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Von wegen Traum

von Reinhard Kriechbaum

Graz, 14. Januar 2012. Zettel heißt schon wirklich Zettel, aber die anderen sind ein bunt zusammengewürfeltes Ost- und Süd-Völkchen: Ratislav und Vassilij, Hilmi und Yoshka heißen sie, und solche Menschenbewegung auf einen Platz hin hätte sich der gute alte Shakespeare auf seiner Insel auch in einem damals durchaus kräftig durchmischten Europa nicht träumen lassen. Jetzt sind sie also da, und wenn es dann ernst wird mit der Aufführung von "Pyramusch und Tischbi", wie sie sagen, wird der feinen Gesellschaft (die dafür in den Proszeniumslogen des Grazer Schauspielhauses Platz nimmt) sehr plausibel gemacht: Das hier ist Theater von "Menschen mit Migrationshintergrund".

Bettelarmes Theater obendrein, denn schon ganz am Anfang hören wir, dass es freien Theatergruppen in Ungarn – und anderswo – nicht so toll geht derzeit. Und die Subvention von 15.000 Euro, um die sie telefonisch bei Theseus ansuchen? Sie bekommen die ganze Summe ohne Umschweife zugesagt (und später sogar auch ausgezahlt als dickes Bündel Scheine) – das ist gar nicht weniger verwunderlich als alles andere, was sich im Wald abspielt in dieser Sommernacht.

Vielgeehrter Theaterzauberer
Der "Sommernachtstraum": kein verwunderlicher Zielpunkt für Viktor Bodó. In ihm hat das Grazer Schauspielhaus längst so etwas wie einen Hausregisseur gefunden, aus seiner Szputnyik Shipping Company reichert man das eigene Ensemble alleweil um schräge Typen an. Dass dabei ein tollkühnes Sprachengewirr herauskommt, bei dem man sich als Zuhörer doppelt konzentrieren muss? Macht nichts. Bodós Inszenierungen steuert man nicht wegen der geschliffenen Rede an, sondern um sich hineinziehen zu lassen in Imagination und Theater-Wunder. Das war so in Kafkas "Schloss" und in Carolls "Alice" (damit ist das Grazer Schauspielhaus zum Young Director's Project der Salzburger Festspiele eingeladen worden) und nicht anders in Peter Handkes vielsagend-wortloser Regieanweisungs-Poesie Die Stunde da wir nichts voneinander wussten (eingeladen zum Berliner Theatertreffen 2010). Dass Bodós Grazer Inszenierungen für den österreichischen Nestroy-Theaterpreis nominiert werden, ist fast schon Routine. Zuletzt machte er hier Liliom und Der Meister und Margarita. Der "Sommernachtstraum" ist nun ein logisches Fortspinnen in Zweit-, Halb- und Zwischenwelten hinein.

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Eine Truppe voller Energie    ©  Lupi Spuma

Das Team ist stabil: Die Kostümbildnerin Fruszina Nagy gehört dazu und der Komponist/Pianist Klaus von Heydenaber, der mit seinem kleinen Orchester wieder eine anregende Mischung aus Walzer und Jazz, Klezmer und vielem mehr liefert. Ein beziehungsreiches und anregendes akustisches Environment mit Stil.

Wäscheleinen-Wirrwarr
Bühnenbildner Pascal Raich hat einen engen Hinterhof entworfen, um neunzig Grad vom Zuschauer weg gekippt, so dass der Blick in einen kleinen Himmelsausschnitt führt. Imaginäre Traumtänzer sind also auf den Fassaden unterwegs (ein Effekt, der mit Understatement eingesetzt wird). In diesem Hof wird auch Wäsche aufgehängt, an vielen Kordeln, und das ergibt einen Wald aus weißen Kleidungsstücken, in dem man herrlich hinterher und aneinander vorbei hetzen kann. Da verheddert sich sogar Oberon einmal in den Stricken.

Theseus/Oberon und Hippolyta/Titania sind jeweils gleich besetzt: Ob von feiner Lebensart oder von Naturkräften getrieben – die Sache läuft aufs Gleiche, auf unkontrollierbare Liebeslust hinaus. Jan Thümer und Kata Petö sind die beiden, die sich als Paare herzlich wenig zu sagen haben. Wie Titania sich dann als eine Art Spider-Woman über Zettel hermacht, der auch ohne Eselskopf charmant-animalische Figur macht, ist nicht von schlechten Eltern. Die Liebeswirren zwischen Hermia/Helena/Lysander/Demetrius fallen nicht minder handfest aus. Katharina Klar, Pia Luise Händler, Simon Käser und Florian Köhler sind ist eine Truppe voller Energie, alles andere als Traumtänzer.

Seitenhiebe aufs Theater
Und dazwischen eben immer: die multi-linguistischen Handwerker, die ihr unbeholfenes Tun mit mächtig viel Selbstironie begleiten. Sebastian Reiß als Zettel mimt einen herzerfrischenden Großredner und Selbstdarsteller "mit Hunderter-Nagel im Kopf", den man diesem Typen sofort glaubt. So mancher Seitenhieb aufs Theater fällt ab, zumal sich ja auch Oberon und Puck mehr als Spielmacher und nicht als Rollenspieler gerieren. Auch da: Ironie, aktuelle Bezüge, herzhafte verbale Sidekicks, die das Theater und den Kulturbetrieb selbst zum Thema machen. Puck (Thomas Franck) ist ein tollpatschiger Entertainer, ein Charmebolzen zwischen Lausbub und Comedian.

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Die Liebeslust ist unkontrollierbar       © Lupi Spuma

Viktor Bodós Weg zu Stück ist, wie er im Programmheft kundtut, einer über Ensemble-Improvisationen. Jede Figur ist typgerecht perfekt aus dem jeweiligen Darsteller, aus der jeweiligen Typen-Konstellation heraus entwickelt. Das ist Stärke, aber zugleich auch eine Schwäche von Bodós Theaterarbeit. Der verbindende rote Faden, die Gewichtung der Szenen zueinander: Das kommt für den ungarischen Theaterzauberer erst in einem zweiten Arbeitsprozess. Und bevor der einsetzte, war diesmal offenbar der Premierentermin auch schon da. So richtig fertig (auch: fertig gedacht) wirkt die Grazer Aufführung noch nicht. Aber bei all dem Witz, angesichts der Spiellust und den vielen zaubrischen wie derben kleineren und größeren Überraschungen sieht man ihr das gerne nach.

 

Ein Sommernachtstraum
William Shakespeare, deutsch von Jürgen Gosch, Angela Schanelec und Wolfgang Wiens
Regie: Viktor Bodó, Bühne: Pascal Raich, Kostüme: Fruszina Nagy, Komposition: Klaus von Heydenaber, Dramaturgie: Anna Veress, Regula Schröter.
Mit: Jan Thümer, Kata Petö, Simon Käser, Florian Köhler, Katharina Klar, Pia Luise Händler, Franz Solar, Thomas Frank, András Lajos, Sebastian Reiß, Péter Jankovics, Zoltán Szabó, Gábor Fábián.

www.schauspielhaus-graz.com

 

Kritikenrundschau

"Frech, amüsant und gescheit" habe sich Viktor Bodó, "ungarischer Theaterwilderer", über den "Sommernachtstraum" hergemacht, meint Colette M. Schmidt im Standard (16.1.2012). Bodó lasse "die Schauspieler immer wieder aus ihren Rollen treten und zeigt, dass er meint, was er den leidenschaftlich ins Theater verliebten Handwerker Klaus Zettel (Sebastian Reiß) sagen lässt: dass 'Ein Sommernachtstraum' das schlechteste Stück Shakespeares ist. Was ihn nicht hindert, einen guten Abend daraus zu zimmern." Das Tempo der Schauspieler sei rasant und der Unterhaltungswert hoch.

Viktor Bodó füge "der an Irrungen und Wirrungen reichen Brunftpirsch im attischen Zauberwald, die ohnehin schon auf mehreren Handlungsachsen rotiert, noch einige lebhaft wirbelnde Schwungscheiben hinzu", schreibt Werner Krause in der Kleinen Zeitung (16.1.2012). Primär habe Bodó "aber unverkennbar eines im Sinn: Er will diesem ersten Feen- und Fantasyabenteuer des Welttheaters jegliche Romantik austreiben." Dabei hätte Krause zufolge weniger mehr sein können. "Ein hektisches, schrilles Gerenne, Zippeln und Zappeln hebt an, einem Rumpel- und Rammelkammerspiel gleich, das überdeutlich signalisiert: Hier regiert die Gier, und nur sie. Die Akteure bleiben vorwiegend seelenlose Figuren in einem Spiel im Spiel im Spiel". Trotzdem aber: "Ein Stück mit tückischen Widerhaken. Gut und richtig so, sehr beifallswürdig auch."

"Gut gebrüllt, Löwe!", lobt ein deutlich von der Wortlust dieses Shakespeare-Dramas angesteckter Ulrich Weinzierl in der Welt (18.1.2012). Kostprobe: "Bekanntlich macht Begehren aus Mann wie Weib Megären." Zwei Stars des Abend hat der Kritiker ausgemacht: Sebastian Reiß "als fabelhafter Eseldarsteller" Zettel, "einfach zum Knutschen", sowie "Thomas Franks Puck – ein Entertainer von Format". Es werde zudem "(u)nerschrocken und atmosphärisch stimmig musiziert" und "aberwitziges Improvisationsspiel" betrieben, in einem "glänzend erdachten Bühnenraum". So entstehe eine "beinah choreografische Inszenierung: Selbst in der Blödelei, in Slapstick und Nonsens steckt ein gerüttelt Maß kluger Poesie". Zum Schluss wird die höchste Anerkennung ausgeschenkt: "Shakespeare hätte daran gewiss seine Freude gehabt."

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