altDer Dichter als Wicht

von Steffen Becker

München, 14. März 2012. Pfui, pfui, pfui – die Wortkombination kommt häufig vor in Rainer Werner Fassbinders Film "Satansbraten". In der Theaterinszenierung der Münchner Kammerspiele ist das Ausspucken vollauf gerechtfertigt. Sie präsentiert mit Wolfgang Pregler als Hauptfigur Walter Kranz ein Ekelpaket, das den Stück-Titel wahrlich verdient hat. Ein Salon-Linker, ein Dichter der Revolution, der seit zwei Jahren nicht mehr geschrieben hat und sich im Verlegervorzimmer auf dem Boden wälzt, um einen Vorschuss abzugreifen. Erst Sex mit einer Prostituierten und Prügel für seinen schwachsinnigen Bruder wirken als Initialzündung für ein neues Werk. Ein Albatros-Gedicht – leider schon von Stefan George geschrieben. Kranz fühlt sich daraufhin als George und verhält sich auch so.

Alles ist grell

Mit "Satansbraten" hat Fassbinder 1975 eine bitterböse Satire gedreht – eine Attacke gegen den etablierten, linken Kulturbetrieb und dessen Elite-Denken. Regisseur Stefan Pucher hat diese weitgehend originalgetreu ins Theater überführt. Kostüme und Bühne sind authentisch 70er – von der blauen Augenschminke bis zur bunt gemusterten Tapete. Die Szenen sind rasant geschnitten, teilweise kommt die Technik kaum nach mit den Kulissenwechseln. Und die Schauspieler agieren so durchgeknallt als hätte vorab der leibhaftige Fassbinder-Regie-Derwisch in Leopardenleggings seine Machtspielchen mit ihnen getrieben. Alles ist grell aufgetragen – die verklemmte Verehrerin trägt extra dicke Brillengläser, der gestörte Bruder (Thomas Schmauser) fettiges Haar und die Ehefrau (Annette Paulmann) matronenhafte Bodenständigkeit vor sich her.

satansbraten-3 560 arno declair hDer Dichter und die Wohnküche: Annette Paulmann, Thomas Schmauser und Wolfgang Pregler 
© Arno Declair
Die Fassbindersche Methode kommt auch über 30 Jahre später ohne offensichtliche Verortung im Jetzt an. Das Publikum goutiert die überspannten Elemente. Und Kulturindustrie, 68er, Geld und seine Übersetzung in Liebe sind als Themen in anderen Kontexten nach wie vor aktuell. Der Abend funktioniert jedoch vor allem, weil die Schauspieler eine Gratwanderung meistern.

Zwischen Lafontaine und Lady Gaga

Der Dichter Kranz ist eigentlich eine armselige Figur, der sich Models mieten muss, um im George-Aufzug dessen Kreis samt Genieanbetung nachzuahmen. Der Saal lacht, als er das Albatros-Gedicht rezitiert. Wolfgang Pregler schafft es jedoch, seinem fiesen Danny-de-Vito-Wicht eine Prise Oskar Lafontaine beizumischen (Körperform und Habitus ähneln sich praktischerweise). Man kann sich schon vorstellen, dass dieser vor Gier strotzende Wichtigtuer durchaus in der Lage wäre, jenseits des George-Toupets echte Faszination auszuüben.

Insbesondere aus dieser Energieleistung gewinnt der Münchner "Satansbraten" satirische Kraft über amüsantes Bühnengezänk hinaus. Eigentlicher Star der Inszenierung ist jedoch Brigitte Hobmeier. Wer es vorher nicht weiß, wäre schwerlich drauf gekommen, dass sie sowohl die grau-mausige Verehrerin vom Lande spielt als auch die zeitweilige mondäne Geliebte – so glaubwürdig prägt sie diese extrem unterschiedlichen Rollen. Ihre Dichterfreundin Lisa wirkt, als hätte eine Lady Gaga im Snob-Modus die Mode der 70er für sich entdeckt. Man kann ihr gar nicht lange genug zuschauen – und sieht daher auch über Längen im Stück hinweg.

Im Programmheft erfährt man, dass Fassbinder die Dreharbeiten am Satansbraten unterbrochen hatte, um am Schwulenstrand in Fort Lauderdale mehr Schwung ins Skript zu bringen. Ganz ist es weder ihm noch Regisseur Pucher gelungen. Dessen Rhythmus ist ebenfalls nicht optimal. Manchmal scheint es, als hätte ihn in einigen Szenen die Panik ergriffen "Mist, es muss jetzt wieder mehr nach Film aussehen" – und dann produziert die Steadycam hektische Aufnahmen, die Kulissen fahren auf und nieder oder es schwingt ein rot gefliestes Badezimmer durchs Bild. Der Applaus ist dennoch tosend. Die Kulturfunktionäre, denen ein Weggefährte im Programmheft vorwirft, den Film unterdrückt zu haben, gibt es nicht mehr.

 

Satansbraten
von Rainer Werner Fassbinder
Regie: Stefan Pucher, Bühne: Stéphane Laimé, Kostüme: Tina Kloempken, Video: Ute Schall, Musik: Christoph Uhe, Dramaturgie: Matthias Günther.
Mit: Justin Bond, Julius Dattenberger, Hannes Heinrich, Brigitte Hobmeier, Nikolai Huber, Benjamin Jorns, Annette Paulmann, Wolfgang Pregler, Genija Rykova, Ute Schall, Ryan Scheerlink, Thomas Schmauser, Edmund Telgenkämper, Maximilian von Rossek, Moritz Windloff.

www.muenchner-kammerspiele.de

 

Im Jahr Dreißig nach Rainer Werner Fassbinders Tod sind seine Stoffe auf Münchens Bühnen hoch im Kurs. Auch am Residenztheater, wo gerade Hausherr Martin Kušej den Filmstoff Die bitteren Tränen der Petra von Kant in Szene gesetzt hat.

 

Kritikenrundschau

Als "Lichtspieltheater, beinahe eins zu eins" beschreibt Christine Dössel den "Satansbraten" in der Süddeutschen Zeitung (16.3.2012). "Daran, dass sich der Erfolg im Kielwasser Fassbinders zusammenstrudelt, mag sich stören, wer will", so Dössel. Das Copy-and-Paste-Verfahren liege beim "Satansbraten" jedenfalls nicht so fern. "Nehmen wir's als Kulturtechnik, und die bewirkt hier vor allem: einen Heidenspaß." Der Abend habe "Tempo und Timing und das krude Happy End des Originals." Und tolle Schauspieler, die Dössel einzeln würdigt: "Annette Paulmann als Helen-Vita-Double: eine Wucht. Thomas Schmauser, der schwachköpfige Kranz-Bruder mit dem Fliegen-Tick: kostbar, sonderbar, wunderbar." Und so weiter. Insgesamt sei der Abend nach Martin Kusejs "Die bitteren Tränen der Petra von Kant" am Residenztheater, "ein weiterer Beweis dafür, dass Fassbinders Stoffe immer noch zünden."

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