Bochumer Polizei schützt Shakespeare vor der Occupy-Bewegung
Nur ein Missverständnis
von Nikolaus Merck
Berlin, 15. November 2011. Gestern Abend hat die Leserin Nastassja K. eine Mail an nachtkritik.de geschrieben, wo man sich bekanntlich theaterpublizistisch für die Entrechteten und Bewegten dieser Welt einsetzt, und die Redaktion aufgefordert, über die "unglaublichen Bochumer Vorgänge" vom vergangenen Wochenende zu berichten. Es habe sich hier das "neue deutsche Stadttheater" von einer "sehr traurigen Seite" gezeigt, indem es nämlich meinte, den "Kulturkonsumenten staatlich beim Konsumieren" schützen zu müssen.
Ähm?
Ja.
Was ist passiert? Wie die Webseite bo-alternativ am 12.11.2011 berichtete, habe eine "Polizeikette die BesucherInnen des Schauspielhauses" davor geschützt, dass sie in der Pause von "Was ihr wollt" einen Flyer der Occupy-Initiative angeboten bekamen.
Die Initiative, so bo-alternativ weiter, habe im Schauspielhaus angefragt, ob gegen eine solche Flugblatt-Aktion Bedenken bestünden, die "spontane Antwort" sei gewesen, "dass nichts dagegen spräche". Das Ganze sollte nur noch "geklärt und zurückgemeldet werden". Dies sei aber nicht passiert.
Vor der Demonstration habe dann die Polizei mitgeteilt, "dass die Verteil-Aktion im Schauspielhaus unerwünscht sei". Offenbar stellte sich die Polizei, als die Demonstration am Schauspielhaus eintraf, schützend vor das Gebäude. Keiner durfte rein, raus und wieder rein ging es nur mit Vorzeigen der Eintrittskarte. Trotzdem holten offenbar ein paar Zuschauer Flyer und nahmen sie mit ins Schauspielhausfoyer.
Zugegeben, das sieht ziemlich blöde aus. Auch im Bochumer Theater schlägt ja das Herz vorzüglich der Emanzipation entgegen.
Unschöne Bilder
Das Schauspielhaus selber bedauert in einer Erklärung die Vorgänge. Die beabsichtigte Flugblattaktion im Theater sei nur "auf privater Ebene" angekündigt und nicht im Haus bekannt gewesen. Deshalb hätten die MitarbeiterInnen des Abenddienstes eine Störung von "Was ihr wollt" befürchtet. Aber gerufen worden sei die Polizei nicht, die sei in der üblichen Weise als Begleitung der Demonstration erschienen.
Inzwischen haben sich das Bochumer Schauspiel und die Demonstranten verständigt. Das Schauspiel ist ein wenig zerknirscht über die unschönen Bilder von der Polizeikette vor dem Gebäude, zudem stehe es "dem Anliegen der Occupy-Bewegung" offen gegenüber und verstehe sich als "ein Ort des Diskurses und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung". Auch die Demonstranten nehmen es dem Vernehmen nach gelassen.
nachtkritik.de glaubt, es habe nun seiner Recherchepflicht gegenüber der Leserin genügt, alle Beteiligten können wieder ein gutes Gewissen haben. Und die Polizei in Bochum soll sich nicht so anstellen.
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wer einmal am theater gearbeitet hat, wird wissen, dass abenddienst mit theaterleitung vorsichtig ausgedrückt wenig verbindung hat.
dass die theaterleitung (die nicht nur aus einem intendanten besteht im idealfall und offensichtlich auch in diesem) sich überhaupt zu wort meldet und in dialog geht, finde ich großartig. egal mit wem.
denn das ist überhaupt nicht selbstverständlich in einem haus mit hunderten mitarbeitern und trotzdem und sowieso chronisch unterbesetzt. die wege sind oft lang, träge und verschlungen in einem schauspielhaus.
und oftmals besteht überhaupt gar kein interesse von seiten eines theaters, mit der außenwelt in kontakt zu treten. oder sich gar für etwas zu entschuldigen... hahaha!
das ist hier anders. find ich gut!