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Einsturzgefahr

von Georg Kasch

Berlin, 9. September 2011. Ist es ein Trauerspiel? Eine Tragikomödie? Eine Posse gar? In Deutschland taumeln seit einigen Jahren etliche Theater von einem Finanzdesaster zum nächsten, kritisch und oft tatenlos beäugt von einer Politik, die lange schon die Subventionen eingefroren hat, andererseits aber (sozial vollkommen nachvollziehbaren) Tariferhöhungen zustimmt, die den Theatern jede Handlungsmöglichkeit nehmen – und sie so entweder zur Angebotsreduzierung zwingen oder zu Entlassungswellen, meist sogar zu beidem.

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Schicke Fassade, marode Decke: Theater Schleswig.  © Landestheater Schleswig

Natürlich sind die Theater im Norden Deutschlands nicht die einzigen, die derzeit auf Krise abonniert sind. Bemerkenswert aber, dass es in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern nahezu flächendeckend brennt. Schleswig-Holstein besitzt drei große Mehrspartentheater: das Theater Lübeck, das Theater Kiel sowie das Schleswig-Holsteinische Landestheater mit Sitz in Schleswig und Produktions- und Spielstätten in Flensburg und Rendsburg, das neun weitere Orte im hohen Norden bespielt.

Zwar hat sich Kiel, wo es vor einem Jahr noch kriselte, wieder erholt. Auch in Lübeck hat man reagiert und 30 Prozent der Verwaltung eingespart. Reduziert wurde allerdings auch das Angebot: Gespielt wird nur noch von Donnerstag bis Sonntag. Mit einem harten Sparkurs und Auslastungserhöhungen hat das Landestheater Schleswig sein Defizit von 1,4 Millionen Euro zwar halbiert. Mitten in die Konsolidierung aber platzte die Nachricht von der Hausschließung in Schleswig: Im Juni musste der große Saal wegen Einsturzgefahr geschlossen werden – mindestens für die aktuelle Spielzeit, weil eine provisorische Sicherung nicht möglich ist. Also muss das gesamte Abo-Angebot auf Flensburg und Rendsburg ausgelagert werden – das Publikum wird mit kostenlosen Bussen hin- und hergefahren.

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Steht leer und vergammelt: das Große Haus in Rostock.  © Dorit Gaetjen

Das heißt natürlich: unkalkulierte Mehrkosten. Eine Erfahrung, die das Volkstheater Rostock schon etwas früher machen musste, im Winter und Frühjahr dieses Jahres, als in allen vier Mehrspartentheatern Mecklenburg-Vorpommerns die Lichter vernehmlich zu flackern begannen. Da wurde über Nacht das Große Haus geschlossen – wegen Brandschutzmängeln am schrottigen Dauerprovisorium. Das Volkstheater, ohnehin ein taumelndes Schiff, spielte vor leerem Haus und übertrug via Livestream, musste in Kirchen und Hallen ausweichen, spielt jetzt in einem Theaterzelt.

Das kostet, klar. Zu den Ausweichspielorten kommen die (wieder einmal provisorischen) Ertüchtigungskosten. Und die für einen Neubau (wenn er denn kommt). Und weil das Ganze ein Fass ohne Boden zu sein scheint, mehren sich die Stimmen, die eine Schließung fordern. Ein Bespieltheater tut's ja auch, oder?

Auch Erfolg schafft keine Sicherheit

Dass aber nicht nur das krisengeschüttelte Volkstheater mit seinen zehn Intendanten in 20 Jahren wackelt, sondern auch das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin, erstaunte. Gerade noch war das Haus, das lange Zeit beneidenswerte Einspielzahlen vorweisen konnte, mit Herbert Fritschs Inszenierung von Gerhart Hauptmanns Biberpelz zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen. Jetzt droht die Insolvenz: Weil strukturelle Defizite nicht mehr aus eigener Kraft aufgefangen werden konnten, fehlen eine Million Euro.

Im Theater Vorpommern in Greifswald und Stralsund gibt's immerhin einen neuen Haustarifvertrag für das künstlerische Personal, dass die Zahl der Schauspieler und Sänger erhält. Aber neben den juristischen Streitigkeiten mit dem Ex-Intendanten Anton Nekovar, der offenbar zu unrecht in einer Nacht- und Nebel-Aktion abgesägt wurde (was also teuer werden kann), und Unruhe im Haus, weil der designierte Intendant Dirk Löschner - bisher Chef des Stendaler Theaters - ein komplettes neues Schauspielensemble mitbringt, enthält das Land dem Theater Geld vor, weil es die Fusion mit der Vorpommerschen Landesbühne Anklam nicht anerkennt, Folge eines undurchdachten (weil praxisunkundigen) Erlasses des Kultusministers Henry Tesch (CDU), dessen politische Zukunft allerdings nach der verlorenen Landtagswahl ungewiss ist. Und in Neustrelitz/Neubrandenburg fressen lokale Verteilungskämpfe unter den 21 Gesellschaftern zu oft die Kräfte auf, die das Theater eigentlich in die künstlerische Arbeit stecken will.

Ab sofort: gesteigerte Aufmerksamkeit

Und nun? Wem hilft das Jammern? Gerade die Theater selbst beklagen zunehmend, dass in den Medien nur noch über drohende Insolvenzen, interne Schieflagen und Spartenschließungspläne berichtet wird. Dass also Abonnenten verunsichert werden, der Kartenvorverkauf stockt und sich allmählich eine Genervtheit breit macht über die vermeintlichen Löcher ohne Boden, die der Solidarität mit den Theatern schadet.

Wer aber beschäftigt sich mit den Kernaufgaben der Theater, zumal überregional?

Wir.

Nein, natürlich glauben auch wir nicht, dass allein das Beobachten ihrer Leistungen die Theaterlandschaft retten wird. Aber eine gesteigerte Aufmerksamkeit könnte der Beginn eines neuen Bewusstseins sein. Des reisenden Publikums, zum einen. Der lokalen Politiker, zum anderen, die merken, dass man sie und ihre Entscheidungen im Blick hat. Und nicht zuletzt der Theatermacher, die sich – hoffentlich – ernst genommen fühlen in dem, was sie tun, auch wenn die Kritiken mal harsch ausfallen sollten.

Deshalb wollen wir in der gerade beginnenden Saison verstärkt die norddeutschen Theater im ländlichen Raum besuchen, also die in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern – was uns auch ermöglicht wird durch die Hilfe der ZEIT-Stiftung, die unser Bemühen für eine förderungswürdige Angelegenheit hält.

 

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Morgen beginnt unser Nord-Schwerpunkt mit einer Kritik aus Lübeck: Frederico Garcia Lorcas "Yerma" in der Regie von Anna Bergmann.