Die Sinnlichkeit der Sinnlosigkeit

von Hartmut Krug

Jena, 1. November 2007. Der Himmel ist offen und leer über den grauweißen Grobputzwänden einer Zelle, deren sandiger Boden mit Herbstblättern übersät ist. Die Figuren und Schraffuren der Filmbilder, die auf die Rückwand geworfen werden, wirken grau und düster dumpf. Die Szene der Uraufführung von Katharina Schmitts "Knock Out" am Theaterhaus Jena (Bühne: Marsha Ginsberg, Video: Heiko Kalmbach) verstrahlt die gleiche trostlose Hoffnungslosigkeit wie die auf Vorlagen von Polizei- und Medienfotos beruhenden fünfzehn Bilder von Gerhard Richters Zyklus "18. Oktober 1977".

Richters Bilder liefern keine Erklärungen, kein Urteil, keine eindeutige politische Haltung zum "Deutschen Herbst", zu den Selbstmorden in Stammheim nach der Befreiung der Lufthansamaschine "Landshut". Sie bewegen sich im Grenzbereich zwischen diffuser Trauerarbeit und deren ästhetischer Konsumierbarkeit (mit einem christusgleich erschossen am Boden liegenden Andreas Baader, mit einer toten Ulrike Meinhof, bei der die Würgemale des Strickes zu sehen sind).

Die Mechanismen von Kampf und Terror

Katharina Schmitt nimmt für ihr Stück neun von Richters fünfzehn Bildern zur Vorlage. Nicht, um sie nachzustellen oder nachzuspielen, sondern um sie durch- und weiterzudenken. Es geht um die Suche nach Haltungen und Handlungen, gefragt wird weniger nach den Ursachen als nach den Mechanismen von Kampf und Terror. Man muss Richters Bilder nicht kennen, deren Titel den einzelnen Szenen vorangestellt sind. Doch mit ihrer Kenntnis erschließen sich die knappen Dialogszenen des einstündigen Abends leichter.

Regisseur Heiko Kalmbach treibt die beiden Schauspieler Zoe Hutmacher und Gunnar Titzmann, die alle Rollen spielen, kaum einmal in stärkere Aktion. Hier wird szenisch vorgedacht. Nicht statisch, sondern aus dem Rhythmus der Texte heraus. Von Texten, die klar und einfach sind. Die nicht poetisieren, sondern die den Zuschauer, den Zuhörer durch ihre klare Einfachheit in die Konzentration zwingen. Gelegentlich etwas atmosphärische Musik und zuweilen Live-Videos der Agierenden, Argumentierenden – mehr braucht der Regisseur nicht für seine Versinnlichung von Schmitts Dialogen.

Räuber und Gendarm

"Jugendbildnis" heißt die erste Szene: ein Gespräch und Verhör, von klatschenden Folter- oder Kindheitsschlägen untermalt. Da versucht sich jemand seiner Kinderspiele und deren festen Regeln zu vergewissern, gegen ein anderes, (be)herrschendes Ich, das diese Spiele ("Blinde Kuh", "Räuber und Gendarm") nie gespielt haben will. Ein Dialog um Macht und Unterdrückung und das Befolgen von gesellschaftlichen Spielregeln, im Off beginnend und in der Dynamik von Videogroßaufnahmen des Sprechenden gipfelnd.

"Festnahme" zeigt dann schon, wie die Illusion scheitert, der Gesellschaft davonlaufen zu können, statt ihr entgegenzutreten. Der sich dies mit dem Mikrofon in der Hand einredet, wird auf düsterer Bühne von einer Frau (die wechselnden Geschlechter spielen keine Rolle), deren Stimme aus der Flüstertüte mechanisch und kalt klingt, mit einer kleinen Lampe verfolgt. Dabei berühren sich die Figuren an diesem Abend nicht, sie bleiben sich stets fern, halten sich einander vom Leibe.

Tanz der Terroristen

Die weitgehende Fraglosigkeit von Katharina Schmitts Dialogen (die Autorin gewann mit dem Stück den Jakob-Michael-Reinhold-Lenz-Preis der Stadt Jena) ist zugleich Stärke wie manchmal auch Schwäche ihres Stückes. Das im Bild "Tote" seine stärksten Momente besitzt. Da wird über ein Päckchen geredet, mit dem an der Kontrolle vorbei ein Strick ins Gefängnis kam. Wenn hier, mit wechselnden Positionen im Raum und auf den Wänden, über Selbstmord geredet und dabei auch an Mord gedacht wird, dann muss das konsequenterweise in die Einsicht der Gefangenen münden: "Ich bin schon lange tot."

In der Szene "Plattenspieler" stellt der Regisseur die Ausweglosigkeit des Handelns der Terroristen szenisch eindrücklich aus. Baader soll in seinem Plattenspieler eine Pistole versteckt gehabt haben. So bringt auf der Bühne der Plattenspieler die Terroristen zum (revolutionären) Tanz, der zum Drill in einem Ausbildungscamp wird. Wieder und wieder beginnen sie den Tanz von vorn. Da tritt etwas auf der Stelle in wilder Bewegung, das in die Freiheit will: gezeigt wird die Sinnlichkeit der Sinnlosigkeit.

All das ergibt zwar noch kein großes Stück und keinen großen Theaterabend, doch die konzentrierte Ernsthaftigkeit von Stück und Inszenierung nehmen ein für beide. Eingebettet in das kleine Jenaer Festival "Heißer Herbst", neben Vorträgen, Diskussionen und Aktionen, ist der Abend richtig am Platz.

 

Knock out
von Katharina Schmitt
Uraufführung
Regie: Heiko Kalmbach, Bühne: Marsha Ginsberg, Kostüme: Anne Buffetrille.
Mit: Zoe Hutmacher, Gunnar Titzmann.

www.theaterhaus-jena.de

 

Kritikenrundschau

In der Thüringischen Landeszeitung (3.11.2007) schreibt Frank Quilitzsch, "Gerhard Richters fotografische Maltechnik und Katharina Schmitts dokumentarischer Rigorismus" fänden in Heiko Kalmbachs Inszenierung "eine kongeniale Umsetzung". Bisher nur als Videokünstler bekannt gewesen, überrasche Kalmbach "mit einer raffinierten Synthese aus Live-Video und Schauspiel". Seine Bilder seien wie die von Richter "in atmosphärischen Grautönen gehalten und entfalten durch ihre latente Unschärfe eine hohe Ambivalenz". Allzu Grelles wird vermieden, Verborgenes ans Licht geholt. Selten habe man die "Theaterhaus-Akteure in so verstörend intensivem Zusammenspiel" gesehen, kurzum: "Eine Inszenierung, die Maßstäbe setzt."

 

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