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Vom Mist in deutschen Köppen

von Klaus M. Schmidt

Oberhausen, 21. Oktober 2011. Dirk Laucke und Matthias Platz haben mit Tonband und Videokamera fleißig im Lande recherchiert: Wie ticken die Deutschen? Was dabei herauskam ist – mindestens – gruselig. Am rechten und linken Rand des deutschen politischen Spektrums (der jeweils weit in die Mitte hineinstößt) haben die Forscher Gedanken und Gefühle aufgetan, die vor allem eins klar machen: Revisionismus und Ideologieabhängigkeit eint die Lager mehr, als man glauben mag. Für das Theater Oberhausen haben Laucke und sein Mitstreiter das Material nun zum dritten Mal aufbereitet. Nach einer Performance in Mülheim/Ruhr und nach einer Hörspielfassung für den WDR gibt's "Angst und Abscheu in der BRD" nun auch als Theaterstück.

Gonzo-Trip mit Fußnoten

Jörg Holz (Richard Barenberg) und Thomas Zaunmüller (Sergej Lubic) sind so etwas wie die Repräsentanten des Autorenteams auf der Bühne. Sie werden als Gonzo-Journalisten¹ à la Hunter S. Thompson eingeführt, ein Gonzo-Püppchen wird dazu extra an die Wand geheftet. Heißt das, man darf von diesen beiden keinen einordnenden, analytischen Umgang mit dem Material erwarten?

Man erlebt eine wüst-schräge Mischung aus O-Tönen, Filmstücken und kleinen Szenen, die mal theatralisch, mal fast kabarettistisch daher kommen. Mohammad-Ali Behboudi gibt den Radiomoderator Detlef Bismarck, der angeblich durch diese "Sendung kühler Ideologiekritik" führen will, doch greift er nicht wirklich ordnend ein.

Hartmut Stanke spielt Bismarcks "wütende Fußnote" (sic!) und ihr beziehungsweise ihm verdankt man dann ein paar vielleicht teils auch zu schlaue Anmerkungen, die Stanke in die Theatertauglichkeit rettet, indem er sie und sich mit dem Drang, jetzt aber einmal Klarheit in die Sache zu bringen, nach vorne schiebt.

Anja Schweitzer schließlich darf in mehrere Rollen schlüpfen, ist Zarah Leander und Marlene Dietrich, christlich geprägte Dresdnerin, esoterische Beziehungsbrecherin und anderes mehr.

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von links: Sergej Lubic , Anja Schweitzer, Hartmut Stanke, Richard Barenberg.

Konzentrationslager und so Lalala

Der Monolog der Beziehungsbrecherin ist eine Glanznummer. Da erzählt sie atemlos vom Treuebruch mit ihrem Therapeuten, um im anschließenden Bericht über den Streit mit ihrem Freund zu der Erkenntnis zu kommen: "Wenn man mehr reden würde, dann kommt es auch nicht zu so Missverständnissen wie Konflikte, Kriege, Konzentrationslager und Lalala."

Missverständnisse? Lalala? Verharmlosend ist dieser Abend sicher nicht, auch wenn er offensichtlich mit Absicht überfordert. Das liegt an dem überbordenden Material und dem chaotischen Umgang damit. Dafür wird einem aber auch nicht vorgegaukelt, dass man rechte und linke Gegner der bürgerlichen Mitte trennscharf auseinanderdividieren kann.

Das Thema Antisemitismus ist eine Konstante des Abends. Er wird aufgedeckt bei Ingolstädter Ewiggestrigen, die Nazitäter und ihre Taten verharmlosen, aber genauso auch bei braven Dresdner Bürgern, die ihr Gedenken an die Bombardierung ihrer Stadt nach außen stramm antifaschistisch vertreten.

Lechter und rinker Dress-Code

Die "autonome Nazibraut" (Anja Schweitzer) verkörpert gegen Ende das Überlappen der unterschiedlichen Ausrichtungen schon mit ihrem Kostüm. Das schwarze Kapuzenshirt weist sie als Linke aus, die Springerstiefel verweisen eher aufs rechte Milieu. So wie der Dresscode nicht mehr eindeutig ist, so ist ihre faschistische Rede von antikapitalistischer Argumentation durchsetzt. Diese Verflechtung der Motive und Begründungen muss man sich erst einmal klar machen.

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Sergej Lubic (Thomas Zaunmüller), Anja Schweitzer (Marlene), Richard Barenberg (Jörg Holz), Hartmut Stanke (Fußnote).
Fotos: Axel J. Scherer

Mittenrein will Gonzo-Journalist Holz: "Rein in die Scheiße, sag ich immer." Von dieser Haltung trennen Zaunmüller sein Trenchcoat und ein Diktiergerät, aber letztlich lässt er sich von Holz’ Aktionismus anstecken. Mittendrin aber wird man meist nicht klüger, und so ist man für die "Fußnoten" dankbar – von welchem Theaterabend wäre das je behauptet worden. Auch die satirisch-komischen Nummern vor allem von Anja Schweitzer schaffen auf ihre Art Distanz.

Ein klärendes Wort mit Blick auf die historische Dimension ist am Ende dem Moderator Bismarck vorbehalten: "Was heute unter 'kultureller Identität' verkauft wird, hieß gestern Nation oder Rasse", sagt Bismarck. Aha. Aufklärung gibt’s also trotz aller Genrebrüche, technischer wie inhaltlicher Materialvielfalt in dieser Polit-Performance, wie Dramaturg Rüdiger Bering das Stück in einem Interview genannt hat.

Mit dem Satz "Das mit dem Bund der Vertriebenen habe ich nicht verstanden", geht allerdings "Fußnote" Hartmut Stanke noch in den Applaus hinein, gerade so, als wollte er damit ein letztes Mal betonen, dass man hier zur Klärung nicht beitragen, sondern erst einmal Problembewusstsein schaffen wollte. Das war dann doch des gut Gemeinten zu viel.

 

Angst und Abscheu in der BRD (UA)
von Dirk Laucke
Regie und Recherche: Dirk Laucke, Bühne und Kostüme: Simone Wildt, Musik/ Sounds/ O-Töne: Thomas Mahmoud, Film/ Projektionen/ Recherche: Matthias Platz, Dramaturgie: Rüdiger Bering, Matthias Frense.
Mit: Richard Barenberg, Mohammad-Ali Behboudi, Sergej Lubic, Anja Schweitzer, Hartmut Stanke.

www.theater-oberhausen.de

 

Anmerkung: ¹ "gonzo", schreibt wikipedia, stehe im amerikanischen Englisch für "außergewöhnlich, exzentrisch, verrückt". Weiter definiert wikipedia den Gonzo-Journalismus als eine besondere "Form des New Journalism", die durch "das Wegfallen einer objektiven Schreibweise" charakterisiert sei. "Es wird aus der subjektiven Sicht des Autors berichtet, der sich selbst in Beziehung zu den Ereignissen setzt. So vermischen sich reale, autobiographische und oft auch fiktive Erlebnisse. Sarkasmus, Schimpfwörter, Polemik, Humor und Zitate werden als Stilelemente verwendet."


Kritikenrundschau

Da der Gonzo-Journalismus im Internet mittlerweile Gang und Gebe sei, findet Stefan Keim in der Sendung Mosaik auf WDR 3 (22.10.2011) Lauckes formalen Ansatz sehr überzeugend, mittels einer ungewöhnlichen Feldforschung Einblicke in den extremistische Haltungen in Deutschland zu geben. Als zentrale These Lauckes interpretiert der Kritiker: Radikales Denken stelle sich fest, es kritisiere sich nicht mehr. "Es ist zum Teil ein Thesentheater", so Keim, "aber ein Thesentheater, das sich dann auch wieder infrage stellt." Es sei ein "extrem lauter" Abend, in dem einem "ständig Videos und Toneinspielungen und Musiknummern und alles mögliche um die Ohren fliegt". Das alles habe den "Charme eines wilden Studententheaters", was der Kritiker ausdrücklich lobt: Es sei "ein raues, ein direktes, ein anregendes Theater."

In der Welt (24.10.2011) legt Keim mit verstärkter Begeisterung schriftlich nach: "Angst und Abscheu in der BRD" sei kein Abend für Weicheier: "Demokratie ist harte Arbeit, sagt die Aufführung, und von einem funktionierenden freiheitlichen Staat sind wir noch weit entfernt."

Völkisches Denken lebe fort und gelange zu seiner vermeintlichen Blüte, wo man es nicht erwartet, schreibt Gudrun Mattern im Onlineportal der WAZ-Gruppe derwesten.de (23.10.2011). Dirk Laucke sei "einer, der auszog um das zu beweisen." Die rechte und linke Szene habe er sich vorgenommen, auch ganz normale Bürger. Herausgekommen sei "ein Aufschrei gegen Gleichgültigkeit und Dummheit und gegen die Bereitschaft, sich einer Bewegung anzuschließen und sich dabei von einem Wir-Gefühl so einlullen lassen", meint Mattern. Für seine Uraufführungsinszenierung habe Laucke in Oberhausen kongeniale Schauspieler gefunden: "Das Stück anzusehen, lohnt sich schon allein wegen der darstellerischen Leistungen."

Viel Angst und Abscheu steckten in dem Stück, das weniger ein Stück als eine szenische Recherche sei, schreibt Vasco Boehnisch in der Süddeutschen Zeitung (24.10.2011). Passantengestammel von Dresdner Demos, Altnazi-Verblendung und Neufascho-Phrasen würden zu einer wirren, aber kurzweiligen Collage, die den Status Quo der deutschen Phlegma- und Protestseele zwischen Holocaust und Stuttgart 21 sample. "Ein Deutschlalalandlied mit mehr Kabarett als Katharsis, aber sympathisch unfertig und selbstironisch."

Kommentare  
Angst und Abscheu, Oberhausen: oberflächlich
"Das schwarze Kapuzenshirt weist sie als Linke aus, die Springerstiefel verweisen eher aufs rechte Milieu." (...) Ein bisschen mehr Ahnung von den Kleidungscodes der (Jugend)Szenen sollte selbst ein Theaterkritiker haben. Springerstiefel, Herr Schmidt, verweisen seit vierzig Jahren auf die rechte, die linke, die schwule Fetisch- und die Punkszene. Und selbst die Farbe der Schnürsenkel ist längst kein eindeutiges (politisches) Zeichen mehr.
Schön wäre ja auch gewesen, wenn es hier eine Kritik zu dem Abend gegeben hätte und nicht nur diese allzu artige Beschreibung, aber vermutlich traut sich der Autor einfach nicht zu sagen, dass unter der ganzen Polit-Performance-Recherche-Postdramatik-Dokumentar-Metaebenen-Video-Huberei auch er nicht viel mehr als Oberflächlichkeit entdeckte. Ist ja auch schwierig, diesen Abend doof zu finden, denn ganz schnell wirkt es so, als fühlte man sich selbst als Antisemiten ertappt. Geschickt gemacht, Herr Laucke. Ich sag es trotzdem: "Angst und Abscheu in der BRD" ist echt hohl.
Angst und Abscheu, OB: paranoide Grundhaltung
"Ist ja auch schwierig, diesen Abend doof zu finden, denn ganz schnell wirkt es so, als fühlte man sich selbst als Antisemiten ertappt." Es spricht schon Bände, wenn sich jemand in seiner Kritik eingeschränkt fühlt, weil der Autor/Regisseur geschickt und supertricky eine "Antisemitismuskeule" in sein Stück miteingebaut hat, die angeblich jeden Kritiker mundtot machen würde. Vielleicht sollten sie, Herr/Frau Gonzo, dann mal eine Kritik des Abends schreiben, die die Oberflächlichkeit des Abends benennt anstatt ihrer paranoiden Grundhaltung Ausdruck zu verleihen.
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