altAuferstanden von den Toten

von Willibald Spatz

Augsburg, 11. Februar 2012. In Augsburg ist zurzeit der Teufel los. Zumindest auf den Theaterbühnen. Aktuell wird hier gerade zehn Tage lang das Brechtfestival begangen. Man feiert den großen in dieser Stadt geborenen Dramatiker mit Podiumsdiskussionen, Konzerten, Aktionen und auch vier Theaterstücken, darunter sogar zwei Uraufführungen. Parallel dazu kamen innerhalb der zehn Tage des Festivals am Augsburger Stadttheater drei Premieren heraus, die nichts mit Brecht zu tun haben. Keiner will hier an reinen Zufall glauben. Es handelt sich um ernsthafte Konkurrenzveranstaltungen, denn unendlich ist die Zahl der potenziellen Theaterbesucher in Augsburg nicht. Am vergangenen Wochenende waren Felicia Zellers "Gespräche mit Astronauten" und Roland Schimmelpfennigs "Goldener Drache" dran. Am gestrigen Samstag schickten sie im Großen Haus Schiller als Dramatiker-Schwergewicht in den Ring gegen den Augsburger Brecht und seine Fans.

Glaube an den großen Gedanken

Das Problem an den "Räubern" sind die Räuber. Wie kann so eine Truppe von Systemverweigerern und Aussteigern aus dem 18. Jahrhundert auf einer Bühne aussehen, dass sie dem Menschen im 21. Jahrhundert noch etwas erzählt? In Augsburg ist eine aus jeglichem historischen Kontext gelöste Mannschaft zu erleben: Sie tragen Kettenhemden genau so wie Anzüge. Sie sind Verzweifelte, denen man keine Wahl ließ, sich fürs Räuberdasein entscheiden zu müssen; sie spielen sich aber gegenseitig den Glauben an einen großen Gedanken vor.

Ulrich Rechenbach ist Karl, ihr Anführer, ein melancholischer Mensch, der gern den Blick zum Himmel erhebt, wenn er etwas Bedeutendes sagen will. Er ist am meisten von allen in seine Rolle getrieben worden. Wenn sich die anderen ihrer Gräueltaten rühmen, läuft er rastlos am Bühnenrand entlang, sogar in den Zuschauerraum hinein. Ihm behagt sein Führersein nicht, seine Verantwortung. Wird er laut und jagt einen davon, der es zu weit getrieben hat, dann kehrt er so schnell es geht, in die Reihe seiner Leute zurück.

Spiegelkabinett des Schicksals

Franz, sein daheim gebliebener, intriganter Bruder, ist bei Tjark Bernau der Gegenpol: Er ist laut, immer auf hundertachtzig, er poltert, schreit ununterbrochen und hält die Maschine unter Aufbietung all seiner Kräfte am Laufen. Nur läuft nichts so, wie er es gerne hätte. Nicht mit dem Alten, nicht mit Amalia, nicht mit dem Diener Daniel. Immer ist er in Panik, immer muss er die kommende Katastrophe verhindern. Der alte Moor will nicht loslassen; schon am Anfang, als Franz endlich die Erlaubnis hat, seinem Bruder zu schreiben und ansetzt zu seinem Monolog, mischt sich der greise Graf wieder und wieder von hinten ein und diktiert weitere Fetzen, die er gerne in dem Brief an seinen Sohn geschrieben hätte. Eberhard Peiker macht daraus in einer Mischung aus gespielter Naivität und altersweiser Durchtriebenheit eine schöne Nummer.

raeuber 560 a.t.schaefer x"Die Räuber" in Augsburg © A.T. Schaefer

Regisseur Fabian Alder lässt nun eine gute Weile lang einfach Schiller spielen, bremst auch da nicht aus, wo das Pathos kritische Werte erreicht. Eine Drehbühne bringt neue Kulissen heran, wobei klar bleibt, dass es sich um Provisorien handelt. Beim Wald zeigt Susanne Hiller, die für Bühne und Kostüme verantwortlich ist, nur eine leere Rückwand mit spärlichen Zweigen, auf einem halb herabgelassenen Vorhang ist eine Forstfotografie zu sehen. Zwischendrin entwickeln sich wunderbare, leise Szenen, wenn zum Beispiel Jakob Walser als Kosinsky Karl in einem Spiegelkabinett sein Schicksal erzählt.

Zombies im Wald

Als der alte Moor von Karls Tod erfährt und in Ohnmacht fällt, geschieht etwas Ungeheuerliches: Franz schneidet ihm sein Ohr ab und isst es auf. Dieser kannibalistische Akt dient nur zur Vorbereitung dessen, was im letzten Drittel über die Zuschauer hereinbricht. Fabian Alder entdeckt eine Lust am Fleddern. Lucy Wirth als Amalia wird in einem Fußbad beinahe ertränkt. Die noch lebenden Räuber sind jetzt blutverschmierte Zombies. Schweizer ermordet Spiegelberg, indem er ihm die Gedärme aus dem Bauch herausreißt. Eberhard Peiker erscheint über den Köpfen als unheimliches Gespenst.

Die Wände werden herab gerissen, das bloße Gerippe der Bühnenkonstruktion wird sichtbar. Franz schlitzt sich auf. Schüsse und die Bässe der Musik reißen die Schlummernden hoch. Es geht richtig ab. Und es macht durchaus Spaß. Fabian Alder hat sich lange Zeit gelassen, um einen Witz mit einer fetten Pointe zu erzählen. Die Räuber spuken noch Jahrhunderte weiter, sie sind die Ausgestoßenen, mit denen keiner was anfangen kann oder will.

Die Räuber
von Friedrich Schiller
Regie: Fabian Alder, Bühne und Kostüme: Susanne Hiller, Musik: Oliver Roth, Dramaturgie: Tobias Vogt.
Mit: Eberhard Peiker, Ulrich Rechenbach, Tjark Bernau, Lucy Wirth, Alexander Darkow, Michael Stange, Roberto Martinez Martinez, Matthias Zera, Jakob Walser, Philipp von Mirbach, Toomas Täht, Thomas Kornack.

www.theater.augsburg.de

 

 

Kritikenrundschau

Im Donaukurier (13.2.2012) schreibt Carina Lautenbacher: Stärker noch als in Schillers Vorlage konzentriere sich die Regie "auf das Unumkehrbare, das Unsühnbare". Die Tode, die im letzten Akt gestorben werden, seien fast nur noch funktional. "Das Sterben hat in den stark gerafften Szenen seine tragische Dimension verloren: Gestorben wird, weil nach alledem gestorben werden muss." Trotz einer "bravourösen" Lucy Wirth (Amalie) bleibe die Inszenierung "über weite Strecken farblos". Die Bühne sei gut bespielbar, wirke aber altbacken. Und altbacken wirke mitunter auch das Geschehen auf der Bühne. "Was schade ist, denn an anderen Stellen zeigt Fabian Alder, wie man dem Stoff Leben einhauchen kann." Die Räuber-Szenen hätten "alles, was gutes Theater haben kann: Energie und Rhythmus, sind stimmungsgeladen, zeugen von choreografischem Gespür und setzen Mittel wie Musik oder Licht passgenau ein."

Streckenweise drehe Fabian Alder den Schiller ins Absurd-Groteske weiter, halte dies Prinzip leider aber nicht durch, beobachtet Frank Heindl für Die Augsburger Zeitung (14.2.2012). Es dauere lang, bis Schillers Plot im Stadttheater einen Sog entfalte – "erst nach der Pause, als der ganze mörderische Reigen offensichtlich wird, packt die Inszenierung den Zuschauer richtig." Die lange Entwicklung zu diesem Punkt hin hätte sich gerechtfertigt, so Heindl, "wenn Alder sie nun konsequent weiterführen würde". "Es wäre ein Leichtes gewesen für die Regie, den durchgeknallten Haufen von Möchtegern-Helden nun vollends der Lächerlichkeit preiszugeben. Doch diesen Schritt wollte Alder nicht tun." Zu viel Ernsthaftigkeit belasse er dem jungen Helden Karl, zu sehr erlaube er ihm, seinen Ausflug ins Mörderhandwerk mit enttäuschter Vaterliebe und aus dem Ruder gelaufenen edlem Räuberwesen zu rechtfertigen. Der Regisseur suche Sinn "in einer Geschichte, zu deren Dekonstruktion er über lange Strecken beigetragen hat".

Fabian Alder habe Schillers Drama komprimiert und dekonstruiert – das aber nur halbherzig, sodass diese Inszenierung seltsam ratlos, unentschieden und unfertig wirke, schreibt Michael Schreiner in der Augsburger Allgemeinen (14.2.2012). Der Rezensent empfand den Abend als "mit Musik angereicherten Bilderreigen von ein paar starken Einzelszenen und guten Einfällen, der jedoch auseinanderfällt und kein schlüssiges Ganzes ergibt". Mal mache sich die Inszenierung über das Pathos lustig und treibe Schillers Spiel in Richtung Boulevard, dann gebe sie sich wieder solide-bieder werktreu.

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