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Auf schwankendem Grund

von Rudolf Mast

Hamburg, 18. November 2011. Herbert Fritsch als Newcomer zu bezeichnen wäre deplatziert. Fritsch ist Jahrgang 1951 und seit Jahrzehnten ein gefragter Schauspieler und Filmemacher. Zudem sorgt er seit dem Jahr 2000 mit hamlet_X, einem "intermedialen Kunstprojekt", für Furore. Als Theaterregisseur aber ist er einem größeren Publikum erst seit dem Frühjahr ein Begriff, als er mit gleich zwei Inszenierungen zum Theatertreffen eingeladen war. Kamen diese beiden Arbeiten noch aus der vermeintlichen Provinz, so stehen ihm nun die großen Bühnen in den großen Städten offen.

Zuletzt inszenierte er an der Berliner Volksbühne (zu deren Ensemble er lange gehörte), nun hatte seine jüngste Arbeit am Hamburger Thalia Premiere. Und als wolle er den frisch erworbenen guten Ruf gleich wieder ruinieren, wählte der notorische "Berserker" in beiden Fällen nicht, wie noch bei den Einladungen zum Theatertreffen, ein Werk der bürgerlichen Dramatik, sondern die wohl am schlechtesten beleumundete Textgattung des Theaters: den Schwank.

Sofa und Kakadu

In Hamburg ist es "Der Raub der Sabinerinnen", und wie es sich für "ordentliches" Theater gehört, ist der rote Vorhang vor Beginn der Vorstellung geschlossen. Doch schon wenn er sich hebt, ist mit "ordentlichem" Theater Schluss: Das große schwarze Bühnenhaus ist nahezu leer, und keinerlei Interieur zeugt vom Heim des Professors Gollwitz. Stattdessen steht im Hintergrund ein rotes Sofa mit "Wetten, dass"-tauglichen Ausmaßen, daneben baumelt an einer Kletterstange Cicero, ein bunt gefiederter Kakadu (Sebastian Zimmler). Dazu ertönt pathetische Musik.

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Gruppenbild mit Sofa und Kakadu © Krafft Angerer

Der erste Auftritt gehört einer sächselnden Putzfrau (Gabriela Maria Schmiede), zu der sich die schwäbelnde Theaterdirektorin Striese (Karin Neuhäuser) gesellt. Sie macht für ihre Wandertruppe Werbung. Als der Professor (Matthias Leja) ihr verschämt eine "Römertragödie" aus eigener Feder anbietet, greift die Diva zu. Vom Geschlecht des Impresarios und der Vogelgattung abgesehen, ist so weit alles wie im Original. Der Umgang damit jedoch ist ziemlich frei: Von den wie betoniert wirkenden Frisuren über die grelle Schminke und Kostüme bis hin zur Sprache ist alles exaltiert und steht unter derselben Hochspannung wie das Trampolin hinterm Sofa, das die Spieler durch die Luft katapultiert. Um das Ganze rund zu machen, wird die Szene in wechselnd farbiges, stets kreisendes Licht getaucht.

Mit lautem Knall: Das Stück im Stück

Zu Beginn des zweieinhalbstündigen Abends merkt man den Darstellern noch die Scheu an, mit dieser Art Theater vors Publikum zu treten, doch einmal freigespielt, lassen sie die Zügel schießen: Kein Kaulauer wird ausgelassen, und die Stimmen werden ebenso überstrapaziert wie die Gelenke. Unterm Strich ist das zwar ohne tiefere Bedeutung, aber beileibe nicht sinnfrei, weil es das eigene Tun und Lassen hinterfragt: Im Schwank, wie er im Thalia über die Bühne geht, ist die Trennung zwischen Haupt- und Nebenrollen obsolet, und vom Zwang zur höheren Bedeutung befreit, dürfen die Spieler zeigen, was sie können. Das müssen sie aber auch, um hinter den Kollegen nicht zu verschwinden. So darf ein jeder nach Herzenslust brillieren, und das Schöne an dem praktizierten Ensemblegedanken ist, dass jeder der beteiligten Spieler das Zeug dazu hat.

Theater, das spielend seine Mittel überprüft – das ist eine Art Leitmotiv des Abends und findet seinen Höhepunkt im Umgang mit dem Stück im Stück. Der Premiere von "Der Raub der Sabinerinnen" voraus geht eine Probe, zu der sich die Darsteller in römischen Gewändern versammeln. So frappierend wie die Virtuosität, mit der sie diese Szene spielen, ist die Veränderung der Bühne: Weißes Licht flammt auf, und aus dem Schnürboden senken sich (teils mit lautem Knall) fünf Scheinwerferbrücken, Gesteinsbrocken und ein bemalter Prospekt mit einer Landschaft, die von Schwaden aus Nebelwerfern umhüllt wird. Aufgefahren wird die gesamte Maschinerie, die dem Theater zur Verfügung steht, um etwas vorzutäuschen, was realiter nicht vorhanden ist.

Keine Taschenspielertricks

Die Premiere von Gollwitz’ Machwerk droht trotz des Aufwandes zu scheitern, und nach dem ersten Akt ist der Autor derart deprimiert, dass er sich das Leben nehmen will. Auch im zweiten Akt reiht sich Panne an Panne, und dass nach dem dritten die Leute jubeln, liegt daran, dass Strieses Mann vortäuscht, was nicht da ist, und ihnen das Stück als Parodie verkauft. Auf solche Taschenspielertricks lässt sich Herbert Fritsch nicht ein, und statt etwas vorzutäuschen, hält sich seine Inszenierung ausschließlich an das, was da ist. Und das bereitet nicht nur ziemlich viel Spaß, sondern ist auch noch ziemlich wahr.

 

Der Raub der Sabinerinnen
von Franz und Paul von Schönthan / Curt Goetz
Hamburger Fassung Sabrina Zwach
Regie und Bühne: Herbert Fritsch, Kostüme: Victoria Behr, Musik: Ingo Günther.
Mit: Marina Galic, Hans Kremer, Matthias Leja, Karin Neuhäuser, Jörg Pohl, Gabriela Maria Schmeide, Cathérine Seifert, Rafael Stachowiak, Victoria Trauttmansdorff, Sebastian Zimmler.

www.thalia-theater.de

 

Ein erstes Mal inszenierte Herbert Fritsch den "Raub der Sabinereinnen" bereits im Februar 2009 am Neuen Theater Halle.

 

Kritikenrundschau

Man könne beim "Raub der Sabinerinnen" in Hamburg sehen, wie "eine Fritschiade, ohne alle Schuld den Darstellern zu geben, nicht durchbrettert, nicht abhebt", meint Volker Corsten in der Frankfurter Allgemeinen (21.11.2011). Die Schaupieler wirkten, "bis auf eine kleine, wunderbar veralbert gespielte Pause einer Probe, als hätten sie Blei in den Extremitäten. Und, schlimmer noch, auf der Zunge." Und sogar Karin Neuhäuser, "geschätzt für ihren knochentrockenen Humor auf der Bühne", schwäbele den "Striese als alterndes Bühnenschlachtross eher milde und ziemlich konturlos herunter."

Till Briegleb analysiert in der Süddeutschen Zeitung (21.11.2011) die Fritsch'sche Komödienmechanik. Der gewöhnliche Komödienhumor funktioniere "nach dem Prinzip der Entblößungs-Illusion: Der Darsteller wird ausgestellt in dem Bemühen, seine wahren Absichten und Mängel zu verbergen, und der Zuschauer freut sich daran, wie das misslingt. Bei Herbert Fritsch aber fehlt das Bemühen. Seine Figuren übertreiben einfach ihre Mängel und reizen das Lachen durch die Schamlosigkeit, mit der ihr Unvermögen zum Exzess gereizt wird." Die Geschichte tue da "eigentlich nichts mehr zur Sache. Was zählt, ist die einzelne Nummer, und zwar der Grad ihrer Hysterie." Die Schwäche von Fritschs Methode, "dass Hysterie auch mal eine Zigarettenpause braucht, damit sie danach wieder konzentriert zündet, bläut ihm an diesem Abend Karin Neuhäuser ein, indem sie das Tempo boykottiert." Sie halte damit "das Stück halbwegs zusammen", das ansonsten "an diesem Abend des sportiven Doping-Klamauks vom Reiz einer Strickliesel" sei.

"Ist das noch Dada oder schon gaga?" fragt Armgard Seegers im Hamburger Abendblatt (21.11.2011). Diese Inszenierung sei der Hammer, sie jage "mit Karacho durch Kalauer und krasse Komik bis die Schauspieler erschöpft und die Zuschauer überrumpelt sind. Nix hehre Bühnenkunst oder intellektueller Tiefsinn. Hier ist der Irrsinn ausgebrochen, ganz real." Am herrlichsten gelungen sei "die Theaterprobe zum Sabinerinnen-Stück. Die Schauspieler, maulig und verfressen, lassen sich nur bändigen, wenn strenge Zucht zum Einsatz kommt, ähnlich der, wie sie Regisseur Einar Schleef einforderte." Und Karin Neuhäuser sei "der Star, inmitten eines glänzenden Ensembles. Sie schmeichelt und gurrt, sie leidet und fiebert, sie ist ganz große Tragödin und hintertriebene Komödiantin."

Auch für Michael Laages (Deutschlandfunk, 19.11.11) ist die Probe der Höhepunkt der Inszenierung: "Vorne feixt und fuchtelt die Regie, kommt nicht recht voran, droht damit abzureisen – aber mithilfe des Ensembles entsteht dann eben doch jenes elementare Chaos, das den atemberaubenden Charme einer guten Klamotte ausmacht. Für diese Minuten der falschen Probe ist die 'Methode Fritsch' auch im Thalia Theater wieder ganz bei sich – das ist aber nicht immer der Fall in immer länger werdenden zweieinhalb Stunden." Unter dem "großen, leeren Thalia-Himmel" verlaufe sich "die atemlos-rasante Stimmführung in weiten Teilen des Ensembles, und naheliegenderweise retten sich einige ins Geschrei. Und Schreien ist generell sehr selten wirklich komisch." Der Abend werde so "merklich zäh – und die Inszenierung ist auf einmal fast nur noch damit beschäftigt, das hohe Tempo zu halten."

Herbert Fritsch treibe sein Ensemble über zwei Stunden in einem Wirbel von Unsinn über die Bühne, schreibt in der FAZ Sonntagszeitung (20.11.2011) Nora Sdun, die sich davon aber nicht einnehmen ließ: "Es ist ein Dauerfeuer von Blödsinn, was einen mürbe macht und schließlich einknicken lässt." Von der Bühne kommen keine weiteren Informationen als hilfloses Gezappel und schreckliche Verstrickungen in Kostümen und mit Requisiten. Man lache nicht über Pointen. Diese Sorte Gelächter habe überhaupt wenig mit mit dem Verstand zu tun, wohl aber mit Kontrollverlust. Fazit: "Ob der Schwank die darunterligenede Tragik offenlegt, wie es der Dramaturg Carl Hegemann wünscht, steht zu bezeweifeln, denn Albernheit entzieht sich wegen ihrer Tendenz zur Sinn- und Grundlosigkeit einer tiefsinnigen Analyse."

"Es rührte nicht Seele an diesem Abend, es würgte an der Gurgel", so Werner Theurich auf Spiegel online (19.11.2011), der findet, dass es nicht die schlechteste Theatererfahrung sei, nach einer Premiere außer Atem zu sein, "dennoch fühlte man sich nach diesem 'Raub' seltsam satt und mental entleert". Der Regisseur, bei dem auch "Hamlet" und "Nora" hampeln, lasse hier natürlich nichts anbrennen. "In der Unruhe liegt die Kraft, jedenfalls für Herbert Fritsch, der seine Bürger und Bohemiens bis zum sozialen Urknall aufeinander hetzt." Von der zwischendurch eingelegten Feuerpause im Gag-Beschuss erhole sich die Inszenierung allerdings nicht mehr. "Schade am Schluss. Dennoch überbordender Beifall für alle Beteiligten, aber auch eine sanfte Erleichterung im Publikum, dass es nun mal gut war mit der Schmiere. Auch wenn's noch so schön gekracht hat."

In einer Doppelbesprechung mit Hiob zeigt sich Ulrich Weinzierl für die Welt (22.11.2011) von diesem "Raub der Sabinerinnen" deutlich genervt: "Nichts gegen Blödelei, Groteskkomik und Aberwitz auf der Bühne, im Gegenteil! Es sollte nur bitte perfekt sein, leicht und spielerisch und präzise über die Rampe kommen." Lediglich der "fabelhafte Jörg Pohl" sei hier "ein Slapstick-Virtuose von Format". Der ganze Abend wirke schnell "ungemein langweilig und schal", auch weil es der "Possenkunst" von Fritsch und seinem Dramaturgen Carl Hegemann an Zeitökonomie mangele.

Eva Biringer hält in der Zeit (24.11.2011) diesen Abend, der "einem koketten Spiel mit dem unbedingten Willen zur Peinlichkeit" fröne und "bewusst jeglicher Frage nach Sinn" ausweiche, zwar für "verkalauert". Doch empfindet die Kritikerin dies als Qualität: Fritsch beherrsche "spürbar die Inszenierung. Jeder Gesichtsmuskel im Spiel des Ensembles zuckt mit manischer Genauigkeit, jeder halsbrecherische Salto ist perfekt choreografiert." Das Stück von Franz und Paul von Schönthan ermögliche dem Regisseur sein "theaterkritisches Potenzial" auszuspielen. "Erstaunlich ist, dass die Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Attitüde in den meistens Fällen funktioniert, eben weil sie so unprätentiös mit elitären Ambitionen und der elaborierten Hochkultur spielt." So laufe Fritsch mit diesem Abend "zur Höchstform auf".

Kommentare  
Raub der Sabinerinnen, HH: Geistesverkleisterung
Rein sachlich-fachlich betrachtet ist auch das Beste was man über das Stück schreiben kann Schweigen.
Hier ist in allererste Linie das Stück gemeint, das nie das Licht des Thalia Spielplans erblicken dürfte. Welcher Wahnsinnige das rein gesetzt hat bleibt offen.
Um dem schlechten Geschmack eins draufzusetzen, wurden die Gesichter zu einer Maskerade verkleistert, so daß die Mimik nicht spielbar war.
Eigentlich sollte man der Regie Hammer und Meißel schenken als "Saure Gurke" für grobschlächtiges, nicht tiefleuchtendes, vulgo oberflächliches Inszenieren von geistigem Nichts.

Wenn die Hamburger solcherart Geistesverkleisterung sehen wollen, dann sollen Sie doch bitte ins Hansa Theater gehen, aber das Thalia Theater war mal eines der Besten im deutschsprachigen Raum, nun driftet es gen Mittelmaß ab. Wenn ich den Vergleich ziehe zu dem "Prozeß" in Köln, oder in die Kafka Inszenierung der Kammerspielen in Muc, oder den Stücken die ich an der Schaubühne sah, so kann die Leitungsebene am Thalia mal über neue Konzepte und orginäres Schauspieltheater nachdenken.
Raub der Sabinerinnen, HH: Diskurstheater gibt's genug
Ein riesenspass!
Anstrengend aber toll.
Mehr davon - gerade in den großen Immobilien. Diskurstheater
gibt's doch schon genug.
Ich hab viel gelacht.
Dank an Fritsch und Zwach.
Raub der Sabinerinnen, HH: kein Mut für Neues
das Hamburger Publikum verblödet

Schenkelklopftheater im Thalia? nein danke. erwachsene Menschen die über jeden noch so dämlichen Kalauer lachen. da bleibt man als theaterbegeisterter Zuschauer nur ratlos zurück. nach seiner großartigen "Spanischen Fliege" an der Volksbühne gelingt es Fritsch bei weitem nicht sein Niveau zu halten. er versackt in der
immer wieder gleichen Ästhetik und findet nicht den Mut für Neues.
Und... bei allem Respekt vor dem Ensemble des Thalia Theaters. An eine Sophie Rois oder Wolfram Koch kommen diese leider in keiner Szene ran (Karin Neuhäuser mal ausgenommen)
"Hegel-Hamburg" hat Recht. das Thalia rutsch ab ins Mittelmass.Das Publikum bleibt aus. Große Lücken in den Rängen bei einer längst nicht ausverkauften Premiere.
Raub der Sabinerinnen, HH: Halle-Klon?
schon seltsam. war diese inszenierung wirklich in hh? scheint mir doch eher die geklonte aufführung aus halle zu sein, die ich dort vor ein paar jahren gesehen habe. weiblicher striese, kakadu, sofa. irgendwie ein ziemliches dejavu. aber so ist das eben bei den schnellstproduzierern. andererseits ists auch konsequent. fritsch ist fritsch ist fritsch und muss nicht immer frisch sein
Raub der Sabinerinnen, HH: das Sofa ist auch nicht neu
Und das Sofa ist ja auch nicht neu, das gäb es schon in Leipzig bei seiner Inszenierung von "Oscar", nur halt in gelb ...
Raub der Sabinerinnen, HH: in Halle erfolglos
Haben sie wenigstens dem neuen theater in Halle die Requisiten/ das Bühnenbild/die Kostüme abgekauft oder wurden das alles noch mal hergestellt? in Halle lief es leider sehr erfolglos 5 oder 6 Mal; anders als Fritschs "Haus in Montevideo", wo er auch die Hauptrolle spielte! Das würde ich gern wieder sehen, ob in Berlin, Hamburg oder Halle.
Raub der Sabinerinnen: nix rutscht ins Mittelmaß
Liebster Hegel,
jetzt tun Sie mal nicht so, als ob das Thalia nur Schwänke im Programm hätte. Es ist der einzige - also lassen Sie mal Ihre philosophische Kirche in Ihrem Anspruchsdorf. Da rutscht nix ins Mittelmaß.
Und verehrteste Hegeliane,
Das Publikum bleibt aus? Das stimmt einfach ganz und gar nicht. Nehmen Sie nicht zur Untermauerung Ihrer schwächlichen Meinung das Publikum in Beschlag, das bis hoch oben saß in einem gefüllten Theater. Rufen Sie doch mal beim Theater an und fragen Sie, wieviele da waren. Schätze so an die achthundert.
Kantianer
Raub der Sabinerinnen, HH: Marktgesetze?
Fritsch ist halt nicht blöd. Auf einmal wollen ihn alle haben. Koste es, was es wolle. Und jetzt wo der Rubel rollt, alles mitnehmen. Auch dank nachtkritik-Hype. Nimm die Kohle und Kauf dir dein Haus in Montevideo. Kleine Spende (auch an die Schauspieler, die es vorher schon mal mit erarbeitet hatten, wäre sicher nett...).
Raub der Sabinerinnen: wo will Fritsch hin?
Die Hallenser Inszenierung kenne ich nicht, schade. Ganz grundsätzlich ist mir aber nicht ganz klar, wo Fritsch mit dieser handwerklich untadeligen (da widerspreche ich Ihnen, Sandra Kerschowsky) Arbeit eigentlich hin will. Und irgendwie denke ich auch, dass es Leute gibt, die mit einer ganz ähnlichen Ästhetik schonmal weiter waren. (Falls ich mein Blog verlinken darf, in dem ich das Ganze etwas weiter ausführe, würde ich das hier tun: http://bandschublade.wordpress.com/2011/11/19/funf-minuten/)
Raub der Sabinerinen, HH: Vermutung über Marketing
ist doch praktisch wenn man im markendenken weitergeht und seinen fritsch in der auslage präsentiert. seinen kriegenburg braucht man sicher auch in den a-häusern, so wie man ein bißchen früher seinen thalheimer im angebot anbot... und so weiter und so blöd. wieso werden eigentlich kaum regisseure entwickelt im zusammenspiel mit starken künstlerischen persönlichkeiten auf der bühne sondern ausschließlich labels gekauft? wieso nur? es hat sich doch jetzt mal totgelaufen. aber fritsch mit zwei inszenierungen zum tt einzuladen, naja, das spricht dann auch schon bände - die beiden inszenierung waren bemerkenswert??? beide gleichermaßen??? gähnomat!
Raub der Sabinerinnen, HH: ornithologischer Hinweis
der vogel auf der bühne war ein WELLENSITTICH. ein kakadu hat einen kamm und einen schwarzen schnabel, und vor allem keine WELLEN am halsrücken...

nur mal so.
Raub der Sabinerinnen, HH: Schauspieler-Befreiung
"Goggoadüh" und "Popbaggai" kommen auf Sächsisch gewiß besser, vielleicht ein Grund, das Ganze nicht nur vom Vogelfreunde-Standpunkt zu betrachten !

Der Hinweis von Herrn Schreiber erscheint mir da schon bedenkenswerter, da ich aber die Fritsch-Abende immer irgendwie verpaßte und auch diesen in HH nun noch (!) nicht sah, will ich dazu nur soviel sagen: Herbert Fritsch ist schon etwas gelungen,
offenbar ?!, was man "Schauspieler-Befreiung" oder "Schauspieler-Theater-Befragung" nennen könnte; Schwerin und Oberhausen, aber nichtsdestoweniger Halle !, stehen darüberhinaus seit einiger Zeit für zweierlei: durchaus spielfreudige und spielstarke Ensembles und immense Sorgen um die Zukunft der jeweiligen Häuser. Fritsch hat da zunächst auch ersteinmal Zeichen gesetzt, und seine zweimalige Nominierung, für die kein nachtkritik de.-Hype sich verantwortlich wird zeichnen müssen (gibt es den denn überhaupt ??), zum Theatertreffen war gewiß auch ein wenig "Theaterpolitik". Dennoch sollte man, glaube ich, die stilistische Qualität des Fritsch-Theaters nicht vollkommen aus dem Spiel lassen, denn nicht umsonst provoziert es mittlerweile, fernab des direkten Eingriffes von Herbert Fritsch, allerlei Ensembles, zB. dasjenige des SH-Landestheaters ("Die Ratten") zur Auseinandersetzung mit Postdramatik und Postpostdramatik, kulminierend etwa in der Frage: "Ist Stilisierung nicht der hiesigen Menschen geradezu Natürlichstes, und hat "uns" ein quasi naturwissenschaftlicher Blick auf unsere Lebenswelt, haben uns unsere "News" tagtäglich auch der/einer "Natur des Menschen" nähergebracht ??". In der Stadthalle Neumünster war plötzlich ein wenig "Volksbühne am Kleinflecken" zu verspüren, und der Abend wurde vergleichsweise heftig diskutiert hiernach, nicht das übelste Ergebnis. Der postdramatischen Nebenordnung der Bühnenelemente entspricht möglicherweise auch ein wenig die Karriere eines Sofas, besser, finde ich, als jeden Tag (höchst unrealistisch !) nach fundamentalen Theaterneuschöpfungen zu rufen; einige werden "Fritsch" erst in 5 Jahren sehen, und man sollte Theaterentwicklungen auch mit Zeit ausstatten, finde ich nocheinmal..
Raub der Sabinerinnen, HH: Schauspielerdressur
Von Schauspielerbefreiung in dem RAUB- Zusammenhang zu reden scheint mir ein fundamentales Missverständnis zu sein,ich würde eher von Schauspielerdressur sprechen,was ja erwiesenermassen mit "Befreiung nichts zu tun hat.Keuchende Schauspieler auf der Bühne,drohende Verletzungsgefahr (ist ja auch passiert,daß sich jemand verletzt hat).Herr Zarthäuser sollte sich schleunigst,bevor noch mehr Leute ins Krankenhaus müssen,ein eigenes Bild von dem Abend machen.
Raub der Sabinerinnen, HH: unmündig Dressierte?
@ 13

Glauben Sie ernsthaft, daß da unmündige SchauspielerInnen agieren, die in so einen Fritsch-Abend hineingezwungen werden ? Gut, Sie mögen da näher informiert sein. Klingt komisch, was Sie schreiben, natürlich nicht das mit der Verletzung (leider kommen Verletzungen in diesem Beruf immer wieder vor; der Lübecker "Zauberberg" mußte seinerzeit wegen eines Absturzes abgebrochen werden, keine Fritsch-Sache im übrigen), so als würde jetzt solange gespielt werden, bis ich das dann (schluß-endlich) gesehen haben werde. Ganz so wird es sich (hoffentlich !) nicht verhalten; aber ich werde mich sputen, meine eigenen Eindrücke von dem Abend "nachzureichen". Das ändert aber kaum etwas daran, daß sich anderswo die Orientierung an Fritsch durchaus als Befreiung darstellt (wie meineserachtens im Neumünster-Falle, wenngleich der Abend möglicherweise gerade dort schwächelt, wo es die "Dressur" Fritschens schafft, eine gewisse Wucht zu entfalten; dieses "Schwächeln" hatte möglicherweise auch daher seinen speziellen "postpostdramatischen" Charme). Ich kann freilich nicht ausschließen, daß auch mir der Abend in HH einigermaßen entbehrlich erscheinen könnte, und dann würde ich gewiß auch folgern, daß es sich hier kaum lohnen dürfte, sich spielerisch so zu gefährden (wie Sie es andeuten), bleibt dennoch die Frage nach der Freiwilligkeit seitens der Akteure bzw. nach meiner bzw. Ihrer Möglichkeit, hier mit den Füßen abzustimmen, denn, wenn ich den Eindruck habe, daß dort eher Harakiri als Theaterspiel statt hat, wo ich als Zuschauer zugegen bin, dann sehe ich es schon als eine direkte Frage an mich, ob ich das -zusehend- noch länger mittragen kann.
Raub der Sabinerinnen, HH: mit der Regiepeitsche geknallt
@14
Ich kann Ihnen leider eine gewisse Naivität nicht absprechen.Die SchauspielerInnen sind meiner Meinung natürlich nicht unmündig,aber - das ist ja kein Geheimnis - in gewisser Weise doch Abhängige,das bringt doch schon das Oben und Unten mit sich. Der unten sitzt,hat immer schon und immer noch die stärkste Position und kann durchaus Menschen,wenn sie ihm vertrauen,"hin - und herschieben". In diesem Fall schien mir zumindest die Regiepeitsche allzu laut geknallt zu haben und nur das alte ,kluge Zirkuspferd Karin N. hat das atemlose Rennen verweigert und an einer Stelle gebremst und eine Szene ermöglicht,die in den meisten Kritiken als die beste des Abends beschrieben wird.Und auch der Zuschauer konnte wenigstens da durchatmen und zuhören.
Raub der Sabinerinnen, HH: Halbwertzeit der Inszenierungen
@ 15

Gut, das mag naiv sein, ich sagte ja bereits, daß Sie da möglicherweise näher dransitzen, sogar näher an den ältesten oder zweitältesten "offenen Geheimnissen", aber eigentlich muß ich wohl notgedrungen bei der mir eigenen Naivität bleiben, die mir sagen will, daß selbst, wenn der Regisseur da eine so starke Position besitzt (ich hörte tatsächlich auch schon davon in ganz ähnlichen Kontexten), ob er seine Machtfülle dann auch folgerichtig schon mißbrauchen muß ! Das bezweifle ich auch angesichts anderer Regisseurinnen und Regisseure schon. Währenddessen mir selbst schon Stimmen von Schauspielern und Schauspielerinnen zu Ohren gedrungen sind, die geradezu nach einer klaren und geradlinigen Regiehand verlangten ! Freilich, Sie erwähnten das Gros der KritikerInnenstimmen, ist mir nicht entgangen, daß der HH-Abend zumeist verrissen wurde, währenddessen das von dem Abend in Halle, war der wirklich so "zwillingshaft" ??, so eigentlich nicht behauptet werden kann. Letztlich hilft da ja immer nur der eigene Besuch einer Inszenierung, und auch drei Besuche an unterschiedlichen Tagen können da zu sehr unterschiedlichen Befunden kommen, zumal es vorkommt, daß Akteure sich verletzen oder erkranken beispielsweise und eine "Ersatzbesetzung" ran muß.
Nun, zB. heute ist das der Fall, da Jörg Pohl nicht auftreten kann, tritt an seiner statt der Regisseur Fritsch selber "oben" an und setzt sich so zumindestens seiner Knute selbst aus, wenn Sie so wollen. Wenn ein Theatermann in einem Interview sagt, er inszeniere eh immer dasselbe Stück, ein Filmregisseur wie Emir Kusturica behauptet dergleichen ja auch von seinen Filmen, so gehört eine Debatte über "Halbwertszeiten" von Inszenierungen ja fast schon zum Programm ! Wenn ein Jahrtausendwende-Schiller aus HH am DT ("Maria Stuart") es in Berlin schafft, sein Publikum zu finden, wieso dann ein Geschrei bei einem RAUB, den es im Jahr 2009 in Halle ähnlich gegeben haben mag ?? Vielleicht müssen die Thalia-Akteure ja auch garnicht zum Spiel ermutigt oder (wie Fritsch in ebenjenem Interview sagte) verführt (!) werden wie etwa Spielerinnen und Spieler aus Halle, Oberhausen oder Schwerin, und die unterschiedliche Wirkung hat auch damit zu schaffen. Verzeihen Sie mir ein wenig jene Naivität, ich melde mich nach der Vorstellung am 29.11. zu diesem Thema zurück: versprochen..
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