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Im postglobalen Blutrausch

von Annette Hoffmann

Basel, 21. Januar 2011. Was hat es noch mal mit schwarzen Katzen auf sich, die von links nach rechts? Egal, da kommt sie auch schon wieder zurück. Und als Rama gefesselt in einer ihm unbekannten Wohnung erwacht, braucht es keine Kaffeesatzleserei mehr. Da ist er tatsächlich zum Vampir geworden. Die Aufschrift "Nutze die Chance zum Eintritt in die Elite" hatte den gescheiterten Studenten und Supermarktangestellten verlockt.

Man muss sich Rama (Leopold Hornung) als leicht manipulierbaren, durchaus sympathischen Toren vorstellen. Der Autor Viktor Pelewin hingegen ist derzeit nicht der einzige in Russland, der die Vampir-Metapher jenseits des Teenageromans bemüht. Auch die Performancegruppe "Chto delat?" sieht in der Gesellschaft Blutsauger am Werk. Pelewin geht in seinem 2006 erschienenen Roman "Das fünfte Imperium" weiter. Das kommende Empire V, das die Globalisierung ablöst, wird das der Vampire sein. Und da der Leser gegenüber der Welt der Vampire ähnlich unbedarft sein dürfte wie der Novize Rama, ist "Das fünfte Imperium" als Entwicklungsroman konzipiert. Mit jeder Initiationsstufe Ramas lernen wir mehr von ihrer Welt.

Kerzen, Fledermäuse und Eifersucht

Ansonsten menschelt es: Es geht um Konkurrenz, um die Liebe zur Jungvampirin Hera (Marie Jung), Eifersucht, aber auch um den Kapitalismus und das Internet. Denn über das Geld schöpfen die Vampire längst ihren Mehrwert aus den Menschen ab. All das wird so aberwitzig wie symbolgeladen erzählt.

Alexander Nerlich hat zusammen mit Franziska Nyffeler in der Kleinen Bühne des Theater Basel ein Setting für diesen Roman geschaffen, der einem animierten Comic gleicht. Bereits bei seiner Inszenierung von Robert Woelfls Jekyll und Hyde hatte er mit der Illustratorin zusammengearbeitet und Projektionen als Kunstgriff eingesetzt. Als Rama jetzt wieder zu Bewusstsein kommt, läuft nicht nur die schwarze Katze hin und her: Kerzen flackern, eine Fledermaus flattert an Bildern vorbei und setzt sich gar auf eine Ansicht des Fuji.

Windows, Sex und Bier

Unter einer Doppelaxt laufen Wirtschaftsdaten über den Liveticker und immer wieder werden andere Figuren dem Geschehen zugeschaltet: Das schafft Durchlässigkeiten. Wenn Rama das erste Mal Blut saugt, kann er das Innenleben seines "Melktiers" wie ein offenes Buch lesen. Mit einem Feuerzeug an der Wand betrachtet er das Organigramm seines Opfers, einem Computerspezialisten, das wesentlich aus Windows, Sex und deutschem Bier besteht, als sei es eine Höhlenzeichnung. In einer Art Blutrausch wiederum rast sein gezeichnetes Alter Ego zu Clubmusik (Musik: Malte Preuß) durch Zahlen und Buchstabenkolumnen, dann gehen die beiden Projektionsflächen auseinander und Rama wird ganz real wie aus einem Lift ausgespuckt.

All das hat Witz und bewirkt, dass Nerlich die wesentlichen Züge des Romans ziemlich werkgetreu in gut zwei Stunden erzählen kann. "Empire V" ist eine Art Ausstattungstheater der unkonventionellen Art. Wie Pelewins Roman, so plündert auch die Inszenierung ein ganzes Arsenal an popkulturellen bis folkloristischen Vorstellungen. Die Vampire tragen Schwarz im Dandystil mit einem Hauch Aubergine und Freyas (Katka Kurze) Aufmachung ist ähnlich extravagant wie die der Königin der Wüste Priscilla (Kostüme und Bühne: Vera Lochner und Annina Züst). Gehen Rama und sein Konkurrent Mitra (Atef Vogel) aufeinander los, scheint der Film "Matrix" als Vorbild durch.

Das alles gleicht einem Gothic-Bilderbogen, lässt aber auch stärker darauf achten, wie Nerlich die nicht eben kleinen Herausforderungen der Romanvorlage meistert, als auf seine tiefere Bedeutung. Denn Rama lernt schnell, die Lektionen in den Fächern Diskurs und Glamour setzt er in einen Einkauf bei D&G um und einmal bewerfen Hera und er die elektronische Reklamewand in einer Einkaufsstraße, worauf sich feine gezeichnete Krakeleien über die Fläche ausbreiten. Das ist ein schönes Bild für diese vorgespiegelte Welt, aber auch ein dekoratives.

Empire V
nach dem Roman von Viktor Pelewin, übersetzt von Andreas Tretner
Regie: Alexander Nerlich, Bühne und Kostüme: Vera Locher, Annina Züst, Illustration und Animation: Franziska Nyffeler, Musik: Malte Preuß, Dramaturgie: Fadrina Arpagaus.
Mit: Dirk Glodde, Leopold Hornung, Martin Hug, Marie Jung, Katka Kurze, Atef Vogel.

www.theater-basel.ch

 

 

Kritikenrundschau

Erstaunlich eng halte sich Alexander Nerlich an die Vorlage, findet Stephan Reuter in der Basler Zeitung (23.1.2012). Mithin kippe die Inszenierung "aus dem Irrwitzigen ins Überdrehte". Nerlich sei sich der Problematik bewusst und spiegele "die überlieferte Vampirfolklore ebenso spielerisch wie den Gothik-Chic neuerer Genrefilme."

Einen "Strom famoser Einfälle" zwischen Gothic-Ästhetik und Action-Kino lobt Elisabteh Feller in der Basellandschaftlichen Zeitung (23.1.2012). "Witzig, ironisch und vergnüglich" setze Nerlich die Geschichte in Szene, verliere aber nie das Hauptziel aus den Augen: Ramas Wandlung vom naiven Menschen zum Jung-Vampir.

Auch Alfred Schlienger in der Neuen Zürcher Zeitung (23.1.2012) äußert sich begeistert über Nerlichs spielerische Deutung: Bühne, Kostüm und Animation zauberten "eine Atmosphäre auf die Bühne, in der sich der Retro-Charme des glimmenden Kaminfeuers und der Ornament-Tapete mit der Welt von Videogames und der Welt von Science-Fiction mischt."

 

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