Saublödes System

von Willibald Spatz

München, 6. November 2007. Der Kapitalismus ist schlimm: Er reduziert die Menschen zu Konsummaschinen, er nimmt den Schwachen das Wenige, das sie haben, und beschenkt die Reichen. Aber er verliert seinen Schrecken ein bisschen, wenn man seinen Namen ausspricht.

Die schöne Pop-Band "Huah" nannte mal eine Platte "Scheiß-Kapitalismus" und Peter Licht sein letztes Album "Lieder vom Ende des Kapitalismus". Auch Gospodin, der Titel gebende Held von Philipp Löhles Stück "Genannt Gospodin", sagt Sätze wie "Den Kapitalismus bei den Eiern packen", "Besitz bedeutet mir nichts mehr" und "Ich versuche antikapitalistisch zu leben in einer kapitalistischen Welt". So etwas klingt leicht lächerlich, und man soll auch lachen in "Genannt Gospodin", aber eigentlich nicht über Gospodin, sondern über seine Mitmenschen.

Zu gutmütig für die Welt

Gospodin ist ein Sonderling, keine Frage, er ist ein wenig zu gutmütig für die Welt, die die Bühnenbildnerin Franziska Bornkamm im Marstall recht spartanisch eingerichtet hat. Wir sehen einen Raum mit weißen Wänden und wenigen Gegenständen auf dem Boden. Gospodins Freunde brechen hier ein und nehmen Stück für Stück alles heraus, sie beuten Gospodin aus.

Kumpel Andi leiht sich den Kühlschrank, um eine Gans darin aufzubewahren und bittet Gospodin zugleich, für ihn eine Beerdigung zu besuchen. Er selbst könne da nicht hin, er müsse zu sehr lachen, schon bei der Vorstellung, einen Arm zu Grabe zu tragen. Das sei das einzige, das von einem Pilotenkollegen nach einem Sturz aus 15 Meter übrig sei. Norbert ist Künstler und klaut sich den Fernseher für eine Installation namens "Tempus fuck it!"

Freundin Anette verliert das Interesse an Gospodin, als dieser kein Geld mehr hat, verlässt ihn und schickt lediglich ihre Freundin, die restlichen Sachen abzuholen. Greenpeace beraubt Gospodin seiner einzig guten Geschäftsidee: eines Lamas, mit dem er bisher durch die Straßen gezogen ist und sich seinen Lebensunterhalt zusammengebettelt hat. Gospodin schreit "Greenpeace sind Spießer, die Grünen sind Spießer!" Als alles weg ist, reicht es Gospodin, und er beschließt dem System den Rücken zu kehren und etwas Neues auszuprobieren.

Wunderbar alberne Blödelei

Bis dahin sieht das, was der junge Regisseur Jan Philipp Gloger aus dem Material gebastelt hat, sehr schön aus. Der Gospodin von Shenja Lacher ist ein sympathischer Loser in blauen Jeans und grauem T-Shirt. Einer, der wenig von der Welt gesehen hat und deshalb noch voll sein kann mit Ideen und eigenartigen Angewohnheiten. Immer wenn er sich aufregt, schläft er ein. Den Freund Andi gähnt er nur an und erfreut den Zuschauer mit der Erwartung eines Wutausbruchs, der dann nicht folgt. Einen Supermarktleiter, der ihn unbedingt in einen Job stecken will, brüllt er an als "kapitalistischen Vollidioten" und schläft darauf an dessen Schulter ein. Wunderbar albern ist das.

Alle weiblichen Rollen werden von Franziska Rieck, alle übrigen männlichen von Marcus Calvin gespielt. Die zwei verwandeln sich mit wenigen Requisiten, die zum Teil aus einer Schublade einer Kommode gezogen werden, Gospodins letztem Möbelstück.

Rieck wird mit einer dummen Brille zu einem höchst suspekten Händler, der Gospodin in einem Hinterhofladen beschäftigen will. Und mit einem Glitzerschal zur blöden Freundin Sylvia, die dauernd sagt "Ich will mich nicht einmischen" und das Schlimmste ist, was Gospodin im Moment des Verlassenwerdens passieren kann. Marcus Calvin setzt sich eine graue Perücke auf und ist ein durchgeknallter Künstler; eine andere graue Perücke macht ihn zur Mutter, die sich ständig von Herren auf Kreuzfahrten aushalten lässt.

Zuletzt in systemkritischen Nonsens-Graben gerauscht

Bis dahin hat die Show Tempo und ist dank der drei tollen Schauspieler richtig gut. Dass das Unternehmen auf den letzten paar Metern doch noch in den Graben fährt, liegt an der Textvorlage. Philipp Löhle versucht, das Ganze in das Korsett einer richtigen Geschichte zu pressen, indem Gospodin zufällig an Geld gerät, das er los werden will, aber um jeden Preis nicht an seine vom Kapitalismus verdorbenen Freunde. Hier verliert das Stück an Nihilismus, und seine Figuren an Charakter, sie werden zu Karikaturen degradiert. Sie müssen sich alle noch mal verkleiden und auftreten und um die Kohle betteln. Hier wird im Privaten ganz groß mit dem jungen 21. Jahrhundert abgerechnet. Das gelingt aber nicht, sondern erinnert stark an "Nonstop Nonsens" mit Systemkritik.

Am Ende landet Gospodin im Gefängnis, abgeführt von zwei überflüssigen Kommissaren im Trenchcoat. Seiner Ex-Freundin Anette sagt er, dass er hier sein Dogma, seine Ideen, verwirklicht sehe, und "Ich bin frei". Da will man ihn nicht mehr ernst nehmen und auch nicht mehr über ihn lachen. Es ist richtig: Mit dem Kapitalismus stimmt etwas nicht. Das ist die Erkenntnis nach eineinhalb Stunden spritzigem Theater. Das ist nicht viel.

 

Genannt Gospodin
von Philipp Löhle
Regie: Jan Philipp Gloger, Bühne: Franziska Bornkamm, Kostüme Karin Jud,
Musik Jan Faszbender. Mit: Franziska Rieck, Marcus Calvin, Shenja Lacher.

www.bayerischesstaatsschauspiel.de

Kritikenrundschau

Auf dradio.de der website von Deutschlandradio Kultur schreibt Christoph Leibold am 6.11.2007: "Genannt Gospodin am Münchner Marstall: das ist politisches Theater, das auch noch Spaß macht. Was will man mehr?" Autor Philipp Löhle habe die Idee vom Ausstieg aus der Gesellschaft ein paar Gehirnwindungen weiter ins Absurde gedreht. Und Regisseur Jan Philipp Gloger habe das Stück mit "angemessenem Sinn für skurrilen Humor" inszeniert.

Im Münchner Merkur (8.11.2007) entwickelt Sabine Dultz die Kategorie des lakonischen Jubelns weiter: Bei dieser Premiere, schreibt sie, stimme einfach alles. "Ein gutes Stück, drei hinreißende Schauspieler, ein Regisseur, der mit leichter Hand die Geschichte des idealistischen, jungen, sich dem Kapitalismus verweigernden Mannes in Szene setzte. Spielfreude pur, Vergnügen groß." Besonderen Spaß bereite, wie sich  zwei SchauspielerInnen im "fliegenden Wechsel ... durch eine hinreißende Typengalerie heutiger Zeitgenossen" spielen. Die größte Überraschung aber sei Hauptdarsteller Shenja Lacher, "der das Hitzköpfige, das Feuer, die Selbstgewissheit, den Eifer und vor allem den Charme der Jugend ausstrahlt." Es mache gar nichts, dass sich Künstler und Rolle kaum unterschieden, es sei diesmal "einfach nur erfrischend schön".

In der Süddeutschen Zeitung (8.11.2007) unterzeichnet "midt" eine mittellange Notiz, in der die Aufführung wie folgt abgetan wird: "Löhle weiß, dass nicht mit Steinen werfen sollte, wer im Glashaus der Globalisierung sitzt, darum wirft er witzige Wattebäuschchen nach den Mitinsassen seiner Generation." Dabei gelängen "amüsante szenische Miniaturen" und "zwei Hände voll skurriler Episodenfiguren", die Gloger mit "zum Teil etwas neckischen Regieeinfällen in Szenen gesetzt hat." Franziska Rieck und Marcus Calvin überzeichneten ihre Figuren mit "nicht immer schmierfreier Feder", Shenja Lacher spiele den Wortführer dieser "Lach-Attac" als "wuscheligen Naivling". Bevor man sagen möchte "nett reicht nicht", seien "die 90 Minuten luftig-lustig verflogen".

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