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Wenn ich ein DJ wär' und auch zwei Flügel hätt'...

von Ute Grundmann

Altenburg, 19. November 2011. Ickarus ist unheimlich cool. Im weißen Nadelstreifenanzug läuft er hin und her, erzählt von seinem Leben und seinen Songs, von echt krassen Momenten, die er nicht festhalten kann, von dem einen Ton, der von ihm übrigbleiben soll: Dem Ton der Nadel, die in einem Riss in der Platte hängenbleibt. So hektisch und überdreht beginnt eine Uraufführung, mit der man in Altenburg einen Film auf die Bühne holen will: Berlin Calling von Hannes Stöhr.

Im Heizhaus, der kleinen Spielstätte neben dem Landestheater, ist ein karge Bühne aufgebaut (Jeremias Böttcher): Im dunklen Raum steht nur ein Kasten aus Metallstangen, der sich mit weißen Tüchern wahlweise zum Tonstudio oder in eine Psychiatrie-Zelle verwandeln lässt. Denn nur an diesen beiden Orten spielt sich das (Bühnen-)Leben von Ickarus (David Lukowczyk) ab, einem DJ und Musikproduzenten, sowie seinen Satelliten Mathilde (Vanessa Rose), Ickas Freundin/Managerin, und einem Typen namens Klaus (Henning Bäcker), der im Supermarkt das Leergut annimmt und ansonsten jeden, der will, mit Pillen versorgt.

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Wie cool sind wir eigentlich?  © Stephan Walzl

Künstliche Tränen hinter echten Billen

Sie kreisen umeinander: Icka, dessen neues Album nicht vorankommen will, Mathilde (ebenfalls cool mit Sonnenbrille, Pelzjacke und roten Stiefeln), die seine Tracks mal lobt, mal beschimpft. Eigentlich ist auch sie eine Künstlerin, ist, wie Icka, auch in der Krise, aber das ist angesichts von Euro-, Ehec- und Weihnachtskrise, ja eh die ganze Welt. Wenn Mathilde dann für einen Moment von tough-aggressiv auf leise-mädchenhaft runterschaltet und einfach nur, zu Klavierbegleitung, ihren Song singt, kommt für einen Moment Ruhe in diese hektische Inszenierung von Pedro Martins Beja. Und wenn ihr dann noch, im Kegel eines Handscheinwerfers, künstliche Tränen aufgesprüht werden, deutet sich an, wovon die Aufführung auch hätte erzählen können: von wirklichem und falschem Leben, von dem, was stimmt und dem, was nur Fake ist.

Doch dazu hat die Inszenierung gar keine Ruhe, und schon überhaupt nicht mehr, wenn Icka in der Psychiatrie landet. Denn eine von Klaus' Pillen war falsch und Icka flippt aus. Und hier, in der "Klapse", lässt Martins Beja das Stück als ewige Party weitergehen. Die Ärztin (Mechthild Scrobanita) zieht eine Show ab ("Psychiatrie muss Spaß machen"), mit einer Handkamera werden wacklige Bilder auf die weißen Tücher projiziert: Bilder wohl des Drogenrausches aus der Sicht des liegenden Icka. Zerbrochene Puppenköpfe erscheinen da, das verzerrte Gesicht des Zivis, der vor Bewunderung stammelt, aber trotzdem eine Urinprobe haben will.

Abschiedsparty in der Psychiatrie

Teilweise überlagern sich die Bilder, man sieht die Filmsequenzen, aber auch, wie sie vor der Kamera gespielt, also hergestellt werden. Ansonsten wird im Ton von "Gut, dass wir drüber geredet haben" viel geredet. Mathilde findet Ickas Tracks plötzlich gut, trotzdem muss sie ihm sagen, dass sein Album, "Berlin Calling" betitelt, erstmal gestoppt ist. Als Icka dann in der "Klapse" eine Abschiedsparty gibt, sieht die – mit radebrechender bulgarischer Nutte und Patienten auf Hüpfbällen – wie ein Kindergeburtstag auf Koks aus.

Hängen bleibt von all dem wenig. Nur wenn Icka in Plastikfolien wie in eine Zwangsjacke gewickelt wird oder er sich mit solchen Folien im Zellenkasten einen Irrgarten anlegt, in dem er selbst strandet, dann gibt das mal ein starkes Bild. Ansonsten sind die 80 Minuten vor allem eine laute, lärmende Fete, mit Figuren, die über Klischees kaum hinauskommen. Am Ende ist nur eines sicher: Die Party ist aus und Ickarus hat sich wieder mal die Flügel verbrannt.

 

Berlin Calling (UA)
nach dem Film von Hannes Stöhr, für die Bühne eingerichtet von Gunnar Dreßler
Regie: Pedro Martins Beja, Bühne und Kostüm: Jeremias Böttcher, Musik: Katharina Kellermann, Dramaturgie: Lennart Naujoks.
Mit: David Lukowczyk, Vanessa Rose, Mechthild Scrobanita, Henning Bäcker, Peter Schneider.

www.tpthueringen.de

 

Mehr lesen? Der Regisseur Pedro Martins Beja, 1978 geboren, ist Absolvent der Berliner Ernst-Busch-Schule. Im Frühjahr 2010 kam an der Schaubühne Berlin seine Inszenierung von Elfriede Jelineks Die Kontrakte des Kaufmanns heraus. Im November 2010 sorgte in Altenburg seine Romeo-und-Julia-Inszenierung für Furore.


Kritikenrundschau

"Pedro Martins Bejas Stück wird zur Generalabrechnung mit dem Künstlerdasein", schrieb Martin Gerlach für das Gemeinschaftsportal von Thüringer Allgemeine und Ostthüringer Zeitung TLZ.de (22.11.2011). Der Regisseur beschreibe weniger die Berliner Techno-Szene; er "konzentriert sich aufs Individuum und verallgemeinert. Er fragt, was echt ist und was nicht." Dabei würden auch die "Grenzen zwischen Schauspieler und Schaugespieltem verschwimmen". Insbesondere beim anstrengenden Beginn mit herumbrüllenden Schauspielern werde es "nicht wenige im Publikum geben, die das zu derb finden". Der ganze Abend sei "eine Generalabrechnung, die auf Zeigefinger jeglicher Art verzichtet".

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