Bilderbogen mit schwarzen Schafen

von Felizitas Ammann

Zürich, 7. November 2007. Nur ein einziges Rezept hat der Mentaltrainer für die angstgebeutelten Zürcherinnen und Zürcher: eine Art Turbo-Optimismus. Jedenfalls ist am Schluss das Glas nicht nur halb, sondern ganz voll. Davor sah und erlebte man knappe zwei Stunden lang verschiedenste Spielarten der Angst und was aus ihr so alles erwachsen kann. Und: einen entfesselten Fabian Hinrichs als Mentaltrainer, der über die Bühne fegt, Zuschauerinnen plagt und die Angst ein für allemal austreiben will.

Dabei hat alles so nett angefangen. Man wurde zu einem Seminar begrüsst, übte die Kraft der positiven Imagination, machte seinem Sitznachbarn Komplimente, kurz: man schien auf dem richtigen Weg zu einer besseren Welt. Doch leider spürt der Mentaltrainer den Drang zu Höherem und zieht seine Forscher in Form von Ärzten, Physikern und Meteorologen hinzu. Nun sieht man also eine Klinik, in der Hypochonder und Neurotiker auf sadistische Ärzte treffen – woraus sehr unterhaltsame Tier- und Menschenversuche resultieren.

Lässt sich Nordic Walking parodieren?

Die Ängste, sie lauern überall. Man kann mit ihnen Geld und Politik machen. Man überlebt dank ihnen – wenn nicht die Gier siegt wie beim Affen, der nach der Banane greift und in die Falle tappt – und man lebt schlecht wegen ihnen. So kommt einiges zusammen in Schorsch Kameruns Bilderbogen: Wir lauschen Partygesprächen über Entfremdung, sehen eine Parodie auf Nordic Walking, geschundene Matrosen (oder Teilnehmer einer Abenteuer-Fernsehshow?), eine Art James-Bond-Insel, ein Stilleben mit Felsen, der gleich fällt, einen Wachturm, Videos von Demonstrationen gegen die rechte Partei in Zürich, schwarze Schafe und einen Kuckuck.

Das Resultat ist – wie schon frühere Arbeiten Kameruns für das Zürcher Schauspielhaus – eine gewagte Mischung aus politischer Satire, persönlicher Betroffenheit, popkulturellen Zitaten und viel lokaler Anbindung. Und natürlich kriegt bei Kamerun auch das Bildungsbürgertum sein Fett weg.

Mit einer netten Einlage zum Thema 'Die Angst des Zuschauers vor dem Regietheater', sprich: vor jungen Männern in Unterhosen, die sich mit unappetitlichen Flüssigkeiten beschmieren und sich dann ins Publikum drängeln. Im Übrigen ist zu erfahren, dass mindestens 29% der Anwesenden sich manchmal wünschen, dass ein weiches weißes Schaf in ihre Wohnung kommt und ihnen sagt, wie es weiter gehen soll.

Zeitgeistige Zeitlosigkeit

Dass mit Angst gut Politik zu machen ist, das haben in der Schweiz unlängst die deutlichen Wahlerfolge der Rechtspopulisten gezeigt. Auch dass mit ihr gut Geld zu machen ist, ist nichts Neues. Die Angst ist ein simples Erfolgsrezept für diejenigen, die sie instrumentalisieren. Und sie ist – in ihrer Allgegenwärtigkeit, in ihrer zeitgeistigen Zeitlosigkeit – ein ganz schön komplexes Thema für die anderen, die sie auf die Bühne bringen.

Das führt in "Biologie der Angst" zu manchen beliebigen Situationen und vor allem zu einigen Längen. Doch die engagierten Schauspieler – allen voran der fulminante Fabian Hinrichs – bringen das Stück über die Runden, und irgendwann einmal auch mit (ausgerechnet) Ozzy Osbourne auf den Punkt: "Nur weil ich Paranoia habe, heißt das noch lange nicht, dass ich nicht auch verfolgt werde."

 

Biologie der Angst
von Schorsch Kamerun
Regie: Schorsch Kamerun, Bühne: Constanze Kümmel, Musik: Jonas Landerschier, Video: Meika Dresenkamp.
Mit: Mirjam Heimann, Fabian Hinrichs, Marcus Kiepe, Miriam Maertens, André Meyer, Natasha Ng, Michael Ransburg.

www.schauspielhaus.ch

 

Kritikenrundschau

Ueli Bernays freut sich in der NZZ (9.11.2007) vor allem an Hauptdarsteller Fabian Hinrichs und der Bühne. Eine "poppig-surreale (Alb-)Traumlandschaft" mit "See aus Plastic-Bubbles samt Inseln", eine schräge Rampe mit schiefem Häuschen und Kontrollturm, darunter die Fensterfront einer Empfangshalle. Die Aufführung präsentiere eine für Kamerun "typische Bilder- und Assoziationen-Flut", Episoden und Szenen, "eingebettet in eine multimediale Machination"; "großartig-absurde Bilder und groteske Figuren", deren Monologe oft "prätentiös-verschlauft und aufgeblasen wie der Intellego-Kitsch des deutschen Diskurs-Rock" wirkten. Eine "Wucht" sei Fabian Hinrichs. Den "sektiererischen Guru" gebe er mit so viel "tyrannischer Suggestivkraft, dass es einem wirklich angst und bange wird".

Tobi Müller
schreibt im Züricher Tages Anzeiger (9.11.2007) und in der Frankfurter Rundschau (13.11.2007): "Was für "eine tolle Idee, in der Schweiz ein Stück über Angst zu machen", wo die Wahlen ja gezeigt hätten, dass ihre "Königin" die Angst gewesen sei." Aber der "nicht platt politische Ansatz von Schorsch Kamerun" würde "die konkreten Ängste dann doch ausblenden" und das Publikum viel zu "sehr in Ruhe" lassen. Trotz Stärken im Comedybereich sei die Sache auch nicht wirklich lustig: Dass Fabian Hinrichs "als esoterischer Self-Help-Prediger ... die Angst als Angst vor dem zu Tode diskutierten Ekeltheater darstellen muss, langweilt halt selbst in der Parodie. Ein Ausweichmanöver, das ... mit dem Zürcher Theater nichts zu tun hat."

 

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