Wegen der Action

von Ralph Gambihler

Magdeburg, 3. Februar 2012. Die deutsche Sprache weiß es. Sie hält für den Beziehungskrieg einen Satz bereit, der uns als Phrase in den Ohren dröhnt, wenn wir ihn hören, der eigentlich aber sehr klug ist. Es ist dies der Satz, wonach der Krach darin besteht, dass einer dem anderen eine Szene macht. In August Strindbergs "Totentanz" machen sich Alice und Edgar dauernd eine Szene. Wie kein Dramatiker vor ihm hat August Strindberg erkannt, dass der Beziehungskrieg, im bürgerlichen Milieu mithin der Ehekrieg, eine verzweifelt spielerische Dimension hat. Das Stück lebt noch heute ganz gut von der Wucht und der Abgründigkeit des Spielerischen in den Zonen des ehelichen Hasses.

Das eheliche Unglück als Ouvertüre für den Waffengang
Sascha Hawemann hat nun am Schauspiel Magdeburg eine psychosoziale Aktualisierung und Erweiterung des Stoffs vorgenommen. Er zieht eine Parallele zwischen dem privaten Krieg der Eheleute und dem bellizistischen Krieg. Strindbergs Insel mit dem alten Gefängnisturm, in dem die Zimmerschlachten von Alice und Edgar stattfinden, stellt er neben das Afghanistan der ISAF-Truppen, das an diesem Abend symbolhaft für alle Kriege steht. In mehreren einmontierten Szenen geistert die Hölle von Kandahar wie ein böser, zugleich aber auch faszinierender Traum durch den Abend. Hawemann zeigt das zerdehnte eheliche Unglück als eine Art Brutstätte und Ouvertüre für den Waffengang der nächsten Generation: Die Eltern zoffen sich, die Kinder ziehen in den Krieg.

totentanz 3 560 nilz boehme uSilvio Hildebrandt, Iris Albrecht, David Emig. © Nilz Boehme

Die Kulisse von Regina Fraas betont die Enge der Verhältnisse und lenkt den Abend von vornherein ins Kammerspielartige. Auf der Bühne steht ein Wohnkasten, der auf den ersten Blick fast stylish aussieht, auf den zweiten eher schäbig. Vorne hausen die Alten. Die Front zwischen ihr und ihm ist unsichtbar, aber jeder hat seinen Bereich. Links an der Wand hängt neben dem Säbel des Hausherren ein halbes Dutzend Wandtelefone und Apparate von Sprechanlagen. Edgar, der Offizier, der nur Hauptmann wurde und schwer daran leidet, hat mehr Drähte nach außen als Freunde in der Welt. An der rechten Wand sind Alices Erinnerungen versammelt: Reste einer ehehalber abgebrochenen Karriere als Schauspielerin, zu einer Andeutung von Garderobe arrangiert. Irgendwo dazwischen silbrig glitzernder Hohn: zwei deckenhohe Polsterungetüme in Gestalt der Zahlen zwei und fünf. Die Kombattanten haben eigentlich Silberhochzeit. Oh je!

Wohliges Hass-Festspiel
Der Abend beginnt klamottig bis trashig. Die Ehehölle der beiden Hauptfiguren geht als Schmierentheater über die Bühne, von der Regie auf Tempo und Tumult getrimmt, von den Darstellern mit heftiger gestischer und motorischer Überzeichnung moduliert. Irgendwie hat man manchmal das Gefühl, dass sie versuchen, den Stücktitel wörtlich zu nehmen, also auf Strindbergs Sätzen zu tanzen. So viel Farce und wohliges Hass-Festspiel wirkt dann aber doch eher vordergründig und flach.

Silvio Hildebrandt spielt (leider so heftig chargierend, dass man in der Figur immer die Rolle sieht) den Hauptmann als abgehalfterten Gigolo. Sein Edgar ist ein ebenso boshaftes wie lächerlich aufgeblasenes Ekel. Iris Albrecht glänzt als wehrhafter, bedarfsweise giftiger und kiffender Liz Taylor-Verschnitt mit wunderbarer Präsenz und Souveränität. Böse zwischen die Fronten gerät Alices Vetter Kurt, der eigentlich nur besuchsweise vorbei schaut. David Emig spielt ihn als wandelnde Knautschzone und überzeugt.

Rattatatata!
Und der Krieg? Der Rausch der Gewalt? Die belebende Wirkung der Todesnähe? Wo ist die? Weiter hinten. Die Jungen wohnen etwas erhöht auf Plastikstühlen Marke Gartencenter, umgeben von Fernseher und Topfpflanzen. Den Alten sind sie nur räumlich nah, von deren Desaster wollen sie nichts wissen. Judith, die Tochter des Hauses (von Julia Schubert als Problem-Tussi mit Borderline-Syndrom angelegt), ballert zwanghaft einen Tennisball nach dem anderen gegen die Wand, als sei sie die Reinkarnation einer restlos zur Kampfmaschine mutierten Martina Navratilova. Ihre prekäre Liebe zu Allan, dem Sohn von Alices Vetter Kurt, bleibt unglücklich. Das Beispiel der Eltern ist abschreckend.

Allan (ein unsicherer, auf männliche Art unterwürfiger Typ, gespielt von Alexander Absenger) hat es mehr mit dem Militär. Er wird nach Afghanistan abkommandiert und sagt, dass er da auch hin will. In den Momenten, die am meisten weh tun, macht er sich zum total willenlosen und hündischen Sklaven der Machtgelüste des Leutnants, eines fiesen Kasernenhof-Machos (Ralph Martin). Er apportiert Bier, lässt sich damit bespritzen, robbt auf Kommando wie wild im Dreck und schaut tatenlos zu, wie der Vorgesetzte Judith vögelt, wobei jener den Gipfel seiner Lust mit einem maschinengewehrartigen "rattatatata rattatatata" hinausschreit. Wir sind im Krieg – schon klar.

Eigentlich eher tot
In dieser Tragödie der Jungen blickt Hawemann auf ein fatales Gemisch aus Frustration, emotionaler Verkümmerung, Sprachlosigkeit und dumpfer, leicht homoerotisch knisternder Gewaltlust. Die Jungen fühlen sich orientierungslos und eigentlich eher tot; der Schritt zur Gewalt ist eine Flucht zurück ins Leben. Hawemann greift dabei stellenweise auf den wenig gespielten zweiten Teil von Strindbergs "Totentanz" zurück und importiert zusätzlich Passagen aus einem Interview, das die Fotografin Herlinde Koelbl mit einem in Afghanistan stationierten Bundeswehrsoldaten geführt hat (veröffentlicht im Zeit Magazin). Der Soldat sagt politisch Unkorrektes. Er sagt, dass er den Beruf "wegen der Action" ausübe und dass der Krieg "der Höhepunkt des Soldatenlebens" sei.

Strindbergs Ehedrama bekommt durch die Hinzufügung solcher Sätze eine völlig neue Bedeutung. In diesem Sinne ist die Inszenierung spannend, ja revolutionär (auch wenn der soziologische Befund natürlich nicht neu ist). Die Regie zeigt mit ihr einen Totentanz auf der ganzen Linie. So richtig schlüssig wirkt die perspektivische Verlängerung indes nicht. Hawemann fragt einerseits sehr ernsthaft nach Erklärungsmustern für Gewalt und Krieg, auf der anderen Seite leistet er sich eine lässig hingeschlenzte, ziemlich hampelige Ehehölle-Farce. Selten die Momente, in denen man diese Blaupause vergisst.

Totentanz - Spiel Ehe Krieg
von August Strindberg
Regie: Sascha Hawemann, Bühne/Kostüme: Regina Fraas, Dramaturgie Dag Kemser.
Mit: Silvio Hildebrandt, Iris Albrecht, David Emig, Julia Schubert, Alexander Absenger, Ralph Martin.

www.theater-magdeburg.de


Kritikenrundschau

Auch wenn die Inszenierung "nicht frei von Ungereimtheiten" sei, findet Caroline Vongries von der Magdeburger Volksstimme (6.2.2012) den Ansatz, das Strindberg'sche Drama auf die soldatische Wirklichkeit in Afghanistan zu beziehen, "mutig". Man werde damit dem "aufrührerischen Strindberg gerecht". Das Spiel zwischen dem Leutnant und Allan sei "entsetzlich anzusehen". Es erinnere an Klaus Theweleits Kriegsdeutungen in "Männerfantasien", wenn Allan "dem Sog der homoerotischen Komponente männlich-militärischer 'Kameradschaft' nicht widerstehen" könne und nach Kandahar abrücke. Die elterliche Eheschlacht, die diesem Kriegsdrama der jungen Generation vorgeschaltet ist, sei dagegen kaum von "Schrecken" geprägt. Schauspielerisch geht Iris Albrecht als Alice aus ihr als Siegerin hervor: "Unwiderstehlich in ihrer wohltemperierten Boshaftigkeit (...)".

 

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