altDie alte, geile Macht

von Willibald Spatz

München, 17. Februar 2012. Das Unangenehme ist ja, dass es noch einen kleinen Rest Hoffnung gibt, dass eine geringe Chance besteht, dass dieser John Gabriel Borkman Recht hat. Es könnte sein, dass jeder in seiner Situation so gehandelt hätte. Und was noch schlimmer ist: Es könnte sein, dass es allen nun gut oder zumindest besser ginge, wäre nicht im entscheidenden Moment alles schief gelaufen, was schief laufen konnte. Henrik Ibsens "John Gabriel Borkman" von 1896 ist das Stück der Stunde. Die Person im Titel ist ein gescheiterter Banker, der Geld seiner Kunden verzockt hat. Er hat eine Menge Leute um ihre Ersparnisse gebracht und ruiniert, er ist dafür jahrelang im Gefängnis gesessen und noch länger in seiner Stube und hat gegrübelt, bis zu dem Augenblick, in dem die Handlung einsetzt.

Aufrecht geht nicht

In den Münchner Kammerspielen geht es unter der Regie von Armin Petras von Anfang an ziemlich ab. Die Schauspieler spielen Figuren, die am Ende sind und nur noch Abziehbilder ihrer selbst. Borkmans Frau (Cristin König) empfängt ihre Zwillingsschwester Ella (Wiebke Puls). Sie necken sich, ziehen sich um die Wette aus, nähern sich kichernd, auf einander kletternd der Kammer Borkmans, linsen sich über die Schultern. Jede Aktion wird erschwert von der großartigen Bühnenkonstruktion von Olaf Altmann: Ein blitzförmiger Schacht, durch den immer wieder Papierblätter geblasen werden und der lediglich zwei Kammern ausspart, führt von oben nach unten – man kann in ihm kriechen oder nach unten rutschen, aufrecht gehen funktioniert nicht, in der Tiefe des Raum verschwinden erst recht nicht. Waghalsige Klettereien sind möglich, über den Köpfen der Zuschauer, allerdings mit Sicherungsseil.

borkman3 560 julian roeder uAufrechtes Gehen ist unmöglich in Olaf Altmanns Bühnenbild © Julian RöderLasse Myhr als Borkmans Sohn Erhart ist die totale Karikatur eines verwöhnten, wohlstandsverwahrlosten Buben. In der Uniform eines Verbindungsstudenten torkelt er zwischen seine Tante und seine Mutter, der einen dreht er am Busen rum, der anderen langt er unter das Kleid; die "Champaningerflasche" ist dabei immer in Greifweite.

Später am Abend erklärt er ausführlich der versammelten Gesellschaft, dass er doch vor allem erst mal leben wolle. Dazu muss er sich ausziehen, ganz, um in einen Supermananzug zu schlüpfen. Lächerlicher geht es nicht mehr, diesen Typen kann man nicht ernst nehmen, ein Gewissen sucht man in ihm vergeblich. Dennoch reißen sich die Frauen um ihn: die Mutter sowie die Tante, die bald sterben wird und ihm ihren Namen und ihre Vermögen hinterlassen will. Und die, die in abschleppen wird, die Frau Fanny Wilton. Bei Hildegard Schmahl ist sie noch reifer, als es der Text verlangt und im blauen Kleid mit Pelz und Gummistiefeln, ständig angesäuselt oder ihre Schwächeanfälle ausdösend auch noch würdeloser.

Die Liebe verraten

Armin Petras geht es in dieser Inszenierung keineswegs darum, heitere Abendunterhaltung zu schaffen. Der Kern der Geschichte ist trauriger als das meiste, was man sich vorstellen will. Ein Mann verrät seine Liebe für ein Gefühl, das seiner Meinung noch geiler ist, wenn man es erst einmal spürt: Macht. André Jung als Borkman kämpft um die Wahrheit dieser Behauptung, ansonsten müsste er sich sein Versagen eingestehen. Er scheitelt sich das Haar, arbeitet eifrig in seinen Papieren, wenn ihn seine Schwägerin in seinem Kabuff aufsucht.

Er gibt vor, den großen Plan zu haben, sein Scheitern war nur ein Stolpern auf dem Weg nach oben. Die allmähliche, unaufhaltsame Selbst-Dekonstruktion dieses Mannes ist das Rückgrat des Stücks. Angesichts dessen erscheinen die Albernheiten drumherum nur umso bitterer. Vor der Bühne steht ein Piano. Hanna Plaß trägt auf ihre sehr eigene Weise Rio-Reiser-Songs vor. Sie spielt im Stück eine kleine Rolle, die des mit durchbrennenden Mädchens Frida, für die Grundstimmung allerdings eine große. Ihre Stimme, das Klavier, ab und zu singende Gläser erzeugen keineswegs nur großes Gefühlskino oder Gänsehaut, sondern auch eine gewaltige Coolness und Lässigkeit.

Columbo dreht durch

Bei so viel Selbstbetrug muss man durchdrehen. Nachdem die Bühnenwand nach hinten abgefahren ist, lässt sich Borkman von Bühnenarbeiterinnen in einem Wägelchen herumziehen, bis es ihm zu blöd wird. Da springt er nach draußen, holt sich Mäntel aus der Garderobe und macht einen auf Columbo. Bei seinem Tod schweben seine Frau und ihre Schwester wie Engel über ihm. Albern? Sicher, aber auch großartig darin, wie hier innere Leere ausgestellt und zelebriert wird.

Soeben wurde bekannt, dass zwei Kammerspiel-Produktionen des vergangenen Jahres zum Theatertreffen eingeladen sind. Das Haus ist in einer guten Verfassung. Dieser "Borkman" und alle, die dabei auf der Bühne waren, bestätigen dies nur.

 

John Gabriel Borkman
von Henrik Ibsen
Regie: Armin Petras, Bühne: Olaf Altmann, Kostüme: Katja Strohschneider, Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel, Hanna Plaß, David Heiligers, Licht: Jürgen Kolb, Choreografie: Berit Jentzsch, Dramaturgie: Malte Jelden.
Mit: André Jung, Cristin König, Lasse Myhr, Hanna Plaß, Wiebke Puls, Hildegard Schmahl, Michael Tregor.

www.muenchner-kammerspiele.de

 

John Gabriel Borkman wurde vor kurzem auch am Prater der Berliner Volksbühne inszeniert. Jene Inszenierung schaffte es nicht nur in die BILD-Zeitung, sondern auch zum Theatertreffen 2012.

Kritikenrundschau

Armin Petras' "überdrehte Inszenierung" funktioniere nur bis zur Pause, schreibt Gabriella Lorenz in der Münchner Abendzeitung (19.2.2012). Nach einer "furiosen ersten Hälfte" verlaufe sich die Inszenierug stilistisch unbekümmert in die Groteske und Karikatur. Die so aktuell scheinende Finanz-Crash-Story interessiere Petras wenig – "auch für Ibsen war sie 1896 nur Folie für die Vernichtung von Menschen durch Geldgier". Stattdessen verlege die Regie sich auf die Darstellung des Gegenpols der Geldgier, der Lebensgier. "Der Ton ist hitzig, aufgeregt, aggressiv", so Lorenz. Bis zur Pause sei der "exaltierte Furor" der Spielweise mitreißend. Danach ändere sich die Spielhaltung: "Nun wollen die Darsteller frontal die Zuschauer zu Komplizen machen."Am Ende passe der Tod "schon längst nicht mehr in Petras' verwitzeltes Konzept".

"Kaum Rätsel, aber viel Heiterkeit" hat Egbert Tholl für die Süddeutsche Zeitung (20.2.2012) gesehen. So spröde schön Petras' eigene Fassung sei, so theaterhaft überdreht müssten die Schauspieler mit ihr umgehen. Die Inszenierung verkomme so zu einer Ansammlung von Kunststücken. Jeder Einfall stehe nur für sich, nicht fürs Theater. Für Momente rühre, wie Wiebke Puls das Sterben der Ella ankündige, ebenso für Momente faszinierten Gunhilds Zorn und Borkmans magengeschwüriges Hoffen auf das Wiedererstarken der eigenen Großartigkeit. "Doch keiner Figur nimmt sich Petras so intensiv an, dass man das Ende ertrüge." Das sei so voller seifigem Pathos, dass man diesem an die vorangegangene Komik hingepappten Epitaph nur noch Widerwillen entgegenbringen könne. "Es ist schade um die tollen Schauspieler."

K. Erik Franzen bewundert für die Frankfurter Rundschau (21.2.2012) eine "psychologisch exakte Untertagesituation des Ibsen-Dramas", getragen von "einem faszinierenden Bühnenbild von Olaf Altmann, das als silbrig-schwarzes Bergwerk angelegt ist". Man sei mit einem "völlig aus den Fugen geratenen Grubensystem der menschlichen Seele" konfrontiert. Petras' Regie "geht es um den Betrug der Herzen, um den Verrat von Freundschaft und Liebe, um egoistische Glückssuche und abgebrannte Hoffnungen". Höchstes Lob erhalten die Schauspieler, allen voran André Jung, der Borkmann "mit sagenhafter Tiefe" spiele. Die Figuren "buhlen in ihrer irren Sehnsucht nach einem emotionalen Lückenfüller der eigenen Unzulänglichkeiten und Verletzungen um die Gunst des Borkman-Sohnes" und zeigten dabei auf "faszinierend unsentimentale, aber immer wieder sprachlich-humoristische Art und Weise noch hoffnungsloser als die Vorlage einen von Anfang an geradlinigen Weg aus der Kugelbahn des Lebens: Borkman stirbt nach kurzer Alzheimer-Phase, Ella wartet paralysiert auf den Tod, Gunhild schweigt und beide Schwestern bleiben unversöhnt."

Kommentare  
Borkman, München: erheitert zur Pause, verärgert am Schluss
Der Hysteriker und der Depressive sind beide tragische Figuren. Der Hysteriker genießt den kleinen Vorteil, dass er einen gewissen Unterhaltungswert hat. Dadurch ist er theaterkompatibler. Herr Petras hat sich für die Hysterie entschieden, statt wie so oft bei Ibsen für die Depression. So wabert nicht wie seiner Zeit bei dem Schaubühnen-Gastspiel mit Josef Bierbichler und Angela Winkler die schwarze Wolke der Traurigkeit durch die Kammerspiele, sondern es wird viel gelacht. Ich ertappe mich dabei, dass ich geradezu erheitert in die Pause gehe, und mir denke, dass das Konzept der Hysterie aufgehen könnte. Doch nach der Pause das Desaster: Herr Petras meint wohl, wieder mal beweisen zu müssen, dass er zur Riege der deutschen Großregisseure gehört, und dazu braucht es natürlich viele Auffälligkeiten. So jagt nach der Pause ein Effekt und ein Einfall den anderen, ohne dass mir klar wird, was dies mit der Geschichte zu tun hat, die auf der Bühne erzählt wird. Ein vertaner Abend. Geradezu verärgert verlasse ich die Kammerspiele.
Borkmann, München: Theaterjugendclubleiter
freue mich schon auf den tag wenn theaterleitungen und kritik endlich mal genervt und gelangweilt von den petras'schen extra-mätzchnen sind. gute aber verlorene schauspieler, klassestück, und die regie wie von nem berliner theaterjugendclubleiter.
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