Das weite Land - Am Burgtheater bringt Alvis Hermanis einen schwarz-weißen Schnitzler heraus
Citizen Kane oder Vertigo?
von Kai Krösche
Wien, 24. September 2011. "So sausen wir kühn ins Dunkel hinein" steht, Weiß auf Schwarz, auf dem Programmheft. Und darunter: "Ja, Erna, das ist vielleicht das Allerlustigste". Ins Dunkel hinein gesaust, gar allzu kühn, sind wohl auch Alvis Hermanis und sein Team bei der Arbeit an ihrer Burgtheater-Inszenierung von Schnitzlers "Das weite Land" – für das "Allerlustigste" hielt das jedoch zumindest das Premierenpublikum nicht wirklich.
Ja, was denn nun: film noir oder Hitchcock-Melodram, "Citizen Kane" oder "Vertigo"? Nicht einmal die Soundkulisse mag sich recht entscheiden an diesem ermüdenden Theaterabend. Bernard Herrmann ist nun einmal nicht gleich Bernard Herrmann, so wie Schnitzler nicht gleich Otto Preminger oder Billy Wilder ist, so sehr die letztgenannten auch von österreichischer Herkunft in die USA ausgewandert sein mögen. Was auf der Bühne des Burgtheaters in ermüdend langen vier Stunden vor sich geht, lässt sich allenfalls als gnadenlos gescheitertes Experiment bezeichnen – den eigentlich ja nicht unspannenden Versuch, die Untiefen Schnitzler'scher Seelenlandschaften in ein 40er-Jahre film noir-Setting zu verlegen, samt schwarzweißer Kulisse, schwarzweißen Kostümen, schwarzweißen Haaren – und einer überwältigenden Menge schwarzweißer Klischees.
Tataratam!
Nicht eine einzige Regieidee vermag an diesem Abend aufzugehen, stattdessen spielt ein eigentlich starkes Ensemble – allen voran ein fast auf rebellische Weise Grautöne in das posen-, oft unfreiwillig possenhafte Spiel bringender Peter Simonischek – an gegen ein inkonsequentes, aufgestülptes und in seiner Beliebigkeit (daran können auch gegenteilige Beteuerungen der Regie im Programmheft nichts ändern) geradezu amateurhaftes Regiekonzept. Ziellos stolpert der Abend zwischen Überzeichnung ("Tataratam!"– sind wir jetzt in einer Kino-Krimiparodie?), psychologischem Spiel, vulgärsurrealistischem Geschwafel und, nun ja, eben hilflosen film noir-Anleihen herum. Und wieso stolpern da immer wieder acht Hitchcock-blonde Frauen zur Musik von "Vertigo" choreographiert über die Bühne?

Die Hauptfrauenfiguren des Abends, Dörte Lyssewski als Genia und Katharina Lorenz als Erna, sind weitgehend dazu verdammt, femme fatale-Posen (ewiges Rumgeräkel, Geseufze, tiefe, böse oder leidende Gesichter) zu reproduzieren. So sehr sie auch mit ihren blonden Haaren (blond und Haut sind die einzigen Farben an diesem Abend) an die fatale Patricia Arquette in David Lynchs "Lost Highway" erinnert, so lasziv sie ihren Hintern dem Otto von Aigner auch bei der Billardpartie entgegenstreckt, so klar bleibt Lyssewski dabei trotzdem die enttäuschte, vielleicht noch abgeklärte Genia; so katzenhaft sich Katharina Lorenz auch auf den Kanapees herumräkelt, so sehr bleibt sie die junge, gewitzte, aber eben doch verliebte und sicher nicht manipulative, männerfressende Erna. Nein, nein, so sehr man das auch wollen mag, das sind keine femmes fatales, die da durch Schnitzlers Stück wandeln, da hilft es auch nichts, dass vielleicht mit viel Mühe und Not aus den Friedrich Hofreiters und Doktoren von Aigner mit viel kluger Phantasie die gebrochenen Antihelden amerikanischer Filme der schwarzen Serie gemacht werden könnten.
Streicher-Geseufze
Bei allem in seiner stundenlangen Wiederholung einlullenden, unterm Strich aber natürlich trotzdem tollen Geseufze Herrmann'scher Filmmusik-Streicher, bei allem manchmal schönen, dann aber auch recht selbstreferentiellen Licht-und-Schatten-Jalousienspiel: Da bleibt am Ende dann wirklich, so sehr man nach mehr sucht, wenig übrig abseits der Erkenntnis, daß Schnitzlers Text immerhin stark genug ist, um sogar im Rahmen einer derart im grauen Einerlei versinkenden Inszenierung dann und wann so etwas wie Anflüge von bewegenden Augenblicken zu produzieren.
Das weite Land
von Arthur Schnitzler
Regie und Bühne: Alvis Hermanis, Kostüme: Eva Dessecker, Licht: Friedrich Rom, Dramaturgie: Amely Joanna Haag, Sounddesign: Raimund Hornich, Florian Pilz.
Mit: Peter Simonischek, Dörte Lyssewski, Corinna Kirchhoff, Lucas Gregorowicz, Michael König, Kirsten Dene, Katharina Lorenz, Martin Reinke, Stefanie Dvorak, Falk Rockstroh, Peter Knaack, André Meyer, Hermann Scheidleder, Stefan Wieland, Robert Sadil, Denis Suslijk, Christian Schreibmüller, Christine Pauls, Sebastian Blin, Bernhard Mendel, Elisabeth Aref, Birgit Edlhofer, Magdalena Hartl, Susie Ramberger, Prisca Schweiger, Julitta Walder, Kinga Walus, Tina Weingärtner
www.burgtheater.at
Mehr zu Schnitzlers Das weite Land? Dieter Giesing versuchte es 2009 in Bochum ebenfalls mit einer Kino-Anleihe, Tobias Wellemeyer setzte das Stück 2010 ins Potsdamer Gartenbeet.
"Der lettische Regisseur Alvis Hermanis, der auf der Bühne gern ein Ausmaler ist, der zuletzt in Wien Tschechows 'Platonow' in erlesensten Bildern hinter Glasfronten derart murmelnd verkrakelierte, dass man gar nichts mehr verstand, macht aus dem Schnitzler ein großes Kino-Gemälde. Und es funktioniert wunderbar", schreibt Gerhard Stadelmaier in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (26.9.2011). Dörte Lyssewski als Genia agiere "mit der raffinierten Pedanterie einer Lüsternheit, die sich als Unschuld tarnt, aber jeden Dreck am Stecken noch als Tugendeis am Stiel verkauft". Peter Simonischek als ihr Gatte Hofreiter sei kein "Frauenverbraucher", sondern "Liebesgangster, aber auch ganz Bitterzuckerbäcker von erotischen Mürbkeksen, Begehrensschaumgebäck mit einer Injektion Giftobers". Durch lüsterne Figurenarrangements hindurch wird für den Kritiker eine kühle Diagnose erkennbar: "Die Seele, die sowieso keiner hat, ist hier kein weites Land. Sie ist ein krimineller Bezirk. In dem alle Verbrechensmöglichkeiten nur in der bösen, stickigen Luft liegen." Den "kriminellen Reiz" des Ganzen stellten die Schulden dar. "Und da findet die Regie den springend genialen Punkt, der vom immer noch faszinierenden Kino-Genre von gestern in eine Welt von heute herfunkelt, in der alle mit allem spielen (vor allem mit der Zukunft), aber niemand bezahlen will – wiewohl alle Schulden ins Gigantische wachsen. Und das ist keine theatralische Bearbeitung eines Filmstoffes. Das ist großes Theater – mit filmischem Bewusstsein (etwas ganz anderes). Hermanis setzt das als Ahnung, Stimmung in Düstereffekte. Glühbirnendurchleuchtet. Unter Projektorenstrahlen."
Weitaus reservierter urteilt Gerald Heidegger im ORF (25.9.2011): "Mutmaßungen über andere und über sich selbst bestimmen den Text von Schnitzler. Und Regisseur Hermanis, der selbst das grau gehaltene Bühnenbild ausgetüftelt hat, entscheidet sich für die dicke Projektion aller Mutmaßungen als Schatten und Schimäre auf die Wände der Hofreiter'schen Villa. Die Tragikomödie des Ausgangstexts ist hier zum Melodram geworden, das nach dauernder Steigerung schreit." Wenig überzeugt zeigt sich der Kritiker von der erotischen Grundatmosphäre: "Platinblonde Genien durchstreifen den somnabulen Nachtraum Raum. Mitunter wirkt das so aufdringlich, dass man sich fürchten muss, hier wären einem Palmers-Plakat die Models entlaufen." Die Verwendung von Filmpartikeln nehme "dem Stück die Luft", man fühle sich "in diesem Film-Noir-Setting", als "hätte man sich an amerikanischen Cupcakes überessen". Es sei eine "Schattenwelt", in der "ohnedies ganz eigene Gesetze zu gelten scheinen und der Verweis auf gesellschaftliche Verbindlichkeit überflüssig wirkt." Wenn "am Ende für Wiener Verhältnisse mehr als deutlich gebuht wurde, dann vielleicht auch deshalb, weil hier jemand derart brachial in den Vorstellungsraum der Zuschauer eingebrochen ist. Nicht nur die Seele, auch die Assoziationskraft darf ein weites Land sein."
"Wiener Schnitzler mit grauer Soße" und "vier Stunden gnadenloser Langeweile" hat Norbert Mayer von der Presse (26.9.2011) in dieser "verstaubten Hollywood-Imitation" erlebt. "Talente wie auch reife Stars des Burgtheaters werden dazu verdammt, bloße Karikaturen zu spielen. Nichts bleibt in der Schwebe, wie das der Text suggeriert, sondern ist irre Übertreibung. Aus einer fein abgestimmten Tragikomödie wird in voller Absicht billige Farce." So fällt das Gesamturteil über das Konzept hart aus: "Ein Genie des angemessenen Tempos wie Alfred Hitchcock verstand es, scheinbar stufenlos in einem neunzigminütigen Film Spannung aufzubauen. Doch vier Stunden musikalischen 'Suspense' zu versprechen und dann die Erwartung nicht einzulösen, dürfte der grausame Einfall sich selbst überschätzenden Epigonentums sein."
Ungnädig zeigt sich auch Ronald Pohl im Standard (26.9.2011): "Hermanis, der auch die Bühne für dieses betrübliche Schnitzler-Missverständnis eingerichtet hat, ist ein bis zur Verstocktheit aufrechter Künstler. Er steckt Stücke wie Das weite Land ohne Bedenken in seinen nicht eben randvollen Ideensack. Eine Idee pro Aufführung muss reichen." Die Figuren in dieser "Film noir"-Adaption seien "vollauf damit beschäftigt, den Vamp zu geben oder den gepuderten Mafioso. Sie flüchten sich bei jeder Gelegenheit auf eine Couch. Sie unterhalten sich nicht etwa miteinander, sondern sie gewähren einander Analysestunden." Applaus hat der Kritiker einzig für Klaus Maria Brandauer übrig, der im Vorfeld darauf verzichtet hatte, für "Hermanis den Hofreiter zu spielen".
In eine Krimilandschaft wie bei Raymond Chandler fühlt sich Christine Dössel, die für die Süddeutsche Zeitung (28.9.2011) zur zweiten Aufführung angereist ist, an diesem Abend versetzt. Sie konstatiert zunächst, dass der dieser Schnitzler "unglaublich gut inszeniert ist. Soll heißen: geschmackvoll, elegant, technisch und darstellerisch überaus gewandt, wahnsinnig schön anzusehen und inhaltlich Spannung nicht nur suggerierend, sondern durchaus auch erzeugend". Dann aber folgen die Negativpunkte: Das "so schleichend-schläfrig daherkommende Filmtheater" habe "eine dramaturgisch schädliche Überlänge", zudem mangle es an tragischer "Fallhöhe". Schlimm nehme sich auch das Frauenbild aus: Hermanis führe allerorten den Vamp, das "das ewig lockende Weib", vor. Regelmäßig stoße er die Figuren auf die "Psycho-Couch", die "von jedem, der etwas zu bekennen oder zu benennen hat", genutzt werde.
Für Ulrich Weinzierl von der Welt (28.9.2011) steckt "streckenweise Faszinationskraft" in diesem Abend, allerdings abhängig vom Sitzplatz: "Anders als im Kino, das mittels Nahaufnahmen Intimität schafft, müsste man in den vorderen Reihen sitzen, um die Feinheiten des Beziehungsgeflechts spüren zu können. Die meisten sehen aber bloß aus der Ferne die Totale, auf der Riesenbühne der 'Burg' naturgemäß im Breitwandformat. Selten springt da der Funke in den Saal über." Zu Anfang und am Schluss hat Weinzierl eine Sogkraft ausgemacht, im dritten Aufzug allerdings "gefällt sich Hermanis dann leider in sinnfreien Mätzchen". Dass die Frauen vornehmlich als "Typen-Mischung aus Baby Doll und Vamp" auftreten, wird implizit kritisch vermerkt. "Das Atout der Inszenierung ist Peter Simonischek, ein grandioser Hofreiter. Er als Einziger darf den weichen Schnitzler-Ton sprechen, der Härte, Kälte und Gemeinheit in Watte packt."
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Auch die Musik hat er offensichtlich nicht gehört, denn ein so stimmiges Musikkonzept mit absolut treffenden Einsätzen genau zum richtigen Zeitpunkt gibt es sonst nur im Film.
Kann es sein, dass der Kritiker ein Brandauer-Fan ist und der gleichen (sehr kleinen) Claque angehört, die dem Regieteam zugebuht haben?
Ein großartiger Theaterabend (zumindest bei der Premiere), der zwar mit Pause vier Stunden dauert, was die wunderschöne Langsamkeit der Schnitzler'schen Zeit eingefangen hat. Für heutige Kurzfilm-Rapper-Freaks ist das natürlich zu lang.
Der Applaus am Ende war nicht enthusiastisch, denn wie soll dieser Inhalt der seelischen Einsamkeiten auch fröhlich entlassen...
PS: wer ist Kai Krösche im Gegensatz zu Schnitzler?
wenn mich meine Augen aus der 10. Reihe nicht völlig täuschten und auch die Bilder im Programmheft farbecht sind, dann war die Haarpracht Dörte Lyssewskis in der Tat hellblond und nicht silbergrau wie die von Katharina Lorenz. Daß die Einsätze treffend waren habe ich ja gar nicht bestritten - ich empfand sie lediglich als meist abgelutscht, einlullend und klischeehaft eingesetzt, insbesondere an den unfreiwillig komischen Stellen, wenn hier plötzliche Bläser einen "verhängnisvollen" Satz kommentieren. Tatsächlich habe ich im übrigen schon weit komplexere, auf den Punkt genauer inszenierte Tonkonzepte auf dem Theater erlebt, wieso das für gewöhnlich dem Film vorbehalten sein sollte, verstehe ich nicht ganz, zumal sich eine derart ungewollt (!) hin- und herstolpernde Vermischung verschiedenster, nur oberflächlich ähnlich klingender musikalischer Themen in kaum einem Film der Filmgeschichte, geschweigedenn einem guten findet.
Im übrigen kann ich versichern, kein Brandauer-Fan zu sein, obgleich ich natürlich auch nichts gegen ihn habe. Tatsächlich würde ich das Wort Fan in Bezug auf meine Person lediglich im Zusammenhang mit den Abenden Christoph Schlingensiefs (die es ja leider nicht mehr gibt) und Christoph Marthalers gelten lassen; letzterer ist ja nun auch nicht gerade dafür bekannt, Kurzfilm-Rapper-Abende von knappster Länge zu produzieren, zumal ich auch nicht ganz verstehe, was an Rapper-Kurzfilmen per se schlecht sein sollte.
Buhen tue ich im übrigen prinzipiell nicht im Theater, da ich das für eine Unart halte. Nicht klatschen, wenn die Regie auf die Bühne kommt, reicht völlig.
Und ich habe auch schon eine Menge an sehr traurig und nachdenklich stimmenden Abenden erlebt, an denen das Publikum im Anschluß einen nicht enden wollenden Sturm (!) der Begeisterung losbrach. Ich würde sogar so weit gehen zu behaupten, daß je größer die Anspannung im Publikum während der Inszenierung war, desto losgelöster auch im Anschluß der Applaus vonstatten geht.
P.S.: Der Vergleich von Schnitzler mit Otto Preminger & Co war kein wertender; damit wollte ich lediglich sagen, daß man nicht immer die Themen und Stile verschiedener Kunstschaffender vermischen kann bzw. wenn man es tut, muß man es halt geschickter machen.
Helmut, ich stimme Ihnen zu, daß die Burg nicht die Josefstadt werden sollte, aber ich hoffe, daß deutlich wurde, daß ich auch dergleichen nicht gefordert habe. Meine Forderung war mitnichten eine nach einem Wien-und-Garten-Schnitzler! Daß Simonischek mit seiner Darstellungsweise nicht hineinpaßte, sah ich ja auch so, aber ich war ihm ganz ehrlich gesagt dankbar dafür; kann man aber natürlich auch gegenteilig sehen.
Auch ich habe nichts schwarz-weißes gesehen (am Donnerstag in der öffentlichen Probe), sondern nur Grautöne (siehe obiges Foto)und ja, zwei Frauen mit blondem Haar!
1. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass "sich eine derart ungewollt (!) hin- und herstolpernde Vermischung verschiedenster, nur oberflächlich ähnlich klingender musikalischer Themen in kaum einem Film der Filmgeschichte, geschweige denn einem guten findet" - was besagt das über die rezensierte Inszenierung? Gibt es eine Verpflichtung, Musik so zu verwenden, wie sie in Filmen, die Krösche für gut hält, verwendet wird? Mir fallen eine Reihe von Filmen ein, in denen verschiedenste musikalische Themen vermischt werden, von "Easy Rider" bis zu "Barry Lyndon", aber auch das ist kein Argument für oder gegen die Wiener Aufführung. Allenfalls stellt sich die Frage, ob die Verwendung von Musik im Theater und im Film überhaupt vergleichbar sind.
2. Warum ist es "natürlich", nichts gegen Brandauer zu haben?
3. Wofür reicht "nicht klatschen"? Der Kritiker schreibt eine Kritik. Das reicht. Warum muss er überhaupt im Theater seine Meinung abgeben - sei es durch Buhen, Klatschen oder Unterlassung von diesem wie jenem? Was wäre das Pendant zu "nicht klatschen", mit dem der Leser seine Haltung zum Kritiker bekundet? Der Fairness und der Symmetrie wegen.
4. Soll jetzt der Applaus als Qualitätsmerkmal für eine Inszenierung herhalten? "Ich würde so weit gehen zu behaupten", dass weder sein Eintreffen, noch sein Ausbleiben etwas beweist, was für den Kritiker von Belang ist, und dass auch größte Anspannung kein Wert für sich ist.
Eins jedenfalls hat diese Debatte bewirkt: Ich bin gespannt auf die Aufführung. Was keinen Applaus bedingt.
um die zusätzlichen Verwirrungen aufzuklären:
1. Ich sprach bewußt von "ungewollt (!)", um damit meinen Eindruck zu beschreiben, den ich beim Hören der Musik hatte. Natürlich ist es kein Problem, verschiedenste Stile durcheinander zu mischen, wenn man weiß, was man tut. Ich behaupte eben, daß das Konzept nicht aufging und so eher ein konzeptloses Durcheinander entstand. Das Argument "gegen" die Wiener Aufführung bestand also weniger darin, daß ich behaupten wollte, es sei schlecht, Stile durcheinander zu mischen als daß es schlecht ist, wenn man das aus offensichtlichem Wissensmangel und handwerklich sowie konzeptionell mittelmäßig macht.
2. Weil ich ihn weder persönlich kenne noch ausschließe, daß er mich in der einen Theaterinszenierung völlig kaltlassen, in der anderen hellauf begeistern könnte.
3. Ich weiß, daß es auch Kritiker gibt, die aus Prinzip nicht klatschen, egal wie es ihnen gefiel, ich sehe das aber so, daß ich eben nicht nur Kritiker, sondern eben auch Zuschauer bin, entsprechend halte ich das Klatschen am Ende einer Aufführung für eine Geste des Respekts gegenüber der Leistung der Beteiligten. Deshalb klatsche ich, wenn es mir gefallen hat und klatsche nicht, wenn es mir nicht gefallen hat. Danach dann schreibe ich meine Kritik. Was das Pendant zum "nicht klatschen" in Bezug auf eine Kritik ist, weiß ich nicht - am ehesten wäre es wohl ein "Gefällt mir" oder "Gefällt mir nicht"-Button à la Facebook, aber da ist die Kommentarfunktion wohl doch ein bißchen besser.
4. Nein, soll er nicht, ich hätte auch keine andere Kritik geschrieben, wenn das Publikum in Stürme der Begeisterung ausgebrochen wäre, ich bin nur nochmal darauf eingegangen, weil Georg den verhaltenen Applaus auf die Betroffenheit der Zuschauer aufgrund der schwermütigen Thematik des Schnitzler-Stücks bezog und ich dafür ein Gegenbeispiel liefern wollte.
Ich hoffe, ich konnte die Mißverständnisse aufhellen und habe keine neuen produziert.
1. Es ist Alvis Hermanis extrem hoch anzurechnen, dass er diesen Versuch gemacht und ein Konzept konsequent durchgezogen hat, besonders in der Ära (Hartmann), die sich sonst zunehmend durch Beliebigkeiten auszeichnet. Die Anlage zu dieser Idee ist - wie in einigen der funktionierenden Momente deutlich wurde - in Schnitzlers Text ja durchaus vorhanden. Einige der Sätze, z.B. zwischen Genia und Mauer, atmen tatsächlich Hollywood-Pathos, ein Duell ist eine veraltete Angelegenheit, der fünfte Akt lebt von Suspense, bis man erfährt, dass Hofreiter Otto erschossen hat, und und und. Die Ästhetik hat auch super gepasst, nur das Gehabe der Akteure und die Musik waren halt meistens, na ja, deplatziert parodistisch. Mit Reduktion hier und da und einer etwas tieferen Gestaltung der Frauenfiguren hätte das eine tolle Sache werden können.
2. Die Wozu-ist-das-nötig?-Frage ist wie so oft die falsche Frage, und sie wird auch nur gestellt, weil das Konzept halt leider nicht aufgegangen ist.
3. Wenn das Wiener Publikum buht - und es hat auch heute wieder lautstark gebuht, sogar schon zur Pause - dann einzig, weil es ein paar Sätze akustisch nicht so genau verstanden hat, und weil man ihren geliebten Schnitzler einmal anders macht als sie es gewohnt sind. Darauf sollte ein Kritiker tatsächlich nichts geben.
4. Jammerschade, das alles.
5. Bliebe noch die vorhin gestellte Frage, wer Kai Krösche gegen Schnitzler sei. Die ist wahnsinnig interessant, wird aber für ewig unbeantwortet bleiben, denn für ein Duell in Ehren ist es leider etwas zu spät.
Gute Nacht!
Es war ein Abend, der tatsächlich von der rätselhaften und undurchschaubaren Weite der Seele gesprochen hat. Und ob nun die Musik stimmte, ob man das eine oder andere Wort nicht verstanden hat, ob die Schauspieler tatsächlich nicht alle im gleichen Stück zu spielen schienen - trotz all dem schien mir genau diese Weite beim Premierenabend aufzugehen. Trotz all der Spielereien (nicht denen des Regisseurs, sondern denen der dargestellten Personen) wusste man nicht eindeutig einzuordnen, welche Triebe und Wünsche nun denjenigen antreiben, begleiten. Ich befand mich als Zuschauer in einer Lage ständigen Zweifelns, wo hört bei ihnen das Spiel auf und wo gibt es was Echtes, kann dieses überhaupt bestehen oder passt sich alles irgendwann dem Spiel an; werden die Lügen nach außen irgendwann zur Wahrheit auch bei einem innerlich, zu einer Wahrheit, die man lebt und die man nicht mehr hinterfragt... und vieles mehr, was dieser Abend sich fragen lässt.
Dafür gab es so viele wunderbare, unerklärbare Momente, Hinweise, Undeutlichkeiten. Ich wundere mich gerade, dass man das Konzept als unkomplex beschreibt. Vielleicht sollte es weniger um komplexe Konzepte, als um komplexe Themen gehen. Ich sehe dies wie eine Art Fortsetzung von Hermanis' "Oblomov" in Köln. Wir alle sind Gefangene unserer selbst. Das Tragische dabei ist, dass es uns nicht mal bewusst ist, oder selbst wenn, können wir uns wohl von diesem Gefängnis nicht befreien.
So viel zu etwas anderer Art von Eindrücken in Wien.
Gute Nacht.
Jedenfalls wird sie uns angeboten. Doch die wenigsten versuchen
sich selbst zu befreien.
was ich damit sagen will: das weite land sollte in österreich eine 10 jährige aufführungssperrfrist haben. dann gibt es vielleicht eine dem sehr guten, keineswegs genialen stück (der hotel-akt ist dramaturgisch eine katastrophe) gegenüber adäquate reaktion.
Hermanis ist ein solcher Innovator, der die Komplexität der Schnitzlerschen Gedanken - und Seelenwelt aus dem Mief des Wiener Schmäh auf eine nicht nur dem Lokalkolorit verpflichtete, sondern international verständliche Ebene hebt - nicht umsonst sind die Kritiken der deutschen Presse wesentlich positiver als die der österreichischen... offenbar ist die österreichische Kritik nur darauf geeicht, alles aus der Raimund/Nestroy-Perspektive zu sehen, und wenn etwas einmal diesem Klischee nicht entspricht, mit der vollen Ladung des Wiener Giftzahnes zuzubeißen... (...)
Aber konkret zum gestrigen Theaterabend: Ich war von der ersten bis zur letzten Minute fasziniert von den subtil ausgearbeiteten Seelenprofilen. Wie z.T. Stimmnuancen perfekt eingesetzt wurden, um unterschiedliche Aspekte des gleichen Charakters zu verdeutlichen - meisterlich. Alles in allem eine wunderbare Darstellung menschlicher Brüchigkeit die fast von von psychotherapeutischer Wirkung war.
Der einzige, der in dieses Bild nicht paßte: Peter Simonischek als Hofreiter. Er war der einzige, der sich an der allgemeinen Subtilität nicht beteiligte, sondern eine ziemlich grobe Karikatur ablieferte, die gleichzeitig den Eindruck er Überdrüssigkeit vermittelte. Nur leider schien nicht nur Hofreiter seiner Genia überdrüssig, sondern auch Simonischek des Hofreiter...
Ein kleiner Kritikpunkt: Nach der Duellszene - zwei Schüsse aus dem Off - wurden, um einen langen Umbau zu überbrücken, Szenen aus dem "Dritten Mann" eingespielt... Hier wären Zitate aus echten films noirs vielleicht besser gewesen - aber ich glaube, man kann Hermanis diese Hommage an Wien verzeihen.
Ein wunderbarer Abend, den ich noch einmal genießen möchte.
(Danke für den Hinweis! Der Vorname von Peter Simonischek steht jetzt im Kommentar von barliman2001 korrekt. Mit freundlichen Grüßen, Christian Rakow, Redaktion)