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Europäisches Fleisch und Blut

von Christian Baron

Rudolstadt, 28. Januar 2012. Nein, mit dem Vorwurf des Rassismus will man auf gar keinen Fall konfrontiert werden. Wie sehr die künstlerische Leitung der Rudolstädter "Othello"-Inszenierung die Angst vor dieser Vorhaltung im Nacken sitzt (gerade in Thüringen, der Keimzelle des neuen Rechtsterrorismus) zeigt der vor politischer Korrektheit triefende Prolog. Hauptdarsteller Benjamin Griebel tritt mit schwarz bemaltem Antlitz auf und gibt den ebenso lustigen wie stupiden "böses N-Wort", bevor er ein Taschentuch zückt, damit die Farbe im Gesicht verwischt und zu einer moralinsauren Rede über den in Europa salonfähigen "rassistischen Humanismus" wütet. All das mag eine Reminiszenz sein an das im Januar unter Einsatz der rassistischen Blackface-Maskerade im Berliner Schlosspark-Theater zur Aufführung gelangte und teilweise heftig kritisierte Stück "Ich bin nicht Rappaport".

Ein korrumpierter sozialer Aufsteiger

Andererseits jedoch fügt sich dieses Vorspiel, in dem der strukturelle Rassismus in Europa mit der brutalen Ausbeutung des afrikanischen Kontinents verknüpft wird, nahtlos in Carlos Manuels Version von Shakespeares Klassiker. Mit kaum mehr als 100 Minuten Spieldauer hat der gebürtige Angolaner die Vorlage auf das aus seiner Sicht Wesentliche gekürzt – und das ist die bis heute gültige politische Dimension der Tragödie.

Sein Othello ist nicht etwa edel und aufrichtig, sondern ein durch die Macht korrumpierter sozialer Aufsteiger. Er hat es zum General der venezianischen Armee gebracht und in Desdemona (Miriam Gronau) eine Frau, um die ihn viele beneiden. Auch Rodrigo (Johannes Arpe) liebt Desdemona, weshalb er gemeinsam mit dem bei einer Beförderung übergangenen Jago (David Engelmann) in einer Intrige Othello gegen dessen Offizier Cassio (York Hoßfeld) und Desdemona aufbringt – im Zuge derer Othello seine Frau im Eifersuchtswahn erdrosselt.

Nicht nur Eifersucht

Am Ende weicht Manuel deutlich von Shakespeare ab. Erstens tötet Othello nicht nur seine Gemahlin, sondern zeichnet auch für das Ableben Jagos und Cassios verantwortlich. Zweitens erdolcht er sich schlussendlich nicht voller Edelmut in poetischer Gerechtigkeit selbst, sondern blickt als einziger Überlebender auf sein Werk des Schreckens, zu dem ihn eben nicht reine Eifersucht getrieben hat, sondern sein machtbewusster Habitus, ohne den er erst gar nicht in diese privilegierte Position gekommen wäre.

othello1 560 peter scholz.ujpg© Peter Scholz

Dass man diese offensichtliche Intention der Inszenierung nicht erst an deren Ende erkennt, ist an erster Stelle Benjamin Griebels Verdienst. Ihm gelingt es, seinem Othello auf eine Weise Leben einzuhauchen, die es dem Zuschauer leicht macht, in ihm keinen gütigen Helden zu sehen, sondern einen durch Statusangst Getriebenen, dessen Emphase in jedem seiner Worte bis in die hinterste Publikumsreihe fesselt. Gleiches gilt in abgeschwächter Form auch für Miriam Gronau, Johannes Arpe und York Hoßfeld. David Engelmann vermag man den Jago hingegen nicht abzunehmen. Keinerlei differente Persönlichkeitsmerkmale, keinerlei emotionales Temperament finden sich in seinem Spiel, nur dumpfer Nationalismus und blinder Hass. Mag sein, dass er es von allen Akteuren am schwersten hat, weil ihm die Rolle des natürlichen Bösewichts genommen wurde.

Verschanzung hinter westliche Werte

Das Bühnenbild wäre dank der Darbietung des Ensembles sicher auch ohne das simple dekonstruktive Element des "Haus bauen – Haus kaputt hauen" ausgekommen. Auch die Betonung der Deutschtümelei wird durch allzu viel Schlager-Singsang übertrieben (Wolfgang Petry, Westernhagen und – natürlich – Roberto Blanco). Die dezent und auffällig zugleich anmutende Kostümierung wirkt dagegen stimmig. Mit Desdemona und Jagos Ehefrau Emilia (Ulrike Knobloch) kommen die Damen in einer stereotyp-mädchenhaften Aufmachung daher, welche die sexistischen Rollenklischees über die Sprache hinaus auch optisch in den Vordergrund und sie so zugleich zur Disposition stellen. Die Herren sind dem in geschniegelten Maßanzügen exakt gegenübergestellt und offenbaren damit obendrein jenen Schein von Demokratie und Vernunft, den die vermeintlich zivilisierten Europäer so krampfhaft zu wahren versuchen.

Dabei entlarvt gerade die Tatsache, dass Othello ein perfekt integrierter, ja assimilierter Migrant ist, die sich hinter "westliche Werte" verschanzende Heuchelei des längst jedem europäischen Durchschnittsmenschen in Fleisch und Blut übergegangenen Spätkapitalismus neoliberaler Prägung, der tendenziell den Wert aller menschlicher Beziehungen nach ökonomischen Kriterien misst und jede Form von Solidarität und Mitleid gänzlich suspendiert. Würde man jenen Kern, den Carlos Manuel aus dem komplexen Textgeflecht des Originals herausarbeitet, prägnant und zeitgemäß formuliert auf den Punkt bringen, ergäbe sich eine Mischung aus Michael Jacksons "No Matter if you're Black or White" und den marxistischen Evergreen "Das Sein bestimmt das Bewusstsein". Pop und Revolution – für diese Inszenierung jedenfalls eine gelungene Mischung.

Othello
von William Shakespeare, Deutsch von Erich Fried
Regie: Carlos Manuel, Ausstattung: Vincenz Gertler, Dramaturgie: Thorsten Bihegue.
Mit: Johannes Arpe, David Engelmann, Benjamin Griebel, Miriam Gronau, York Hoßfeld, Ulrike Knobloch, Markus Seidensticker.

www.theater-rudolstadt.de

 

Mehr aus dem Theater Rudolstadt: wir besprachen Freunde, das Leben ist lebenswert, das Alexander Stillmark im April 2011 inszeniert hat.

 

Kritikenrundschau

Nach kurzem Anlauf lässt sich Franziska Nössig in der Thüringischen Landeszeitung (30.1.2012) dann packen. Regisseur Manuel überblende "in fast filmischer Manier die Schnittstellen" zwischen anfänglicher belangloser Kirmes und bitterbösem Ernst. So werde aus reichlich Ironie die provokante Geschichte eines von Machtgedanken besessenen sozialen Aufsteigers.

In der Ostthüringischen Zeitung (301.2012) findet Ulrike Kern: Carlos Manuels "Othello" bleibe zweifelsfrei Shakespeare nach Handlung und Aussage. Doch mit Bühnenbild, modernen Kostümen, Musikeinspielungen und Baseballschläger hole Carlos Manuel den Klassiker "und das Publikum" für knappe zwei Stunden in die Gegenwart. Angemessen sei das wohl, "auch wenn der eine oder andere Zuschauer sich vielleicht einen traditionelleren Shakespeare gewünscht hätte." Doch die Handlung sei heute so aktuell wie damals, "und eine solch gut gesponnene Intrige noch immer zerstörerisch." Hauptdarsteller Benjamin Griebel sei als Othello "trotz aller Brutalität sympathisch", und die Inszenierung insgesamt originell, intelligent und mitunter sogar komisch.

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