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Die Liebe im Reiche der iPhones

von Dorothea Marcus

Bonn, 2. Dezember 2011. Gleich drei Theaterfassungen von Fitzgeralds Roman "The Great Gatsby" kommen in dieser Theatersaison auf deutsche Bühnen. Während Christopher Rüping in Frankfurt alle Protagonisten von vier Männern spielen ließ und den Roman allegorisch verdichtet und die Version am Deutschen Schauspielhaus Hamburg noch aussteht, kommt in der Bonner Halle Beuel in der Inszenierung von Matthias Fontheim ein schlichtes, kurzes Kammerspiel, ja geradezu ein well-made Play auf die Bühne.

In ihrer Mitte ragt ein dunkler Spiegel, davor Bänke wie in einer Umkleidekabine. Und umziehen werden sich auch gleich die Schauspieler in Alltagskleidung, die wie aus dem Boden gestampft minutenlang die Zuschauer anstarren. Sie gehen dafür in die ausgebaute erste Reihe, schminken, schmücken und knöpfen sich, bis ein Zuschauer "hätt' ich auch später kommen können" ruft – und dann entsteht die Geschichte des Großen Gatsby wie aus dem Nichts, ohne Requisiten, ohne Raumveränderungen, nur aus sich kreuzenden Schauspieler-Gängen.

Keine Schwelgerei

Lothar Kittstein hat aus dem 200-Seiten-Roman von 1925 eine schlanke Fassung gemacht, in der einzelne Szenen teilweise nur aus Bruchstücken und wenigen Sätzen bestehen und elegant ineinander übergehen. Von der rauschenden Party zu Wilsons Garage unvermittelt zum Gatsby-Gutshaus: Die Orts- und Zeitwechsel erzählen sich nur durch Sprache und wechselnde Sprech-Konstellationen. Teilweise ähneln die ausgewählten Szenen stark dem Film von Jack Clayton (1974) mit Robert Redford in der Titelrolle und Mia Farrow als nervende Daisy.

Doch wo der Film und Fitzgerald in opulenten Beschreibungen schwelgten, reichen in Bonn trockene direkte Rede und elliptisch verkürzte Szenen, um die tragische Geschichte anzudeuten, wie sich ein Mann selbst erfindet, aus Liebe zu einem reichen Mädchen märchenhaften Reichtum anhäuft – und schließlich jämmerlich erschossen wird, weil er für einen anderen gehalten wird. Dass sich auf Gatsbys Parties die Massen tummeln, sieht man bei Fontheim nicht – und auch nicht, dass auf Gatsbys Beerdigung schließlich nur zwei Menschen auftauchen, der Vater und der Erzähler Nick Carraway. Das ist bisweilen etwas zu schlicht und nimmt dem Roman seine schillernden Facetten.

Self-made-Softwarekopierer

Allerdings scheint sich Autor Lothar Kittstein einen Spaß daraus gemacht zu haben, den Roman, der von der korrumpierenden Kraft des Kapitalismus erzählt, auf heutige Verhältnisse zu adaptieren: Ständig werden die Figuren von ihren Melodien schnarrenden iPhones aus Gesprächen geholt. Der glänzende Selfmademan Gatsby ist durch illegale Softwarekopien reich geworden, sein Geschäftspartner Meyer Wolfsheim (Günter Alt) durch manipulierte Sportwetten.

Gatsby wird von Hendrik Richter in seinem überkandidelt pinken Anzug sehr schön vielschichtig gespielt: ein hart trainierter Mann der Gesellschaft, ein hoffnungsloser Romantiker, ein naives Kind, das seiner Angebeteten die materiellen Errungenschaften seines Aufstiegs zu Füßen legt. Richter schrammt nahe an einer Karikatur vorbei, ist fast clownesk in seinem eifrigen Glauben an Geld – und eine umso tragischere Gestalt. Erschossen wird er wie nebenbei: Gatsby geht einfach hinter die Spiegelwand und zieht den Anzug aus. Die Handlungsfäden werden als bekannt vorausgesetzt. So wirkt vieles an diesem Abend skelettiert.

Sympathisch ist hier niemand

Das einzige, woran man sich halten kann, sind die Schauspieler: Myrtle, die Geliebte, ist bei Birte Schrein resolut und sexy. Als sie beim Autounfall ums Leben kommt, verendet sie mit blutigem Mund an der Spiegelscheibe. Daisy wird von Nina Tomczak mit leicht osteuropäisch-erotisch verschlepptem Akzent nervig und feige gespielt – wie konnte sich Gatsby jemals in sie verlieben? Und ihre Freundin Jordan Baker, eigentlich eine sympathische Figur, erscheint bei Maria Munkert als gehässige, leicht verhärmte Männersucherin. Verständlich, dass sich Nick Carraway, ihr Objekt der Begierde, da eher raushält. Birger Frehse spielt den Erzähler und Schlüsselloch-Beobachter der Reichen wie einen aufstrebenden Investmentbanker, brav, strebsam und stets muttersöhnchenhaft distanziert, aber leider auch sehr blass – während der schmierige Ehemann Daisys, Tom Buchanan, von Falilou Seck, in seiner unterschwelligen Brutalität und Begrenztheit nuanciert eingefangen wird.

Sympathisch ist hier niemand, aber das ist natürlich beabsichtigt. Doch noch nicht einmal die große Konfrontation von Gatsby, Tom und Daisy, als es um Liebesverleugnung und Lebenslügen geht, hinterlässt großen Eindruck, sondern wird eher pflichtschuldig heruntergespielt. Am Schluss kommen alle Schauspieler, auch die Toten, mit einem Stapel Papierblätter auf die Bühne, die von einer Windmaschine durcheinandergewirbelt werden, als wäre es der Roman.

Keine Frage, der Stoff aus Liebe, Leidenschaft, Geldsucht übt auch heute noch ihren Sog aus und wirft so viele Fragen auf: Kann es wahre Liebe im falschen System geben? Muss man seine Lebensvisionen um jeden Preis durchpeitschen? Doch diese Theateradaption hat keine neue Sichtweise auf den so vieldeutigen Roman geworfen, sondern lediglich sein Grundgerüst schleppend nacherzählt. Bleibt leider zu fragen: Warum nur?

 

Der große Gatsby
nach F. Scott Fitzgerald, übersetzt und dramatisiert von Lothar Kittstein
Regie: Matthias Fontheim, Bühne und Kostüme: Marc Thurow, Dramaturgie: Stephanie Gräve / Ingo Piess.
Mit: Hendrik Richter, Birger Frehse, Falilou Seck, Nina Tomczak, Birte Schrein, Oliver Chomik, Günter Alt.

www.theater-bonn.de



In Frankfurt am Main ging Christopher Rüping ganz anders an die "Gatsby"-Sache heran. Sie wollen wissen wie? Lesen Sie hier.

 

Kritikenrundschau

"Leere und Schweigen" zögen sich als roter Faden durch die Inszenierung, in der "viel gestanden, geschwiegen und gestarrt" werde, schreibt Gunhild Lohmann im Bonner Generalanzeiger (5.12.2011). "So sieht das große Nichts aus, in dem auch das Premierenpublikum gestrandet ist und von Fontheim den Spiegel vorgehalten bekommt. Werte werden nur noch in Dollars gemessen, echte Beziehungen gibt es nicht mehr." Von Fitzgeralds "eleganter Prosa" bleibe wenig übrig. "Die Mobiltelefone sind das einzige Requisit, an dem sich die Darsteller festhalten können, und wenn doch einmal echte Emotionen ins Spiel kommen und das jeder merken soll, schlüpfen sie aus ihren Designer-Schuhen." Trotzdem gelinge es dem Ensemble, "die Charakter-Dekadenz mit ihren verschiedenen Vorzeichen und Varianten darzustellen". Alle zusammen schafften es, "dass ein wenig von der Atmosphäre der mondänen Jazz-Parties, chromblitzenden Limousinen und weißen Flanellhosen hineinweht", auch wenn dieser "Gatsby" letztlich "mehr Lesung als Theater" bleibe.

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