Der talentierte Mr. Ripley - von Jan-Christoph Gockel frei nach Patricia Highsmiths Roman ins Studio der Schaubühne gebracht
Grob durchgemacht
von Matthias Weigel
Berlin, 18. September 2011. Der talentierte Mr. Ripley aus Patricia Highsmiths gleichnamigen Roman von 1955 hat vor allem Talent darin, andere Menschen und Unterschriften nachzumachen. So versucht er sein hölzernes Leben dadurch aufzumotzen, dass er nach dem Mord an einem befreundeten Schnösel einfach dessen charismatische Persönlichkeit annimmt und fortan versteckspielend, identitätsvermischend und spurenverwischend durchs schöne Italien schlawenzt – alles reichlich psychopathisch gefärbt.
Der hochtalentierte Matt Damon hat diesen Mr. Ripley vor zwölf Jahren in der Verfilmung von Anthony Minghella einmalig auf der Kippe zwischen sympathischem Milchbubi und ekelhaftem Psychopath gezeichnet, der wie ein seelenloses chinesisches Plagiat dazu verdammt ist, für immer nach dem Markenvorbild streben zu müssen. Es aber natürlich nie werden zu können.
Im Studio der Berliner Schaubühne geht es nicht so zwanghaft ehrgeizig zu. Jung-Regisseur Jan-Christoph Gockel hat den "Mr. Ripley" da inszeniert, mit Sandstrand, Zimmerwand (Türe inklusive), Plattenspieler-Jazz, und drei Leuten, der logischen Minimal-Besetzung. Die Geschichte wird grob durchgemacht: Solange sie sich noch verstehen, hauen sich David Ruland (Ripley) und Sebastian Schwarz (Opfer) lachend gegenseitig auf ihre Wampen, klobig bis hilflos. Luise Wolfram (Opfer-Verlobte) schaut gutaussehend im Badeanzug zu. Dann mordet Ripley und übt, für die bevorstehende Imitation noch klobiger zu laufen. Die inneren Monologe des sich persönlichkeitswandelnden Ripleys werden zu äußeren Dialogen mit dem toten Opfer. Als schließlich der Mord aufzufliegen droht, vermutet die Verlobte praktischerweise Selbstmord: Ripley ist fein raus! Aus. Eine Rechtfertigung durch eine Idee oder auch nur den Willen zu etwas bleibt der Abend schuldig.
Der talentierte Mr. Ripley
von Patricia Highsmith
Regie: Jan-Christoph Gockel, Bühne und Kostüme: Nina Wetzel, Musik: Jacob Suske, Dramaturgie: Nils Haarmann. Mit: David Ruland, Sebastian Schwarz, Luise Wolfram.
www.schaubuehne.de
"Wie konnte das passieren?", fragt Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (20.9.2011). Ein "einschläfernd dröger, seltsam bräsiger und ziemlich verzichtbarer Zweistundenabend" sei das gewesen. Lauter falsche Fährten lege Gockel, "als wäre alles nichts als ein Spiel mit Knet- und Knautschfiguren im Sandkasten. Ein bisschen ins Publikum schäkern, ein bisschen geheimnisvoll tun, ein bisschen singen, ein bisschen ausflippen, ein bisschen Betroffenheit mimen. Das reicht dieser Inszenierung. Damit gehört sie in die Abteilung: alles irgendwie o.k., aber komplett überflüssig, zumindest dann, wenn man als Theater mehr will, als Irgendwie-O.K.-Abende zu produzieren."
Die ersten 50 Minuten, die seien super, schreibt Reinhard Wengierek in der Berliner Morgenpost (20.9.2011): "Herrlich, dieses Duell-Duett-Pas de deux der klasse Komiker: Schnappiger Terrier (Ruhland) im Clinch mit dickfellig schwitzendem Bernhardiner (Schwarz)." Allerdings seien beide ein längst eingespieltes Paar als Zack & Dave in der Schaubühnen-Soap "Zack'n' Dave". Gegen diesen "super Krimi-Tingeltangel Marke Eigenbau" mit Zeug zum Kult falle Highsmith unerwartet ab: "Und nach der Mordtat von Mr. Ruhland sowie der völlig überflüssigen Pause leiert alles aus in theatralischem Rumgemache. Und so beschließt Langeweile, was vielversprechend begann als amüsanter Kammerspiel-Krimi-Boulevard."
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Sehr charmant das Ganze, klug und liebevoll umgesetzt. Mit einfachen Mitteln wurden hier tolle Atmosphären geschaffen (Die zuweilen von einer benachbarten Disco und nicht funktionierenden Glühbirnen leider etwas beeinträchtigt wurde).
Ich bin vielleicht nicht ganz neutral, weil ich Freunde an diesem Theater habe, glaube aber dennoch das Recht zu haben mich über Herrn Weigels Beitrag hier laut wundern zu dürfen. Ich hatte bis dato den Eindruck, daß man auf Nachtkritik seriöse Rezensionen zu lesen bekommt. Aber das hier klingt irgendwie so beleidigt und will darum beleidigend sein.
2 glaubt, dass man über uninteressantes nur lang genug schreiben muss, damit es interessant wird
3 hat einen schönen abend mit den lieben freunden gehabt
4 hat einen schlechten morgen mit der kritik gehabt
bis dato sehe ich noch nicht, wieso der kritiker ausführlicher über diese inszenierung hätte schreiben sollen.
Okay, das war /ist ein Verriss. Ist ja Ihr gutes Recht. Klaro. Hab verstanden. Aber - ganz ehrlich: auch n guter Verriss entsteht aus These, Antithese und Konklusion. Und Ihre so genannte Kritik stellt nicht mal ne Theas auf, also liefert nicht mal ne vernünftige Beschreibung, WAS und /oder WARUM Sie zu diesem Verriss gekommen sind..und, mal so unter uns, Hand aufs Herz: waren SIE an dem Abend eigentlich da?? (...) denn sooooo wenig mitbekommen und verstanden haben zu wollen und dabei mit Intelligenz und theatralischem Menschenkritikerverstand gesegnet sein zu wollen, um soooo etwas unsäglich Oberflächliches zu schreiben und hier abzuliefern -- und -- es kannn ja sein, daß Sie den Abend so unsäglich fanden,um ihn mit Verachtung zu strafen...-- aber, mal ganz ehrlich... es geht hier nicht um persönliche Einstellungen, Animositäten und Eitelkeiten , sondern um neutrale, kolportierende, auch kritische, aber faire INHALTE...-- und so NICHt-bei -Verstand, daß sie das nicht wissen könnten.....das nehme ich Ihnen nicht ab! (...) und wir können uns alle einer durchaus kritisichen, aber korrekten Beschreibungs eines von dem Team wie immer hart erarbeiteten abend erfreuen..und wenn es doch ein Verriss werden sollte, trotz aller Wachmacher: dann wird er auch bereichtigt, weil gut begründet sein...Okay. Klar. Alles bestens.
Freundliche Grüße.
Ihre Matze
ja, okay: das ist das studio, da darf experimentiert werden - aber wird deshalb auch die qualitätskontrolle komplett abgeschafft? viele szenen war kaum zu ertragen ohne innerlich laut zu schreien! all diese platten doppelungen von text und spiel... ich war so wütend. eine verschwendung von zeit und talentierten schauspielern!
Ich wundere mich. Ich wundere mich.
was mir auffällt, ist hingegen der schleichende Verfall der Schaubühne. war sie vor zwei jahren noch meine lieblingsbühne in berlin, habe ich nun schon seit geraumer zeit kein mich packendes, berührendes oder anderweitig interessantes stück dort gesehen. das beste stück war noch "perplex"- immerhin noch unterhaltsam und komisch. das gleiche gilt im übrigen auch fürs deutsche theater.
nun bin ich sehr gespannt auf die premiere von "die wohlgesinnten" am samstag im gorki-theater.
(...)
ein sehr guter abend, tolle leute auf der bühne, kann es nur weiterempfehlen.
bitte roher. bitte riskanter. bitte weniger leichtgängig. bitte weniger touristisch. (kann man nicht anders oder will man nicht anders?)
für das DT ähnlich. dort wird umwegig der neustart versucht. große namen, aber keine entdeckungen. selbst die zweitrangigen abende unter wilms waren erquicklicher als gediegenes absolvieren wohlgeformter doch belangloser dramaturgenprogrammatik am DT. endlos schade!
bezaubernd, wie der heimathafen eine "arabqueen" mit drei grandiosen damen aufs parkett legt. und der theaterdiscounter einen belebenden "tasso".
@20: auch Ihrer meinung. siehe dazu meinen trotzigen erstbeitrag bei der naunynstraße.
Ich finde, dass die Geschichte sehr gut auf der Bühne inszeniert wurde. Das Augenmerk lag vor allem darauf, das Innere des Tom Ripleys darzustellen. Es wurde zwischen seiner Traumwelt und der Realität gewechselt. Alles sehr deutlich dargestellt. Durch den Anfangsmonolog gewinnt Tom Ripley die Sympathie der Zuschauer und man fiebert mit ihm mit, -so wie im Buch.
Vor allem fand ich die visuelle Darstellung super. Ein Mix aus Film und Theater.
Und auch wenn die Schauspieler nicht gerade Matt Damon verkörpern, kommt es doch letztendlich auf ihre schauspielerische Leistung an und nicht auf ihren Waschbrettbauch. Die Leistung war nämlich bei allen drei genial.
Nur zum Weiterempfehlen!