Redaktionsblog - Lorenz Tomerius: Grundsätzliche Menschen- und Theaterliebe
Berlin, 18. Dezember 2011. Gestern vor der Premiere von Marlowes Edward II. in der Berliner Schaubühne hätte ich beinahe an die Wiederauferstehung geglaubt. Als nämlich plötzlich durch die Tür ein Mann mit englischem Jacket und rotem Schal geschlendert kam, in dem ich einen Moment lang den Anfang November verstorbenen Theaterkritiker Lorenz Tomerius zu erkennen glaubte. Komisch, dachte ich dann, dass manche Menschen einem erst zu denken zu geben beginnen, wenn sie real nicht mehr anwesend sind.
Nicht, dass ich oft seinen Blick auf das Theater geteilt hätte. Und doch konnte man ahnen, dass die Ursache für seine Abneigung gegen radikale Ästhetiken auch in der Tatsache zu suchen war, dass Tomerius in die radikale Ästhetik des Nationalsozialismus hineingeboren worden war. 1937 in Wolfenbüttel, was ja grundsätzlich kein schlechter Geburtsort für einen Kritiker ist. Irgendwie schien auch ein anderes Unglück das Leben dieses so freundlichen Menschen zu verschatten, den ich in meinem Leben stets nur in Theaterfoyers traf, wo ich seine Begrüßung nun plötzlich vermisse. Am letzten Sonntag war in der Berlin-Wilmersdorfer St. Ludwigkirche eine Heilige Messe für Lorenz Tomerius gelesen worden. Auch das bemerkenswert: wie viele bekannte Theaterleute und Schauspieler gekommen waren, diesem Kritiker die letzte Ehre zu erweisen. Darunter tränenaufgelöst so mancher, den (oder die) man eben ganz klar jenen radikalen Ästhetiken zuordnen kann, für die Lorenz Tomerius nun so gar nicht stand. Aber auch altgewordene Westberliner Prominenz aus Politik und Kultur, gegenwärtige Akteure wie André Schmitz und Peter Raue. Irgendeine grundsätzliche Menschen- und Theaterliebe hat Lorenz Tomerius wohl immer verströmt und damit auch riskiert, dass mancher ihn nicht ernst genommen hat. Schließlich soll nicht versäumt werden, auch das schöne Bild, das Pater Josef in seiner Predigt vom Theaterkritiker im Himmel malte, noch einmal festzuhalten. Der nämlich nun Lorenz Tomerius irgendwo oben als Vermittler zwischen der höchsten Instanz und dem ganzen irdischen Theater fantasierte. Und lachen Sie jetzt nicht. Diese Jahreszeit ist keine Zeit für Zyniker.
(sle)
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