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Ein Geschäftsimperium für ein Pferd?

von Annette Hoffmann

Basel, 15. September 2011. Dieser Konferenztisch ist wie für die Ewigkeit gemacht. Grauer Granit, zwei Stützen, eine Platte. Genau besehen: ein Altar, auf dem sich gut Opfer darbringen lassen. Dahinter steht Colm, uneingeschränkter Herrscher seines Geschäftsimperiums Argeloin, und erzählt seinen Mitarbeitern einen Traum. Einen Traum, in dem er das Schöne sucht und Scheiße findet. Seine Mitarbeiter und der ungeliebte Sohn Jimmy, allesamt in Businesskleidung, kippeln auf den Absätzen, lachen sich ins Fäustchen.

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Das Ensemble am "Altar". © Judith Schlosser

Keine Frage, der Mann ist angezählt. Ist es das Alter, wachsende Skrupel, eine lange zurückliegende Schuld? Vor Jahren trieb er einen Konkurrenten und dessen Familie in den Tod, allein die Tochter überlebte. Wer hier fragt, wer bin ich, wer war ich, was habe ich getan, ist schon verloren. Denn die Zivilisation sitzt im Kapitalismus so locker wie die schlecht geschnittenen Anzüge.

Shakespeare goes McCormack

Es ist bereits das sechste Stück von Dennis Kelly, das am Theater Basel gespielt wird. Und wieder hat Elias Perrig, scheidender Schauspielchef, diese deutschsprachige Erstaufführung des Dramas selbst inszeniert. "Die Götter weinen", uraufgeführt 2010, knüpft an Kellys Waisen aus der letzten Saison an. War dort die Gewalt noch eine ungewisse, wenn auch sich verdichtende Bedrohung, wird sie im aktuellen Stück des britischen Autors manifest. Die Figuren schwitzen sie aus allen Poren aus. Ein wenig wirkt dieses Drama wie ein Shakespeare goes Cormac McCarthy.

Denn wie Colm (Jörg Schröder) erst die Verantwortung an Richard (Dirk Glodde) und Catherine (Claudia Jahn) abgibt und dann schließlich aus seinem Lieblingsprojekt Belize herausgedrängt wird, hat viel von einem atavistischen Königssturz: "Du bist CEO, ich bin CEO, Colm war CEO". Der Machtkampf jedoch, der zwischen den beiden Geschäftspartnern Richard und Catherine entbrennt, stürzt alle in postapokalyptische Verhältnisse. Die Stellungskriege, die bislang im Konferenzraum stattfanden, weiten sich nun auf das ganze Geschäftsgebiet von Argeloin aus, auch auf Belize, wo die Firma unsaubere Geschäfte macht? Ganz genau erfährt man es nicht. Es ist, als würden sich die Strategien, den Kollegen, die Kollegin klein zu halten, einfach verräumlichen.

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Dirk Glodde und Pascal Lalo im kapitalistischen Machtkampf.  © Judith Schlosser

Postapokalyptisches

Bislang hatte Elias Perrig für Kellys Dramen ein gutes Gespür bewiesen. Die Konversationsstücke, in deren Verlauf man mehr und mehr an der jeweiligen Wahrheit der Figur zweifelt, lagen ihm sichtlich. "Die Götter weinen" hingegen ist ein handlungsreiches, aber auch schwächeres Stück. Sprachlich weniger subtil, verdichtet Kelly durch wiederkehrende Motive. Nach der Absetzung des alternden Potentaten Colm verwandelt sich die von Beate Faßnacht entworfene gediegene Machtzentrale der Firma in einen zerstörten Tempel. Die Granitplatten sind aus der Wand gerissen, am Boden türmen sie sich wie Eisplanken, die Decke muss mit einer Metallkonstruktion gestützt werden. Ein Feuer brennt auf dem Altar. Und wenn man glaubt, in dem zerborstenen Säulenschaft einen verlassenen Königsthron zu erkennen, hat das viel mit der plakativen Symbolsprache dieser Inszenierung zu tun.

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Jörg Schröder und Chantal Le Moign im Zustand der Unschuld.
© Judith Schlosser

Mal rast hier Richard, den Dirk Glodde als Berserker, aber zögernden auf den Lauf der Sterne hörenden Usurpator gibt, mal schmiegt sich hier Catherine (Claudia Jahn) an Jimmy (Pascal Lalo), um sich ihm ganz auszuliefern. Doch keine Liebe ohne Verrat. Luftangriffe sind zu hören, die Krieger tragen Fußlappen und die Arme in Schlingen, die Kleidung wird von Mal zu Mal blutiger (Kostüme: Charlotte Sonja Willi). Man sieht Monströses, zum Götter Erbarmen, aber in ihrer Überdeutlichkeit nicht eben die geeigneten theatralischen Mittel.

Zerbrechlicher Kern der Unschuld

Denn während hier die Groteske herrscht, waltet dort die Psychologie. Hat sich Colm doch zu Barbara (Chantal Le Moign), der Tochter des vernichteten Rivalen geschlagen. Man erkennt sich, sie geht ihm an den Skalp und dennoch entsteht eine Art vorzivilisatorische Idylle, ein Beisammensein, das die Schuld nicht tilgt, aber den Zustand der Unschuld wiederherstellen möchte. Colm lockt mit treuherzigem Charme Barbara aus der Reserve, bis sie beginnt, sich zärtlich-ruppig um den Alten zu kümmern. Diese ungleiche Gemeinschaft bildet in ihrer gegenseitigen Anteilnahme und Fürsorge den zerbrechlichen Kern von Kellys Stück und auch das Spiel von Jörg Schröder und Chantal Le Moign entschädigt etwas, wirklich retten können aber auch sie diesen Abend nicht.

 

Die Götter weinen (DSEA)
von Dennis Kelly, Übersetzung von John Birke
Regie: Elias Perrig, Bühne: Beate Faßnacht, Kostüme: Charlotte Sonja Willi, Musik: Biber Gullatz, Licht: Roland Edrich, Dramaturgie: Martin Wigger.
Mit: Andrea Bettini, Dirk Glodde, Claudia Jahn, Katka Kurze, Pascal Lalo, Chantal Le Moign, Max von Mühlen, Florian Müller-Morungen, Carolin Schär, Jörg Schröder.

www.theater-basel.ch


Mehr zu Dennis Kelly? In Basel inszenierte Elias Perrig bereits Waisen, DNA und Liebe und Geld, in Essen interessierte sich Alexander May für Osama der Held und in Berlin Sascha Hawemann für Taking Care of Baby.

 

Kritikenrundschau

Dennis Kelly habe in sein jüngstes Stück hineingepackt, "was politisch so angesagt ist und alles, was in ein Gegenwartsdrama nur hineingeht", schreibt Sigbert Kopp im Südkurier (17.9.2011) "Kritik am entfesselten Finanzkapitalismus, veredelt auch durch den Shakespeare-Klassiker, Mauerschau vom Krieg, metaphysische Schlenker und Schluss-Läuterungen". Doch handelt es sich hierbei dem Eindruck des Kritikers zufolge um "Einsichten, die zwar tief gemeint, aber so oft gesagt und geschrieben worden sind, dass man sie am Ende dieser deutschsprachigen Uraufführung ungerührt hinnimmt." Es sei vor allem laut an diesem Theaterabend. "Regisseur Elias Perrig lässt einen Bass gefährlich unterschwellig brummen, er lässt den Krieg im Off loskrachen und sich steigern. Das klingt aufregend, ist aber letztlich Musikkulissenmalerei, die brav die Dramaturgie des Stückes verdoppelt." Das Vorbild für Kelly sei neben nicht nur Shakespeares 'Lear' , sondern auch Akira Kurosawas Film 'Ran'. "Kurosawa schneidet die Szenen seiner furiosen Kriegscollage wie mit Messern. Elias Perrig malt lang und breit ein akustisches Schlachtengemälde. Sein Theaterabend vom kriegerischen Kapitalismus geht nicht Schnitt um Schnitt, Zug um Zug, sondern er zieht sich hin."

Elias Perrig inszeniere im ersten Akt "ein nüchternes Schachspiel in einer voluminösen Granitkathedrale", schreibt Jürgen Berger in der Süddeutschen Zeitung (20.9.2011). Kellys monströses Schlachtengemälde des zweiten Aktes bezwinge Perrig als lautstarke Mauerschau, "um gleich im dritten Akt und in einer Idylle zu landen, in der Jörg Schröder als Colm die glücklichen Momente eines ehemaligen Kapitalisten spielen darf, der gänzlich verarmt der rauen Wirklichkeit eines geplünderten Planeten ausgeliefert ist. Da findet die Inszenierung den richtigen Ton für ein Stück, mit dem der Basler Schauspielchef jene Spielzeit eingeläutet hat, an deren Ende er das Theater verlassen wird."

"Was als zeitgenössischer Wirtschaftsthriller beginnt, entwickelt sich nach der Pause zum blutigen Schlachtengemälde zurück und versandet schließlich in einer länglichen postapokalyptischen Tragikomödie", findet hingegen Martin Halter in der Badischen Zeitung (20.9.2011). "Shakespeares Königsmörder feiern in der Krise als ruchlose Banker und Börsenspekulanten fröhliche Urständ. Allerdings: Wunder, blinde astrologische Unternehmensberaterinnen, lebende Katzen oder Manager mit Holzspeeren sieht man auf den Vorstandsetagen doch eher selten." Perrigs spröde Mittel reichten für das globalkapitalistische Schlachtfest nicht, "und auch seine Winke mit dem religiösen Zaunpfahl – Wasser von oben, Choräle aus dem Off, das pseudosakrale Bühnenbild von Beate Faßnacht mit einem mächtigen Konferenztisch als Altar – helfen da nicht weiter."


Kommentare  
Die Götter weinen, Basel: überzeichnetes Kriegsgedöns
Eine verpasste Chance das Basler Publikum mit diesem interessanten Stoff zu berühren. Stattdessen völlig überzeichnetes Kriegsgedöns, unglaubwürdige Wald- und Aussteigerromantik, klamaukhafte Zerrbilder und Figuren. Da geht man raus und was als Eindruck bleibt, ist gähnende Leere. Langweilig, langatmig, überzogen und peinlich. Dieser Abend war eine große Enttäuschung.
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