Wer nicht leidet, bleibt Tourist

von Anne Peter

Berlin, 15. November 2007. Von einem, der auszog, "einen Kriegsschauplatz zu besuchen wie eine Sehenswürdigkeit". Er reist als Kriegsreporter nach Nahost. Nicht das Fürchten lernt er da, sondern die Abstumpfung. Das Immer-Öfter-Wegschauen. Und den Zweifel an der Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns.

Hans-Werner Kroesinger ist nicht dafür bekannt, dass er Märchen erzählt. Er tut es auch hier nicht. Stattdessen will er, wie gewohnt, ganz genau hinschauen. Dafür geht der Differenzierungsspezialist, der sich dem Dokumentartheater schon lange vor Rimini Protokoll widmete, in seiner neuesten Realitätserkundung "Beirut Report" mit seinen sechs Schauspielern auf Expedition in den Libanon.

In den Wirren des Bürgerkriegs

Im Gepäck haben sie einen historischen Reisebericht aus dem 19. Jahrhundert, den 1979 erschienenen Roman "Die Fälschung" von Nicolas Born, sowie den Bericht des Berliner Staatsanwalts und UN-Ermittlers Detlev Mehlis, der das Autobomben-Attentat auf den ehemaligen libanesischen Premier Rafik Hariri untersuchen sollte. Diese Texte bilden im Wesentlichen die Grundlage der Bildungsreise, auf die man das Publikum im Berliner Hebbel am Ufer einlädt.

Es wird dabei zusammen mit Borns Hauptfigur, dem Journalisten Laschen, mitten hineingestürzt in die Wirren des bürgerkriegzerrütteten Landes. Und später (leider) nicht viel schlauer wieder nach Hause gehen. Allen Erzählsplittern zu folgen, ist beinahe ebenso unmöglich, wie die reale Konfliktlage zwischen den sich bekämpfenden und wechselnd zusammen schließenden Gruppierungen zu erfassen. Geschweige denn zu verstehen. Schiiten, Sunniten, Maroniten, Drusen, Palästinenser und ihre politischen Parteien, die faschistische Falange, die PLO, später die Hisbollah, die pro-syrischen, pro-iranischen oder pro-westlichen Orientierungen.

Nutznießer fremden Leidens

In die Verworrenheit dieser Interessenlagen bringt auch Kroesinger keine Klarheit. Wie zum Beispiel hat dieser Krieg, der von 1975 bis 1990 dauerte, eigentlich angefangen? Worum ging es bei dem gegenseitigen Gemetzel, den Geiselnahmen, den Attentaten, bei denen 90.000 ihr Leben ließen? Auf diese Fragen gibt der Abend keine Antwort. Vielmehr spürt er der Schwierigkeit nach, als Außenstehender von diesem Konflikt zu berichten. Womit die Bedingungen des Dokumentartheaters selbst befragt werden.

"Ich müsste, damit etwas wieder richtig wird, kämpfen und fallen und berichten dabei, in der richtigen Gefahr leben und darin umkommen erst einmal", gesteht sich der Journalist Laschen ein. Wer nicht selbst leidet, bleibt Tourist. Und letztlich Nutznießer des fremden Leidens, mit dem er schließlich sein Geld verdient, indem er es schreibend in bundesrepublikanische Wohnzimmer korrespondiert – das ewige Problem des westlichen Blicks.

Kroesinger selbst meidet dabei den Voyeurismus, verzichtet in seinem Zeige- und Stehtheater etwa auf emotionsputschendes Ausmalen von Gräuelgeschichten, indem er die Darsteller kaum etwas spielen, sondern nur berichten lässt. Beständig springt die Erzählstimme zwischen ihnen hin und her, bei manchen versammeln sich kurz die Züge einer Figur, die sich jedoch gleich wieder auflösen.

Das Attentat als Zaubertrick

Wo von Schusswechseln die Rede ist, pustet man ein wenig Mehl in die Luft. Während einige Mike Davis' "Geschichte der Autobombe" zitieren, fahren andere Spielzeugautos über Stadtpläne; dazu werden auf dem Lamellenvorhang Bilder von Beirut projiziert. Als der UN-Bericht das Attentat auf Hariri schildert, wird dieses als Zaubertrick vorgeführt, bei dem eines der Miniaturautos spurlos unter einem Halstuch verschwindet. Am Detonationspunkt wird der vorher längst zusammengestellte Autotross mit einem Tritt auseinander gestoben. Das ist alles schlüssig, elegant aufeinander bezogen und nett anzuschauen. Doch was soll uns auf dieser zwischen Wohnzimmer und Seminarraum changierenden Bühne eigentlich genau gezeigt werden? Blitzt da irgendwo ein Lerneffekt? Wohin führt diese Reise?

Vielleicht ist es schon viel, dass die Inszenierung am exemplarischen Fall des Libanon das durchaus angesagte Bild einer homogenen, irgendwie islamistischen arabischen Welt wieder in seine Einzelteile zerlegt. Auch wenn sie zur Komplexität des umkreisten Konfliktes nur hilflos die Schultern heben kann. Und wenn Kroesinger am Ende die Geschichte vom heiligen Georg erzählen lässt, der eine gebeutelte Stadt vom zwölfköpfigen Drachen befreit, übt er damit nicht zuletzt subtil Kritik an den Märchenerzählern unserer Zeit, die uns weismachen wollen, die Probleme der Welt könnten dadurch gelöst werden, dass die Guten ausziehen, um das Böse zu besiegen.


Beirut Report
von Hans-Werner Kroesinger
Konzept & Regie: Hans-Werner Kroesinger, Ausstattung: Valerie von Stillfried, Katja Reetz.
Mit: Judica Albrecht, Nicola Schößler, Armin Dallapiccola, Sven Philipp, Uwe Schmieder, Lajos Talamonti.

www.hebbel-am-ufer.de

 

 

Kritikenrundschau

Alles wunderbar anzuschauen, findet Dirk Pilz in der Berliner Zeitung (17.11.2007), auch die Absicht, mal nicht zur üblichen Medienschelte zu schreiten, wird lobend zur Kenntnis genommen. Trotzdem läuft die Sache im Berliner HAU für Pilz am Ende doch darauf hinaus. Werner Kroesingers "ausgekühltes Erzähltheater" wolle das Differenzieren schulen "und bedient sich subtiler Spielmittel: Judica Albrecht leiht dem Abend ihr fieses Lächeln, Uwe Schmieder unterläuft gern und gut den Reportage-Ton. Alles wunderbar anzuschauen. Allein, was folgt daraus? Ein Kopfnick-Theater, das dauerndes Einverständnis herstellt: Keine Frage, es ist alles viel verwickelter als es in der Zeitung steht."

 

Kommentare  
Beirut Report: eine vertane Chance
Leider kommt Kroesinger in seiner Inszenierung über das Dokumentarisch-Aufklärerische nicht hinaus und hat nicht viel Neues beizutragen. Letztendlich erzählen die Darsteller nur mit leicht ironischem Abstand das Drehbuch von Schlöndorffs "Fälschung" nach - schade, bei diesem intelligenten Ansatz. Eine vertane Chance.
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