altWie dem auch sei

von Dieter Stoll

Erlangen, 10. März 2012. Für leicht verspätete Besucher dieser Aufführung führt der Blick auf die Bühne sofort ins zentrale Nervensystem des Spektakels, also umwegfrei direkt zum Aberwitz. Da hat man die erste überwölbende Mahnung "Lebe anständig, denke an das Folgende" verpasst (nicht so schlimm, sie kehrt mehrfach wieder wie das Murmeltier), und auch der Klageruf "Repariere meine Welt!" konnte den mitgebrachten Tiefsinn noch nicht beschwören, aber dafür darf man unbefangen staunen über die groteske Konstellation.

Hinter sommernachtstraumatischer Wald-Tapete verdeckt ein lebensgroßer Plaste-Damhirsch die Projektion des selbstverständlich in Originalfassung laufenden Godard-Films einer Cineasten-Retrospektive. Zufalls-Treffpunkt für das seltsame Paar, das der belgische Dramatiker Paul Pourveur im Zentrum seines schäkernd raunenden Stückes "Shakespeare is dead - get over it!" aufgestellt hat.

Sowas wie Liebe
Anna ist Schauspielerin und geht auf in der Welt von "brennend aktuellen" 540-minütigen Königsdramen des 17. Jahrhunderts, während sich William dem Anti-Globalisierungs-Protest verschrieben hat und im Theater zeitig einschläft. Für sie ist der Sonnenaufgang über der Wüste das Schönste, was sie je gesehen hat; für ihn war es der Blick aus zehn Metern Entfernung auf Brigitte Bardot. Trotzdem, sie versuchen es mit Godards Hilfe. Auch wenn sie weiterhin die T-Shirts kauft, gegen deren Herstellung in Entwicklungsländern er überall protestiert. Auch wenn er mit dem Namensvetter aus Stratford-upon-Avon nichts anfangen kann, den sie hemmungslos verehrt, es ist so was wie Liebe.

Mit Shakespeare hatte die Geschichte begonnen, an einem 5. August. Da war er noch kein Poet, sondern Wilderer. Der Hirsch, der in der Erlanger Aufführung nicht mehr aus der Szene weichen will, ist letztlich zuständig für die Dichter-Karriere. Shakespeare musste nach London fliehen und dort mangels Alternative zwangsläufig zum Genie werden. Denn alles im Leben hat seinen vernetzten Sinn, sagt Paul Pourveur, aber vielleicht auch nicht, und dann gäbe es eben statt Rückkoppelung einfach nur "den Markt, der Gott ist". Noch ein zentraler Merk-Satz aus dem Text lautet "Wie dem auch sei".

Überdosis Unentschlossenheit
Regisseur Eike Hannemann orientiert sich bei der Erlanger Inszenierung des mit vielen Stilmitteln jonglierenden, zwischen Erzähl-Ebenen im Zeitsprung pendelnden und gerne beim Salto in die Satire ein wenig verschnaufenden Stückes an einer anderen Maxime. Der Zuschauer, wünscht Pourveur, darf gleichzeitig in der Geschichte sein, aber auch von draußen reinlachen. Das beherrscht Hannemann mit seinen beiden Darstellern in einem Gemisch aus Dramen-Miniaturen und Kleinkunst-Gags ziemlich gut. Er bringt die immer wieder von Randbemerkungen gestoppte Story in elegante Slalom-Fahrt.

Linda Foerster schenkt der naiven Anna unzerstörbare Puppen-Blicke und resolutes Selbstwertgefühl ("Wenn man keine Allgemeinbildung hat, hält man sich besser vom Theater fern"), Steffen Riekers trampelt als höhnender Gegenwarts-William über Shakespeares Geburtshaus-Fliesen und schnuppert für alle Fälle an der "Überdosis Unentschlossenheit". Beide wechseln fliegend in andere Rollen, ganz so wie der Autor fortwährend die Gedanken an behaupteten Fügungen der Weltgeschichte entlang schrammen lässt. Dass Margaret Thatcher und Ronald Reagan, unabhängig voneinander, zu Schulzeiten in der Bibliothek statt der gesuchten Gedichte von John Milton die Lehre des liberalen Ökonomen Milton Friedman erwischten – die Folgen sind bekannt – ist ein besonders unwiderstehliches Mirakel.

Unzerstörbar
Die Aufführung lässt immer dann die Tragik geheimnisvoll durchschimmern, wenn ohne Gags auf Intelligenz gebaut wird. Hannemanns Verzicht auf Dickbrettbohrung bringt dem Autor, der dem deutschen Theater bislang nicht recht geheuer war, einen Sieg in der Leichtgewichts-Klasse.

Am Ende ist der alte Shakespeare dann doch nicht wirklich tot, aber dafür haben alle andern das Zeitliche gesegnet. Der Gegenwarts-William hat das Globe-Theatre wütend abgebrannt und kommt dabei um, die Anna scheidet mit ihrem angeborenen Sinn für Größe per Selbstmord aus. Doch weil beide ja sowieso unzerstörbar weiter erzählen, kann das nicht von allzu großer Tragik sein. Das Erlanger Publikum war begeistert, die Reparatur der Welt kann weiter gehen.

Shakespeare is dead – Get over it
von Paul Pourveur
Regie: Eike Hannemann, Bühne und Kostüme: Birgit Stoessel, Dramaturgie: Linda Best.
Mit: Linda Foerster, Steffen Riekers.

www.theater-erlangen.de


Paul Pourveurs Stück Shakespeare is dead sahen wir bereits 2009 beim Festival der deutschsprachigen Erstaufführungen "Spieltriebe 3" in Osnabrück. Hier geht's zur Besprechung auf unserer damaligen Festivalseite.


Kritikenrundschau

Von einer "umjubelten Inszenierung" berichtet Friedrich J. Bröder im Donaukurier (12.3.2012). Paul Pourveurs Text eröffne "mit dutzenden von Anspielungen und Versatzstücken eine bildungsbeflissene Zeit(geist)reise, die dem Zuschauer ein Mindestmaß an Bildung abverlangt". Regisseur Hannemann "macht daraus einen trashigen Bilderbogen" mit "Slapstik" und "Klamauk". So biete dieser Abende einen "Parforceritt durch Zeit und Raum, Kultur und Literatur, der den Shakespeare-Kult genauso auf die Schippe nimmt wie die Marktwirtschaft".

Von einem "Kessel Buntes" spricht Manfred Koch in den Nürnberger Nachrichten(13.3.2012), von dessen Essenz aus seiner Sicht zu befürchten ist, "dass sie genauso angestrengt und anstrengend gemeint ist, wie sie dargestellt wird." Es gebe keine Chronologie, keine Linearität, schreibt Koch, der Wirklichkeit und die Biografien eingepfercht in eine "Konglomerat-Blase aus Bruchstücken, Splittern, Augenblicken" fand. Alles sei ziemlich ambitioniert, so der Eindruck des Kritikers, "und erstmal sehr theoretisch, aber Papier ist ja bekanntlich geduldig. Theater ist es nicht." Man spüre die Nöte des Regisseurs Eike Hannemann, für das textlastige Konvolut eine adäquate visuelle Umsetzung zu finden. "Es wird viel geredet, aber wenig gezeigt."

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