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Marseillaise im Theatermuseum

von Esther Slevogt

Berlin, 3. Januar 2012. Am Ende der Pause, da fürchtet man kurz, das berühmte Revolutionsdrama könnte einen unverhofften Verlauf nehmen: Dass nämlich an diesem Abend der Kopf von Claus Peymann rollen könnte und nicht der Dantons und seiner Freunde.

Denn das Publikum hat sich noch nicht wieder wirklich auf seinen Sitzen eingefunden, da ergreift im ersten Rang plötzlich eine Handvoll Menschen lautstark das Wort und weist auf soziale Missstände am Berliner Ensemble hin: "Gesellschaftskritische Stücke spielen, und gleichzeitig Menschen ausbeuten!", das sei die Wirklichkeit an diesem Theater, hören wir also wohlorchestriert einen Sprechchor skandieren, der dazwischen immer wieder dumpf grollend in den O-Ton des Büchner'schen Volks verfällt, das dieser Dramatiker ziemlich illusionslos als eine von politischen Führern formbare und wenig Hoffnung erweckende Masse beschrieben hat. Auch die Kostümierung der Demonstranten (der Wortführer trägt Hosenträger und Schiebermütze und skandiert in eine Flüstertüte) macht natürlich keine Sekunde wirklich glauben, hier nun sei die Wirklichkeit in das Theater eingebrochen. Dass sich also die Zuschauer tatsächlich erhoben hätten, um gegen Intendant und Regisseur Claus Peymann zu demonstrieren.

Mit großem Ensemble auf großer Bühne

Und so erlischt nach einem Flugblattregen dann doch das Licht, und wir sehen im zweiten Teil des Dramas auf Karl-Ernst Herrmanns schwarz gerahmter, dreieckiger Schräge, die spitz auf eine Guillotine zuläuft, die Dinge unaufhaltsam ihrem Ende entgegen gehen: Danton und seine Freunde und nicht etwa Claus Peymann und sein Team werden einen Kopf kürzer gemacht. Peymann und die Seinen nahmen dafür am Ende freudig die Ovationen des Zuschauervolks entgegen.

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Ulrich Brandhoff alias Danton in der Hand der jakobinischen Häscher. © Monika Rittershaus

Und zwar gerade dafür, dass alles in geordneten Bahnen verlief, keine Kunstrevolution oder sonstige postdramatische Entgleisung zu verzeichnen war, sondern wirklich nichts als Theater gespielt wurde, mit großem Ensemble auf großer Bühne: mit einem blond gelockten jungen Danton (recht frisch vom Wiener Reinhardt-Seminar: Ulrich Brandhoff) als vergrübeltem Visionär und glutäugigem Fanatiker mit existenzialistischen Anflügen und bleich geschminktem Gesicht; einem entsprechend verkniffen daherkommenden Robespierre mit strengem Lagerfeld-Zöpfchen, schwarzem Outfit und eckig verklemmten Stummfilmbewegungen (Veit Schubert). Die Herren sind meist wie im Comic (oder in Robert-Wilson-Inszenierungen) ins Schrille zugespitzt, Georgios Tsivanoglou als St. Just zum Beispiel: eine Figur wie der Böse "Joker" aus einem "Batman"-Film mit wallendem Haarkranz um die Glatze und einer aasigen Gemütlichkeit, die später ins Brutal-Demagogische kippt.

Theater-Rokoko

Dagegen sind die Damen in den tragenden Rollen ganz und gar vom uralten Pathos des bürgerlichen Trauerspiels beseelt: Katharina Susewind als Danton-Gattin Julie und Antonia Bill als Lucile Desmoulins, die ihren Blick gelegentlich ins Irre kippen lässt und am Ende zirpend ein Liedchen anstimmt, selbstredend jenes vom Schnitter, der Tod heißt. Tragische Alltagsheldinnen, deren filigrane Gefühlswelt auf dem Altar der Geschichte geopfert wird. O Theaterschmerz!

Im Berliner Ensemble herrschen ansonsten schrillstes Theater-Rokoko und zugespitzte Künstlichkeit. Manchmal (etwa bei der Ausstattung der Büchner'schen Grisetten) gibt es Anklänge an die Zwanziger Jahre, als die Revolution der Nazis vor der deutschen Haustür stand. Und als Dantons Frau Julie ihren jungen Sohn zum Abschiednehmen vor der Hinrichtung in Dantons Zelle schickt, tut sie das mit so stoischer Contenance, dass sie (in einem entsprechenden Fernsehspiel) glaubhaft auch die Ehefrau eines 20.-Juli-Widerständlers gegen Hitler kurz vor dessen Hinrichtung in Plötzensee geben könnte. Das Kostüm mit den Fourties-Anklängen und das Kind in zeittypischen kurzen Hosen tun ein Übriges zu dieser Assoziation.

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Karl-Ernst Herrmanns wilsoneske Bühne im Berliner Ensemble. © Monika Rittershaus

Peymann sucht das Allgemeingültige in Büchners Revolutionsdrama, das immer wieder die Ideologie gegen die Utopie des privaten Glückes stellt – und die Notwendigkeit von Revolte und Veränderung trotzdem nicht bezweifelt. Er will den Fanatismus aller Couleur geißeln und auch die Revolution nicht beschönigen, wenn sie am Ende zum Terror führt statt zur Weltverbesserung. In Interviews hat Peymann sich auch von den Revolten im arabischen Raum zu seiner Inszenierung angeregt gezeigt.

Anklänge an Robert Wilson

Immer wieder arrangiert Claus Peymann sein Ensemble zu großen Tableaus, etwa wenn der Deputierten-Ausschuss Partei für den angeklagten Danton ergreift. Wie schwarze, finstere Vögel und gleichzeitig Kasperlefiguren erheben sich die aufgepeitschten Deputierten rechts und links hinter den enormen schwarzen Wänden, die die dreieckige (rote) Spielfläche begrenzen und wuchten schließlich Trikolore-Dart-Pfeile in den Zuschauerboden, während sie bedrohlich militaristisch die "Marseillaise" intonieren. Auch hier grüßt die grelle, reduzierte Ästhetik Robert Wilsons, die Peymann schon in früheren Inszenierungen sichtlich beeinflusst hat.

Die stärkste Reminiszenz daran ist der Auftritt von Wilsons Lulu Angela Winkler als Hure Marion, die hier noch einmal ein prächtiges Solo als gespenstisch alterslose Kindfrau hat und trotzdem eine recht klischeehafte Verkörperung von Eros und Thanatos in Personalunion bleibt. Am Ende haben die jakobinischen Demagogen gesiegt. Das Volk, das tümliche, an dessen Souveränität und geschichtsbildender Kraft Büchner bereits Zweifel hatte, bevor Karl Marx es überhaupt zur geschichtsbildenden Kraft erhob, begleitet gaffend und geifernd die Revolutionäre aufs Schafott. Peymanns Theatermittel sind alt, aber sie scheinen zu funktionieren. Soll man da jetzt den jakobinischen Kunstrichter spielen?


Dantons Tod
von Georg Büchner
Regie: Claus Peymann, Bühne: Karl-Ernst Herrmann, Kostüme: Mads Dinesen, Wicke Naujoks, Julia Schweizer, Musikalische Leitung: Martin Klingeberg.
Mit: Ulrich Brandhoff, Roman Kanonik, Felix Tittel, Norbert Stöß, Veit Schubert, Georgios Tsivanoglou, Boris Jacoby, Roman Kaminski, Martin Schneider, Ursula Höpfner-Tabori, Katharina Susewind, Antonia Bill, Anke Engelsmann, Angela Winkler, Claudia Burckhardt, Gerd Kunath, Uli Plesmann, Michael Rothmann, Stephna Schäfer, Marko Schmidt, Martin Seifert Jörg Thieme, Thomas Wittmann, Rubens Dehniger, Joel Eisenblatt, Kim Leander Quint.

www.berliner-ensemble.de


Kritikenrundschau

Neue Interpretation, Bezug zu aktuellen politischen Geschehnissen: Fehlanzeige, urteilt Andrea Gerk im Deutschlandradio Fazit (3.1.2012). Vielmehr wirke der Abend wie eine "Expressionismus-Parodie". "Während Büchners Text eine ungebrochene Faszination und Modernität besitzt, er die Grenzen der Gattung sprengte und eine ungeheuer berührende poetische Kraft besitzt, bleibt diese Inszenierung weit hinter der Modernität der Vorlage zurück." Alles bleibe künstlich, zum Teil sogar albern, ohne nachvollziehbare Vision. Als Zuschauer fühle man sich "wie in einem Theatermuseum, wo man einer furchtbar altbacken wirkenden Gattung beim Aussterben zusehen darf."

Claus Peymanns "Vom-Blatt-Inszenierung" komme ohne jedes erkennbare Motiv aus, so Michael Laages im Deutschlandfunk (4.1.2012). Die Spielweise, die Peymann dem Ensemble verordnet habe, stehe jeder Zeitgenossenschaft dezidiert im Wege. "So sehen wir eine zugleich recht schlicht und sehr angestrengt einhertappende Inszenierung eines Textes, der halt mal wieder 'dran' war." Das Ensemble bleibe durchweg schwach an Profil, selbst die großen Wortgefechte seien hier "nichts als nur laut".

Es habe schon schlimmere Peymann-Inszenierungen gegeben, "noch lautere, noch selbstgerechtere, noch pappigere, noch naivere", schreibt Ulrich Seidler in der Berliner Zeitung (4.1.2012). Büchners geschichtsdramatischem Monstrum begegne Peymann wenig überraschend mit "gestrigen und tattrigen" Theatermitteln. "Es gibt keinen einzigen glaubwürdigen Ton zu hören, der nicht irgendwie ausgedacht, angefertigt und abgespielt klingen würde." Aber, siehe oben.

Claus Peymann habe ja das Verdienst, weiterhin große Stücke in weitgehend unverhauenen, nicht schneidig oder dümmlich "dekonstruierten" Fragment-Versionen zu spielen und seinen Akteuren statt der schieren Moderation von Rollen noch deren Charaktere anzuvertrauen, schreibt Peter von Becker im Tagesspiegel (5.1.2012). Obwohl er auch mit Dantons Tod so verfahren sei, sei "ein ziemliches Trauerspiel" dabei herausgekommen. "Die Aufführung hat keinen Danton. Und es gibt hier kein Berliner Ensemble. Es gibt ein Ensemble, schlecht und recht, mit ein paar solistischen Größen. Das schon. Und es gibt viel erkennbar gut Gemeintes. Aber daraus wird noch nicht Büchners Feuer. Nur ein milder Abglanz."

Für Matthias Heine sah es in der Welt (5.1.2012) aus, "als hätte man die Ausstattung einer alten Robert-Wilson-Inszenierung in diesem Theater am Berliner Schiffbauerdamm vom Sperrmüll zurückgeholt." Während man die drei Stunden absitze, vergolde sich die Erinnerung an Wilsons BE-"Danton", der mittlerweile 13 Jahre zurückliegt. "Am schlimmsten wird es, wenn Peymann das Publikum mit Einfällen behelligt. Die haben bei ihm ja schon seit Langem eine Tendenz zur Putzigkeit." Da würden Frankreich-Fähnchen geschwenkt und Klopapierrollen geworfen, und "so dengelt der Abend dahin. Keine Katastrophe, nur Mittelmaß, das im krassen Gegensatz zu den Ansprüchen des Regisseurs und zur Größe des Stücks steht."

Ein Lob bekommt Karl-Ernst Herrmanns Bühne von Lothar Müller in der Süddeutschen Zeitung (5.1.2012). Dieser "nachtschwarzen Bühne" gewinne Claus Peymanns Regie einige Schatteneffekte und schöne Bilder ab. Aber im Zentrum, "dort wo Wort und Tat, rhetorische Emphase und mechanische Exekution ineinandergreifen", bleibe der Abend unter dem Niveau der Bühne. "Der Aufgabe, alle Töne, die Georg Büchner in 'Dantons Tod' anschlägt, in einer großen, widerspruchsvollen Sprachbewegung auf die Bühne zu bringen, stellt sich diese Inszenierung nicht."

Der "sich gern nicht ohne Selbstironie zum gescheiterten Apo-Opa stilisierende Peymann" sei gegenüber diesem Stück "in eine schlimme künstlerische Schockstarre" verfallen, schreibt Irene Bazinger in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (5.1.2012). Herausgekommen sei "ein Trauerspiel der besonders muffigen und uninspirierten Sorte". "Alles sieht aus, als hätte Robert Wilson kurz bei dieser Aufführung mitgemischt, dann die Lust verloren und zum Abschied als Trost ein paar noble Arrangements und schicke Lichteffekte hergeschenkt." Die Figuren blieben flache Behauptungen, die sich zwar redlich, doch eher erfolglos an der politischen Rhetorik abrackerten, so Bazinger, "weshalb auch die Konflikte eher wie private Dispute wirken und nicht wie revolutionäre Entscheidungsschlachten."


Kommentare  
Dantons Tod, Berlin: Pausenaktions-Film
Offenbar wurde die Aktion in der Pause gefilmt:

http://www.youtube.com/watch?v=VxBmwLh5zhs
Dantons Tod, Berlin: ohne Biss
Offenbar Schauspielstudenten, die regelrecht auf dieses Intermezzo trainiert wurden. Hätten sie doch mal die Chance genutzt! Aber auf eine Inszenierung ohne Biss mit einem brav einstudierten Wutbürger-Chor zu reagieren, hilft dem Abend auch nicht, um in die Theatergeschichte einzugehen. Das ist der Versuch von Effekthascherei für Alt-68-Lehrer, aber die haben vermutlich auch schon keinen Biss mehr, sonst würden sie schon längst enttäuscht das Weite gesucht haben. Stattdessen sitzen sie träge in den Theatersesseln und erinnern sich daran, wie sie Revoluzzer gespielt haben. Bis sie gemerkt haben, wie sie scheiterten. Genauso wie Herr Peymann. Bleibt zu hoffen, dass jener Trupp von Schauspielstudenten im Zuschauerraum diesen mies bezahlten Pausenjob schnellstmöglich hinschmeißt und sich eine wirklich eigene Meinung bildet. Es muss ja nicht gleich eine Revolution sein...
Dantons Tod, Berlin: tolle Aktion!
Tolle Aktion! Ein Hoch auf die politischen Akteure! Bürger, wendet euch mehr der inszenierten Wirklichkeit zu, welche offenbart, dass auch Peymann selbst längst kein Revolutionär/Veränderer mehr ist! Es ist vorbei bye bye...
Dantons Tod, Berlin: gut organisierte Aktion
@ martin s.
hmmm, sobald etwas einstudiert ist, ist es nicht mehr echt, sondern effekthascherisches wutbürgertum? echt ist, was unbeholfen ist und alles sprengt? klingt mir offen gesagt viel eher nach 68er-pathos... finde, das war ne tolle, gut organisierte aktion mit klarem signal gegen die hinlänglich bekannten, miesen arbeitsbedingungen am be!
Dantons Tod, Berlin: vermutlich abgekartet
@frank zuschauer
Es ist doch gradezu offensichtlich, dass es sich hier nicht um eine wirkliche Provokation handelt, sondern vielmehr vermutlich um ein abgekartetes Spiel. Wer kommt denn von sich darauf, ernsthaft gegen Herrn Peymann und sein System zu protestieren? Vermutlich nur er selber, weswegen er für wenig Geld Schauspielstudenten engagiert, die bei der nächsten Inszenierung von ihm dann mal mit auf die Bühne dürfen, um Volk zu spielen - schön im Chor natürlich!
Von 68er-Pathos bin ich weit entfernt.
Dantons Tod, Berlin: Das Grollen im Zuschauermagen
@ martin s.

"Wer kommt denn von sich darauf, ernsthaft gegen Herrn Peymann und sein System zu protestieren?"

Wir, Theaterpublikum, das nicht mehr nur in den Guckkasten glotzen mag! Hier die Pressemitteilung zur Aktion:

Pressemitteilung

Störaktion bei Peymann-Premiere

Berlin,4.1.2012

Die Premiere von Dantons Tod am Berliner Ensemble wurde gestern, am 03.01.2012, durch eine künstlerische Intervention bereichert. Aufhänger ist der laufende Arbeitskampf der "unsichtbaren" Mitarbeiter des Hauses (Bühnentechnik, Requisite etc.), die sich seit dem vergangenen Jahr organisieren. Sie wehren sich gegen zunehmend prekäre Beschäftigungsverhältnisse und fordern einen Tarifvertrag, wie er an anderen Berliner Theatern längst üblich ist.

Ende 2011 bekommt Claus Peymann den Lessing-Preis, mit der Begründung, er halte das Ideal des Theaters als "moralische Anstalt" hoch. Währenddessen herrschen dort Hungerlöhne, es fehlt an Kündigungsschutz und Transparenz. Uns als Zuschauer widert diese Diskrepanz zwischen aufklärerischer Fassade und ausbeuterischer Praxis an.

Direkt nach der Pause drängte deshalb ein Menschenhaufen, die Marseillaise quäkend, auf einen der Gänge im ersten Rang und ließ, mit Megaphon und Sprechchor, eine Collage aus Dantons Tod erschallen, die den Büchner-Text mit der aktuellen Situation in Beziehung setzte. Zum Abschluss regnete es Flugblätter auf die Köpfe der Zuschauer, welche die Aktion überwiegend mit Zuspruch und Applaus kommentierten. Nur ein Mann brüllte den Aktivisten empört hinterher: "Wer macht denn die Revolution? [...] Dann tut doch was dafür, und spinnt nicht nur!"

gez. Das Grollen im Zuschauermagen


Videodokumentation der Aktion:
http://www.youtube.com/watch?v=VxBmwLh5zhs
Dantons Tod, Berlin: vielen Dank
vielen dank für diese Aktion.
Dantons Tod, Berlin: ganz gute Inszenierung
Ich hielt den Protest für einen Regieeinfall. Allerdings saß ich in einer akustisch ungünstigen Ecke und habe nur Wortbrocken mitbekommen.
Nicht der Rede wert.
Die Inszenierung fand ich ganz gut. Natürlich sind von Peymann keine Innovationsschübe mehr zu erwarten. Die Rolling Stones klingen auch heute noch wie vor 40 Jahren. Oder rechnet jemand damit, dass sie plötzlich mit Synthesizern ankommen und experimentelle Klänge hervorzaubern?
Die Kritiker, die jetzt wieder meckern, würden sich vielleicht wesentlich positiver äußern, wenn es sich um einen anderen Regisseur und ein anderes Haus handelte.
Dantons Tod, Berlin: Pausenaktion doch nur Teil der Inszenierung?
Bevor jetzt hier wieder ein Thread entsteht, der das Theater an sich in den Orkus tritt, sollten wir (!) liebevoll recherchieren, ob es sich um eine Kunstaktion oder tatsächlich um Protest handelte. Vielleicht war es doch nur Teil der Inszenierung.

(Hinweis der Nachtkritik-Redaktion:
Die Pressestelle des Berliner Ensembles erklärte auf unsere Nachfrage, obs wohl doch ein Protest von außen war, dass, ja, tatsächlich die Wirklichkeit ins Theater eingebrochen sei!)
Dantons Tod, Berlin: Georg Schramm gucken!
Der hinterherbrüllende Zuschauer war wirklich erregt, bei den vorherigen Tönen schlug ledigich Eitelkeit ob der "Provokation" durch. Eitelkeit, weil man sich traut / weil man wütend ist. Herrje. Wenn jemand die Provokateure kennen sollte: Bitte Georg Schramm gucken!
Dantons Tod, Berlin: den Anlass diskutieren!
warum diskutiert niemand über den anlass der aktion. sich über die protestler einfach nur lustig zu machen und das anliegen damit einfach zu übergehen finde ich in diesem zusammenhang einfach nur reaktionär.
Dantons Tod, Berlin: Selbst-Widersprüche aushalten
Genau, Inhalt vor Form. Ich habe gerade zwei beispielhafte Textstellen gefunden, welche so einiges über das Ende und den Verfall ehemaliger (Theater-)Revolutionäre aussagen könnten:

1. "Herman [zu Danton]: Ich fordere Sie auf, mit Ruhe zu antworten; gedenken Sie Marats, er trat mit Ehrfurcht vor seine Richter." (3. Akt, 4. Szene) - Marat opferte seinen Körper und sein Leben der überindividuellen Sache bzw. der Idee der Revolution. Dagegen Danton:

2. "Zweiter Bürger: Danton hat schöne Kleider, Danton hat ein schönes Haus, Danton hat eine schöne Frau, er badet sich in Burgunder, ißt das Wildbret von silbernen Tellern und schläft bei euren Weibern und Töchtern, wenn er betrunken ist. - Danton war arm wie ihr. Woher hat er das alles? Das Veto hat es ihm gekauft, damit er ihm die Krone rette. Der Herzog von Orléans hat es ihm geschenkt, damit er ihm die Krone stehle. Der Fremde hat es ihm gegeben, damit er euch alle verrate." (3. Akt, 10. Szene) - Danton glaubt am Ende nur noch an sich selbst und sein eigenes bzw. fremdes Fleisch.

Fazit: Auch (ehemalige Theater-)Revolutionäre solten in der Lage sein, (Selbst-)Widersprüche aushalten zu können.
Dantons Tod, Berlin: den Peymann'schen Salon karikierend
Die Intervention in der Pause richtete sich tatsächlich gegen den "selbstgerechten" Peymann und das Fehlen eines Tarifvertrages. Die Form und der Inhalt der Einlage sollten sicherlich das gefällige Salontheater der Revolution, d.h. Peymanns Inszenierung karikieren bzw. auf diese anspielen. Kurz kommentiert wird die Aktion, mit einem Verweis auf Worte Thomas Braschs, auf diesem Blog: http://critiqueaujourdhui.blogsport.de/2012/01/06/theater-kunst-und-widersprueche/
Dantons Tod, Berlin: Bühnenbild-Wiki
War gestern im BE: Danton's Tod.
Das Bühnenbild von Karl-Ernst Herrmann war eigentlich von Achim Freyer und wurde von diesem für Hans Neugebauers wunderbare und berühmte "Wozzeck" 1975 an der Kölner Oper entworfen (an mehreren Orten bis in die 90er Jahre wieder aufgenommen, u.a. St.Gallen; nachzuprüfen in "Freyer Theater", Alexander Verlag 2007, Bd. 2, S. 56f.). Nur war es bei Freyer weiss, bei Hermann schwarz und die Türen waren andere.
Die Kostüme/Maske von Mads Dinesen, Wicke Naujocks und Julia Schweizer waren eigentlich von Volker Pfüller und waren eigentlich aus Alexander Langs wunderbarem "Dantons Tod", 1981 am Deutschen Theater Ostberlin, wo auch die Idee mit den weiß geschminkten Gesichtern und viele andere Inszenierungsideen herkamen.
Ich musste wegen meiner Plagiate vom Ministeramt zurücktreten...
Guttenberg

P.S.: Man sage nicht, Büchner habe seinen Danton selbst zusammengeklaut. Büchner hat aus Plagiaten Originale gemacht, die das Original weit übertreffen. Oder in eine andere Richtung gehen wie Robespierre-Macbeth, Julie-Julia, Lucile-Ophelia...
Dantons Tod, Berlin: gute Arbeit
man wagt es kaum zu sagen, aber: gute arbeit, guttenberg!
sie haben die nachweise nicht zufällig online/links?
überhaupt: wie kamen sie darauf, nachrecherchieren?
so oder so, das sollte man weiterverfolgen...
Dantons Tod, Berlin: Einflussforschung mit Alexander Lang
@15:

1. Dantons Tod ist mein Lieblingsstück (Leonce und Lena, Nr.2). Ich schaue mir so viele Inszenierungen wie möglich davon an. Diejenige von Alexander Lang ist in die Theatergeschichte eingegangen und viel gereist. Ich sah sie in Zürich. Leider gibt es nur im Bundesarchiv ein Bild online, das aber nicht sehr aussagekräftig und nicht abrufbar ist. Ich frage mich, was Alexander Lang, der ja gerade am BE den Dr. Schöning spielt, dazu sagt. Nun ja. Man kann ja auch andererseits argumentieren: Warum sollte das Theater hinter einmal gefundene Positionen wieder zurücktreten. (Meine Antwort wäre: weil Theater Grundlagenforschung sein sollte. Aber das kann man natürlich als weltferne Rhetorik abtun).Peymann könnte sich rechtfertigen, er entwickle das Lang-Konzept weiter. Tatsächlich hat er auch das Lang-Bühnenbild vermieden und sich stattdessen dasjenige von "Wozzeck" ausgeliehen. Es ist also kein Lang-Plagiat.

2. Auch von Achim Freiers Kölner "Wozzeck" (nicht zu verwechseln mit seinem Wiener "Woyzeck") fand ich online kein Bild.

3. Ich "kam" überhaupt nicht darauf, nachzurecherchieren. Das sind einfach ikonische Aufführungen, die ich nie nie wieder vergessen werde. Schade, dass es das in dieser Spielzeit so selten gibt. Doch. Zwei gibt es für mich: Die Spanische Fliege an der Volksbühne (Herbert Fritsch) und Eugen Onegin an der Schaubühne (Alvis Hermanis). Man soll nicht immer meckern und murren, dass früher alles besser war. Nur diese Mode, immer alles rauszuschmeißen aus dem Stück, womit man nicht zu Rande kommt, geht mir auf den Keks. Der Peymann hat ja auch den Danton im 3. und 4. Akt total kastriert. Und die Leute denken, sie sehen Büchner, weil Peymann immer so als Retter der Dichter tut. Dabei ist doch die ganze Chose nach der Pause, sieht man mal von Julies Selbstmord ab, eine sehr platte szenische Inhaltsangabe. Das erinnert mich ein wenig - mutatis mutandis - an den Rudolf Noelte der 70er Jahre, der auch immer verkündete, er würde die Dichter vor Zadek und co retten und die Leute glaubten ihm. Wer sich dann aber mal die Stücke durchlas, stellte fest, dass in seinen Fassungen kein Satz mehr neben dem anderen stehen geblieben war. Nur hat Noelte das genial gemacht. Er hat aus mittelmäßigen Stücken sagenhafte Theaterabende gemacht. Ich erinnere mich an "Michael Kramer" im Thalia Theater - eine Aufführung, die mein Leben verändert hat. Als ich das Stück las, habe ich meinen Augen kaum getraut. Hauptmann hatte sein eigenes Stück durch allerlei Quatsch ruiniert und Noelte hat es durch seine Umarbeitung freigelegt, was Hauptmann kaputt gemacht hatte.
4. Weiterverfolgen? Ja, vielleicht. Wäre interessant, wenn das genügend Leute interessiert, so einen allgemeinen Thread für Plagiate in Inszenierungen aufzumachen. Das Problem sind natürlich nur die Grenzen. Die Einflussforschung vor 100 Jahre ist nicht umsonst in Verruf geraten: 1. weil sich vieles gar nicht beweisen lässt, sondern bloße Vermutung bleibt. Wenn Trottel nach Einflüssen forschen, wird das selbst trottelig; 2. Kunst und Kultur haben ja immer was mit Nachahmen zu tun; Wo ist da die Grenze; Deswegen sucht man ja so verzweifelt nach objektiven Kriterien dafür, wann etwas gut, wann schlecht ist; die gibt es aber nicht; Ästhetik kommt von griechisch aisthanomai-wahrnehmen; der Eine nimmt das als gut, der Andere als schlecht wahr; wer will hier den Robespierre spielen und die Leute zwingen (eine Diskussion, die im Danton geführt wird)? 3. Wollen wir Shakespeare oder Büchner vorwerfen, dass sie Quellen benutzt und abgeschrieben haben? Natürlich nicht. Fazit: So ein bißchen Guttenplag im Theater wäre sicher gar nicht übel, um den Phantasielosen, Idioten, Nachmachern auf die Finger zu schlagen; man sollte sich aber bewußt sein, dass in so einem Thread dann neben Perlen aber auch viel Schrott zusammenkommen wird; das wird ein schönes Hauen und Stechen; und außerdem: So ein Theater-Guttenplag ist ja selbst ein Plagiat - hihi... Die List der Vernunft... oder die List der Geschichte? Wir Menschen rennen der Wirklichkeit eben immer hinterher. Die Wirklichkeit ist immer schon weiter...
Dantons Tod, Berlin: BE braucht Revolution
Um es auf den Punkt zu bringen: Der ganze Abend wirkte für mich wie ein einziger Hilferuf des Intendanten! Es schien so als schreie mir diese Inszenierung entgegen:
"Jetzt kommt doch endlich und erlöst mich von meinem Amt! Ich kanns einfach nicht mehr!"
Das Stück braucht keine Revolutionäre Inszenierung aber das Haus eine Revolution, die sich gewaschen hat!
Dantons Tod, Berlin: keine Revolution nötig
@17: Ich finde nicht, dass das BE eine Revolution braucht. Es gibt doch viele Leute, die glücklich hingehen. "Die Gestalt mag schön oder hässlich sein, sie hat einmal das Recht zu sein, wir sind nicht berechtigt ihr ein Röcklein nach Belieben zuzuschneiden." (Dantons Tod, I,1; Büchners Interpunktion)
Mich wundert nur, dass sie immer denken, sie würden die Klassiker dort so vorgesetzt kriegen, wie sie gemeint seien. O sancta simplicitas...
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