Zähne zeigen

Eine Zeitungs-Umschau von Nikolaus Merck

30. März 2007. Im Magazin der Süddeutschen Zeitung diskutiert Claus Peymann mit Gabriele von Lutzau, im Oktober 1977 Stewardess auf der Lufthansa-Maschine "Landshut", die von palästinensischen Terroristen entführt wurde.

Warum beschäftigt sich die Kunst mehr mit den Tätern als den Opfern fragt die ehemalige Stewardess. Und Peymann antwortet: die Faszination an den Tätern ist einfach größer, tja, "es liegt in der menschlichen Psyche", aber, stimmt ja, es wäre ganz wichtig die Geschichte der Opfer aufzugreifen, aber es wäre ja doch wohl sehr langweilig.

Berlin, 15. März 2007. Die Debatte über die Freilassung Christian Klars, eigentlich aber über die bundesrepublikanische Geschichte geht weiter. Auf Spiegel online bekräftigt Claus Peymann im Gespräch mit Michael Sontheimer noch einmal seine Haltung, den Morden der RAF hätten keineswegs die üblichen Motive irgendwelcher gewöhnlicher Mörder zugrunde gelegen: "Diese Terroristen haben getötet, weil sie glaubten, mit ihren Morden etwas gegen die Ermordung von hunderttausenden von Kindern und Frauen in Vietnam tun zu können, weil sie glaubten, etwas gegen das Elend in der Dritten Welt tun zu müssen. Wie Brecht seine Johanna der Schlachthöfe sagen lässt: "Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht...". Für mich ist Christian Klar deshalb eine tragische Figur."

Vornehmlich von »Größenwahn, Machtgier und Lust an der Gewalt« geprägt, beschreibt Jan Phillipp Reemtma in der Zeit (15.3.2007) die Motive der RAF und ersetzt so Politik durch Psychologie.

Das wiederum sieht Gerhart Baum (FDP), in den siebziger Jahren Innenminister unter Helmut Schmidt, ganz anders. In der Zeit (22.3.2007) erklärt er mit Blick auf wissenschaftliche Untersuchungen von Entstehung und Motiven des Terrors, dass die RAF ohne die linke Protestbewegung und ohne die konsequente Missachtung der Forderungen dieser linken Bewegung seitens der seinerzeit Herrschenden, die RAF nicht denkbar gewesen wäre.

Von derartigen Differenzierungen will Eckhard Fuhr in der Welt nichts wissen. Er erkennt in der Debatte über die Äußerungen und die Freilassung Christian Klars einen späten und ganz und gar überflüssigen Triumph der RAF. Warum? Weil sich sowohl diejenigen die Christian Klars Freilassung fordern, als auch jene, die das vehement ablehnen, auf dasselbe Argument beriefen: "Aus beider Perspektive werden die RAF-Leute nicht als „gewöhnliche“, sondern als „politische“ Mörder wahrgenommen."

 

Berlin, 1. März 2007. Claus Peymann hat ein Interview gegeben. Darin gebärdet er sich als letzter Meinungsfreiheitler im korrupten deutschen Kapitalismus. Aber, ach, schon am Ende des Gespräches fällt er wieder aus der Rolle. Für die taz hat Philipp Gessler den Intendanten des Berliner Ensembles Claus Peymann interviewt. Anlass geben die umstrittenen Äußerungen des Gefangenen Christian Klar, der dem Kapitalismus Tod und Teufel an den Hals wünscht. Für den Fall einer Haftentlassung hatte Peymann dem Ex-RAFler ein Praktikum im BE angeboten. Gessler fragt:

"Sind Klars Ansichten auch Ihre Ansichten?"

"Na sicher sind das auch meine Ansichten. Es kann ja nicht sein, dass dieses kapitalistische System von Korruption und Verantwortungslosigkeit der Weisheit letzter Schluss ist. Wer einen halbwegs klaren Kopf hat, weiß doch, dass es nur eine Chance für die Zukunft gibt, wenn wir das System ändern. Das, was er sagt, ist die Wahrheit. ... Das System ist bis ins Mark faul."

So weit, so gut. Blöde nur, dass Peymann als großer Linkstöner zuletzt dann doch noch rechts blinkt:

"Die Leute, die genug Geld haben, die können sich ihre Gefängnisstrafen abkaufen, die Kindermörder und Sexualstraftäter entlässt man voreilig und fahrlässig in die Freiheit. Aber bei Klar wird jetzt Strenge demonstriert, Rechtsfundamentalismus. Das ist schauerlich."

Und da unterscheidet sich Herr Peymann dann gar nicht mehr vom großen rechten Stammtisch, den er sonst so lautstark angeht. Natürlich werden Kindermörder und Sexualstraftäter voreilig und fahrlässig entlassen, dass weiß doch jeder. Genauer hinzuschauen, können wir Peymänner uns natürlich sparen. Woher man das weiß? Na aus Zeitungen und Fernsehen. Ein Widerspruch, weil ich doch sonst, auch in der causa Christian Klar, den Medien immer Verzerrung, Stimmungsmache und Opportunismus vorwerfe? Ach, was kümmert mich mein schlecht'  Geschwätz von gestern.

 

Hurra! Das deutsche Theater kann froh sein, dass es solche aufrechten, der Wahrheit verpflichteten Kämpfer wider den Kapitalismus in seinen vordersten Reihen hat.

Einen Tag später haben auch die anderen aufgemerkt. Herr Stadelmaier bürstet Peymanns Äußerungen in der FAZ vom 2. März kurz als "Sozialschaumschlägerei" ab. Derweil Harry Nutt in der Frankfurter Rundschau "das System" hierzulande von einem wie Peymann oder Klar nicht verändert wissen will. Und die Berliner CDU, wer?, ja, die Berliner CDU findet wiederum Peymann untragbar und Herr Wowereit solle schleunigst und so weiter, was Peter Michalzik zum Anlass nimmt, um in der FR vom 3. März an Peymanns politische Sendung zu erinnern, die mit Zahnproblemen von Gudrun Ensslin ihren Anfang nahm. Im übrigen erklärt Michalzik, was Peter Handke, die Berliner CDU und Peymann gemeinsam haben.

 

Harald Jähner in der Berliner Zeitung identifiziert die CDU als Verstärker für Klars Meinungen, die man sonst gar nicht weiter beachtet hätte. Auch er weist darauf hin, dass Peymann schon vor dreißig Jahren dem konservativen Bürgertum "nicht mehr tragbar" erschien. Peymann hatte als Stuttgarter Intendant am schwarzen Brett des Theaters zu Spenden aufgerufen, für eine Zahnbehandlung der in Stuttgart-Stammheim einsitzenden Gudrun Ensslin. Den lesenswerten Artikel finden Sie hier.

 

 

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Kommentare  
Peymann und die deutsche Geschichte: neuer Fall
Glückwunsch! Peymann hat nun einem ehemaligen Stasi-Spitzel Asyl gegeben; Joachim Nimtz rehabilitiert er, Herr Nimtz spielt in "Kabale und Liebe" mit (morgen ist Premiere). Vorher durfte er auch schon am neuen theater Halle spielen ("Männer im Hotel").

Damals, so erzählt Herr Nimtz selbst im Interview innerhalb der Inszenierung "Sie befinden sich hier" am Staatsschauspiel Dresden (innerhalb der Station „Wann verjährt Schuld?“), wollte ihn kein Theater mehr haben, seine Festanstellung wurde gekündigt.

Nun ist alles vergessen? Oder ist genug Zeit vergangen? Interessante Debatte.
Peymann und die deutsche Geschichte: schwierig
Hab den Kommentar jetzt erst gesehen. Herr Nimtz ist zweifelsohne ein guter Schauspieler. Auch gut finde ich, dass er zu dem steht, was er zu DDR-Zeiten gemacht hat. Schwierig, wann man jemanden wieder auf die Bühne lassen sollte. Könnte man ketzerisch schreiben, dass Peymann froh ist, überhaupt gute Schauspieler zu bekommen.. oder er sich mit deren Vergangenheit nicht auseinandersetzte...oder ihm es schlichtweg egal ist. Christian Klar hätte er ja auch Asyl gegeben, sagte Peymann.
Peymann und die deutsche Geschichte: Distanzierung, Verjährung
Habe diesen Kommentar auch gerade erst gelesen und möchte betonen, dass ich nicht mit dem Inhalt in Verbindung gebracht werden möchte. Ich kenne Herrn Nimtz nicht und würde niemals aus der Anonymität in dieser Weise auf Personen schießen. Interessant fände ich die Debatte nur, wenn es denn tatsächlich eine offene wäre. Bin gerade selbst in Dresden und immer wieder gerne hier. In Bezug auf das Verjähren von Schuld würde ich meinen, das es hier eher daruf ankommt, eigene Schuld zu erkennen, sich einzugestehen und diese zu verarbeiten. Wer sich das öffentlich zutraut, hat meinen Respekt und das wäre schon ein Anfang. Verjährung ist für mich das falsche Wort, Vergebung vielleicht auch. Das ist halt immer eine ganz persönliche Sache für beide Seiten gleichermaßen.
Peymann und die deutsche Geschichte: legitim
Ich habe keineswegs auf Herrn Nimtz "geschossen", er selbst hat sich dazu geäußert in einem Interview, das jedermann im Staatsschauspiel Dresden sehen kann (Stück heißt: "Sie befinden sich hier"). Daher finde ich eine Diskussion über ihn und alle anderen ehemaligen IMs legitim.
Peymann und die deutsche Geschichte: zu sarkastisch für eine Diskussion
@ 4
Leider habe ich das Interview nicht gesehen, und kann daher zu dem speziellen Fall Nimtz nichts sagen. Sie bezeichnen Herrn Nimtz aber direkt als Stasi-"Spitzel" und reden von Asyl. Daraus schließe ich, Sie befürworten ein Berufsverbot für Herrn Nimtz, zumindest an subventionierten Bühnen. Auch aus Nr. 2 entnehme ich, dass man gewisse Probleme mit einer Beschäftigung derart belasteter Schauspieler hat. Rein rechtlich gibt es da nur eine Beschränkung bei Stellen im öffentlichen Dienst. Dazu dürfte auch die Festanstellung in einem Staatstheater gehören. Hier muss man Angaben zu Beschäftigungsverhältnissen oder inoffizieller Zusammenarbeit mit der DDR-Staatssicherheit machen. In gehobenen Positionen oder bei der Besetzung von politischen Ämtern wird geprüft. Vielleicht hat Herr Nimtz deshalb seine Festanstellung am Staatsschauspiel verloren. Wie gesagt, ich kenne den Fall nicht genau. Es spricht aber nichts dagegen, ihn als Freiberufler zu beschäftigen. Sie können das moralisch anprangern, aber Claus Peymann ist in diesem Fall niemandem Rechenschaft schuldig. Es sei denn, es liegen schwerwiegende Gründe gegen eine Beschäftigung von Herrn Nimtz vor. Es genügt nicht, jemanden als Stasi-Spitzel zu bezeichnen, auch nachdem er sich selbst bereits geoutet hat, um zu verlangen, dass er keine Anstellung mehr bekommen darf. Sie müssen auch begründen können, warum diese Leute nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten sollten. Selbst in der Stasi-Unterlagenbehörde arbeiten immer noch ehemalige Stasimitarbeiter. Verstehen Sie mich nicht falsch, eine Diskussion darüber halte ich für legitim und sogar für dringend angebracht. Aus dem sarkastischen Ton Ihres ersten Kommentars entnehme ich aber nicht, dass Sie diese auch wirklich führen wollen.
Peymann und die deutsche Geschichte: Gesprächsbedarf
@ Stefan Nr.1 und 4
Noch etwas dazu. Ich habe versucht mich kundig zu machen. Es gibt eine Pressemitteilung aus dem Jahr 1992, in der von der Entlassung dreier Schauspieler des Dresdner Staatsschauspiels die Rede ist, u.a. Joachim Nimtz, die in der Stasi-Akte von Gunther Emmerlich als IMs auftauchen. Den Dresdner Opernsänger und Moderator werden viele noch aus DDR-Zeiten kennen. Er ist auch immer noch beim MDR aktiv. Nach seiner Aussage wurden 32 IMs auf ihn angesetzt. Das ist schon eine Spitzenleistung für jemanden, der in der DDR nicht gerade durch großes Dissidententum aufgefallen ist und ungestört Karriere machen konnte. Egal, das tut nichts zur Sache und zeigt auch nur noch einmal die unglaubliche Perversion und den Kontrollwahn des DDR-Systems. Auch Eissternchen Katharina Witt ging es wohl ähnlich. So etwas liest sich immer sehr reißerisch in den Autobiografien. Herr Nimtz hat nach dem Rauswurf ein Jahr nicht als Schauspieler gearbeitet, und dann 1993 in einem Solostück seine Vergangenheit verarbeitet. Den Inhalt kenne ich nicht. Aber vielleicht ist das ja Inhalt des Videofilms, den Sie beschreiben. Leider habe ich bei meinem Besuch am Wochenende in Dresden das betreffende Interview in der Ausstellung zum 100. Jubiläum im Staatsschauspiel nicht finden können. Aber vielleicht berichten Sie uns darüber, so dass eine Diskussion in Gange kommt. Oder was versprechen Sie sich mit ihrem Kommentar. Ich denke trotz des Wunsches vieler nach einem Schlussstrich, gerade auch in der Politik, gibt es noch immer Gesprächsbedarf.
Peymann und die deutsche Geschichte: Quelle
Wie oben geschrieben, finden Sie das Interview innerhalb der Inszenierung "Sie befinden sich hier"
http://www.staatsschauspiel-dresden.de/spielplan/premieren_urauffuehrungen_2012_2013/ein_theatraler_parcours/

Noch 3 Mal haben Sie die Möglichkeit diese Inszenierung zu sehen.

Mir ging es um die Diskussion, ob Schuld verjährt. Ob jemand, der bespitzelt hat, rehabilitiert werden sollte, auf die Bühne gehört usw

Immerhin sind es subventionierte Bühnen, ja.
Peymann und die deutsche Geschichte: Differenzierung
Lieber Stefan aus 1,
ich hatte meine Post aus Nr. 6 mittlerweile noch erweitert. Das muss aber wohl in den Äonen des WWW oder in der Nachtkritikredaktion untergegangen sein. Ich bin leider wieder in Berlin und habe das Interview in der Ausstellung im Rang des Staatsschauspiels nicht finden können, bin aber mittlerweile so in etwa im Bilde. Seit dem Bekanntwerden der Stasitätigkeit von Herrn Nimtz sind nun immerhin schon 20 Jahre vergangen. Man kann hier aber sicher von keiner Verjährung im rechtlichen Sinne sprechen. Joachim Nimtz hat sich, wenn ich es richtig recherchiert habe, bereits 1993 innerhalb eines Solostücks mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt. Den Inhalt kenne ich leider nicht. Als Künstler ist das wohl durchaus eine legitime Auseinandersetzung mit der Schuld. Auch Thomas Lawinky hat Ähnliches zusammen mit Armin Petras am Gorki Theater gemacht. Obwohl die beiden Fälle sicher nicht 1 zu 1 zu vergleichen sind. "Mala Zementbaum" in der Regie von Milan Peschel war dann leider nicht der große Erfolg. Was ich aber damit sagen will, es sollte in jedem Fall versucht werden zu differenzieren. Eine Einsicht lässt sich eh nicht erzwingen. Das ein ehemaliger Stasizuträger in jedem Fall bis zu seinem Lebensende von seiner Arbeit ausgeschlossen werden sollte, halte ich für problematisch. Zumindest öffentliche Ämter sollte er schon von sich aus nicht anstreben. Die Frage für die wirklich Betroffenen und Leidtragenden bleibt dabei aber immer, die nach einer Anerkennung und ehrlichen Aufarbeitung und wie man das Erinnern pflegt. Die bestehende Praxis ist dabei sicherlich nicht besonders hilfreich. Aber gerade am Theater besteht ja immer die Möglichkeit einer kollektiven Erinnerung und einer künstlerischen Verarbeitung fern von bloßen Schuldzuweisungen.
Peymann und die deutsche Geschichte: zum Getanen stehen
2.
Es genügt, wenn man zu dem steht, was man früher einmal gemacht hat.
Egal wie schwer das Vergehen, die Verbrechen auch waren. Man braucht nicht einmal Reue oder Schuldenlast und Schuldgefühle zeigen.
Es ist gut, wenn man zu dem steht, was man gemacht hat.
Peymann und die deutsche Geschichte: ad absurdum geführt
Jawohl. Deutsche Geschichte. Beispiel:
Nationalsozialismus.
Es genügt. Das genügt für lange.(für immer?)
und alles ist gut und es genügt.
Mann hat es gemacht und dazu steht Mann.
Ich war ein Verbrecher, ich war ein Mörder.
Und dazu stehe ich.
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