altDie Stunde der Recyclingromantiker

von Leopold Lippert

Wien, 23. Februar 2012. Vor der kargen Sperrholzwand auf der Bühne des Wiener Schauspielhauses steht ein großer schwarzer Mülleimer. Wenn es nach "Harpi" (Johannes Zeiler) geht, muss der leer bleiben. Denn Molières Geiziger glaubt in PeterLichts Adaption an den Kapitalismus als "reine Idee", ein sauberes Allheilversprechen ohne Unschärfen und Reibungsverluste, ohne unersättliche Konsumgeilheit und müffelnde Abfälle.

Harpi ist ein Ästhet des Geldes, ein ultimativer Purist, der ein Zuviel an Zahnpasta mit Unterdruck wieder in die Tube zurückholt, um ja nichts zu vergeuden. Man könnte ihn als Verweigerer verklären, der dem so reibungslos funktionierenden Zusammenspiel von Produzieren, Konsumieren und Wegwerfen das eine oder andere Steinchen ins Getriebe wirft. Man könnte ihn aber auch als gefährlichen Reinheitsfanatiker begreifen, der sein Umfeld mit Zahnpastanostalgie einzulullen versucht, während er gierig weiter Geld anhäuft.

Schmutzige Hosen und andere Verunreinigungen

Bastian Krafts schlaue Inszenierung von PeterLichts "Der Geizige – Ein Familiengemälde nach Molière" verweigert die eindeutige Positionierung und öffnet geschickt das Spannungsfeld zwischen ideeller Eleganz und globaler Müllhalde, Recyclingromantik und Konsumgesellschaft. Auf die Rückseite der Sperrholzwand hat Peter Baur eine blütenweiße Wohnungseinrichtung voll mit weiß bemalten, garantiert unbeweglichen IKEA-Dekoteilen gebaut. Der puristische Guckkasten dient als Unterlage für den Überfluss an Bakterien, Hormonen, schmutzigen Hosen und anderen Verunreinigungen, die Kraft in verschwenderischen zwei Stunden über die Bühne jagt.

geizige5 560 alexi-pelekanos uMax Mayer, Veronika Glatzner, Vincent Glander, Johannes Zeiler und Katja Jung
© Alexi Pelekanos / Schauspielhaus

Da sind die Videoprojektionen, die nicht nur der Einrichtung Farbe verleihen, sondern jede Menge Geldbündel, Euromünzen, Aktienindizes, und Waschmittelwerbungen ins Spiel bringen. Und da ist die mit Hochgeschwindigkeit herumturnende Familie Harpagon: Vincent Glandners Schuljungen Cleanti, Max Mayers überemotionaler Vali, Veronika Glatzners wasserstoffblonde Eli und schließlich Katja Jung als "Onkeltante" Jakob, die eher wie eine gealterte Onkeltante Amy Winehouse aussieht. Sie alle palavern artifizielle Jugendsprache (à la "Ich hab die Orga von dem Laden übernommen") und produzieren Säckeweise Müll.

Barocke Akrobatik

Dass der weiße Guckkasten nur einen knappen Meter tief ist, eröffnet ungeahnte akrobatische Möglichkeiten: Zu swingender Barockmusik quetschen sich die Schauspieler aneinander vorbei und laufen zu komödiantischer Höchstform auf. Trotzdem nimmt sich Kraft die Zeit für "freeze frame"-artige Stillstellungen, die umfangreiche, durchaus langatmige Monologe rahmen. Das Familiengemälde oszilliert so zwischen makellosem Sprechtheater und einem kunterbunten, sehr wörtlich zu nehmenden tableau vivant.

Und der Kapitalismus? Der endet in der Persiflage. Die hochironische Verulkung des Molièreschen Finales erklärt das "reine" Versprechen des Kapitals, die utopische Idee zur Weltverbesserung zum fragwürdigen Deus ex machina. Völlig unverhofft ruft die Onkeltante voll popkitschigem Enthusiasmus das Happy End aus, und plötzlich ist Geld für alle da. Jeder Mangel ist beseitigt und alle schunkeln selig in der Endlosschleife. Nach nervenaufreibenden Verteilungskämpfen kriegt nun endlich mal jeder, was er immer schon haben wollte. Und Bastian Kraft kriegt lang anhaltenden Applaus.


Der Geizige – Ein Familiengemälde nach Molière
von PeterLicht
Regie: Bastian Kraft, Bühne: Peter Baur, Kostüme: Dagmar Bald
Mit: Vincent Glandner, Veronika Glatzner, Katja Jung, Max Mayer, Johannes Zeiler

www.schauspielhaus.at


Der enigmatische Songpoet PeterLicht singt nicht nur "Lieder vom Ende des Kapitalismus", er schreibt auch Stücke darüber. Welche Aufführungen von Texten PeterLichts nachtkritik.de bisher besprochen hat, steht im Lexikon. Johannes Zeiler übrigens, der bei Kraft den Harpagon spielt, war der Titelheld in Alexander Sokorows preisgekröntem Faust-Film.

 

Kritikenrundschau

Dem Eindruck von Ronald Pohl in der Wiener Tageszeitung Der Standard (25.2.2012) zufolge weiß Regisseur Bastian Kraft nicht recht, "was er sich – und dem Publikum – eigentlich zu soufflieren wünscht. Denn für tieferreichende Auslotungen des Geizes ist sein Theater allzu üppig aufgestellt." Das Positive an diesem Abend ist daher für Pohl rasch erzählt: "Er hat sich bemüht, aber nicht verausgabt. Er geizt nicht mit Späßchen, ist aber reizarm." Das Dilemma dieser "vor allem gut gemeinten Erstaufführung" steckt für diesen Kritiker vor allem in ihrer Penetranz. So verbaue sie "den Komödientypen mit planerischer Meisterschaft alle Entfaltungsmöglichkeiten. Sie verbannt Harpagons Familie inklusive Gesinde in ein Puppenhaus, dessen Anlage an einen Flachbildschirm erinnert. Man muss sich die Harpagons am ehesten als Vertikalbild der Verliererfamilie Al Bundys vorstellen: Die Barockmusik perlt. Das Töchterchen (Veronika Glatzner) schwingt am Luster, das geldgierige Söhnchen Cléante (Vincent Glander) hängt an der Stiege fest." Grundsätzlich obwaltet "leere Geschäftigkeit", derweil das wunderbare Schauspielhaus-Ensemble "ins Lufttreten und Zeilenschinden" gerate.

Von einem durchwachsenen Abend spricht Norbert Mayer in der Wiener Presse (25.2.2012) Zwar werde er von großartigen Schauspielern getragen und auch der Text hat aus Mayers Sicht spielerische Höhepunkte. Doch geht er "viel zu verschwenderisch mit Abschweifungen und wilden Assoziationen um, die innerhalb von zwei Stunden Ermüdungseffekte bewirken". Es werde gequatsct. Sogar viel. Nur Sinn erkennt der Kritiker wenig. Gelungen findet er "die Wutbürger-Passagen der Jungen gegen die Alten", eindrucksvoll die Assoziationen, "in denen die Auswüchse der Konsumgesellschaft mit der Krankheit gelber Fettleibigkeit verbunden werden". Das zerhackte 'Neusprech' aber, "mit dem die Schauspieler in den ersten Szenen einige Lacherfolge erzielen", beginnt ihn mit der Zeit zu nerven, da es sich aus seiner Sicht wie Mehltau über die Sprache legt. "Ein halbes Stündchen weniger hätte dem Abend" seiner Ansicht nach ebenfalls gut getan.

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