Mann oh Mann

von Christian Rakow

Bielefeld, 9. November 2007. Man möchte diesem neuen Stück von Tom Peuckert eine Stadttheaterkarriere prognostizieren. Schließlich versammelt es alles, was derzeit auf den Bühnen zwischen Wilhelmshaven und Landshut für Quote sorgt. Zunächst einmal ein griffiges und aus den Medien wohl bekanntes Thema: Der moderne Mann und sein Selbstdefinitionsproblem. Oder in der Sprache des Stückes: "Was du tust, es ist ein Scheitern. / Nie wird Mannsein dich erheitern."

Erheitern ist aber wichtig. Wenn’s schon nicht beim modernen Mann gelingt, dann doch wenigstens beim Publikum. Damit die Gaudi stimmt, wird also kräftig, handgemacht und deutsch gerockt – mit Liveband, Liedtexten von Peuckert und Kompositionen von Patrick Schimanski. Mal klingt’s nach BAP, mal ist es eine Adaption der "Dreigroschenoper". Die SATURN-Plattenabteilung grüßt ihre zufriedenen Käufer. Ein zweiter Gruß geht an Franz Wittenbrink, dem die jüngste Liederabendschwemme im deutschen Theater zu verdanken ist.

Smarte Männer, leise Frauen
Zwischen den Songs platziert Peuckert ein Tableau von larmoyanten Männern. Diese sind genau genommen eher die Ausfaltungen einer einzigen, neuen Männer-/Vaterrolle. Diese Rolle, so entnehmen wir, ist zunächst definiert über den Verlust: von Versorgermentalität, von Männlichkeitspathos, von Familienhoheit. Die Schauspieler (entsprechend uniform in smarte, beige Strickmode gekleidet) verkörpern dann die verschiedenen Seiten dieser neuen persona: die Sensibilität, gepaart mit Versagensangst (mit sympathischer Zeitarbeitsaura: Thomas Wehling), den Wunsch nach aggressivem Aufbegehren (Thomas Wolff als neurotischer Fleischesser), das verzweifelte Projekteschmieden (Oliver Baierl als softer Kaffeeentwickler) oder eine sentimentale Hinwendung zur eigenen Jugend (Anton, alias Sebastian Reck, weiß seit einer Zeitreise: "Die Frauen vor 20 Jahren reden alle leiser.").

Methusalem und seine Söhne
Da es um den Verlust der traditionellen Rolle geht, steht im Mittelpunkt das zähe Ringen eines servilen Sohns (Nils Zapfe) mit seinem herrischen, doch qua Darmkrebs auf die Windel gekommenen 73jährigen Übervater (Harald Gieche). En passant lässt sich an dieser Konstellation gleich noch auf das Methusalem-Komplott anspielen (die Alten blocken die Jungen aus!).

Alles gibt sich natürlich betont gefällig. Auch setzt der Text mit seinen Beobachtungen und Geschichten stark auf Wiedererkennung. "Sie kennen ja die Zahlen, sie wissen doch den Fakt", heißt es, wenn die Autorfigur auftritt. Das Theater versteht sich als Verlängerung der popularisierten Sozialstatistik.

Wo Problematisches heiter bleibt, wo Unerwartetes nicht einzubrechen droht, da darf man sorglos rasten. Das Publikum goutiert die eindreiviertel Stunden, die Regisseur und Intendant Michael Heicks mit souveränem Gespür für die Gags und geringfügiger Ausdünnung und Abfederung der Substantivwucht ("Dein Blick eine einzige Verneinung meiner Existenz") angerichtet hat.

Gags und Gage
Was aber den Autor anbelangt, bleibt gleichwohl eine Frage offen. In einem Prolog lässt er sein alter ego auftreten, der im Sound der Publikumsbe- schimpfung, mit unerbittlicher Prägnanz (Peukert at his best!) von der eigenen Vaterrolle und den Mühen seiner Prekariatsexistenz berichtet und das Theater provoziert: „Liebes Theater, 5000 als Gesamtpauschale Auftragsarbeit" etc.

Die Autoren Rolf Kemnitzer, Andreas Sauter und Katharina Schlender haben jüngst von der Realität dieser Autorennöte in einem Forderungskatalog Zeugnis abgelegt (hier). In Bielefeld bringt der Autordarsteller John Wesley Zielmann seinen Eröffnungslex, leicht hysterisch, gesucht fahrig, auf Touren – und erntet schon da die ersten Wohlstandslacher. Bedauerlich. Und doch eine Konsequenz des hier selbst angelegten Verfahrens.

Denn wenn der Autor seine – ob Auftragsarbeit oder nicht – drängenden Themen offen den Notwendigkeiten einer Gagmaschinerie opfert ("Schreiben sie heute ein Stück, über das nicht gelacht wird. Da kriegen sie nicht mal einen Fuß auf die Kammerbühne"), dann darf es nicht verwundern, wenn die Woge der Gemütlichkeit über das Anliegen hinwegschwappt. Saturn frisst seine Kinder; der Witz seinen Vater.

P.S. "Elende Väter" ist vom Theater Bielefeld als Doppel-Feature angesetzt. Am kommenden Wochenende folgt das Frauenstück: Die von Franşois Ozon erfolgreich verfilmte Kriminalkomödie "Acht Frauen" (von Robert Thomas).

 

Elende Väter
Von Tom Peuckert
Regie: Michael Heicks, Bühne und Kostüme: Annette Breuer, Musik: Patrick Schimanski, Dramaturgie: Claudia Lowin. Mit: Oliver Baierl, Harald Gieche, Sebastian Reck, Thomas Wehling, Thomas Wolff, Nils Zapfe, John Wesley Zielmann

www.theater-bielefeld.de

 

Kritikenrundschau

Das Stück, meint Stefan Keim (Frankfurter Rundschau, 14.11.2007), reflektiere "deutsche Väterrealität in einer surrealen Atmosphäre". Peukert, "einer der Intellektuellen unter den Gegenwartsautoren", verhandle den "Wandel von Männerbildern", und der der Humor entstehe dabei "aus Hysterie, hinter manchem Witz lauert die Wut". Der Text habe das "Zeug zum Publikumsrenner, ohne auf kritische Inhalte zu verzichten" und stecke wie die Inszenierung von Michael Heicks "voller literarischer Querverweise". Das Männerensemble auf der Bühne "spielt kämpferisch und kraftvoll". "Die Kombination aus fast boulevardeskem Witz und Doppelbödigkeit gelingt Peuckert und Heicks fast über den gesamten Abend."

Christiane Enkeler (Deutschlandfunk, 11.11.2007) hat ein "dankbares Stück für Schauspieler, die hier mit viel Liebe Rollenbilder spielen und überzeichnen können" gesehen. Der Vorlage entsprechend "werfen sich die Bielefelder in die Rollen und reißen das Publikum mit". "Man kann hier gut ablachen." Denn bei Tom Peuckert "können die Widersprüche und Reizbarkeiten lustig oder doch wenigstens grotesk sein, durch alle aufreibende Verzweiflung hindurch." Einiges gehe einem trotzdem nach. "Ach, übrigens auch als Frau, denn die Frauen, wie der "Autor" referiert, warten ja inzwischen auch länger, bis mal Kinder auf dem Plan stehen."

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