Der pure Faschismus

8. Oktober 2011. Wie Spiegel online unter Berufung auf dpa meldet, hat die Stadt Budapest den 77 Jahre alten István Csurka zum Leiter des Neuen Theater ernannt. Csurka ist seit Oktober 1994 Vorsitzender der rechtsextremen Partei MIEP und fällt immer wieder mit antisemitischen und radikal nationalkonservativen Äußerungen auf. Die Ungarische Theatergesellschaft, der Fachverband der Bühnenschaffenden, veröffentlichte am Freitag einen Protestbrief an Bürgermeister István Tarlós, der Mitglied der regierenden rechtsnationalen Partei FIDESZ ist. Die Ernennungen seien gegen die ausdrückliche Meinung der Fachleute geschehen. Tarlós treibe der Wille, "politisch Land zu gewinnen", schrieb die Theatergesellschaft.

Csurka ist unter anderem auch Dramatiker und will seine bisher kaum gespielten Stücke jetzt auf die Bühne bringen, berichtet Spiegel online. Der künftige Co-Direktor György Dörner erklärte, er sei "national verpflichtet". Er wolle mit der "krankhaften liberalen Hegemonie" aufräumen und "der liberalen Anspruchslosigkeit der Unterhaltungsindustrie den Krieg erklären". Vorrang sollen Werke ungarischer Autoren haben. Auch der Name des Theaters werde geändert. Anstatt Neues Theater (Uj Szinhaz) solle die Bühne Hinterland-Theater (Hatorszag Szinhaz) heißen. "Hinterland" solle dabei "das unter dem sozialliberalen Joch ächzende Ungarntum" symbolisieren.

(Spiegel online / sik)

 

Mehr: Im März 2011 berichteten wir im Theaterbrief Ungarn über die Auswirkungen der rechtsnationalen Politik auf die Arbeit und Ästhetik der Theater. Im Dezember 2010 hatte der Ungarische Kritikerverband vor Versuchen der Einflussnahme auf Medien und Theater in Ungarn gewarnt.

 

 

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Kommentare  
Alter Rechtsextremer wird neuer Theaterleiter in Budapest: schlimmer als Hinterland
Die Übersetzung im SPIEGEL ist falsch, bzw. verharmlosend: nicht das ruhige "Hinterland" ist gemeint, sondern die "Heimatfront": http://pusztaranger.wordpress.com/2011/10/07/rechtsextremer-theaterdirektor-in-budapest/
Alter Rechtsextremer wird neuer Theaterleiter in Budapest: Furcht & Hoffnung
Und ich fürchte, dass ist nur der Anfang. Mit ihrer Zweidrittelmehrheit können sie alles machen. Alles. Es bleint nur. Zu hoffen, dass diesen politisch besetzten Theatern dann die Schauspieler, die Regisseure, das Publikum wegbleiben.
Alter Rechsextremer wird neuer Theaterleiter in Budapest: von unrichtigen Vereinnahmen distanzieren
Im Punkt "Internationale Beziehungen" im Bewerbungskonzept des designierten Direktors György Dörner ist von der Initiierung gegenseitiger Gastspiele zwischen dem EURO THEATER CENTRAL BONN und dem HEIMATFRONT-THEATER BUDAPEST zu lesen. Ich hoffe dies ist Hochstapelei eines Scharlatans und nicht wirklich schon in Planung. Frau Gisela Pflugradt - Marteau, als Direktorin des EURO THEATER CENTRAL BONN, sollte dies schnell aufklären und sich gegebenenfalls öffentlichkeitswirksam und entschieden von solchen, wie ich hoffe, mutmaßlich unrichtigen Vereinahmungen distanzieren. Das wäre ein wichtiger Akt der Solidarität mit den humanistischen Künstlern und Kräften Ungarns und der Entlarvung von unseriösen Machenschaften der gegenwärtig Regierenden.
Alter Rechtsextremer wird neuer Theaterleiter in Budapest: wehret den Änfängen
danke, sehr beunruhigter. mir fehlen fast die worte. schlimm genug, dass wir demokraten, so wenig tun können, gegen diese gefährlichen entwicklungen in ungarn. aber ein gastspielaustausch zwischen einem theater mit einer solchen leitung und einem theater aus deutschland, das wäre das allerletzte. auch ich hoffe, dass es zu einer solchen geste der akzeptanz zum jetzigen zeitpunkt nicht kommt. wehret den anfängen.
Alter Rechtsextremer wird neuer Theaterleiter in Budapest: wechselnde Allianzen
Csurka ist schon eine interessante (wenn auch natürlich äußerst abstoßende) Figur. In den 70er und 80er Jahren waren seine Stücke, die meist im Kleine-Leute-Milieu spielten ("Wohnküchenrealismus" nannte man das damals etwas abfällig) sehr erfolgreich. Nach der Wende war so was aber nicht mehr so interessant, und nachdem auch noch herauskam, dass Csurka sich als Informant des Inlands-Geheimdienstes verdungen hatte, musste er sich neue Freunde suchen - und fand sie bei der extremen Rechten. 2003 machte er von sich reden, als er den Holocaustleugner David Irving, den er als "persönlichen Freund" bezeichnete, zu einem Vortrag nach Budapest einlud. Im übrigen war er als Politiker aber nicht besonders erfolgreich - es war nicht seine MIEP, die er 1993 gründete und die nie mehr als 6 % erreichte, sondern die JOBBIK zehn Jahre später, der es gelang, den rechtsradikalen Bodensatz zu bündeln.
Interessant an dem ganzen Vorgang ist: warum setzt FIDESZ, die ja erklärtermaßen die "sozialliberale Hegemonie" in der Kulturlandschaft brechen will, dafür nicht nationalkonservatives, sondern rechtsradikal-antisemitisches Personal ein? Haben die selber keine Leute für solche Positionen? Erkennen sie den Unterschied nicht? Oder hat Orbán jetzt schon derart Schiss vor den Nazis, das er ihnen solche Positionen hinwirft, um anderswo in Ruhe gelassen zu werden?
Alter Rechtsextremer wird neuer Theaterleiter in Budapest: gefährliche Künstler
Auf diese Distanzierung von Czurka durch das EURO CENTRAL THEATER warten wir jetzt aber alle - aber schnell! Das ist entweder ein großes Mißverständnis, eine Täuschung von Czurka oder ein handfester Theaterskandal, auf den man dann entsprechend zu reagieren hätte als demokratische Menschen: Czurka ist ein überzeugter Antisemit, hinter der Hetze gegen "Liberale" steht ein antisemitisches Weltbild. Hitler war ja auch Maler...
Alter Rechtsextremer wird neuer Theaterleiter in Budapest: EURO CENTRAL THEATER hat sich bereits distanziert
Das EURO CENTRAL THEATER hat sich bereits distanziert. Zitat (bei www.szinhaz.hu und www.pusztaranger.wordpress.com): "Die Direktorin des Bonner Theaters erklärte, obwohl György Dörner sie in seinem Antrag erwähnt, habe er keinen Kontakt zu ihnen gesucht. „Mich und meine Mitarbeiter hat ausgesprochen schockiert, daß Herr Dörner und sein Mitarbeiter uns namentlich aufgeführt hat! Das wundert uns sehr, da kein einziger unserer Mitarbeiter jemals mit ihm in Kontakt war. Auch unsere Kontaktpersonen in Ungarn und Rumänien kennen ihn nicht persönlich.“ – erklärte Gisela Pflugradt-Marteau.“
Rechtsextremer wird Theaterleiter in Budapest: vom niedergedrückten Ungarntum
Der Kernsatz aus der Bewerbung von Dörner / Csurka, die als Faksimile im Netz kursiert:
„Mit der Zustimmung des Eigentümers (also der Hauptstadt Budapest, D.F.) möchte ich das Unternehmen zu einem Heimatfront-Theater entwickeln. Die Heimatfront versinnbildlicht das unter dem Joch der Sozialliberalen leidende, niedergedrückte Ungarntum. Damit meldet es einen für die gesamte Nation lebensnotwendigen Anspruch an, seinen Raum zurückzuerobern. Ein erster, aber nicht unwesentlicher Austragungsort dieser Rückeroberung könnte dieses Theater sein.“
Rechtsextremer wird Theaterleiter in Budapest: Radauantisemitismus wird salonfähig
Das Ganze ist als ein großer Schritt in Richtung Salonfähigmachung von Radau-Antisemitismus zu werten. Czurka wurde immer als paranoider Spinner belächelt, der seine mangelnde künstlerische Qualifikation mit Antisemitismus auszugleichen versucht, bzw. der sein künstlerisches Scheitern dem "liberalen" (gemeint ist damit: jüdischen) Establishment anlasten konnte. Nun wird er in eine Machtposition gehievt in einer Zeit, in der Listen kursieren, wie man den kulturellen Sektor von allen "Juden, Kommunisten und Homosexuellen" zu reinigen hätte. Europa scheint nicht reagieren zu wollen, wann reagieren die europäischen Bürgerinnen und Bürger? Kann man aus Deutschland einfach so zuschauen, wie sich östlich von uns ein alter Vasall wieder aufs politische Parkett tritt und versucht, die EU auf seinen Kurs zu bringen? Ich denke: auf keinen Fall!
Rechtsextremer wird Theaterleiter in Budapest: in der Sackgasse
gottseidank hat sich das EURO CENTRAL BONN distanziert von dieser nicht stimmenden vereinnahmung. und herr dörner ist der unseriösität überführt. wahrscheinlich ist bei diesen ungarischen rechten alles so. iggitt. ich drücke den ungarn die daumen, dass sie diese sackgasse bald wieder verlassen, abwählen, überwinden. ich krieg die mutige öffnung des eisernen vorhangs mit den jetzigen entwicklungen sowieso nicht zusammen.
Rechtsextremer wird Theaterleiter in Budapest: ich bin entsetzt
In der Sendung Fazit des Deutschlandradio Kultur hörte ich vor einigen Tagen von der Neubestzung der Intendanz des "Uj Szinhaz", des "Neuen Theater" in Budapest. Mir fehlen die Worte, ich bin entsetzt! Vor gut 20 Jahren war es die damalige, noch "rot" regierte Volksrepublik Ungarn, die wesentlich dazu beitrug, Osteuropa und somit auch die Ex-DDR vom Joch des Sozialismus zu befreien. Damals freute ich mich, auch ungarische Wurzeln zu haben! Seit den späten
50er Jahren lebe ich in Deutschland! Gottlob in Frieden, Freiheit und in einer echten Demokratie!
Wie in vielen Ex- Ostblockländern regierten auch in Ungarn ehemalige, zu Sozialdemokraten gewandelte Sozialisten. Damit konnte ich leben!
Ich bin aber entsetzt, wütend, zornig, aber auch tiefbetrübt über alles, was in Ungarn unter Herrn Orban gemacht wird. Gruppen wie Jobbik, Hatz auf Sinti und Roma, Antisemitismus, Zensur, Rechtsextreme als Theaterintendanten usw. Ich kann nur hoffen, dass der Wähler dem ein Ende setzen wird. Szegeny Magyarorszag, Armes Ungarn!
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