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Freuds Kaleidoskop

von Susanne Zaun

Frankfurt am Main, 16. Dezember 2011. "Ich hörte mich, wie man sich im Traume hört." Das sagt Fridolin mehr zu sich selbst als zu jemand anderem, zu einem Zeitpunkt, als er schon längst nicht mehr weiß, wie er in all das Treiben um ihn herum hinein geraten ist. Arthur Schnitzlers "Traumnovelle" erzählt im Kern eine atemlose Nacht und ihre Folgen. Sie spielt mit dem Motiv des Traumes, ganz im Freud'schen Sinne als Spiegel des Unbewussten.

Nachdem sich Fridolin und Albertine ihre bereits Jahre zurückliegenden Versuchungen und auch nur beinahe begangenen Seitensprünge gestanden haben, wird Fridolin am späten Abend ans Sterbebett eines Patienten gerufen. Noch unter dem Eindruck der für ihn überraschenden Enthüllung Albertines – bis zu diesem Zeitpunkt fühlte er sich ihrer vollkommen sicher – gerät Fridolin in einen Strudel der Ereignisse: Überall lauern in dieser Nacht Verführung und Gefahr. Höhepunkt ist ein geheimbündlerisches Maskenfest, zu dem er sich den Zugang erschlichen hat, was auch prompt enttarnt und geächtet wird.

Verloren im Spiegelkabinett

Regisseur Bastian Kraft und Bühnenbildner Ben Baur haben in der Inszenierung am Frankfurter Schauspielhaus das Spiegelmotiv des Traumes geschickt – und zudem noch sehr schick – auf die Architektur der Bühne übertragen: Auf einer runden Drehscheibe befindet sich ein bewegliches Spiegelkabinett, in dem sich die Antlitze der Darsteller und bisweilen auch der Zuschauer vervielfachen. In diesem verführerischen Labyrinth der Oberflächen irren zweimal zwei Abbilder Fridolins und Albertines ihren geheimen Sehnsüchten hinterher. Torben Kessler und Franziska Junge, Marc Oliver Schulze und Valery Tscheplanowa bewegen sich in traumwandlerischer Selbstsicherheit durch die Inszenierung. Sie springen immer wieder von direkter zu indirekter Rede, wechseln Rollen und Identitäten buchstäblich im Vorbeigehen, mit einer fast nebensächlichen Lässigkeit.

© Birgit Hupfeld
Vor und hinter den Spiegeln: Valery Tscheplanowa, Marc Oliver Schulze © Birgit Hupfeld

Bei Schnitzler werden die Geschehnisse aus Fridolins Perspektive geschildert, wir stecken in seinem Kopf, lesen seine Gedanken. Kraft, der eine eigene Textfassung entwickelt hat, lässt das doppelte Ehepaar gemeinsam und abwechselnd erzählen; rote Fäden ver- und entwirren sich, Masken werden permanent an- und abgelegt. Text-, Licht- und Tondramaturgie greifen dabei versiert ineinander. Vor allem der erste Teil des Abends ist so dicht gebaut, dass er auf diese Weise eine regelrechte Sogwirkung entwickelt.

Die Orgie im Spiegel der Blicke

Kernstück der Inszenierung wie auch von Schnitzlers Text ist der mysteriöse Maskenball. Die Novelle lässt dezent erahnen, dass es sich hierbei um eine Sexorgie handelt. Stanley Kubrick hat in "Eyes Wide Shut", seiner Adaption des Stoffes, eindeutige und opulente Bilder dafür gefunden, die sich ins Gedächtnis einer ganzen Kinogeneration eingebrannt haben und fast schon automatisch bei Erwähnung der "Traumnovelle" abgerufen werden.

Kraft, der klugerweise gänzlich auf Kubrick-Zitate verzichtet (lediglich auf der von Björn Deigner geschickt gebauten Tonebene wird man an manchen Stellen sachte an den Film-Soundtrack erinnert), hält das erotische Treiben noch stärker im Vagen als der Text. Wenn Fridolin das mysteriöse Schloss betritt und sich der frivolen Abendgesellschaft ausliefert, sind bei Kraft die Spiegel mit Stellwänden versperrt, die nur durch kleine Lücken Details wie Kerzen und raschelnde Gewänder erahnen lassen. Auf der Leinwand ist Fridolins halbmaskiertes Gesicht zu sehen, das per Livekamera dorthin projiziert wird. Während der gesamten Ballszene ist sein Gesichtsausdruck für den Zuschauer beinahe der einzige Anhaltspunkt für das, was zwischen den Zeilen steckt, in seinem Blick spiegeln sich die Ereignisse.

Die Kratzer fehlen

Kraft treibt das Oberflächenspiel zur Perfektion, was man sowohl als Stärke wie als Schwäche der Inszenierung auslegen kann. Als Schwäche deshalb, weil auf dieser perfekten Oberfläche die Kratzer fehlen, die das, was da von den Figuren so meisterlich verdeckt wird, durchschimmern lassen. Die permanente erotische Spannung der Novelle und die Abgründigkeit der geheimen Begierden, die dort beschrieben werden, lassen sich nur erahnen.

Stark ist, wie es Kraft nicht zuletzt auch durch sein beeindruckendes Spiel in und mit dem Bühnenkaleidoskop gelingt, das Spiegelmotiv überzeugend einzusetzen: Das Wechselspiel zwischen Traum und Wirklichkeit, das Ineinanderfließen von Traum- und Wachidentität, das Freud'sche Motiv der Übertragung – all das ist klug komponiert und geht wunderbar auf.

 

Traumnovelle
von Arthur Schnitzler
in einer Fassung von Bastian Kraft
Regie: Bastian Kraft, Musik: Björn SC Deigner, Bühne und Kostüme: Ben Baur, Video: Pietro Fiore, Licht: Johannes Richter, Dramaturgie: Alexandra Althoff.
Mit: Franziska Junge, Valery Tscheplanowa, Torben Kessler, Marc Oliver Schulze.

www.schauspielfrankfurt.de


Kritikenrundschau

Judith von Sternburg von der Frankfurter Rundschau (19.12.2011) diagonistiziert an diesem Abend ein übergreifendes Problem des Schauspiels Frankfurt: Es "verlässt sich dieser Tage bisweilen stärker auf optische Lösungen, als es den Möglichkeiten der Schauspieler angemessen ist". Krafts Schnitzler-Adaption mit ihrem "Spiegelkabinett" besitze eine "coole Optik". Ein "romantisches Erschrecken" über Doppelgängereffekte, wenn die doppelt besetzten Figuren durch dieses Kabinett liefen, "bleibt jedoch aus". Kraft lasse die Geschichte "mit Eleganz passieren, die Erzähler wechseln sich ab, 80 Minuten lang gibt eine Nachtmahrszene geschmeidig die andere und fährt auf der in Minimaltempo drehenden Scheibe vorüber." Jedoch bleibe das Spiel im Ganzen "kühl und kontaktarm, aber nicht immer wie mit Kalkül, sondern manchmal nur wie einfallslos". Es dominiere der Schauwert der Spiegel; und auch das Sprechen über Mikroports sei Ausdruck einer "bloß technischen Entfremdung".

In der Rhein-Main-Zeitung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (18.12.2011) schreibt Michael Hierholzer, Kraft habe aus Schnitzlers "Traumnovelle" eine "leicht beklemmende Performance" mit dem "Text als Hauptdarsteller" gewonnen. Die Doppelbesetzungen seiner Fassung sollten wohl besagen: "Ich ist ein anderer"; und die Reduktion sämtlicher weiterer Charaktere auf vier lasse sich so ausdeuten: "Die Anderen sind Projektionen des eigenen Geistes, Kreaturen des Unbewussten, Traumgestalten." So sei die Inszenierung, als "Traum" aufgefasst, nahe bei Schnitzler und seiner Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse Freuds. "Den schwindelerregenden Sog der Erzählung" habe Krafts Inszenierung mit ihrer "somnambulen Atmosphäre" mithin "überzeugend auf die sich munter drehende Bühne übertragen".

Begeistert ist Elisabeth Schmidtke-Börnerr von der Frankfurter Neuen Presse (19.12.2011), schon von der Idee, die Protagonisten zu verdoppeln: "Regisseur Bastian Kraft (31) hat den beiden ihr zweites Ich, ihr Unterbewusstsein, zur Seite gestellt, und lässt das großartige Schauspieler-Quartett auf raffiniert gebauter Drehscheibe mit Glaswänden rotieren". Die Akteure böten "faszinierende schauspielerische Momente zwischen den Glaswänden; ein erregendes Kaleidoskop aus Blicken, Gesten, hysterischen Ausbrüchen (…)."

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