Presseschau vom 14. März bis zum 3. April 2012 - Der Kulturinfarkt beschäftigt die deutschsprachige Presselandschaft
Doppelte Aufregung um die Hälfte
März / April 2012. Allein der Vorgeschmack dessen, was noch kommen wird, sorgt für Aufregung. Im SPIEGEL (12.3.2012) stellen die vier Autoren des Buches "Der Kulturinfarkt" (Erscheinungsdatum 20. März, hier unsere Besprechung) schon mal ihre Thesen vor. Und darunter findet sich die zentrale Frage: "Was wäre, wenn die Hälfte der Theater und Museen verschwände, einige Archive zusammengelegt und Konzertbühnen privatisiert würden? 3200 statt 6300 Museen in Deutschland, 70 staatliche und städtische Bühnen statt 140, 4000 Bibliotheken statt 8200 – wäre das die Apokalypse?"
Natürlich nicht, so die Antwort der Autoren Dieter Haselbach (Leiter Zentrum für Kulturforschung, Bonn), Armin Klein (Professor für Kulturmanagement, Ludwigsburg), Pius Knüsel (Direktor der Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia) und Stephan Opitz (Leiter Referat für Kulturelle Grundsatzfragen Schleswig-Holstein). Vielmehr sei diese Streichung überfällig, da die "kulturelle Flutung Deutschlands stets vom Angebot, nicht von der Nachfrage her gedacht" sei.
Dadurch herrsche praktisch Kulturdiktatur: Das Publikum wird entmündigt und muss das hinnehmen, was von den subventionierten Betrieben geboten wird. Durch die Marktunabhängigkeit werde aber nicht nur das Publikumsinteresse missachtet, auch entstehe eine Konformität durch "Übereinstimmung mit Fördermatrizen, Projektformaten".
Private Kulturbetriebe hingegen würden durch ihr Existenzrisiko zu ständiger Innovation getrieben werden. Also alles halbieren und das frei gewordene Geld wie folgt verteilen: 1. Die verbleibende Hälfte der Kulturinfrastruktur angemessen finanzieren. 2. Laienkultur und Laiengruppen in den Gemeinden fördern. 3. Kulturindustrie aufbauen, die ästhetische Erlebnisse als Ware herstellt und vertreibt. 4. Kunsthochschulen an die Wirtschaft anschließen und früh den Wettbewerb schulen. 5. Letztlich gegenwartsbezogene kulturelle Bildung, die international ausgerichtet ist ("türkisch, amerikanisch, chinesisch"), fördern.
(mw)
Reaktionen aus Politik, Kultur und Wissenschaft:
In Liane von Billerbecks Interview auf Deutschlandradio Kultur (13.3.2012) lehnt Monika Grütters, die Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, den marktorientierten Kulturbegriff entschieden ab. Gerade "Nonkonformismus im besten Sinne, spröde, widerständige Kulturleistungen", die der Gesellschaft den Spiegel vorhalten, seien nötig. Deshalb sei es das erklärte Ziel, Künstler durch staatliche Gelder "unabhängig zu machen von Zeitgeist und Geldgebern". "Nur so wird sie ja vor neuerlichen auch - ich sage mal ehrlich mit Blick in unsere Geschichte - totalitären Anwandlungen geschützt." Solch immer wiederkehrende Debatten seien zwar nötig, führten aber dazu, dass die "Kulturpolitiker, die den mit Abstand kleinsten Etat verwalten", sich manchmal am lautesten verteidigen müssten.
"Ich bin erstaunt, wie wenig sich die Verfasser mit dem aktuellen System der Kulturförderung auseinandergesetzt zu haben scheinen", so die Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler gegenüber der dpa, wie unter anderem auf Welt Online (13.3.2012) nachzulesen ist. Kultur sei "längst kein menschenfremder Tempel mehr für die bürgerlichen Eliten". "Kulturelle Einrichtungen erbringen heute gesellschaftliche Basisleistungen und sind viel stärker sozial vernetzt als die Autoren das behaupten", so Kisseler.
Der Vorsitzende des Kulturausschusses des Deutschen Städtetags, Hans-Georg Küppers, hält im Interview mit der dpa, wie etwa auf Focus Online (13.3.2012) nachzulesen, den Artikel für "eine völlig unnötige und für die Kultur auch schädliche Polemik – geschrieben von vier Herren, die praktische Kulturarbeit vor Ort scheinbar noch nie geleistet haben, sondern aus dem Elfenbeinturm der Uni oder aus einem Ministerium heraus Parolen loslassen, die ich so nicht verstehen kann." Kulturelle Angebote seien kulturelle Identifikationspunkte und müssten sich nicht rechnen.
Auf hr2-kultur (13.3.2012) interviewt Manfred E. Schuchmann den "neutralen" Soziologen Harald Welzer zu den Thesen: "Ich halte das, ehrlich gesagt, für eines dieser Bücher, die mit einer vollkommen entlegenen These und der Forderung radikaler Lösungen versuchen, Marktanteile zu kriegen. Vom Argumentationsniveau ist das absolut, ich möchte mal sagen, völlig entlegen, das geht im Grunde gar nicht, vorne und hinten nicht." Es sei eine "vollkommene Absurdität sich vorzustellen, dass die Hälfte aller Kultureinrichtungen in einem reichen Land, wie wir es nach wie vor sind, zumachen sollen – zugunsten von was? Zugunsten vom Markt? Also, wo sind wir bitte?"
In der Süddeutschen Zeitung (21.3.2012) schreibt Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz: In Zeiten knapper werdender Kassen könne, ja müss man über diese Themen diskutieren, so aber nicht. "Wie wichtig Zielgruppenorientierung vor allem für große Museen und Bibliotheken dennoch inzwischen geworden ist, scheinen die Autoren gänzlich zu ignorieren, wenn sie behaupten, öffentliche Kultureinrichtungen lehnten jegliche Orientierung am Nutzer aus tiefstem Herzen ab. Aber auch Marktorientierung kostet Geld, das nicht immer zur Verfügung steht. Richtig ist schon, dass nicht alle Kultureinrichtungen die Notwendigkeit dazu sehen oder die Möglichkeit haben, dies zu tun; hier könnten kluge Vorschläge ansetzen. Diese sucht man in dem Buch jedoch vergeblich. Lieber schütten die Autoren das Kind erst einmal mit dem Bade aus." Staatlich gefördert solle nur noch werden, was 'kulturpolitisch relevant' sei? "Nein, staatlich gefördert werden muss, was kulturell wertvoll ist! Wie auch immer Kulturpolitik in unserem Land in Zukunft aussehen wird, auf jeden Fall braucht es dazu einen politischen und gesellschaftlichen Konsens."
In der Frankfurter Rundschau / Berliner Zeitung (21.3.2012) meldet sich Oliver Reese zu Wort, Intendant des Schauspiel Frankfurt, und warnt vor kultureller "Gleichschaltung und Zentralisierung", Tendenzen, "die wir in der Bundesrepublik eigentlich hinter uns gelassen haben". Außerdem stellt er richtig: "Nur etwa 0,2 Prozent der öffentlichen Ausgaben in Deutschland entfallen auf Bühnen- und Theaterbetriebe - die Haushalte lassen sich nicht wirksam über Kultureinsparungen sanieren. Gerade in kleineren Städten bilden gewachsene Kulturen die oft einzigen markanten Wiedererkennungselemente. Wenn wir Witten kennen, dann wegen der Kammermusiktage. Oberhausen wegen des Theaters und der Kurzfilmtage, Recklinghausen wegen seiner Ruhrfestspiele. Die Autoren schlagen vor, man solle stattdessen die Laienkultur fördern, sozusagen als theatralen Volkssturm." Der wahre Skandal sei "der unkommentierte Vorabdruck im Spiegel".
Der Intendant des Konstanzer Stadttheaters, Christoph Nix, gibt seine Meinung zum "Prostata- und Hirninfarkt" im Südkurier(27.3.2012) ab. Wie es zu dem Buch kam? "Vier Autoren suchen sich einen Gegenstand, stellen die Verhältnisse von den Füßen auf den Kopf, finden einen Spiegeljournalisten, der von Kultur auch nichts versteht und behauptet, sie hätten eine neue Rezeptur gefunden." Inhaltlich pocht Nix darauf, dass die Kommunen von ihren Ausgaben auch etwas hätten: Arbeitsplätze, die wiederum zu Steuereinnahmen führen würden. Insgesamt hätten die Autoren weder neue Ideen noch seien sie ernstzunehmend: "In jeder Zeile spürt man, sie hätten gerne einmal mitgemischt auf dem Markt der großen Diskurse, aber sie finden nur das, was sie selber sind: eine müde Marketingmetapher, ein Bild vom kranken Herzen."
In der taz (26.3.2012) äußert sich Bernd Wagner, der Leiter des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft Bonn, und stellt fest: "Eine verpasste Chance." Denn man müsse endlich ohne selbstauferlegte Tabus auch über die Frage des "Rückbaus" diskutieren können. Die Autoren hätten dabei aber inhaltliche wie formale Fehler begangen: Die "Vermehrung" von Musikschulen beziehe sich vornehmlich auf private Einrichtungen, einem Zuwachs kultureller Einrichtungen stehe eine Schließung derselben, besonders in Ostdeuschland, gegenüber. Aber: "Richtig ist, dass das 'System der Kulturförderung neu auszurichten ist', weil die vorhandenen institutionellen Strukturen 'einen zu großen Teil der öffentlichen Mittel absorbieren'."
Reaktionen der Autoren:
Im Interview mit Linus Schöpfer in der Basler Zeitung (13.3.2012) schärft Buch-Autor Pius Knüsel nochmal seine Thesen. "Im 'Kulturinfarkt' schlagen wir keine Kürzungen, sondern Umverteilung vor." Er und die Mitautoren befürchten, "dass die Diskussion um den Geldmangel die viel wichtigere Diskussion verhindert, wohin die Reise gehen soll und was Kulturförderung gewollt, vor allem aber ungewollt, bewirkt." Knüsel bleibt dabei: "Kulturpolitik, wenn sie an die ganze Gesellschaft denkt, muss sich der Frage zuwenden, was denn die vielen interessiert und wie man dort Qualität erzeugt."
Auf Deutschlandradio Kultur (12.3.2012) streitet sich Ulrike Timm mit Buch-Autor Stephan Opitz. Es gehe nicht darum, dass tatsächlich die Hälfte aller Einrichtungen geschlossen werden, so Opitz: "Das ist ein Diskussionsanstoß, ein Anstoß für eine Kulturdebatte. Wir merken, dass das System monetär und auch von der Zielsetzung her ja vor dem Kollaps steht. Das merken Sie schon an solchen Slogans wie 'Theater muss sein'. Mehr ist dazu offenbar nicht zu sagen." Der Subventionsapparat müsse deshalb dringend kritisch überprüft und umstrukturiert werden. Opitz äußert sich noch einmal im Interview mit der Frankfurter Rundschau / Berliner Zeitung (17.3.2012).
Auf SWR2 – Journal am Mittag (12.3.2012) spricht Jörg Armbrüster mit Buch-Autor Armin Klein. Dieser stellt unter anderem fest, dass es zwar schon teilweise eine Kommerzialisierung der Kulturlandschaft gebe, allerdings seien die Kräfte momentan noch ungerecht verteilt: manche Betriebe müssten sich mehr, manche weniger selbst tragen. "Im Buch sprechen wir außerdem vom sogenannten Kultur-Schisma: Es gibt einerseits die staatliche, 'gute Kultur' und andererseits die 'Unterhaltungskultur'." Diese Trennung solle aufgehoben werden. So könne sich beispielsweise in Hamburg das erfolgreiche Musical "König der Löwen" mit jeder Opernproduktion messen.
Im Interview auf Deutschlandfunk – Kultur heute (12.3.2012) von Karin Fischer legt schließlich noch der vierte Buch-Autor Dieter Haselbach nach. Er fordert konkret, dass durch politische Diskussionen und "durchaus auch durch die Schließung von Einrichtungen" Mittel frei werden und neu verteilt werden. Schließlich "muss nicht für jeden vor jeder Haustür ein vollständiges Kulturangebot sein. Wenn ich mir betrachte, wie für andere Konsum- oder Freizeitentscheidungen Menschen große Strecken zurücklegen, denke ich, das kann man auch zumuten für einen Kulturbesuch."
(mw / sd)
Rezensionen und Kommentare:
Von einem Denkinfarkt spricht Niklas Maak in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (15.3.2012). Thesen und Forderungerungen des Buchs seien "nicht mal in erster Linie empörend, sondern einfach ein bisschen unterbelichtet." Im Grunde handele es sich um das Werk "eines Clubs ergrauter Kulturfunktionäre, die noch einmal die rhetorische Harley rausholen und mit mattem Thesenknattern um den eigenen Block fahren wollen." In vagen Formulierungen werde ein persönliches Frustrationserlebnis umstandslos zur Gesellschaftsdiagnostik aufgeblasen. Untergründig schwingt für den FAZ-Kritiker in den Kulturinfarkt-Thesen auch "das Ressentiment mit, subventionierte Kunst tauge per se nichts, das Gute komme auch allein durch, was, historisch gesehen, schlicht falsch ist: Die Künstler, die heute als Heroen einer autonomen Nachkriegskunst gelten und zu den teuersten Malern der Welt zählen, Maler wie Jackson Pollock und Mark Rothko, konnten jahrelang nur aufgrund großzügiger staatlicher Förderprogramme als Künstler überleben. Hier förderte der Staat etwas, das keinen Markt hatte." Immer wieder sieht Maak den Bürokratenjargon der Autoren hölzern um Lässigkeit ringen. "Wo man hinschaut, bleiben die Axiome vage, eiern die Begriffe: Was die Autoren des 'Kulturinfarkts' vor allem vorführen, ist die Verwüstung, die marktorientiertes Denken in der Sprache anrichtet." Der Gegenentwurf der Verfasser zur Subventionskultur sei eine anders als bei Adorno positiv gemeinte neue 'Kulturindustrie" – "und die, schreiben sie, 'ist Herstellung und Vertrieb von ästhetischen Erlebnissen in Warenform mit dem Willen zum Erfolg'". In einem Land, in dem solche Sätze geschrieben werden, kann es für Maak gar nicht genug Subventionen für Theater und Literaturfestivals geben.
Vor dem Hintergrund der Berliner Kulturlandschaft kritisiert Peter Laudenbach "Kulturinfarkt" im Tagesspiegel und auf dem Onlineportal der Zeit (16.3.2012): "Die Autoren beklagen, die Subventionskultur produziere 'Konformität' und 'überall das Gleiche'. Ein Blick in das Veranstaltungsprogramm eines einzigen Berliner Wochenendes genügt, um sich zu fragen, in welchem Land die Autoren eigentlich leben. 'Die Möwe' am DT, She She Pop im HAU, 'Faust' als Puppentheater in der Schaubude, das Kammerensemble Neue Musik im Automobil-Forum, das trashige Helmi im Ballhaus Ost, 'Tristan und Isolde' in der Staatsoper, Anne Tismer in den Sophiensälen, dazu höchst unterschiedliche Ausstellungen und Lesungen – alles subventionierte Kultur, alles in wenigen Tagen. Eintönig?" Und "die Warteschlagen" vor Museen (etwa vor der Neuen Nationalgalerie bei der Gerhard-Richter-Ausstellung) bewiesen, die "Nachfrage übersteigt das Angebot – wie bei vielen großen Kunstausstellungen der letzten Jahre".
"Kein Feind des notorisch unzuverlässigen Künstlervolks wird aus dem Buch rechten Gewinn schlagen können", befindet Jens Bisky in der Süddeutschen Zeitung (17.3.2012), da es im Grunde unlesbar sei: "schwammig in der Zustandsbeschreibung, unklar in der Polemik, wirr in den historischen Bemerkungen." Der Reformteil tauge bestenfalls als Tischvorlage zur Erarbeitung eines Referentenentwurfs zwecks Einsetzung einer Kommission. "Die Autoren liebäugeln mit dem freien Spiel der Marktkräfte. Zum Glück müssen sie nicht vom Schreiben leben, sie könnten dabei leicht verhungern." Das Buch verschenke die Gelegenheit, einen Streit anzuzetteln, der sich lohnt. "Die Ruhe und das phrasenreiche Einverständnis im Kulturpolitischen sind ja wirklich ein Grund zur Beunruhigung." So viel Stille und Konsens herrsche nur, wo große Konflikte und Probleme zugedeckt werden. "Zu reden wäre endlich über eine Kultur des Aufhörens, des Endes auch von Kultureinrichtungen." Die immer gleichen Argumente gegen Theaterschließungen etwa - bringt wenig, schadet viel, ist banausisch - änderten nichts daran, dass viele Kommunen die Mittel für ihre Theater kaum aufbringen können. "Ist der Bestandsschutz immer gerechtfertigt und die beste Lösung für die Bürger der Stadt? Muss jedes Festival sein? Braucht Berlin wirklich drei Opernhäuser, womit der Löwenanteil des Kulturetats immer schon verplant ist?" Kultursubventionen seien Umverteilungsmaßnahmen zugunsten der akademischen Mittelschicht. Sie profitiere am meisten davon, so Bisky: "Aber ist das nicht gut so? Geht es dem Land nicht eben deshalb gut, weil diese Schicht in der Öffentlichkeit den Ton angibt und Kunst und Kultur dabei als Ressource der Legitimierung und des Streits nutzt? Und schlittert das Land nicht deswegen so erfolgreich durch die Krise, weil seine Institutionen so stabil, zäh und alles in allem produktiv sind?"
In der Neuen Zürcher Zeitung (17.3.2012) werden vier Reaktionen versammelt:
"Die Kunst braucht keine von Zynismus, Herablassung und krausem Denken befeuerten Pamphlete, die ihren Anspruch auf Ernsthaftigkeit selber hintertreiben", meint Roman Bucheli. Keine einfachen Lösungen würden die inhärenten Widersprüche ausräumen. "Aber man muss sie benennen, man muss sie kennen, und dann muss man darüber streiten. Nur intelligenter!"
Ihrer Zeit hinterher hinken die vier Manifestatoren nach Meinung von Peter Hagmann, der für die Kultursparte Musik erklärt: "Dass es im Konzertbereich Probleme gibt bei den Besucherzahlen – übrigens gerade dann, wenn ein Haus die Innovation sucht –, lässt sich nicht leugnen." Daraus auf die Sklerose des Ganzen zu schliessen, sei indes ein Irrtum, der auf mangelnder Branchenkenntnis basiert. "Noch gibt es im Konzert mehr als genug Leben und, vor allem, mehr als genug Qualität – im Künstlerischen wie in Formen der Kommunikation zwischen Produzenten und Konsumenten. "
Die "Kulturinfarkt"-Autoren glaubten daran, dass sich Kultur wie eine Tomate ganz appetitlich «hors-sol» heranzüchten lässt – und nicht eines Humus bedarf, aus dem sie allmählich heranwächst, benachbart und befruchtet von lauter ähnlichen Keimen, die indes nie mit einem Label versehen und zum Verkauf angeboten werden, schreibt Samuel Herzog. Sie glaubten auch an den Laien, dem sie endlich die verdiente Unterstützung gönnen wollen – und übersähen dabei, dass zum Beispiel der Kunstbetrieb bei uns ohnehin zum grössten Teil 'laienhaft' funktioniere. "Laienhaft insofern, als nur ein kleiner Teil der daran Beteiligten, trotz bester Ausbildung, auch nur annähernd davon leben kann und die meisten Leistungen hier gratis erbracht werden." Könne es sich eine Gesellschaft leisten, darauf zu verzichten, indem sie zum Beispiel die Institutionen schliesst, in denen diese Leistungen eine gewisse Anerkennung finden?
An Hochschulen, wo Bühnenberufe gelehrt und gelernt werden; in Fachgremien der Subventionsgeber; bei Wettbewerben und Festivals, welche Hochschulprodukte und andere, unverschultem Boden entsprossene Produktionen der Gunst eines diversifizierten Publikums aussetzen: Da reibe sich die sogenannte Kunst, nicht selten produktiv, an ihren komplexen Entstehungsbedingungen. "Die vier 'Kulturinfarkt'-Schäflein im Wolfspelz wissen es genau. Was heulen oder blöken sie eigentlich?", schreibt Barbara Villiger Heilig.
In der Welt (19.3.2012) bemüht sich Matthias Heine um einen verständnisvollen Blick auf das Werk des Autorenkollektivs: "Das Buch ist so einäugig und ungerecht wie eine Polemik sein muss. Es widerspricht sich manchmal selbst. Und es enthält allerlei Unfug: Die Vier verspotten, das seit den Achtzigerjahren aufgekommene Berufsbild des 'Kulturvermittlers', kommen aber nicht auf die Idee, dass der 'Kulturmanager' genauso eine Pest sein könnte." Ihr Zahlenmaterial sei so angreifbar wie ihr Glaube, man könne 33 Prozent Einnahmenanteil mit "deutlich mehr" zeitgenössischen Werken erzielen; auch hielten die Autoren "an dem Popanz fest, staatlich geförderte Kunst sei etwas Elitäres für wenige Reiche und Alte". Allerdings verdecke all dieser "Quatsch" nicht, dass hier "die richtigen Fragen" gestellt würden, etwa: "Ist es wirklich gerechtfertigt, in einem Land, dessen Bevölkerung schrumpft und dessen finanzieller Spielraum schwindet, ausgerechnet die Kultur zu unantastbaren Heiligen Kuh zu erklären? Fördern wir nicht weniger die Kunst als vielmehr bürokratische Kulturstrukturen? Glaubt irgendjemand an die Legenden von der 'Umwegrentabilität' und an Richard Floridas 'kreative Klasse', die Kulturmetropolen angeblich Wirtschaftsblüten bescheren?"
In der Neuen Zürcher Zeitung (22.3.2012) meldet sich nun der Feuilletonredakteur Joachim Güntner zu Wort. Eigentlich würde er dem Autorenquartett samt seiner Vorschläge gern zur Seite springen, schreibt er. Auch angesichts der moralinsauren Gegenreden allenthalben. "Diesem Buch gegenüber versagt nun allerdings unsere Solidarität," stellt er bald resignierend fest. "Polemiken müssen prägnant, scharf und treffend sein – doch die unter dem Titel 'Der Kulturinfarkt' vorgelegte Abrechnung bleibt ein mattes Elaborat. Das Werk ist redundant, führt Kämpfe gegen längst aufgegebene ideologische Bastionen, verhebt sich mit seinen kulturphilosophischen Ansprüchen, bleibt in seinen Kriterien diffus und relativiert seine Attacken am Ende derart, dass die anfängliche Schärfe im milden Gestus des Sowohl-als-auch verschwindet. Einmal wird kulturkonservativ über die Entleerung des Begriffs künstlerische Qualität und das Verschwinden jeden Kanons geklagt, dann wieder wird Qualität ins Belieben der Künstler gestellt, denen man andererseits vorwirft, bloss an narzisstischer Selbstverwirklichung interessiert zu sein. Vatermörderisch zieht man über Theodor W. Adornos elitäre Verdammung des Amüsements her, möchte aber auch nicht zu denen gezählt werden, welche die Flutung der Bühnen und Leinwände mit den 'Reizen' von 'Gewalt, Sex, Pornografie' goutieren. Bezeichnend, dass die Autoren in Interviews bereits wieder zurückrudern."
Von einem Widerspruch in den nächsten sieht Ernst Elitz auf Welt-Online (22.3.2012) die Autoren stolpern, die aus seiner Sicht zwar die richtigen Fragen stellen, doch falsche Antworten geben: "Erst plustern sie sich als Nachfrage-Ideologen auf. Und plötzlich soll der Staat ein kulturell indifferentes Angebot über seine Kulturkassen fördern. Da stockt uns der Atem. Während der Leser noch vergeblich nach der Tiefe des Gedankens bohrt, sind die Autoren schon am Geldverteilen. Von allem also erst mal die Hälfte. Und davon zwanzig Prozent für die verbleibende Hoch-, zwanzig Prozent für die Laienkultur. Weitere zwanzig Prozent in die 'hubs'. Der Rest an Kunsthochschulen und - die letzte Tranche - in einen Schulunterricht, der 'uns türkische Kunst, amerikanische Kulturindustrie oder chinesischen Nationalismus näherbringt'. Wer es bisher für vorrangig hielt, an den Schulen Kreativität und ästhetische Bildung zu fördern, kommt sich angesichts dieses Programms wie ein Artefakt aus einem Museum vor. Aber das wird ja sowieso geschlossen. Tatsächlich, Deutschland droht ein 'Kulturinfarkt' - falls sich jemand anschicken sollte, auf die Autoren dieser Streitschrift zu hören."
Und Adrienne Goehler, ehemalige Berliner Kultursenatorin und einstige Präsidentin der Hochschule für Kunst und Musik in Hamburg, gibt im Freitag (22.3.2012) zu Protokoll: "Der Diagnose, dass die herrschende Förderlogik unbeweglich ist, viele Gelder an Projekte bindet, die künstlerisch keineswegs immer atemberaubend sind, und dadurch eine Schieflage in der Finanzierung von Kultur entstanden ist, kann man zweifellos zustimmen. Indessen reagieren die Autoren des Kulturinfarkt panisch: Um den drohenden Infarkt zu verhindern wollen sie ein paar Glieder amputieren. Dabei ist die Amputation nicht nur in der Medizin das letzte Mittel der Wahl. Weg ist weg. Welche Städte würden die empfohlenen fünf Prozent Schließungen treffen? Berlin? München? Wahrscheinlichere Opfer sind die kleineren Städte, die jetzt schon gegen Wegzug und Verödung ankämpfen." Auch stellt Goehler ein paar lesenswerte Gegenfragen.
Das besten an dem Buch sei, so Thomas E. Schmidt in der Zeit (22.3.2012), "dass es Ingrimm, also auch einen gewissen Ernst in die Auseinandersetzung zurückträgt. Man kann seine Provokation nicht länger mit der alten Fensterreden-Kulturemphase zurückweisen, nicht einmal von Berlin aus. Der wirkliche Streit um das öffentliche Gut Kultur hat noch gar nicht begonnen. Die Parteien sind keineswegs versessen darauf, ihn zu führen, denn Wahlversprechen kommen darin nicht vor. So steht die Kulturpolitik heute wieder ganz am Anfang."
In der Süddeutschen Zeitung (23.3.2012) äußert sich Thomas Steinfeld, der von den Autoren des "Kulturinfarktes" zustimmend zitiert wurde, selbst zu dem Buch: Im "Kulturbetrieb" walte der "unerschütterliche Glaube" an "die Unwidersprechlichkeit des Kulturellen". Dieser Glaube halte einen Gegenstand "mitsamt dessen öffentlicher Förderung für ewig". "Die Kultur" könne und wolle sich nicht vorstellen, "dass sie nach anderen Kriterien als den heutigen gemessen werden könnte". Gegen diesen Glauben hätte nun die vier Autoren des Pamphlets "Der Kulturinfarkt" verstoßen, ihr Anliegen ließe sich auf die Formel bringen: "Nach fünf oder sechs Jahrzehnten nichtunterbrochenen Wachstums wäre es an der Zeit", den Kulturbetrieb "ökonomischen, sozialen und politischen Kriterien zu unterwerfen - in dem Sinne etwa, wie auch die Sozial- oder die Bildungspolitik solchen Maßstäben gehorchen müssen".
Allerdings sei diese These "eine arge Übertreibung", denn auch der öffentlich finanzierte "Kulturbetrieb" unterliege "allen üblichen Verfahren der Begründung, Auswahl und Kontrolle". Und doch bleibe da "ein metaphysischer Rest", daran zu erkennen, dass man öffentlich finanzierte "Theater und Museen, Archive und Konzertsäle, Orchester und öffentliche Galerien zwar gründen, aber "kaum wieder schließen" könne.
Dass die "Kulturförderung in einem demokratisch verfassten Staat nicht über Qualität entscheiden" dürfe, habe zur Konsequenz, dass die "inhaltliche Verantwortung für die Kultur bürokratisch verfahrenden Institutionen übertragen" werde. Diese Institutionen trachteten naturgemäß zuerst danach, "ihr eigenes Dasein und ihren Fortbestand zu sichern". Die zweite Konsequenz bestünde in der Delegierung aller "inhaltlichen Entscheidungen" an "Jurys und Kommissionen, Ausschüsse und Beratergremien". Dabei entstünde unausweichlich "Syndikalisierung, Kartellbildung, Klüngel".
Dagegen helfe nun aber alleine Aktivität aus der bürgerlichen Öffentlichkeit, aus dem aufgeklärten Publikum und seinen Organe: "in Gestalt von mehr Kritik, schärferer Kritik, rücksichtsloserer Kritik."
Verständnis für die Denkanstöße in "Kulturinfarkt" bringt Birgit Walter in der Berliner Zeitung (26.3.2012) auf. Sie diagnostiziert eine "grobe Arroganz, mit der Kulturpolitiker die durchaus berechtigten Fragen der Autoren ignorieren, nämlich die, woher der Spielraum für die Gestaltung der Zukunft kommen soll". Insbesondere an der Berliner Kulturpolitik kritisiert sie eine "Unlust zum Umbau". Mit Blick auf die drei Opernhäuser der Stadt, deren Auslastung allenfalls für zwei reichen würde, schreibt sie: "Stolz verweist Schmitz auf seinen gestiegenen Etat, eben weil sich die Hauptstadt klar zur Kultur bekenne. Dass die mit 250 Millionen Euro subventionierten Groß-Bühnen dabei auch von kontinuierlich mehr Besuchern gestürmt würden, behauptet er nicht. Aber genau das ist das Problem: Die gewaltige Kultur-Offerte ist sündhaft teuer und wird nicht ausreichend genutzt."
Kultur und kulturelle Bildung, um soziale Exklusion zu bekämpfen? Von solchen Parolen hält Thomas Steinfeld in der Süddeutschen Zeitung (28.3.2012) nichts. Stattdessen verfolgt er die Verwandlung von Kulturpolitik in Verteilungspolitik, denn es sei "eine Illusion zu glauben, es entstehe kein Programm, wenn der Staat die Kultur zwar finanziert, ihr aber keine Gegenstände und keine Formen vorschreibt" – die Freiheit selbst werde zum Programm. "Was allerdings entstehen muss, um des Kulturbetriebs, am meisten aber um der Kultur selber willen, ist ein Bewusstsein davon, dass Kulturpolitik eben auch Politik ist - ein Bewusstsein davon also, dass es auch in der Kultur Interessen gibt, die begründet werden müssen. Und wenn es dabei Interessen geben sollte, die einander ausschließen - umso besser. Dann würde auch in der Kulturpolitik wieder über Inhalte geredet. Und nicht nur über Ansprüche."
Ebenfalls in der Süddeutschen Zeitung (3.4.2012) führt Michael Stallknecht aus, "warum unsere Bühnenkunst längst kapitalismuskonform ist". Das Theater bilde noch immer die Schule der Nation, aber – das übersähen die "Kulturinfarkt"-Autoren –, indem es das Publikum in der Marktlogik erziehe. "Mit ihrer eigenen Ästhetik unterwerfen sich die Theater ebenjener Rechtfertigungslogik, mittels derer ihm nun die Subventionen bestritten werden." Das Dogma von der unausgesetzten Regie-Innovation unterziehe die Texte einem Radikalkapitalismus, wie ihn nicht einmal der "Kulturinfarkt" als Allheilmittel preisen könnte. Längst wolle man nicht mehr einfach gutes Theater produzieren, das auch in Augsburg, Koblenz oder Rostock genügt, sondern immer neueres, modischeres, kurz: Markentheater. Zunehmend hysterisch, gehorche das in sich gefangene Theater-System "derselben Logik wie die Blase auf den Finanzmärkten". Immer gieriger und immer verzweifelter schürfe man nach neuen Inhalten, sei es im Roman aus dem letzten Jahr, auf einem der vielen Stückemärkte oder bei jenen bereits "etablierten" Jungautoren, deren Stücke nach einmaliger Uraufführung als verbraucht gelten. Wie in der Produktwerbung werde der junge Mensch als bevorzugtes, wenn auch selten erreichtes Zielpublikum propagiert. Fazit: "Der Theaterbesuch hat den finanziellen und damit gemäß bürgerlicher Logik auch den sozialen Wert verloren, den die Theater nach eigener Aussage hochhalten."
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http://kmm-hamburg.de/kulturinfarkt-eine-meinung-zum-neuen-buch/
Zur Sache: Möchtegerne-Stahlgewitter und Neoliberalismus jetzt. Nur im Masochistenparadies Deutschland wird negiert, worum uns die ganze Welt beneidet: eine einmalige, gewachsene Theater-, Oper- und Orchesterlandschaft, eine Reihe herausragender bildender Künstler und Sammlungen, ein fast überall erschwinglicher Zugang. Letztlich werden die Mechanismen in einer Demokratie beklagt: Ja, das "Zerreden" und die Abstimmungprozesse nerven manchmal, aber sind allemal besser als die Geschmacksdiktatur der Marktmehrheit.
Die nächsten Buchprojekte der vier selbsternannten Kulturminister und Stammtischbrüder? Nach dem selben Scherenschnitt das Gesundheitswesen, den öffentlichen Nahverkehr und den Strassenausbau regeln. Die Hälfte reicht ja wohl. Der Markt macht das schon.
http://www.buehnengenossenschaft.de/konferenzbericht-das-56-kulturpolitische-kolloquium-in-loccum-diskutierte-die-zukunft-der-kulturellen-infrastruktur
Auch in unserem regelmäßigen Leitartikel werden diese vermeintlich innovativen Ideen seit Monaten analysiert und kritisiert:
http://www.buehnengenossenschaft.de/leitartikel-maerz-2012
http://www.buehnengenossenschaft.de/leitartikel-april-2011
Und auch andere Leitartikler haben reagiert:
http://www.abendblatt.de/kultur-live/article2213942/Kulturinfarkt-Von-Maeusen-und-Menschen.html
Ich finde, der Vergleich hinkt gar nicht so sehr, denn
1) Theater entwickelt für mich die beste Wirkung, wenn es eine starke Verbindung zum Ort des Geschehens hat, wenn es in eine Wechselwirkung mit einem Ort tritt. Nur dann wird es auch Teilnahme erzeugen. Man sieht doch jetzt bei bereits praktizierten Beispielen: Oftmals hat ein tourendes Ensemble schon in der nächsten Stadt keine Verankerung und dadurch schlechte Auslastung.
Natürlich kann man sich wünschen, dass das anders wäre und die Leute zig Kilometer fahren, um Theater und Oper zu sehen - das ist allerdings weltfremd. Bei den riesen Häusern mag das der Fall sein - für die Top-Stars wird da gereist, aber das sind einerseits Ausnahmen und andererseits hat man es da mit einem meist sehr finanzkräftigen Publikum zu tun. Für den "Normalbesucher" ist das wohl kaum eine Option.
2) Wo sollen denn all die Top-Stars für die Top-Oper herkommen, wenn es nur mehr wenige Häuser gibt? Wenn es also keine kleinen Theater- und Opernhäuser mehr gibt, an denen Sängerinnen und Sänger, Schauspielerinnen und Schauspieler anfangen können, Erfahrungen sammeln, auch mal scheitern. Die zusammengelegten, wenigen Top-Opern werden wohl kaum für all den Nachwuchs sorgen können, der sich bis heute aus den kleinen Bühnen rekrutiert.
3) Dass all die Institutionen "schweineteuer, mittelmäßig und käsig" wären, wage ich zu bezweiflen.
"Schweineteuer" - in welchem Budget stellt der Kulturtopf einen großen finanziellen Bereich dar? Das sind doch, vergleichen mit anderen Bereichen, immer Peanuts!
"Käsig und mittelmäßig" - das sind letzten Endes Geschmacksurteile. Ich kenne unzählige kleinere Häuser, die künstlerisch Großartiges leisten!
Natürlich gibt es auch immer wieder Schlechtes, das ist in der Kunst so. Wenn man nur mehr wenige Theater will, die ausschließlich Hochkarätiges produzieren, werden die Leiter dieser wenigen Institutionen eben ausschließlich auf Nummer sicher gehen. Um nicht irgendwann auch als "käsig" darzustehen. Also nur mehr die großen Namen in sicheren Hits. Ist es das, was Sie wollen?
4) Nein, ich finde nicht, dass die Herren schweigen sollen, nur weil sie öffentliche Gelder bekommen. Aber wenn Sie selbst eine Diskussion um Verteilung und Geld lostreten müssen sie darauf gefasst sein, dass auch andere diese Diskussion führen. Und wenn ich mich entscheiden soll, ob das Geld einem Theater zu Gute kommt, oder dem "Zentrum für Kulturforschung", dann entscheide ich mich, unter Anderem, doch für das Theater - denn ohne Kultur hat das Zentrum auch nichts mehr zu forschen ...
5) Die Thesen finde ich deshalb eher schwachsinnig - ja, es gibt ein Geldproblem. Aber doch nicht wegen den Kulturbetrieben! Da gibt es andere Bereiche ... Wer glaubt, mit weniger Theater- und Opernhäuser ein Budget zu sanieren, soll lieber nochmal nachdenken! Das Buch ist für mich eher Ausdruck eines seltsamen Masochismus: Wir wollen nicht mehr argumentieren, nehmt und das Geld halt weg - wir retten durch Selbstaufgabe den Staat.
so ein schwachsinn!
Natürlich sind gerade die Thesen der Autoren in Richtung "Kulturwirtschaft" Unsinn. Diesen krampfhaften Appell kann man reduzieren auf die Formel: "Kulturmanager fordern dass sie gebraucht werden". Die Herren Professoren für Kulturmanagement wollen ja u.a. dass junge Leute Geld bekommen als Startkapital für ihre Kultur-Unternehmen. Also: Gebt unsere Studenten das Geld und die Struktur damit ihr Beruf überhaupt benötigt wird.
Aber in Anschluss an Samuel Schwarz kann - unabhängig davon - schon fragen, was passiert, wenn man ein paar mittelmäßige Häuser nicht unbedingt zumacht, aber sie zumindest ohne Subventionen auskommen müssen. Wie in Kommentar 9. steht ist es dann interessant, wenn ein Theater "in Wechselwirkung mit dem Ort" tritt, wenn es Stadttheater im besten Sinne macht.
Aber bitte, welches, bitte nennen Sie mir bitte mal mehr als ein oder zwei Leuchtturm-Beispiele, welches mittelgroße bis kleine Stadttheater macht dies wirklich INHALTLICH? 99 % dieser Häuser stehen lediglich in struktureller Wechselwirkung, die da heißt: Herr Oberstudienrat trifft Herrn Stadtratsvorsitzenden bei der Premiere und trinkt in der Pause schön Sektchen.
Da geht es dann darum dass der Hans-Dieter sich bei der Darstellung des König Lear wirklich was traut, wie er da so verrückt spielt, sich richtig gehen lässt, toll. Das ist in 99 % genau das gegenteil von Wechselwirkung, und zwar eine hermetische Abriegelung eines "Inhalts", eines "Willens", einer "Botschaft" von den Zuschauern.
Und in den kleinen/mittleren Häusern findet auch gerade KEINE Durchmmischung des Publikums statt (wie es an großen, ambitionierten Häusern immer öfter der Fall ist). Also muss man sich doch wirklich fragen: Warum sollen solche KÄSIGEN Studienrats-Unterhaltungs-Nummern staatlich finanziert werden? Gerade hier täte ein bisschen Ungemütlichkeit gut.
Ganz anders sieht es natürlich, natürlich bei kulturellen Epizentren wie Berlin aus. Natürlich brauch die Freie Szene hier mehr Geld. Weil hier ein ganz anderes Verständnis von Theater herrscht, Theater als "widerständige" Kustform, wie Frau Grütters sagt.
Und das hat mit dem Theaterverständnis in jenen kleinen Land-Häusern schlichtweg NICHTS zu tun. Wir reden hier von unterschieden wie Funkemariechen und Pina Bausch, von Arschgeweih und van Gogh, von Sido und Schönberg. Natürlich hat das alles seine Daseinsberechtigung und es ist nicht das eine "wichtiger" als das andere. Aber das eine braucht sicher eine höhere staatliche Protektion und Förderung als das andere.
Auch ich kenne das Buch noch nicht, aber die hier vorgestellten Hauptthesen bieten leider auch wenig Anreiz, es zu lesen. Schon allein, wenn ich an die Kunst bzw. "ästhetische Erlebnisse als Ware" denke, wird mir irgendwie schlecht.
Ausserdem wird hier in meiner Wahrnehmung eine unproduktive Spaltung zwischen den Künsten bzw. ALLEN Künstlern aufgemacht. Diese künstliche Spaltung orientiert sich an Profitinteressen und geldwerten Markthierarchien, worüber vormals politische künstlerische Aspekte wie "Laientheater" und "international ausgerichtete kulturelle Bildung" ökonomisch instrumentalisiert werden. Das kann es doch auch nicht sein, oder?
@igor. Die heutigen neuen Kunsthochschulen ermöglichen diverse Studien in Trimedialität, Schauspielweiterbildung, Dramaturgie, Computerspielentwicklung, Stimmbildung. Man kann lernen Alternate Reality Games zu entwickeln ( das sind moderne Theaterspiele mit Einbezug von Technologie ) usw. usw. Bei all diesen neuen Formen braucht es SchauspielerInnen, RegisseurInnen, TänzerInnen, AutorInnen. Nein, Weiterbildung. Das ist gut und wichtig. Da habe ich gar keine Angst vor. Sie etwa?
@tobi : Ich argumentiere letztlich - wie Herr Knüsel - gegen meine Interessen. Auch ich bin immer wieder Subventionsvergaser. Aber am Stadttheater arbeiten mache ich nur des Geldes wegen, ganz sicher nicht wegen der dort herrschenden Ideologie der Macht. Ich glaube ganz tief an alternative Lebensformen, an Diversität, unterschiedliche Hierarcheformen, die an die Projekte anzupassen sind. Die Monokultur an den Stadttheatern mit diesen immergleichen langweiligen Regiemodellen - bei denen man als Künstler alle Nutzungsrechte am Werk abgibt, nein, die sind einfach nicht mehr modern & zeitgemäss. Da spüre ich bei anderen mehr seltsame Loyalitäten zu faden Stadttheaterzusammenhängen. Und gegen den Mann fahren, ist in der Tat eher unhübsch, da gebe ich dir ganz recht.
@ Inga: Es gibt nichts, was dem Markt näher wäre als der Ideenmarkt innerhalb der kleinen Entoutage von Theaterdramaturgen subventionierter Theater. Das ist ein sehr sehr schnelllebiger Markt, der ganz im Zeichen des Survival of the fittest - opportunistisch, machiavellistisch, oberflächlich, unkonzentriert. Nein, ein bisschen mehr echten Wettbewerb täte diesen Kindergartenstuben der Grossbourgeoise nur gut.
Ich bin sehr zuversichtlich, dass auch die bescheuertsten Sparpläne eine Chance auf Umsetzung haben, solange innerhalb der Theater und der interessierten Öffentlichkeit (sichtbar hier) keine grundsätzliche Einigung über den SINN der Kunstform herrscht.
Genau !
@ Samuel Schwarz
§ 5 in diesem Thread schon gelesen ? (von wegen Ulf Schmidt)
Sie wollen jetzt allen Ernstes Stimmung für ein Buch machen aus "taktischen Gründen" und für die "Freie Szene", daß hier weitestgehend noch nicht gelesen werden konnte ??
Das mit dem "König der Löwen" als eine Art Leitbild stimmt Sie nicht nachdenklich ???
Chapeau !
Daß es auch Stimmen gibt, die sowohl für Freie als auch für die sehr mannigfaltige und keineswegs (nur) käsige Theaterlandschaft sprechen, hören Sie offenbar nicht, obschon es da grundsätzlicher um den geringen Anteil für Kulturausgaben schlechterdings geht und insofern die vorwärtsgerichtetere Diskussion sein dürfte,
zumal die Kooperation von Freien und Staatlichen (wie Sie wissen dürften) eigentlich zum gegenseitigen Nutzen sich ausgeweitet hat und man es insofern auch nicht als Resignation Herrn Lilienthals zB. wird auffassen müssen, wenn er das HAU verläßt und nicht viel Skrupel haben dürfte, künstlerisch (!) öffentliche Gelder in Anspruch (!) zu nehmen. Besser also, wir lesen das Buch (am besten in der Bücherei etcpp,, möglicherweise können Theaterhäuser Abende organisieren "Nicht kaufen, auftreten lassen" - aber das dürfte rechtlich schwierig werden), bevor wir uns da zu sehr für erwärmen, eine eigenartige Haltung..
Im übrigen ist an dieser Stelle (im Netz) möglicherweise der auf der Hand liegende Hinweis dann doch noch einmal explizit herauszustellen:
Die bislang erfolgreiche (und keineswegs, wie ich es auffasse, groß-
bürgerlich getragene) "Existenz" der Seite nachtkritik de. basiert zu nicht unerheblichen Teilen schlichtweg darauf, daß der Befund gegenüber dem Bühnenwesen landauf, landab, von klein bis groß, gehörig anders ausfällt als es zB. Herr Samuel Schwarz hier meint
kundtun zu müssen; freilich, ich nehme das an dieser Stelle auch "nur" an, aber zahlreiche Nachtkritiken können herangezogen werden, diese Annahme nachhaltig zu untermauern.
Ob wir uns nun grundsätzlich über den Sinn einer Kunstform zu einigen haben oder die "Einzelgespräche" vor Ort jeweils irgendwann automatisch ähnlich tragen wie die zahlreichen Nachtkritiken meine obige These, das sei dahingestellt. Ich neige zur Praxis der "Vor-Ort-Linie" und bin (wie auch in der "Blackfacing-Debatte") gegen jene nonchalant (taktisch geführten) Globaldiskussionen. Die "Angst" vor einem kulturellen "Backlash" jedenfalls, gebe ich zu bedenken, hätte kaum einen greifbaren Gegenstand, wenn es nicht irgendwie eine Tatsache wäre, daß gerade die Bretterbuden im allerstärksten und ja hoffnungsvollsten Kontrast/Gegensatz gerade zum Netzgeschehen stehen.
Wenn das Auge also auch allerlei Übel sehen mag, es auszureißen, um sagen zu können, daß man jetzt zeitgemäßer sähe (und strukturell ist das Argument im übrigen auch bei Ulf Schmidts Artikel zum Blackfacing kaum), das kann es kaum sein..
Das eigentlich Problem des Buches liegt woanders und ist für Verwaltungsfuzzis nicht zu ändern: Kunst und Kultur werden von Künstlern gemacht. Wenn Kunst und Kultur anders werden (sollen), werden Künstler es anders machen (müssen). Da kannst mit Geld hantieren, wie’st willst. Auf eine fundamental sich ändernde Gesellschaft (auf die das Buch konkret auf den letzten Seiten zu sprechen kommt), wird Kunst und Kultur neu reagieren, wird sich neu organisieren. Dafür brauchts keine Bücher von Verwaltungsfuzzis, sondern Künstler. Von denen ist im Buch kaum die Rede. Und inhaltliche oder formale Debatten jenseits von Organisations- und Institutionsformen können Verwaltungsfuzzis auch nicht führen. Ähnlich aber ganz anders als weiland Midas wird alles zu Geld, was sie begreifen können. Dass andere Kunst anders begreifen könnten, spielt da bestenfalls eine Nebenrolle, die von der "Hälfte"-Debatte überdeckt wird. Man schwankt wohl offenbar zwischen unterschiedlichen Autorenmeinungen und den zwei Seelen in der eigenen Schreiberbrust – was dazu führt, dass sich zu jedem Statement des Buches vermutlich auch das gegenteilige Statement irgendwo finden lässt.
Das Unbehagen an Kultur und Kunst zu äußern kann nicht kritikwürdig sein. Selbst Verwaltungsfuzzis dürfen sich darüber auslassen, ob es denn noch "große Kunst" (12) gibt. Man muss auch nicht Schumpeter bemühen, um zu verstehen, dass das Neue auch aus der Kritik am Bestehenden entstehen kann. Kreativität heißt (nicht zuletzt), Dinge anders und neu zu machen. Natürlich lässt sich Fragen, ob Kunst noch Diskussionen über Bedingungen des Lebens auslöst (12). Es macht hochgradig Sinn, darüber nachzudenken, ob sich nicht grade ein unterfinanziertes künstlerisches Prekariat bildet (168), ob dadurch neue Impulse kommen oder verlorengehen. Man kann Berlin (163) oder das bedingungslose Grundeinkommen (123) doof finden. Man kann – was ja ein Leitmotiv aller Kulturkritik schon immer war – über die verfetteten Strukturen der Kulturbürokratie streiten. Es lässt sich fragen, ob das, was gerade da ist, die unbedingt zu erhaltende Substanz ist (208) – zumal in Zeiten der Digitalisierung (130) und Vernetzung, die – wie die Autoren bemerken – Kunst und Kultur genauso durcheinanderwirbelt und noch mehr wirbeln wird wie die Gesellschaft drumrum. Natürlich kann man über Kultur- und Kreativindustrie, über Heilsversprechungen kreativer Zukunft, über Laienkunst usw. geteilter Meinung sein, diskutieren, streiten. Das alles aber sind KEINE primär ökonomische Fragen. Denn Ökonomie hat es nicht nur mit "knappen Gütern" zu tun, sondern Ökonomie ist die Disziplin, die ermittelt, mit welchen MITTELN sich gesteckte ZIELE effektiv und effizient erreichen lassen. Die Ziele aber werden niemals von Ökonomen vorgegeben.
Noch ein Zitat: "... künstlerisches Arbeiten hat in seinem Kern nicht ein kommerzielles Motiv, sondern ein künstlerisches. Aber Kultur hat mit Wirtschaften zu tun. Und deswegen ist es nicht nur gerechtfertigt, sondern gehört zu einem vollständigen Bild kultureller Realitäten, Kunst und Kultur auch in wirtschaftlichen Kategorien zu reflektieren." (147). "Auch" – ja, warum denn nicht. Aber solange nicht inhaltlich darüber gestritten wird, was und warum Kunst und/oder Kultur überhaupt da und förderungswürdig sind (und da kommt das Buch leider nicht über Triviales hinaus), macht der bloße Blick aufs Wirtschaftliche blind. Oder führt gar zu einer Bemerkung, die in Zeiten, da "die Märkte" ganze Staaten in die Krise, die Bevölkerungen in Armut stürzen, in einem Buch über Kultur(politik) gelinde gesagt überrascht: "Die Kritiker des Marktes haben seit der Bankenkrise Oberhand. Das ändert nichts daran, dass es zum freien Spiel der Kräfte keine Alternative gibt. Deutlich gilt das für die Kultur ..." (236). Geht, liebe Ökonomen, tuts uns den Gefalln und rettets Griechenland. Oder rettet meinetwegen die Banken ohne öffentliche Gelder. Aber weils des net kennts, ökonomisierts "die Kultur" und setzt den Merkel'schen Rotstift an. So reden Kulturfunktionäre zu Kulturfunktionären über Kulturfunktionäre und darüber wie Kunst und Kultur funktionieren. Das Kunst mache, Kunst au bleibe lasse. Und lieber Kunst mache.
Das Ärgernis an den Buch ist, dass darin durchaus einiges angerissen wird, was bedenkenswert ist – was allerdings auch schon bedacht und diskutiert wird. Vielleicht nicht breit und radikal genug. Die Hinweise von Samuel Schwarz in den Kommentaren auf nachtkritik weisen in diese Richtung. Das Buch aber nimmt die einfache Variante des Skandalons "Kunst für die Hälfte" – und verfestigt damit genau diejenigen Verteidigungslinien, die es (vielleicht) aufreißen wollte.
Wobei ich übrigens den Vorschlag, allen Kindern einen Tablet zu schenken (278), geil finde.
Und zum guten Schluss ein Lieblingszitat:
"Gewitzte Künstler nutzen das Internet, um direkt zu ihren Fans und Konsumenten zu gelangen, und sie nutzen es fürs Management und die Planung."(278)
Loriot würde darauf sagen: "Ach was?"
Vielen Dank für die pointierte Konkretisierung. Natürlich wäre es dreist gelogen, zu behaupten, diese "Zirkel"-Inszenierungen gäbe es nicht, ganz im Gegenteil nerven mich schon hin und wieder regelrechte "Inszenierungen mit Logengeruch" (man sollte die Psychologie Jungs allerdings nicht unbedingt in diesen Zug aggressiver und sich humanistisch-immerweiterentwickelnd gebender politischer Esoterik einreihen); wenn ich eine solche vor mir habe (zB. jenes Ende des Josephromans in Lübeck, das auf ein "God save America and within us" hinauslief), gebe ich dazu auch Laut, und ich denke, daß eine gute Chance (gerade auch in einer sogenannten "Netzgesellschaft") besteht, von Fall zu Fall so auf die Inszenierungen zu "reagieren", daß sich da entschieden etwas verändert (das Landestheater SH ist in dieser Spielzeit insofern ein lohnendes Ausflugsziel, wo sich das durchaus meineserachtens beobachten ließe). Klar, Sie sind Künstler, und das Mittelmäßige mag Sie doppelt und dreifach ärgern, aber auch das sollte fairerweise wohl gesagt werden: Von nichts kommt nichts. Und: Nicht jede Mittelmäßigkeit ist damit schon reaktionär. Auch schreiben Sie an Herrn Müller, Sie handelten hier wie die Autoren des Buches gegen Ihre Interessen ? Das klingt, das Wort "Masochismus" fiel, allerdings wirklich gehörig danach, zumal Sie selbst doch auch schreiben, um zB. durchaus auch den Kampf mit etwa dem DT um Mittel anzutreten. Wenn Sie dies aber tun, handeln Sie jetzt kaum gegen Ihre Interessen, höchstens indem Ihr Widerspruch zu augenfällig gerät. Auch die Autoren des besagten Buches, das dankenswerter Weise hier von Herrn Schmidt kurz skizziert wurde, werden gewiß ihren Schnitt machen und sind darüberhinaus im Sinne von "jenseits von Gut und Böse" etabliert (also auch da verstehe ich Ihr Argument nicht ganz). Der "Konzentrationsprozeß" zu Großbühnen der Exellenz steht ja keineswegs
auf der Agenda desjenigen, der diese Bretterbuden in ihrer jetzigen Form eh für
anachronistisch hält (es läuft ja darauf hinaus, daß Sie dann doch für den König der Löwen berappen in the long run), und die Befürwortung eines solchen Zwischenschrittes muß dann wohl auch "strategisch" verstanden werden. Da Goethe bei uns aber immer noch tiefer liegt oder/und höher gehängt wird als Donald Duck, im übrigen wohl nicht ganz unberechtigt, besteht eine Möglichkeit, sich auch in einer Kleinstadt mit etwaiger Verlogenheit 1:1 und lebendig vor dem Theaterort auseinanderzusetzen, statt sich letztlich vor einem Stück "Überweltigungstheater" in der nächsten Großstadt zu ducken. Wir können gerade in Halle bestaunen, wie so ein Prozeß in der Realität ausfällt.Die Bude mit den größten Chancen und meisten Ansätzen, ein "anderes" Publikum anzusprechen und dem "Harper-Gefühl" auszusetzen zum Beispiel, wird als Immobilie und so auch als Hoffnungsträger abgewickelt. Ich träume auch mitunter, zB. das fähige und träumende Theaterleute so einen Vorgang möglicherweise nutzen, um "gegenzusteuern": zB. ein Intendant Samuel Schwarz am Thalia Theater in Halle oder dergleichen.
http://www.nidwaldnerzeitung.ch/zentralschweiz/kantone/luzern/Stadt-Luzern-sucht-neue-Kulturpolitik;art92,164680
Neue Realitäten aus Deutschland ?
Wohl keineswegs (nur) muffige Stadttheaterinszenierungen in Dortmund,
Wuppertal, Düsseldorf, Köln und Chemnitz !
Nachzulesen: Die aktuellen Premierenbesprechungen auf nachtkritik de. (gewissermaßen an einem beliebigen Tag etwa Höhe zweites Drittel der Spielzeit)..
Man gerät in Gefahr - auch wenn sie befruchtend sind - bei solchen Diskussionen immer als derjenige mit dem letzten Wort dastehen zu wollen. Deshalb danke ich Ihnen herzlichst für ihre Beiträge, wie auch allen anderen - mache dann aber mal Schluss, einfach damit das Ganze nicht hyperventiliert. Ich schliesse aber nun mit zwei letzten Worten ( aus meiner Sicht - und verabschiede mich aus dieser Debatte! )
1) Sie schreiben "Da Goethe bei uns aber immer noch tiefer liegt oder/und höher gehängt wird als Donald Duck, im übrigen wohl nicht ganz unberechtigt"
Das sehe ich anders. Schauen sie nur diesen wunderschönen antifaschistischen-Donald-Film im Netz an. Das macht mich zeitlebens zu einem, der Donald Duck immer künstlerisch höher einwertet wird als Goethe, der sich leider zu gut instrumentalisieren liess. Bei Donald unmöglich, weil er als Looser ein guter Antifaschist ist. Das ist ganz gross!
2) Da "Nachtkritik" sich vor allem dem hochsubventionierten Theater verschreibt, ist es auch logisch, dass da viel Stadttheater besprochen wird. Ist ja auch okay - zum Glück gibts Nachtkritik. Aber es ist kein Argument für diese Formen. Man kann nur über das berichten, dass es gibt und ich will ja, dass es noch mehr von diesem Anderen gibt. Und die Luzerner und Berliner wollen das auch. "König der Löwen" soll übrigens nicht subventioniert werden, davon redet - so wie ich es verstanden habe - niemand. Der "Kulturinfarkt"-Autor meint, ein "König der Löwen" sei künstlerisch einer - subventionieren - rein affirmativ inszenierten Oper nicht unterlegen - und das sehe ich auch so. Aber beides ist fad. Aber die Subventionierung des Zweiteren nicht mehr so leicht zu rechtfertigen, angesichts der Kraft der neuen Formate, die Forschung, Netz, Raumtheater & Gesellschaftsanalyse so bestechend verbinden.
Die Welle der Entrüstung über ein Buch, welches noch nicht einmal zu lesen ist, unterstreicht meiner Meinung nach sehr gut, wie unvorbereitet "der Kulturbetrieb" in den Diskurs stürzt. Ich habe das mal in einem eigenen Artikel zusammengefaßt. http://www.kultur2punkt0.de/2012/der-kulturinfarkt-trifft-die-verantwortlichen-im-kulturbetrieb-unvorbereitet--1446
"Ob aber, wie die Autoren des 'Kulturinfarkts' behaupten, eine Halbierung der Infrastruktur, eine stärkere Orientierung an der Ordnungspolitik, der Verzicht auf die 'Gießkanne' und eine Aufwertung des Intendanten dagegen helfen? Ist die Idee, eine Verschärfung der Verteilungskämpfe sorge schon von allein dafür, dass das Angebot attraktiver werde, nicht eher Ausdruck einer (marktwirtschaftlich orientierten) Hilflosigkeit? Und wer sollte überhaupt entscheiden, welches Theater geschlossen, welcher Regisseur vor die Tür gesetzt, welcher Etat gestrichen werden soll? Eine neue Kulturbürokratie, die den gemütlichen Klüngel durch einen grausamen Klüngel ersetzt? Nein, wenn etwas gegen den 'Kulturinfarkt' helfen sollte, dann kann es nicht von staatlicher Seite, dann muss es aus der bürgerlichen Öffentlichkeit, aus dem aufgeklärten Publikum und seinen Organen kommen, dann muss man die Akteure des Kulturbetriebs und seine Adressaten entflechten: in gestalt von mehr Kritik, schärferer Kritik, rücksichtsloserer Kritik. Das Ende aller Medienpartnerschaften wäre darin eingeschlossen."
Da gibt es ganz andere Gebiete um zu sparen,