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Traumnovelle auf Speed

von Alexander Kohlmann

Braunschweig, 17. Dezember 2011. "Bitte achten Sie auf ihr Gepäck", schallt es zu Beginn immer wieder aus den Lautsprechern. Ein zurückgelassener Koffer an der Rampe hat die Aufmerksamkeit der Sicherheitsorgane erregt. Und mit unbeaufsichtigtem Gepäck spaßt man nicht in einer Zeit, in der gerne mal Bürgerrechte gegen die innere Sicherheit aufgerechnet werden. Das kann schnell teuer werden – weshalb Hans Adamski (Tobias Beyer), ein junger Yuppie-Unternehmer aus dem Hochglanzmilieu, sich dann beeilt, seinen Besitzanspruch durch zärtliches Streicheln deutlich zu markieren. Doch dass es in Marc Beckers neuem Stück bald nur noch am Rande um den Übergriff des allgegenwärtigen Sicherheitswahn auf unser Privatleben geht, zeigt sich spätestens, wenn wir erfahren, was sich im Inneren des Koffers verbirgt.

Wie im Film
Tobias Beyer wandert mit der Figur auf den Spuren von Tom Cruise: So wie Cruise sich in Stanley Kubricks Schnitzler-Adaption "Eyes Wide Shut" in einem vorweihnachtlichen New York in seinen erotischen Phantasien und Ängsten verliert, ist auch Adamski von einem Wahn besessen, der sehr viel mehr mit ihm als mit dem Objekt seiner Angst zu tun hat. Aus dem handlichen Reisegepäck entsteigt mit Laura von Bergen (Louisa von Spies) eine ziemlich große und ziemlich schöne, junge Frau. Adamskis neueste Eroberung, die er im Fahrstuhl zu den Sternen verführt und sofort geheiratet hat. Mit der Ehe begannen auch die Probleme, wie Adamski rückblickend schildert. Aus einem rauschhaften Start, "wie im Film", den wir mit Musik, Licht und hingebungsvoller Körperlichkeit illustriert nacherleben dürfen, folgten die Mühen der Ebene. Und das Misstrauen von Hans: Wie steht es mit der Treue meiner perfekten, schönen und wohlhabenden Ehefrau? Wie kriegt man sie zurück in den Koffer, die Gefahr der weiblichen Begierde? Wie kontrolliert man eine Frau, die einen Mann als Beschützer wirklich nicht nötig hat?

Männliche Urängste, zu denen Laura von Bergen allen Anlass gibt. Praktisch nie begegnet sich das Paar auf Augenhöhe, wenn Louisa von Spies sicher auf der geschwungenen Wand tänzelt und Adamski allenfalls ihre Kniekehlen mit der Nase erreicht. Dazu ist Laura, ein Ex-Modell, auch finanziell unabhängig. Ihre eigene Fernseh-Show läuft gut, wie sie immer wieder betont.

Komplexe Charakterstudie
Georg, von Daniel Fries als sehr charmanter, aber ebenso erfolgloser Künstler gespielt, soll das Problem lösen. Als Treuetester beauftragt Adamski seinen alten Freund, Laura zu verführen, mit ihr zu schlafen und durch die Kraft des Faktischen Hans von seinen Ängsten zu erlösen. Fast scheint es, als wünsche er sich den Erfolg des Lockenkopfs, um dieses Trugbild, diese anbetungswürdige Schönheit los zu sein, die für seine Kapriolen nicht mehr als ein spöttisches Lächeln übrig hat.

Im Gegensatz zu Kubricks düster erotisierendem Film, der in Marc Beckers Eigeninszenierung musikalisch zitiert wird, ist "Im Namen der Sicherheit" eine temporeiche Komödie. Doch obwohl sich die Geschichte mit aberwitzigen Wendungen, einem neurotischen Künstler und einer Ehefrau, die an dessen erfrischender Unorganisiertheit zunehmend Gefallen findet, mit enormer Geschwindigkeit steigert, bleiben die Figurenzeichnungen messerscharf. Becker inszeniert seinen Text als komplexe Charakterstudie, die nur knapp an der Tragödie vorbeischrammt.

Die problematische Projektionsfläche Frau
Worum es hier geht, ist der gute alte Geschlechterkampf oder, genauer gesagt, die Probleme des Mannes mit der Projektionsfläche Frau. "Die meisten Männer glauben, mächtig zu sein. Dabei sind es immer die Frauen, die die Macht innehaben", rekapituliert Ehefrau von Bergen zum Schluss das Geschehen. "Männer träumen von Frauen. Männer stehen morgens auf für Frauen. Männer arbeiten für Frauen. Männer morden für Frauen. Männer machen sich für Frauen zum Hampelmann."

Und wenn man zusieht, wie Ehemann Hans auf den Spuren von Othello ein Tuch (kein Taschentuch) als Beweis der Untreue sehen will, dann hat sie in dieser vorweihnachtlichen Komödie wohl leider Recht. Ein nicht wirklich neuer, aber wie diese Traumnovelle auf Speed genussvoll vorführt, ewiger Stoff.


Im Namen der Sicherheit (UA)
von Marc Becker
Inszenierung: Marc Becker, Bühne und Kostüme: Peter Engel, Dramaturgie: Axel Preuß
Mit: Tobias Beyer, Louisa von Spies, Daniel Fries

www.staatstheater-braunschweig.de


Kritikenrundschau

Beckers Stück mit seiner "wie aus 'Bild' und 'Bunte' kompilierten Dreiecksbeziehung" mag Stefan Arndt von der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung (19.12.2011) nur wenig abgewinnen. Es biete "allerhand vorhersehbar lustige Situationen", und auch wenn am Ende Blut fließe, "richtig böse wird es bei Becker nie. Und darum auch nicht richtig menschlich." Ein für den Kritiker verzichtbarer Epilog "zur totalen Kontrolle einer Gesellschaft" probiere vergeblich das Private ins Allgemeine zu wenden.  Allerdings sei Becker als Uraufführungsregisseur in eigener Sache ein "Komödienpraktiker mit gutem Gefühl für die richtigen Auf- und Abtritte", weshalb die Premiere kurzweilig und "ein erheblicher Publikumserfolg" gewesen sei.

An Yasmina Rezas "Gott des Gemetzels" fühlt sich Florian Arnold von der Braunschweiger Zeitung (19.12.2011) erinnert, wenn er Beckers "temporeich inszenierte Zeitgeistkomödie" auf ihre Handlung hin anschaut. Auch hier sei "die Überdrehung einer relativ alltäglichen Ausgangssituation ins Bizarre, die alle Lebenslügen umso deutlicher hervortreten lässt", zu erleben. Gegenüber der großen Vorlage seien Beckers Figuren jedoch "zu eindimensional", ja "Stereotype". Becker habe die "so zeitgeistigen wie belanglosen Plaudereien aneinander vorbei" zwar "treffend und witzig kombiniert", aber die Motivationen der Figuren blieben unklar, "das Psychologisieren will nicht überzeugen". Auch den Braunschweiger Darstellern gelinge es nicht, ihre Figuren "zu beglaubigen, obwohl sie als Komödianten klasse sind".


Kommentare  
Im Namen der Sicherheit, Braunschweig: lustige Klamotte
aha, ewiger stoff. altmodisch eher. ja, gespickt mit allerhand moderner inszenierungsinsignien. warum nur schreibt herr becker nicht so wie er inszeniert? das stück ist so altbacken, so was von frauen parken doof ein und männer können nicht geradeaus sprechen, dass man sich fragt, wohin das staatstheater damit eigentlich will? ins feucht fröhliche sylvesterprogramm? um die tollen schauspieler ist es schade und um den eigentlichen ansatz des hauses, den ich als "unterhaltsam muss nicht konventionell sein" verstanden habe, auch. jungs, mädels das war kein wurf in sachen "gender troubels", eher ein roll back in lustige klamotte mit blond. aua.
Im Namen der Sicherheit, BS: gestrig
Ich fand das Stück sowas von hintergestrig, sowohl Text als Musik und Inszenzierung. Schade um die zwei, drei guten Schauspieler. Die paar "lustigen" Stellen passten dann wiederum gar nicht rein, waren wohl nur dem Publikum geschuldet, das ohnehin pro Vorstellung spärlicher wird
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