Schweben in Sprachlosigkeit

von Ute Grundmann

Chemnitz, 16. März 2012. Magda muss ein Ereignis gewesen sein, in diesem Dorf am Ende der Welt. Vier Männer erinnern sich an sie, erzählen knapp und lakonisch, was die Frau tat und wie sie, die Männer, darauf reagierten, kommentierten, Annäherungen versuchten. So beginnt Johanna Kapteins kleines, feines Stück "Die Geschichte von St. Magda", das im Schauspiel Chemnitz in einem besonderen Rahmen Premiere feierte. Vier Stücke junger Autoren an einem Abend, inszeniert und in Szene gesetzt von jungen Theaterleuten, dazu ein Treffen von Nachwuchsautoren, die sich und ihre Texte dem Publikum vorstellten. Und zu "4 + 1" zählte auch eine Uraufführung: "Die Handgriffe der Evakuierung" von Susanna Mewe.

Mit diesem Text gewann die Autorin 2011 den Retzhofer Dramapreis, Regisseurin Alexandra Wilke brachte ihn nun auf die kleine Bühne des Figurentheaters. Hier steht ein Milchglasgehäuse, dessen Wände sich bewegen, dessen Türen sich öffnen lassen (Bühne: Amélie Klimmeck). In einer Tür liegt zu Beginn regungslos eine Frau, eine andere ist auf einen Stuhl gesunken, eine dritte hat es sich, scheinbar entspannt, auf ihrem Koffer bequem gemacht. Der Laut des Streichholzes, mit dem sie ihre Zigarette anzündet, lässt das Spiel beginnen. Drei Flugbegleiterinnen, nur A, B und C genannt, spulen routiniert ab, was in einem Flugzeug so zu tun ist, Gepäck verstauen, Getränke servieren. Doch all diese Handlungen nach Betriebsanweisung sind ihnen so vertraut, dass sie die Sätze dazu gar nicht mehr vollenden.

Versanden in Sprachlosigkeit

Dann aber wird aus C Rita (Muriel Wenger), krebskranke Professorin, die für B/Gloria (Annett Sawallisch), eine ihrer Studentinnen, Mann und Töchter verlässt. Auch in diesem privaten Leben kommen die Sätze nicht ans Ziel, versanden in Sprachlosigkeit, und verletzen doch in aller Kürze. Für A/die Tochter (Ulrike Euen) reicht es ebenfalls nur zu Stummelsätzen voller Vorwürfe. Einzig die Oma (Susanne Stein) spricht in ganzen Sätzen aus, was sie denkt. Auf ihre Erbschaft wartet nicht nur Gloria, die sich durch Studium und Jobs treiben lässt. Alexandra Wilke, die schon mehrfach in Chemnitz inszeniert hat, hat das in 80 Minuten schnörkellos in Szene gesetzt, auf den Text konzentriert, der immer wieder zwischen den Sphären der Flugbegleiterinnen und der drei Frauen hin- und herwechselt.

evakuierung 560 dieterwuschanski-uDrei sprachlose Flugbegleiterinnen in "Die Handgriffe der Evakuierung" von Susanna Mewe
© Dieter Wuschanski

Die Bühnenbilder dieser und der drei anderen Premieren (die Zuschauer konnten jeweils zwei Stücke an einem Abend sehen) entwarfen Studierende der Bühnenbildklasse des Salzburger Mozarteums, ihr Dozent Henrik Ahr hat auch für Chemnitz schon Szenerien entworfen. Sie konnten sich so im praktischen Theaterbetrieb erproben. Das "junge Wochenende" im Schauspiel Chemnitz, wo man sich intensiv um Nachwuchsautoren kümmert und ein Händchen dafür hat, wurde abgerundet mit den Lesungen von 20 Studierenden Szenischen Schreibens aus Graz, Berlin, Bern, Leipzig und Hildesheim.

Irgendwo am Meer

Von Johanna Kaptein wurde in Chemnitz schon Die Fortsetzung oder Die Friseuse, die Finanzkrise und andere Fälle uraufgeführt. An diesem Abend hatte ihr Stück "Die Geschichte von St. Magda" in der Regie von Matthias Huber Premiere. Auf der Vorbühne des großen Hauses hocken in zwei Versenkungen vier Männer (Bernd-Michael Baier, Yves Hinrichs, Dirk Lange und Urs Rechn). Anglerhose, wetterfester Hut, Öljacke signalisieren: Wir sind irgendwo am Meer, in einem Ort mit nur einer Straße, die immer im Kreis herumführt, wo man die Hoffnung auf Touristen noch nicht endgültig aufgegeben hat.

stmagda2 560 dieter wuschanski uVier wortkarge Männer am Meer in "Die Geschichte von St. Magda" von Johanna Kaptein
© Dieter Wuschanski

Hier muss irgendwann Magda erschienen sein, erinnern sich die Männer, hat Kaffee und Erdbeerkuchen bestellt, hat im Miederwarengeschäft gearbeitet, das hier noch nicht "Dessous-Shop" heißt. Zwei der Männer spielen die Szene nach, wie Magda eine Kundin bedient hat, die beiden anderen schauen zu, kommentieren. Und so wie hier wechseln in dem gescheiten, gut gebauten Stück immer wieder die Perspektiven: Da beschreibt einer ein Ereignis, wird kurz zur Person, um die es geht und spricht dann eben diese Person beschreibend weiter. Das gilt vor allem für Magda, die Bernd-Michael Baier weit weg von allen Mann-spielt-Frau-Klischees spielt, leise, lakonisch, auch er immer wieder aus seiner Rolle heraustretend.

Und letztendlich bleibt "Die Geschichte von St. Magda" ein Geheimnis. Zwar ist von einem "Fall", von Akten, von einem Klippensturz die Rede, doch die wortkargen, unaufgeregten Männer geben nicht mehr preis, lassen nur Bruchstücke ihrer Erinnerungen sehen. Und Matthias Hubers gelungene Inszenierung lässt dem Stück zum Glück dieses Angedeutete, Rätselhafte, Schwebende.

 

Die Handgriffe der Evakuierung
von Susanna Mewe
Regie: Alexandra Wilke, Bühne und Kostüme: Amélie Klimmeck, Video: Thomas Beckmann, Dramaturgie: Esther Holland-Merten.
Mit: Muriel Wenger, Annett Sawallisch, Ulrike Euen, Susanne Stein.

Die Geschichte von St. Magda
von Johanna Kaptein
Regie: Matthias Huber, Bühne: Lisa Kickstat, Kostüme: Linda Hofmann, Dramaturgie: Torsten Buß.
Mit: Bernd-Michael Baier, Yves Hinrichs, Dirk Lange, Urs Rechn.

www.theater-chemnitz.de

 

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