Presseschau vom 21. September 2011 – DRS2 über das neue Schweizer Portal theaterkritik.ch, wo Theater für Kritiken zahlen können
Kritiken kaufen?
21. September 2011. In der Schweiz wird derzeit ein neues Modell zu Finanzierung von Theaterkritiken durchgespielt: Im November geht die Website theaterkritik.ch an den Start, die sich von den Theatern für Kritiken bezahlen lassen will. Dabei gehe es nicht darum, "Kritiken zu kaufen", wie Co-Initiatorin und Regisseurin Ursina Greuel im Interview mit Jennifer Khakshouri auf dem Schweizer Radiosender DRS2 betont: "Es geht darum, dass man an die Plattform theaterkritik.ch einen Beitrag zahlt. Man hat die Möglichkeit, als Gruppe dort selber sich und seine Arbeit zu präsentieren, und die Plattform vermittelt einem zwei professionelle erfahrene Kritiker, die dann die Aufführung besprechen."
Notwendig sei das, weil insbesondere die kleineren, die Kinder- und Jugend- und die Off-Theater es immer schwerer haben, von den Medien wahrgenommen zu werden. So fehle es nicht nur an Vermittlung, also dem Publikum zu sagen, dass da etwas standfinde. Sondern auch die Möglichkeit, dass die eigene Arbeit professionell reflektiert werde, ein "öffentlicher Dialog mit Fachjournalisten".
Das gemeinsame Projekt von Kulturjournalisten und Theatermachern arbeite "ganz bewusst nur mit sehr erfahrenen Kritikerinnen und Kritikern" zusammen, die wüssten, dass für ausführliche Kritiken in Zeitungen oft kein Platz und Geld mehr vorhanden sei. Dass man gleich zwei Kritiken pro Premiere aufschalte, zeige, dass man nicht an Lobhudelei interessiert sei, sondern an einer Debatte. Die Gefahr für die Auftraggeber, für 600 Franken (also knapp 500 Euro) gleich zwei Verrisse zu kassieren, sieht Greuel nicht so dramatisch: "Wenn man ein Interesse hat an einer ernsthaften Besprechung, dann lässt man sich darauf ein. (...) Ein gut geschriebener Verriss ist immer noch interessanter als eine schlecht geschriebene, wohlwollende Kritik."
Sehr unterschiedlich hätten die angesprochenen Journalisten reagiert: Einige, vor allem vom Radio (wo die Journalisten noch Raum zum Berichten hätten), lehnten aus ethischen Gründen ab, andere begrüßten das Projekt. Aber wie frei seien dann diese Journalisten wirklich, über ihre Auftraggeber zu schreiben? Weil das Verhältnis transparent sei, die Journalisten mit ihrem Namen bürgten und genau wüssten, wie ihre Arbeit auf die Leser wirke, sieht Greuel hier kein Problem. Von den 600 Franken gehen übrigens je 200 Franken an die Schreiber, 200 an die Redaktion. Zahlen würden das die Theater aus ihren Werbeetats, weil dort das Geld vorhanden sei. Über diese Budgets könnte eine Finanzierung von Plattformen wie theaterkritik.ch eine Selbstverständlichkeit werden, mutmaßt Greuel.
(geka)
Mehr zur Debatte um Gegenwart und Zukunft der Theaterkritik? Der Kritiker Tobi Müller forderte hier im August ganz neue Formen. Nachtkritik-Mitgründerin Petra Kohse berichtete von Zeiten, als die Theaterkritik noch jung und ein hoffnungvolles Kind der Aufklärung war.
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Ferner sollte auch Theaterkritik bitte zu einem gewissen Grad Leidenschaft sein - und nicht knallhartes Business dieser Art. Hoffentlich kommt Nachtkritik nie auf die Idee, sowas in der Art selbst umzusetzen.
auf die art verschmilzt theater auf das schönste mit den gepflogenheiten politischen tagesgeschehens. welch frohe zukunft!!
stadelmaier wär mir 500,- euro wert ;-)
3 x Stadelmaier für 1 x Dössel ?
Ist das schon der Probelauf für einen weitergehenden, umfassenderen
Logarithmus: Der KRITIKER-INNEN-DAX (aktualisiert an jedem Freitag) mitsamt der Verleihung des "Goldenen Dachses" für den jeweils höchstdotierten Kritiker zum Ende jeder Spielzeit ?? (eine Folge: dann wird demnächst das REGIE- oder REGISSEURS- oder POSTDRAMATISCHE- THEATER passe sein, dann wird es das KRITIKER/INNEN-THEATER geben, vermutlich Hand in Hand mit einem "DRAMATURGEN-THEATER")
Ehrlich gesagt, ich finde § 4 hat es schon sehr gut auf den Punkt
gebracht, daß es schon höchst zynisch klingt, wenn es da heißt, die Freien und Kleinen könnten hier am ehesten profitieren. Angenommen, wir sind wirklich in einer Situation, in der Theaterkritiken so goldene Wirkungen entfalten, so müßten besagte Kritiker schon aus Eigeninteresse (und für ihre jeweiligen "Blätter") ein ausgewogenes Verhältnis von Besuchen größerer und kleinerer, freierer und gebundenerer "Häuser" zuwegebringen, aber mir kommt es eigentlich hier so vor, als werde implizit davon ausgegangen, daß es hier um Aufmerksamkeitsaktien
geht, einer Art "Theaterpropagandamarkt", der sich an einem diffusen Massengeschmack zu orientieren hat (da offensichtlich angenommen wird, daß die obig von mir umrissenen Publikum-Rezeptionsverhältnisse gerade nicht bestehen !). Nun gut, wie verhält man sich zu einer Plattform, welche diese "Rezeptionsbedingungen" zur Grundlage des eigenen Wirkens
machen will, diese ausdrücklich zementierend ?!
Ich jedenfalls: ablehnend !
Meine Einschätzung: In the long run wird überall, wo nennenswertes Theater vorkommt, es auch "Publikumsblogs" etcpp.
geben, örtlich ausgerichtete, verfeinerte Theaterlese, bei gleichzeitiger Bedeutungssteigerung der Theaterberichterstattung in den jeweiligen lokalen Feuilletons (ich sehe zB. bei der KN oder LN -Kieler und Lübecker Nachrichten- dafür durchaus Anzeichen). Bei nachtkritik de. deutet sich hin und wieder eine solche Entwicklung an bzw. hat diese eingesetzt (wofür die ansteigende Zahl vernetzter Theaterseiten ein gewisses Indiz liefert), auch die von nachtkritik de. bzw. von LeserInnen beigesteuerten Pressespiegellinks entwickeln sich für meine Begriffe erfreulich. Wüßte nicht, was dabei eine Bezahlkritik zu suchen hätte, die irgendwie immer ein wenig "anrüchig" bleiben muß..