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Im Schraubstock des Groteskzwangs

von Hartmut Krug

Rostock, 15. Oktober 2011. In Rostock existiert seit langem ein, nun sagen wir, kompliziertes Verhältnis zwischen Politik und Theater. Die einen verwalten Geld, die anderen wollen Theaterkunst liefern. Ob 2018 wirklich ein neues Theater gebaut sein und ob es dann noch ein Vierspartenensemble oder nur ein Bespieltheater geben wird, darüber wird heftig orakelt. Seit das Gebäude des Volkstheaters wegen Reparaturarbeiten geschlossen ist, offiziell bis Mitte nächsten Jahres, spielt man in einem Theaterzelt im Niemandsland des Werftgeländes.

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Galileo im Zelt: Jakob Kraze © Dorit Gätjen

Hier trat Intendant Peter Leonhard vor der Premiere mit einem Statement gegen die Unterfinanzierung seines Hauses vor das Publikum: Keine Entlassungen, keine Spartenschließungen, so soll es sein. Eigentlich eine gute Idee, Brechts "Leben des Galilei" jetzt in Rostock zu spielen. Das Stück: auch ein Kommentar zur Lage – irgendwie. Wie kommen sie miteinander aus, die Macht und Wissenschaft bei Brecht und die Macht und Kunst in Rostock.

Commedia ohne arte

Allerdings ist das 1939 von Brecht im Exil geschriebene Stück äußerst geschwätzig und von enervierender didaktischer Zeigefingerigkeit. Immer wieder geriet ich bei der Lektüre in die Gefahr, Seiten zu überblättern. Denn was Galilei und seine kirchlichen Widersacher da in ellenlangen Monologen erklären, statt sich im Spiel auszudrücken, ist meist nach zwei Sätzen klar. Kein Wunder, dass der "Galilei" nur selten auf die Bühne gelangt.

Regisseur Kay Wuschek dampft das quasselige Stück auf zweieinhalb Spielstunden ein und macht aus dem epischen Lehrstück eine zappelige Commedia ohne arte. Sein bunt überdrehtes Zelttheater spielt nicht im Italien des 17. Jahrhunderts, in dem Galilei, ohne es zu wollen, die Macht der Kirche gefährdet, indem er beweist, dass nicht die Sonne um die Erde kreist, sondern diese um die Sonne, sondern ästhetisch und kostümlich in unserer heutigen, zeitlosen Theaterwelt.

Achtung: Sinnlichkeit!

Ein Uni-Kurator ist ein Businessman im Anzug, Honoratioren tragen zu Krawatte und Jackett lange Röcke, Geistliche sind auch nur egoistische und machtbewusste Menschen und lassen beim Disput vor der Sauna alle Bekleidung fallen, und gelegentlich werden Redeposen von Machtpolitikern zitiert. Der Denker und Genussmensch Galilei, der an die Vernunft glaubt, wird vom eher hageren Jakob Kraze gespielt: in hellen Jeans und Unterhemd, gern auch (Achtung: Sinnlichkeit!) ohne, lange Haarsträhnen an die Glatze geklebt, so gestikuliert sich der Schauspieler mit veräußerlichendem Körperspiel und schamlos übertreibender Mimik durch den Abend. Mit der Weinflasche in der Hand schwankt und rülpst er gelegentlich durch die Szene, - kaum glaublich, solch Theaterspiel, wie auch die brave Klischeefigur der Haushälterin, heute noch auf dem Theater zu erleben.

Jakob Kraze wirkt insgesamt, als sei er kurz aus seiner Rolle des Diener zweier Herren in Herbert Fritschs Schweriner Inszenierung in das Brecht-Stück gehüpft. Auch in Rostock sieht er aus wie eine Kopie von Dieter Hallervorden. Doch was in Schwerin aus der Rolle modellhaft entwickelt schien, ist hier dem Galilei von außen angeklebt. Krazes Galilei ist keine Figur, sondern nur eine Klischeeform und sein Spiel entgleist zur angestrengten Wirkungsmasche. Auch seine Mitspieler versuchen ihre Figuren als Commedia-Klischees zu etablieren.

Das Problem des Zeltes aber ist der hohe, leere Raum zwischen Bühne und Zuschauerreihen. Deshalb treten die Schauspieler oft seitlich aus dem Zuschauerraum auf, klettern auf die völlig mit rotweiß gestreifter Persenning überzogene Bühne aus Steh-, Kletter- und Spielpodesten, und blasen sich zum Übertreibungsspiel auf. Kraze rennt hinein ins Publikum, fläzt sich in einen Sitz, sucht Galileis Veröffentlichungen zu verkaufen (Achtung: kritisches Thema !) oder befragt das Publikum. Nun ja, die wirkungssichere Publikumsanmache eines Henry Hübchen entwickelt er dabei leider auch nicht. In der Rostocker Inszenierung ist eben alles nur ausgedachte Methode.

Schlußszene mit Lampionchor

Man kann diese bunt-komödiantische Spielweise durchaus wählen, für die sich Kay Wuschek entschied. Auch wenn seine Behauptung, Galilei sei ein Popstar seiner Zeit, so bemüht wie die Inszenierung wirkt. Aber: diese Spielweise ist, wie alle komödiantische, enorm schwer. Dabei müsste sie leicht sein. Dampfhammer-Komik und eine Hauptfigur im Schraubstock des Groteskzwangs strengen beide an, die Schauspieler wie die Zuschauer.

Sicher, es gibt auch manch schöne Szenen, eine Tanzparodie, die Untersuchung von Sonnenflecken durch Galilei und seine Freunde als brillenbewehrtes Mafiosi-Trio, eine Inquisitionsszene mit Jugendchor und die Schlussszene mit Lampionchor. Doch meist wirkt die Inszenierung grobschlächtig und die Schauspieler blass. Und Brechts Stück erscheint, da mag sich die Inszenierung noch so aufpusten, doch enorm verstaubt.

Die Rostocker Theaterfamilie allerdings hat ihre Mimen beim Schlussapplaus lange mächtig gefeiert. Schließlich wurde man ja nicht gefordert, sondern einfach nur bedient.

 

Leben des Galilei
von Bertolt Brecht
Regie: Kay Wuschek, Ausstattung: Angelika Wedde, Musikalische Leitung: Sebastian Bode, Dramaturgie: Anne Krey.
Mit: Jakob Kraze, Ammon Kastius, Kevin Russig, Michael Ruchter, Undine Cornelius, Paul Walther, Peer Roggendorf, Stephan Fiedler, Caroline Erdmann, Björn-Ole Blunck, Alexander Flache, Josef Niendorf, Tom Russig, Torsten Flassig.

www.parkaue.de
www.volkstheater-rostock.de


Der Bericht aus Rostock ist Teil des Nord-Schwerpunkts von nachtkritik.de in dieser Spielzeit.

 

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Kritikenrundschau

Wuschek widme sich in seiner Brecht-Interpretation "der Frage nach der Bedeutung wissenschaftlicher Errungenschaften in Zeiten des Lobbyismus" schreibt Michael Meyer in der Ostsee Zeitung (17.10.2011). Auch wenn der Abend stets scharf an der Klamotte vorbei schramme, sei das, was Meyer als "episches Theater mit Anleihen aus Matrix Reloaded und The Rocky Horror Picture Show" beschreibt, dem Regisseur und seinen Spielern "ganz großartig" gelungen.

Auch Antje Jonas, die für die Norddeutschen Neuesten Nachrichten (17.10.2011) berichtet, ist sehr angetan von der "äußerst vergnüglichen und intelligenten Inszenierung in Brechtscher Tradition". Obwohl zuweilen "clowneske Elemente" zelebriert würden, werde "der Ernst der großen Frage nach der wissenschaftlichen Wahrheit" doch nie in Abrede gestellt. Insgesamt, so schwärmt Jonas, sei zu erleben gewesen, "wie aufregend, aktuell und fröhlich politisch motiviertes Theater sein kann."

Kommentare  
Leben des Galilei, Rostock: im Sinne Brechts
Lieber Herr Krug,

war diese Spielweise nicht ganz im Sinne Brechts (Verfremdungseffekte usw) ??

Schade aber, dass die Musik + Gesang vom Band kamen.

Und es soll nicht unerwähnt bleiben, dass es beim Applaus auch zu Buhruf(en) kam. Mir hat´s ok gefallen.
Leben des Galilei, Rostock: ein Abend großer Energien
lieber herr krug, liebe nachtkritik
vielen dank für den einblick in die denkhorizonte professioneller kritik. denke ich doch dass es mit dem lesen beginnt und mit der gründlichkeit. wenn ein kritiker schon bei der stücklektüre voller fluchtreflexe steckt, den stücktitel nicht einmal korrekt wiedergibt, bewertung jeglichen ansatz von beschreibung verhindert ist das mehr als schade. zwar nervt solche haltung, raubt mir aber nicht das vergnügen an dieser komödie voller schauspielkunst, ein abend großer energien.

(Anm. der Redaktion: Die nicht korrekte Wiedergabe des Stücktitels dürfen Sie nicht dem Kritiker anlasten, das ist ein Fehler der Redaktion, der nun korrigiert ist. wb)
Galilei, Rostock: Füllmaterial für Aussagen
Liebe LeserInnen, lieber Herr Krug,

aus meiner Sicht, die eine ist, welche eine frühe Berliner Inszenierung als bühnenloses Theater vorher kannte, geriet der Text in der Rostocker Version zu sehr ins Abseits. Er wurde - Nebeneffekt der komödiantischen Umsetzung - zum Füllmaterial für Aussagen, die im Wesentlichen durch optisches (Gesten, Bilder) getroffen wurden. Ein bisschen mehr gekonnten Einsatz der Stimme, und schon bringt man den "quaselnden" Text zum sprechen.
Leben des Galilei, Berlin: Messlatte I
Zur Berliner Premiere Teil 1:

Herr Krug legt die Messlatte etwas zu hoch an. Die Inszenierung muss ja hier junge Menschen ab 15 Jahren bedienen und da die Aufmerksamkeit über 2 ½ Stunden aufrecht zu erhalten, ohne dass die Kids irgendwann wieder zu ihren Smartphones greifen oder sich anderweitig selbst belustigen, ist schon eine Herausforderung, wie ich gestern in der Berliner Premiere bemerken konnte. Die Darstellung des Galilei zwischen erklärendem Peter Lustig, Didi Hallervordenwuseligkeit und Luftgitarre spielendem Ostrocker Lutz Kerschowski (Langhaarkranz) - kein Mensch unter 40 wird den mehr kennen - ist schon etwas gewöhnungsbedürftig. Der Lebemann, und allzu menschliche Wissenschaftler Galilei, der sich nicht einfach nur plump ans Volk ranwanzt, sondern von Brecht bewusst diese volksnahen Züge bekommt, wirkt hier etwas zu kumpelig und bauernschlau, ein nicht erwachsen gewordener Altachtundsechziger mit Rockerattitüde. Das versteht heute auch kein junger Mensch mehr und der ständig aufgekra(t)zte Jakob Kraze nervt tatsächlich auf Dauer etwas.

Machtpolitiker gegen Wissenschaftler, dass ist heute nicht mehr die eigentliche Frage, Lobbyismus, Interessenskonflikte und Opportunismus schon. Die bekannten Brechtzitate werden hier mit Ausrufezeichen ins Publikum geschleudert. "Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß, und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!" oder nach dem Widerruf Galileis, Andrea: "Unglücklich das Land, das keine Helden hat." Galilei: „Nein. Unglücklich das Land, das Helden nötig hat." Erst ganz zum Ende werden die Töne leiser und im Schlussgespräch zwischen Andrea und Galilei kommt es zum Nachdenken über die Zusammenhänge von Vernunft, Wissenschaft und Verantwortung, ein Zusatz Brechts nach dem Abwurf der Atombombe in Hiroshima. Das verpufft aber nach der ganzen Lustigkeit des Abends etwas und die meisten Jugendlichen waren da wohl eh schon wieder in ihre Facebookseiten vertieft. Es verpufft auch das Zitatduell zwischen den Kardinälen und Galilei in einer albernen Saunaszene, an der nur die entblößten Leiber für Aufsehen im Publikum sorgen. Wie prüde bitte ist denn die Jugend heutzutage?
Leben des Galilei, Berlin: Messlatte II
Zur Berliner Premiere Teil 2:

Kay Wuschek bleibt sehr nah an Brechts Text, kann aber nichts wirklich Aktuelles hinzufügen, außer Zitatsplitter zu Guttenberg, wohl ein Anspielung auf das geguttenbergte holländische Fernrohr, oder was sollte uns das sagen? Vermutlich zielt das eher auf den Satz Andreas: "Die Wissenschaft kennt nur ein Gebot: den wissenschaftlichen Beitrag." Galilei beklagt ja auch den fehlenden wissenschaftlichen Ehrenkodex, an dem es zumindest einigen Politikern heute auch mangeln dürfte. Das würde sich dann aber etwas vom Brecht'schen Gedanken entfernen, der die unmittelbare Verantwortung des Wissenschaftlers für seine Forschung in der Vordergrund stellt. Bleibt noch die Frage, die heute genauso akut ist wie zur damaligen Zeit, wie komme ich als Wissenschaftler an die nötigen Forschungsgelder und wo liegt heute der greifbare Nutzen der Wissenschaft? Zumindest für angehende Studierende nicht ganz unwichtig. Das Verhältnis des Nutzens von Geistes- zu Naturwissenschaften dürfte sich so gut wie umgekehrt haben, was die Grundproblematik der Finanzierung von Forschung aber nicht verändert, nur das immer mehr an den immer kleiner werdenden Pfründen partizipieren wollen und dabei in der Privatwirtschaft die größeren Drittmittel einzuwerben sind. All das thematisiert die Inszenierung nicht, man könnte die Jugend ruhig etwas mehr fordern.

Wuschek versucht noch die Rolle der unterdrückten Tochter des berühmten Mannes etwas aufzuwerten. Virginia, die Galilei für etwas einfach gestrickt hält und daher gerne schnell verheiratet sehe. Mehr als eine alberne Girlie-Karikatur wird allerdings nicht daraus. Der Gegenwartsbezug zur Oberflächlichkeit mancher junger Frauen unserer Tage trifft die Tragik der Figur nicht wirklich und angesprochen fühlt sich dadurch eh kaum jemand im Publikum. Der Akzent der Inszenierung müsste eigentlich auf die "neue Kunst des Zweifelns" gelegt werden. Die von Brecht eingezogenen epischen Reflexionsebenen, die Herr Krug so geschwätzig findet, kommen hier eher zu kurz. Ein Nachdenken darüber befördert das nicht gerade. Es muss ja nicht gleich Adorno sein, aber in seiner "Minima Moralia" steht der schöne Satz: "Die fast unlösbare Aufgabe besteht darin, weder von der Macht der anderen, noch von der eigenen Ohnmacht sich dumm machen zu lassen." Das ist die aktuelle Parallele zur Zeit und manche Parallelen treffen sich nicht erst im Unendlichen. Trotzdem ist der Abend, dank der guten Darsteller, alles in allem zumindest sehr unterhaltsam, Mindestziel erfüllt.
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