Der Wahn glotzt mit

von Ralph Gambihler

Dresden, 15. November 2007. Als das Stück vor einem halben Jahr am Berliner Maxim Gorki Theater zur Uraufführung kam, war das Echo ein Konzert in Moll (hier zu lesen, und hier hat nachtkritik.de damals berichtet). Die Kritik fand zwar manches warme Wort für die Regie des Weimarer Senkrechtstarters Tilmann Köhler, verwarf aber den Text seines Jugendfreundes Thomas Freyer als klein, blässlich, naiv.

Mit dem "Traum vom Zaun" und dem "Paradies der genügsamen Selbstversorger" wollte sich niemand so recht anfreunden (oder doch: "Die Welt"). Und mit Figuren, die zu konturlosen Ideenträgern degradiert werden, auch nicht.

Am Staatsschauspiel Dresden hat man die "Separatisten" nun ungeachtet der Berliner Malaise in den Spielplan gehoben. Das ist schneidig. Als Kulisse für die Aufführung im oberen Foyer des neuen Hauses dient ein zu sportlicher Besteigung einladendes Holzwand-Gebirge mit diversen Durchgängen und Sitzmöglichkeiten (Bühne: Petra Schlüter-Wilke). Der Zaun, mit dem sich die Bewohner einer ostdeutschen Plattenbausiedlung vom Rest der Welt abschotten wollen, ist also von vornherein so zerklüftet und löchrig geworden wie der Glaube ans irdische Paradies. Man mag dies als Kommentar zu Freyers überraschend ungebrochenem Miniatur-Kommunismus begreifen; zwingend ist eine solche Deutung nicht.

Postsozialistische Mauerbau-Träumerei
Obwohl sie naheliegt. Denn es ist eigentlich kaum zu übersehen, dass die Regie (Arne Böge) bei aller Schnörkellosigkeit hier und da Duftnoten historisch-politischer Korrektheit setzt. Nicht dass sie dem Text in den Rücken fiele – nein, nein. Aber in den Ruch von Ostalgie und peinlicher Revoluzzer-Romantik mag Böge eben doch nicht geraten.

Die erste Szene beispielsweise zeigt Rike, die junge Frau aus Block soundso, in völlig entrückter Verfassung. Ihr Blick ist starr, ja eigentlich irr in weite Fernen versenkt, als sei sie Kassandras Schwester. In der Textvorlage wird die postsozialistische Mauerbau-Träumerei, die Freyer durchspielt, als das Hirngespinst dieser Figur kenntlich gemacht. Rike, so merkt man, bricht nur gedanklich aus den Frustzonen der Konkurrenzgesellschaft aus. Sie fantasiert sich eine Community aus Aufständischen herbei.

In Dresden hat diese Fantasie etwas Krankhaftes, Fanatisches. Die Nosferatu-Beleuchtung von unten, in der die Rike-Darstellerin Katka Kurze am Anfang die Kulisse betritt, verstärkt diesen Eindruck. Hier glotzt sozusagen der Wahn. Und Marx und Engels sind lange tot.

Kleines Utopia mit kleinem Diktator
Solche Pinselstriche im Zeichen historischer Erfahrung bekommen auch andere Figuren ab. Am deutlichsten sieht man sie Johan an, dem jungen Chefdenker und Chefideologen aus der Nachbarschaft. Friedrich Rößiger spielt einen ebenso jovialen wie verklemmten Spießer mit Brille und ernst gemeintem Nassscheitel, aus dem fallweise ein Schwärmer, ein Technokrat oder ein Diktator hervortritt. Letzter brüllt sehr unangenehm vom Gipfel des Holzwand-Gebirges herunter; auch das kleine Utopia hat seinen Despoten.

Unten, auf dem Boden der schnöden Tatsachen, wird es dann ziemlich frostig zwischen Anita, der mütterlichen Edeka-Kassiererin, Günter, dem gutmütigen Kneiper vom Sonneneck, und Alex, dem zunehmend verwirrten Womanizer und Antennenabschrauber. Ein Gefühl von kommoder Diktatur kommt jedenfalls nicht auf.

Mit anderen Worten: Die Regie und die gut aufspielenden Darsteller wollen dem Autor merklich zu Hilfe eilen – und können ihm doch nicht helfen. Der Text ist schlicht zu schmal für die Bühne, ganz unabhängig von seiner Interpretation. Er weiß zu wenig von seinen Figuren. Er verrätselt sich absichtsvoll. Er steigert sich in ein banales Aussteigerpathos hinein. Das bemerkenswerte expressionistische Vibrato, das er stellenweise hat, bringt nichts zum Schwingen. Es verhallt seltsam ungehört. Man hätte gern Besseres berichtet.


Separatisten
von Thomas Freyer
Regie: Arne Böge, Bühne und Kostüme: Petra Schlüter-Wilke.
Mit: Katka Kurze, Vera Irrgang, Lars Jung, Andreas Christ, Friedrich Rößiger.

www.staatsschauspiel-dresden.de

 

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