Massaker im Ardenner Wald

von Klaus M. Schmidt

Bonn, 27. Januar 2012. Der Hof von Herzog Frederic – eine Diktatur. Die ersten Szenen in David Mouchtar-Samorais Inszenierung spielen vor einer grauen Mauer, die auf eine Opera-Folie projiziert wird. Grau ist auch der lange Militärmantel des Herzogs (Wolfgang Rüter), und wenn später zwei Schergen in den Gassen Wache stehen, tragen sie Monturen, die an SS-Uniformen erinnern. Der Mehltau der Unfreiheit lastet so bereits schwer auf dem Beginn des Abends, und man ahnt, dass auch der Ardenner Wald kein idyllisches Exil bieten wird.

Der eigentliche Herzog (ebenfalls Rüter), Bruder von Frederic, wurde vertrieben, hockt nun mit Gefolge in jenem Wald. Rosalind (Verena Güntner), seine Tocher, wurde von ihrem Onkel eine Zeitlang noch als Gefährtin für Tochter Celia (Maria Munkert) geduldet, am Ende des ersten Aktes wird auch sie verbannt. Celia folgt der Cousine und besten Freundin. Orlando (Thomas Ziesch), in den sich Rosalinde unsterblich verliebt hat, liegt im Erbstreit mit seinem Bruder Oliver (Nico Link) und wählt ebenfalls den Weg ins Exil, als ihm Frederic unmissverständlich bedeutet hat, dass er ihm keine Gunst schenkt. So weit der Plot.

Es war einmal im 20. Jahrhundert ...

Die Operafolie hebt sich, und das Negativbild eines Waldes legt sich über die Szene. Der Röntgenblick aufs kahle Geäst verschwindet wieder, man erblickt das improvisiert wirkende Bühnenbild (Christoph Rasche). Weiße Wände mit der Anmutung von Papier, das von riesigen Rollen abgerissen wurde, bilden einen rechten Winkel. Im Knick klafft ein Riss.

Der verbannte Herzog und seine Männer tragen Kostüme (Urte Eicker), die aus den 1930er bis 1940er Jahre stammen könnten, und sie sind dick eingemummt. Hüte, Mützen, Schals, dicke Mäntel, darüber teils noch schäbige Decken – offenbar friert man, und das – wie vieles andere – wird auch ganz naturalistisch gespielt. Würde jetzt noch ein kleines Bäumchen auf der Bühne stehen, könnte man im Übrigen glauben, der Herzog und seine Schar warteten auf Godot. Es kommen andere. In einer stummen Szene führen bewaffnete Soldaten eine Familie mit Kind durch den Riss nach hinten.

Die Identitäten wie die Länder wechselnd

Dieser Ardenner Wald ist nicht nur kein Idyll, er ist ein Ort der Gräuel. Hundegeheul vom Band verheißt auch akustisch immer wieder Bedrohung. In ihren besseren Momenten widersetzen sich Stück und Schauspieler der historisch-politischen Verortung in die Zeit des Faschismus. Etwa wenn Orlando in Ganymed, als der sich Rosalind im Walde ausgibt, die Rosalind projiziert, die er liebt, ohne Rosalind in Ganymed zu erkennen. Und Rosalind bietet dabei all ihre berühmte Scharfzüngigkeit auf und leidet dann darunter, nicht erkannt zu sein. Wenn Verena Güntner manchmal auch zu sehr damit beschäftigt ist, ihre behauptete Identität burschikos mit in die Hüften gestemmten Händen herzustellen, in diesem Dialog hat sie ihren doppelbödig starken Auftritt. Und Thomas Ziesch ist ihr dabei Widerpart mit Gewicht.

Die Possen des Schäferpärchens Silvius (Nico Link) und Phoebe (Anastasia Gubavera) vermitteln sich ohne Brechung und wirken im Kontext der von Mouchtar-Samorai beschworenen historischen Einbettung fast schon etwas aufgesetzt. Das gilt noch mehr fürs zweite Parallelpaar, für den hölzernen Narr Probstein (Konstantin Lindhorst) und seinen Bauerntrampel Audrey (ebenfalls Gubavera). Das Zusammenfinden eines vierten Paars (Oliver und Celia) ist in Bonn gestrichen. So geht der historisierende Zugriff der Regie nicht immer auf.

Die ganze Welt ist eine Bühne des Schreckens

Doch da ist noch Arno Lenks Jaques, ein Gefolgsmann des verbannten Herzogs. Dieser Rolle gehört der berühmte Satz "Die ganze Welt ist eine Bühne". Lenk gelingt das Kunststück, aus Jaques einen beherzten Melancholiker zu machen, einen Verzweifelten, der seine Wachheit noch nicht verloren hat. So überrascht es nicht, dass Mouchtar-Samorai Jaques einmal zum Nebenbuhler Orlandos werden läßt, indem er die beiden wie Hirsche in der Brunft ihre Köpfe aneinander stoßen lässt.

Bei Shakespeare gibt's am Ende vier Hochzeiten, in Bonn finden schließlich nur Rosalind und Orlando zueinander. Als das Ensemble das sich küssende Paar umkreist, als wollte es sich an ihm wärmen, mäht eine Maschinengewehr-Salve alle nieder. Die Projektionsfolie vom Beginn senkt sich über die Toten. Dann treten Rosalinde und Celia dahinter hervor. Werden so die Geschehnisse im Ardenner Wald zum Alptraum Rosalinds erklärt? Auch als Komödie geht der Stoff in dieser zutiefst pessimistischen Inszenierung unter.

 

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von William Shakespeare Deutsch von Erich Fried
Regie: David Mouchtar-Samorai, Bühne: Christoph Rasche, Kostüme: Urte Eicker, Musik: Ernst Bechert, Choreographie: Joshua Monten, Dramaturgie: Stephanie Gräve.
Mit: Ralf Drexler, Hanno Friedrich, Anastasia Gubavera, Verena Güntner, Arne Lenk, Konstantin Lindhorst, Nico Link, Maria Munkert, Wolfgang Rüter, Thomas Ziesch.

www.theater-bonn.de

 

Kritikenrundschau

David Mouchtar-Samorais Inszenierung treibe der Shakespeare-Komödie alles Leichte, Traumselige gründlich aus und zwängt sie in den "denkbar düstersten politisch-historischen Kontext", mache sie zu einer "Parabel für Nazi-Diktatur und Holocaust", schreibt Gunild Lohmann im Bonner Generalanzeiger (30.1.2012). Doch: Shakespeares Zauberwald bleibe ein Traumort, in dem klar benannte Realitäten nichts zu suchen hätten. Identitäten, Geschlechterrollen, Beziehungen, Poesie und Parodie, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, alles wirbele in einem unendlichen Unwahrscheinlichkeitsdrive durcheinander. "Schlechte Voraussetzungen für eine Geschichtsstunde." Für Lichtblicke in der Düsternis sorgen Lohmann zufolge die Schauspieler, "die die Seelenzustände der von Shakespeare meist nur flüchtig skizzierten Charaktere mit Leben erfüllen".

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