kosten sie auch kabarettistisch aus: Wenn Ruth Reineckes abgehärmte Anna seelenruhig das Weibchen vom Obersturmbannführer Gerich runterputzt, um aus der Frauenschaft herauszukommen, dann spreizt sich Michael Klammer topmodellhaft unter der blonden Zopfperücke, um im nächsten Moment als ihr Gatte loszubrüllen.

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© Bettina Stöß

Wie bei Fallada grenzt das oft an Kolportage, aber die Gorki-Truppe fängt das meistens auf: Matti Krause unterspielt seine Frau Rosenthal, stellt sie als zarte Person in den Raum, die sich zu wundern scheint, wie das alles hat kommen können, bevor sie über die Bühne fliegt und dann in Zeitlupe vom Dach stürzt. Julischka Eichels Eva strahlt von innen, Urmutter einer neuen, besseren Generation. Und Albrecht A. Schuch trifft Enno Kluge ins Mark: eine zappelige und feige, aber eben auch unglaublich charmante Knallcharge mit erstaunlichen Graustufen.

Flüchtig wirkt auch Barbara Steiners Bühne, auf der fast alles in Bewegung ist, die Dachschräge vorne, die dann nach hinten fährt und die grauen Stoffbahnen im Portal, auf denen "Arbeit und Brot" prangt. Arbeit und Brot, das waren auch die Gründe, weshalb die Quangels lange Zeit ganz einverstanden waren mit Hitler. Als die Bahnen fallen (und fantasievoll zur Bettdecke werden, zum Beispiel), leuchten an der Rückwand die Buchstaben "Freih" – ein Wort, zu groß für diese Welt.

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© Bettina Stöß

Mit feinem Herzpochen

Wenn die Quangels die Bühne mit Kreide vollschreiben, ein treffendes Bild für die mühsame, eintönige Arbeit des Kartenschreibens, siegt kurz die Szene über den Roman. Im Ganzen bleibt er ungeschlagen. Gerade bei Otto und Anna wird das schmerzlich deutlich: Wo die wortkargen, geradezu kauzigen Alten im Roman über viele Seiten allmählich an Kontur gewinnen, an Größe zumal, bleiben sie bei Andreas Leupold und Ruth Reinicke merkwürdig blass, eine Leerstelle. Einmal, immerhin, dürfen sie ausbrechen: Nicht sterben wolle sie mit ihm, sondern leben, sagt Anna, und dann sausen sie pantomimisch auf Skibrettern und auf dem Schlitten den Berg hinunter.

Und wir? Sind wir Rädchen oder Sand im Getriebe? Die Fragen sind skizziert, von Fallada wie von Dröse. Der Abend ist stark, wo er Fallada in Emotionen übersetzt: Wenn das Waterboarding des Gestapo-Kommissars etwas darüber erzählt, dass totalitäre Systeme auch ihre Kinder fressen. Wenn Ruth Reinecke als Erzähler schildert, wie Otto die Karten verliert und entdeckt wird, von Michael Klammer am Schlagzeug mit feinem Herzpochen unterlegt.

Oder wenn wir gefragt werden: Und was tust du?

 

Jeder stirbt für sich allein
von Hans Fallada
Für die Bühne bearbeitet von Jens Groß
Regie: Jorinde Dröse, Bühne: Barbara Steiner, Kostüme: Susanne Schuboth, Dramaturgie: Carmen Wolfram.
Mit: Ruth Reinecke, Andreas Leupold, Julischka Eichel, Matti Krause, Albrecht Abraham Schuch, Robert Kuchenbuch, Michael Klammer.

www.gorki.de


Alles über Jorinde Dröse auf nachtkritik.de im Lexikon.

 

Kritikenrundschau

Die "völlige Vertheaterung" der Geschichte sei ein Missverständnis, meint Peter Hans Göpfert im rbb Kulturradio (6.9.2011). Am Schlimmsten sei es, wenn Schreihälse und Heil-Hitler-Kasper über die Szene preschen. "Das Luxusweibchen eines Obersturmbannführers wird als plumpe Travestie-Nummer vorgeführt, derselbe Darsteller suhlt sich später in der Rolle eines Obergruppenführers, der den Kommissar peinigt." Man staune, wie Jorinde Dröse dem Roman ein eigenes Kunstgebilde entgegensetzt. "Aber der tieferen historischen und menschlichen Wahrheit, die Falladas Roman vermittelt, ist mit den Unterhaltungs-Mitteln des Panoptikums nicht beizukommen."

"Knallchargen-Theater ohne Sinn und Verstand" hat Peter Laudenbach erlebt, wie er in der Süddeutschen Zeitung (7.9.2011) schreibt. "Was den Roman als Zeitdokument so faszinierend macht, die genauen Alltagsbeobachtung des Berlins der 1940er Jahre, schrumpft zum groben Klischee. Brüllende Nazis, aufrechte deutsche Arbeiter, Frauen mit dem Herz am rechten Fleck, ein Kommissar mit Glatze und preußischen Tugenden - es ist eine einzige Ansammlung von Pappkameraden, die Dröse auf der schrägen Ebene aufmarschieren lässt. Wer das Buch verschlungen hat, wird diesen talentfreien Aufguss hassen."

Dröse könne mit dem Stoff obenbar wenig anfangen, befindet Jenny Hoch in der Welt (7.9.2011). "Ohne Stringenz reihen sich lärmendes Schlagzeug-Getrommel, romantische Liebeslieder, Gruppenchoreografien, Travestie-Nummern und ohrenbetäubendes 'Heil Hitler'-Gebrüll zu einer wenig inspirierenden 'So barbarisch waren die Nazis'-Revue." Die stillen Momente, die die Dimension der moralischen Verkommenheit und die Repressionen im Dritten Reich erlebbar gemacht hätten, würden von so viel Oberflächen-Raserei einfach übertönt.

Vom großartigen, rauen, hoch spannenden Text voller gebrochenem Pathos und voller ambivalenter Karikaturen sei im Gorki Theater "ein auf oberflächlicher Ebene vollständiges, aber extrem wackliges Handlungsgerippe übrig geblieben", schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (7.9.2011), "das Jorinde Dröse als naives Nummernprogramm zwischen Was-würdest-du-tun-Pädagogik und Hitlergruß-Harlekinade organisiert und bebildert, wobei Tempo das einzig geltende Kriterium ist." Für die Schauspieler ergäbe sich so nicht mal die Chance zur Charge. "Geradezu besinnungslos hechelt der Abend dem Romangeschehen hinterher, fügt ihm keine Reflexionsebene hinzu, keine erkennbare Haltung."

Kommentare  
Jeder stirbt für sich allein, Berlin: Zadeks Version
Wenn du Zadeks Version gesehen hättest....meisterlich.
Jeder stirbt für sich allein, Berlin: klein und fein über Widersprüchlichkeiten
Wir sind feige!
Jorinde Dröse hat die Geschichte von dem Ehepaar Quangel, das Postkarten gegen Hitler schreibt, in einer gelungenen Inszenierung von Hans Falladas Roman „Jeder stirbt für sich allein“ auf die Bühne des Maxim Gorki Theaters Berlin gebracht.
Die Schrift des Widerstands
Wir befinden uns in der Jablonskistraße in Prenzlauer Berg – vor siebzig Jahren noch ein rauhes Arbeiterviertel. „Arbeit und Brot“ steht in großen Lettern auf silberfarbenen Prospekten quer über der Bühne (Barbara Steiner). Erdrückend wirkt die Schrift der herrschenden Ideologie. Die Postbotin Eva Kluge (Julischka Eichel) hechtet die Treppen des Mietshauses mit der Nummer 55 hoch. An der Tür des Ehepaars Quangel klingelt sie und gibt einen Brief ab, der das Leben von Anna (Ruth Reinecke) und Otto (Andreas Leupold) grundlegend verändert. Ihr einziger Sohn ist im Krieg gefallen. Sie beschließen, etwas zu unternehmen und beginnen Postkarten mit kritischen Sprüchen in der Stadt zu verteilen. Mit Kreide lässt Dröse ihre Figuren die Schräge auf der Bühne beschreiben. Die Schrift des Widerstands tritt an die Stelle der großen Lettern „Arbeit und Brot“. Die Postkarten der Quangels werden fast vollständig bei der Polizei abgegeben. Man fasst beide und am Ende steht am oberen Rand der Bühne in Schreibmaschinenlettern, dass Anna und Otto Quangel vom „Volksgerichtshof“ zum Tode und 1943 in Plötzensee ermordet wurden.
Die vielschichtige Inszenierung von Schrift und Gegen-Schrift ist eine der Qualitäten von Dröses Inszenierung. Sie verweist auf die Macht, der reproduzierbaren Propagandaplakate der Nazis gegen die mühsam von Hand vervielfältigten Postkarten der Quangels und auf die Frage: Was man zu welcher Zeit auf welche Weise schreiben darf? Falladas Roman konnte im Jahr 1947 nur zensiert erscheinen. Dem DDR-Lektor war beispielsweise das Kapitel, in dem Anna Quangel erst noch mit den Nazis sympathisiert, ein Dorn im Auge. Kurzerhand strich er es aus dem Roman.
Widerstand heute?
Fein nuanciert spielt Julischka Eichel die Schwiegertochter der Quangels, Trudel Baumann, die zerrissen ist zwischen der Suche nach dem privaten Glück und der Möglichkeit, politisch etwas zu bewegen. Sie ist der Auffassung, dass jeder Einzelne etwas bewirken kann, aber „wir sind feige! Wir denken immer nur an das was uns passieren kann.“ Sie schlägt uns vor: man solle nicht „nur bei Juden“, sondern auch „nur regionale Produkte“ kaufen. Eine Aufforderung wie man sich in der kapitalistischen Welt richtig zu verhalten? Es ist ein schöner Bogen, der sich durch diesen subtilen Verweis vom damaligen Arbeiterbezirk hin zum heutigen Wohlstandsviertel Prenzlauer Berg mit seinen Bio-Läden, Familien- und Weltverbesserungsideologien schließt.
Dröses Inszenierung stellt auf subtile Weise die Frage nach dem Widerstand heute, gibt jedoch keine endgültigen Antworten auf die Frage nach dem richtigen Handeln. Es ist eine hervorragende Leistung, wie die sieben Schauspieler die insgesamt 22 Figuren spielen. Sie zeigen widersprüchliche, heutige Figuren, die in ihren Körpern nicht heimisch sind. Männer spielen Frauen, Nazis bewegen sich wie Marionetten auf Speed, Liebesszenen werden hilflos mit Damien Rice-Musik begleitet. Es ist das ständige Erproben des Daseins, der Bewegung, des Handelns, die Sehnsucht nach der Befreiung des Körpers, die die Figuren umtreibt. Matti Krause verwandelt sich von der alten Jüdin Rosenthal in den kleinkriminellen Gestapo-Informanten Emil Barkhausen, indem er einen beeindruckenden Ausdruckstanz, die Schräge der Bühne hinunter, vollführt. Michael Klammer spielt in einer grotesken Szene nicht nur die blonde Frau eines SS-Obersturmbannführers, sondern gleichzeitig auch deren Mann mit Blondhaar-Toupet.
Jorinde Dröses Inszenierung hat viel Kraft und Energie. Sie stellt eine intelligente Auseinandersetzung mit Falladas Stoff dar und arbeitet in kleinen, feinen Szenen die Perspektive und Widersprüchlichkeiten der Opfer und Mitläufer der NS-Zeit heraus.
Jeder stirbt für sich allein, Berlin: Rocky Horror Picture Show
schade, dass die hälfte der Inszenierung eine art rocky-horror-picture-show geworden ist mit schlagzeug- salven und heil-hitler-gebrüll- teilweise zum fremdschämen.
stark dagegen die ruhigen Momente, zb. zwischen kommisar escherich und enno kluge oder alle zzenen (leider viel zu wenige) mit otto quangel. andreas leupold ist die optimale besetzung.
der beste teil des romans ist meiner meinung nach der letzte teil: die gerichtsverhandlung, das letzte wiedersehen von otto und anna, die unmenschliche zeit im gefängnis, das unerträgliche warten auf die hinrichtung- das alles fehlt leider in der aufführung. mit den tollen schauspielern hätte man gerade diese szenen toll inszenieren können.
nochmals schade, interessante ansätze ließen aufblitzen, welch tolle Inszenierung hier möglich gewesen wäre.
Jeder stirbt für sich allein, Berlin: Gewusel der Opportunisten
Jorinde Dröse gelingen ein paar eindrucksvolle Skizzen, auch aufgrund des wunderbar vielseitigen Ensembles. Wie hier mit eineigen wenigen Pinselstrichen Charaktere zu leben beginnen, ist erstaunlich. Auch der Ansatz, nicht das Falladasche Gesellschaftspanorama auzubreiten, sondern gezielte Spotlights zu setzen überzeugt, lässt es doch dem Zuschauer Raum, das komplette Bild zu Ende zu malen. Kritisch zu sehen ist jedoch die Zeichnung der beiden Hauptfiguren: Bei Dröse führt die Entscheidung, Widerstand zu leisten, in den Stillstand die Stagnation. So werden sie schnell überstrahlt vom Rest der Personage, gehen unter im Gewusel der Opportunisten, der Anpasser und Mitläufer. So berührt ihr Schicksal nicht, erschüttert auch nicht oder rüttelt auf. Das Panoptikum der schrägen Figuren interessiert viel mehr. Das ist sehr schade, denn gerade in seiner ersten Hälfte überzeugt der Abend durchaus.

Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2011/09/22/hans-fallada-jeder-stirbt-fur-sich-allein-maxim-gorki-theater-berlin-regie-jorinde-drose/
Jeder stirbt für sich allein, Berlin: wundere mich
"Knallchargentheater ohne Sinn und Verstand" (wie Peter Laudenbach schreibt) bzw. eine Art "Rocky-Horror-Picture-Show" (wie hier § 3 es sieht), sah ich gestern nicht und wundere mich auch ein wenig,
daß der Abend in der Kritik (nicht der des Nachtkritikers hier) weitestgehend durchfällt, denn auch ich habe ihn eher so gesehen,
wie es bei Herrn Kasch und Prospero zum Ausdruck gekommen ist.
Anders als bei "Einsame Menschen" ist die erste spontane Frage aus diesem Abend dann auch nicht "Wie kann mich das so merkwürdig berühren", sondern die Frage lautet ziemlich genau entgegengesetzt
"Wie kann mich das so merkwürdig nicht berühren?". Liegt das, wie es hier bei Prospero erscheint, daran, daß die stillen Quangels, denen (wie wohl im Roman) kaum eine schleichende innere Entwicklung anzumerken ist, geradezu in diesem Bestiarium aus Karikaturen, noch dazu "Modell"-Karikaturen (Laufsteg), schlichtweg untergehen, niedergelärmt werden ?
Immerhin gibt es neben dem Ehepaar Quangel mindestens noch eine eher stille Person im gemeinsamen Theatersaal: das Publikum, zur Not: mich. Da das Ehepaar, die Hauptfiguren eines Stückes als Nullstelle, hier der Zuschauer, der Adressat gewissermaßen all jener Karten und Briefe, dieser stillen Schreie (nur 18 von 276 Karten, so der Kommissar, seien nicht der Polizei übergeben worden). Die Stille der Quangels scheint mir hinsichtlich dieser Karte, welche die Inszenierung letztlich ausspielt :"Und was tust Du ?", äußerst schlüssig zu sein, ebenso wie es gesellschaftlich immer verstärkter zum Problem wird, denke ich, daß man nicht mehr nicht jene nicht sieht, die im Dunkeln sind, denn wer wäre nicht bis zur wappnenden Kenntlichkeit im Lichte, sondern jene nicht hört, die durch alldiejenigen übertönt werden, welche der Ideologie der Aufmerksamkeit verfallen sind, die sich dadurch auszeichnet, daß als Qualität eingefordert wird, jemand zu sein, der vollendete Tatsachen zu schaffen versteht. Nun ja, wie Kafka schon in Notizen schrieb, gibt es wohl keinen teuflischeren Winkelzug des Bösen als den, zum Kampf aufzufordern (und sei es -selbstthematisierend- gegen das Böse oder ein Böses), und so sieht sich auch der heutige Mensch natürlich allenthalben, und das ist das Perfide irgendwie,
zum Kampf aufgefordert. Wir, so heißt es, landauf landab, ließen uns zuviel gefallen, auf der anderen Seite heißt es nicht minder vehement, daß die "herkulischen Taten" vorüber seien und der Selbstvorwurf, zu wenig zu tun, verkappter Stolz und erster Trägheitsschritt zugleich ist, daß es geradezu zum kapitalistischen Rüstzeug gehört, zu Aktivismus zu verleiten.
Naja, und beteiligen wir uns nicht ? Nicht an "Enduring Freedom" zum Beispiel ! Aber ach, was ist das für eine Freiheit ? Ist das nicht eher "FREIH" als "Freiheit": was gäbe es an so einer ("Enduring" !) zu verlängern ?? Nein, ich sage nicht, Frau Dröse habe hier explizit auf "Enduring Freedom" Bezug nehmen wollen, aber das Sujet "Krieg" ist ebenso hiesig und heutig wie die Skepsis hinsichtlich der Freiheit. Wie war das noch mit der "Uniformierung der Gesellschaft aus freien Stücken", für die mir beharrlich immer wieder nur die "Wolfskin"-Tatzen einfallen wollen (will ich diese "abklatschen" ist das schon fast der nämliche Gruß)?! NORMOPATHIE ??? Und fernab des "Uniformierungswortfelds" ist dieser Laufsteg nicht: er reicht bis ins Publikum, bis ins hier und jetzt hinein, aber andererseits: ist er sehr kurz, ists überhaupt ein Laufsteg ?, frage ich mich dann, oder mehr soetwas für Anleger, nicht nur Bootsanleger, sondern auch für Anleger in Verhaltensaktien, Typen-Modell-Papieren ?!
Gewiß, die rollenwechselnden 7 SpielerInnen legen sich mächtig ins Zeug, nehme ich Prosperos Wort von den Pinselstrichen, so bringen sie das kleine Kunststück fertig, mit dem Pinsel Holzschnitte zu fertigen, sie schaffen es, Ihre Bilder nicht zur Nummernrevue abrutschen zu lassen, erspielen sich auf der dann sinnbildlich größeren Bühne genügend Freiraum, an Situationen Erinnerndes zu schaffen. Immer wieder dazwischen fährt mir: und doch ist das irgendwie kalt, müßte mich mehr berühren. Muß es das, wenn man mich, einen geschichtlichen Rahmen über mehrere "Systeme" spannend, fragen will "Und was tust Du ?" Wie, wann und wo und von wem lassen wir diese Frage zu ?? Und ist uns das "Dritte Reich" nicht selbst schon gesellschaftlich zur "Rocky-Horror-Picture-Show" verkommen, mit der wir so gut wie nur aus Willkür zu tun haben ?.
Jeder stirbt für sich allein, Berlin: wundere mich II
Fortsetzung:

Der Lebenslauf Falladas (welch eine Stationenfülle- siehe Rollenwechsel !!), den das Programmheft wohl nicht ganz unmotiviert liefert, scheint mir ganz ähnliche "Spotlights" zu setzen wie die Inszenierung, die auf Entwicklungspsychologisches nachdrücklich verzichtet und irgendwie so auch den Roman befragt bzw. befragen lassen könnte, ob er nicht ein in bestimmter Hinsicht gut kaschierter, interessant unterhaltender Wurf ist, der auf den Strukturen des Comics fußt und möglicherweise lediglich eine Personage gestattet, von Menschen, die sich -je nachdem- mal zu viel, mal zu wenig erlauben..
Jeder stirbt für sich allein, Berlin: den entscheidenden Moment erwischt
Was selten gelingt im Theater, hat dieses Projekt (Bühnenfassung, Inszenierung, Schauspiel, Bühne/Kostüm u.a.) verwirklicht. Eine Konfrontation der Gesellschaft mit der dringenden Notwendigkeit, einen kritischen Verstand und ein kritisches Beobachten auszubilden. Zuallererst um nicht wieder die Bedingungen entstehen zu lassen, unter denen sich bestimmte Wesenszüge des Menschen hervortun, die dieses Projekt (nicht unter unerheblichen Einflusses Falladas selbst, dessen starke Vorlage diesbezüglich viel zum Gelingen beiträgt) vorführt.
Mühelos ins Heute zu übertragen, losgelöst vom Hintergrund des Dritten Reiches gültig und den Moment zeigend, den das Theater so selten erwischt: Es ist der Moment, der das Menschliche selbst charakterisiert.
Die Ästhetik entsprach mir nicht. Ich sehe jedoch darüber hinweg, angesichts der Tatsache, dass hier seit langem Theater wieder einmal das war, was Theater, Literatur, Kunst in meinen Augen sein sollte. Jedenfalls, was das Erwischen des eben beschriebenen Momentes anbelangt.
Jeder stirbt ..., Berlin: Vergleiche in der Kunst sind unangemessen
Vergleiche als Grundlage einer Kritik halte ich im übrigen für die Kunst grundsätzlich nicht angemessen würdigend, ja erdrückend, billig und zu einfach. Sei es der Vergleich eines Autors/Regisseurs mit sich selbst in einem früheren Werk, der Vergleich zwischen Werken, erst recht der Vergleich zwischen Roman und Theater.
Natürlich ist ein Vergleich für verschiedene wissenschaftliche Untersuchung oder für die Herausarbeitung von Unterschieden zur Feststellung verschiedener künstlerischer Möglichkeiten, auch zur Beobachtung eines künstlerischen Entwicklungsprozesses wichtig und interessant. Aber als Maß für die Vergabe von Kritik?
Als Schreibende empfinde ich Roman und Theater für unvergleichbar. Mein subjektives Empfinden ist, dass im Roman so vieles mehr möglich ist, eine viel größere Freiheit herrscht, eine größere Breite und ein vielfältigeres Detailreichtum geschildert werden kann, andere Nuancen und Feinheiten sind möglich. Es handelt sich schlicht um eine andere Weise des Erzählens. Idealerweise nähert man sich dem szenisch an, findet eine Übersetzung mit theatralen Mitteln, ja..
Und sicher setzt man sich mit jeder Romanbearbeitung auch bewusst einem Vergleich aus, zumal die Bearbeitenden notgedrungen einen Ausschnitt für die Bühne wählen müssen, einen subjektiven Blick auf einen großen Roman wagen müssen. Und damit vielleicht von vorne herein einer Kritik an dieser Notwendigkeit unterliegen.
Aber wie dem auch sei, die Beurteilung eines Abends sollte nicht ausschließlich im Schatten eines anderen Kunstwerkes möglich sein.
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