Presseschau vom 21. Februar 2012 − Stimmen zu Frank Castorfs Vertragsverlängerung an der Berliner Volksbühne

Schlechte und gute Nachricht

Schlechte und gute Nachricht

Frank Castorfs verlängerter Intendantenvertrag an der Volksbühne am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz ruft unterschiedliche Reaktionen hervor. "Offenbar herrscht heftiger Mangel an Intendantenkandidaten", schreibt Ulrich Weinzierl auf Welt Online (21.2.2012) und fasst damit die neuerliche Vertragsverlängerung von Frank Castorf (der damit die Volksbühne länger leite als Claus Peymann einst das Wiener Burgtheater) als Armutszeugnis der Berliner Kulturpolitik auf: "Es ist fast ausgeschlossen, dass irgendjemand, und sei's ein Genie, am selben Ort in der derselben Funktion über ein Jahrzehnt hinaus wirklich kreativ sein kann: offen für Neues, auch eigene Prinzipien Umstürzendes. Frische Anregungen, Reibungen, Widerstände sind dazu unerlässlich." Auf den aktuellen Relevanzschub der Volksbühne durch die drei Einladungen zum diesjährigen Theatertreffen entgegnet der Kritiker "angesichts der Triftigkeit der Jury-Urteile" salopp: "Nebbich!"

Eine "schlechte Nachricht" und zugleich eine gute sei diese Vertragsverlängerung, findet Rüdiger Schaper im Tagesspiegel (21.2.2012) und auf Zeit Online (21.2.2012) und zählt die historischen Verdienste des Hauses am Rosa-Luxemburg-Platz auf. Die er allerdings als sehr vergangene betrachtet, denn "Christoph Schlingensief ist tot, Christoph Marthaler wirkt ausgelaugt, Matthias Lilienthal hat in der Zwischenzeit das Hebbel am Ufer zu auch schon wieder legendärem Erfolg geführt und hört dort jetzt auf" und das einst so wundervolle Ensemble der Bühne existiert auch nicht mehr. Immerhin seien nun "die Fronten geklärt"; es könne "zum langen Endspur angesetzt werden" und nebenher gebe es "reichlich Zeit, sich über die Nachfolge Gedanken zu machen." Allerdings – und das gehört zu den schlechten Seiten der Nachricht – "fällt einem kein Kandidat und keine Kandidatin ein, der oder die Castorf ad hoc ersetzen könnte".

Ulrich Seidler nennt Frank Castorf in der Berliner Zeitung (21.2.2012) einen "König bis zur Rente". Die Nachricht der Vertragsverlängerung schmeckt ihm "süß-sauer", aber nur, weil es danach aussieht, als wolle F.C. tatsächlich in drei Jahren dann einmal sein Amt niederlegen. Seidler ermittelt aus der Meldung, die eigentlich kurz ist, ein Machtverhältnis zwischen Castorf und dem Regierenden Bürgermeister, seinem "Freund Klaus", mit dem letzterer offenbar nicht zufrieden sei, weshalb er Castorfs Verdienste um die Theatergeschichte schnöde in die Vergangenheit verlege. Offenbar wolle Wowereit den Castorf nicht verlängern, sondern er sei dazu gezwungen angesichts Castorfs "Ring"-Engagement und der gegenwärtigen Erfolge seiner Volksbühne.

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