Romeo und Julia - In Rostock inszeniert Christine Hofer Shakespeares Liebesdrama als Spektakel
Kindergeburtstagslärm mit Leichenschau
von Georg Kasch
Rostock, 17. März 2012. Die Rostocker haben's nicht leicht: Weil das Große Haus über Nacht geschlossen wurde, spielt das Volkstheater seine wichtigen Produktionen jetzt in einem gut 400 Zuschauer fassenden Theaterzelt. Und das hat seine Tücken: Hoch und offen ist der Raum, die Akustik entsprechend schwierig, es zieht. Wer hier spielt, kämpft nicht nur gegen das Rattern der Straßenbahn, das Rauschen der Klimaanlage und das Quietschen der Stühle an, sondern auch um die Aufmerksamkeit des Publikums, die sich leicht verliert.
Tuchfühlung und Action
Insofern hat Regisseurin Christine Hofer alles richtig gemacht (und sich zugleich in die aktuelle Ästhetik der Schauspielsparte eingereiht), als sie sich dafür entschied, "Romeo und Julia" als Volkstheater zu spielen. Ihr Ausstatter Dirk Seesemann zieht seine schräge Spielfläche aus Fischgrätenparkett bis knapp vor die ersten Reihen, wo sie in unregelmäßig geschwungenen Stufen ausläuft wie eine Showtreppe, die lieber ein altmodisches Möbelstück geworden wäre.
Hier jagt Hofer ihre Schauspieler unter Hochdruck rauf und runter, lässt sie bis weit in die Zuschauerreihen hineinrennen – Tuchfühlung und Action wie zu Shakespeares Zeiten. Und natürlich Gaudi, Jux und Tollerei: Thomas Braschs handfeste (und auf elf Figuren zusammengekürzte) Übersetzung kostet Shakespeares Zoten aus, in den Fechtszenen sprühen die Funken, und auf der Capulet-Party präsentieren einige der Gäste in phantastischen Kostümen ziemlich zirzensische Tanzkunststücke.
"So, jetzt hat sich's ausgefacebooket."
Abseits der Waffenwahl ist die Angelegenheit ziemlich heutig: Die Oberschicht-Jungs von Verona sind metrosexuelle Modefuzzis mit großer Klappe und zu viel Make-Up, Lorenzo züchtet in ausgetretenen Schuhen Haschisch, und als Mercutio sich erstochen davonschleppen lässt, sind seine letzten Worte: "So, jetzt hat sich's ausgefacebooket." Dazwischen taucht fremd der "Moral von der Geschicht"-Chor auf, mit weißen Tüten über den Köpfen als eine Art Geistergruppe auf Warntour.
Überhaupt gelingen Hofer ein paar schöne Szenen, auch, weil sie später den Jux angenehm zielgerichtet in die Tragik kippen lässt: Aus dem riesigen weißen Spannbetttuch, das einmal die ganze Bühne und die schlafenden Capulets bedeckt und unter dem Romeo am Geruch seine Julia entdeckt, wird später das Leichentuch. Lorenzos rote Stola dient zunächst dazu, die beiden blutjungen Eheleute zu verbinden. Später trägt Romeo sie als Revoluzzer-Stirnband (da wollen sich die beiden anketten, um den Familienfrieden zu retten). Und es ist Tybalts Geist, der Romeo über die Schräge des Parketts virtuos das Giftfläschchen zurollen lässt.
Lautes Szenengewühl
Dass solche Momente aber wie Inseln aufsteigen aus einem Rauschen, das einen im Ganzen ziemlich gleichgültig lässt, liegt daran, dass trotz allen Aufwands sprachlich wie emotional wenig über die Rampe kommt. Romeo ist ein netter blonder Junge, der auch mal fix ins Norddeutsche wechseln kann. Jede weitere Nuance verstolpert Tim Ehlert zwischen Fechteinsatz und Gefühlsbehauptung. Laura Bleimunds Julia dreht erst auf, als es um Leben oder (Schlaf-)Gift geht, versemmelt dann aber das Erwachen im Grab mit einem ziemlich komischen Turbo-Start.
Auch sonst ragt aus dem Ensemble, das sich immer dann von Braschs Sprache überfordert zeigt, wenn nicht auf die Pauke gehauen wird, einzig Sandra-Uma Schmitz' Lady Capulet heraus, die als Verschnitt von Mutter und Vater ihren nun vielschichtigen Charakter oft als menschlich grundierte Ironiearie spricht – bis sie zur knallharten Geschäftsführerin der Familien-AG mutiert, wenn Julia den Grafen Paris nicht will. Dirk Donat schneidet zwar den Prinzen wie Bruder Lorenzo aus dem gleichen, aber immerhin sprachqualitativ dauerhaften Holz – da weiß jemand, was er sagt.
Weil sich aber das restliche Ensemble im lauten Gewühl der Szenen verheddert, bleibt die Erzählung auf der Strecke. Und damit der ganze Aufwand viel Kindergeburtstagslärm mit Leichenschau.
Romeo und Julia
von William Shakespeare
Deutsch von Thomas Brasch
Regie: Christine Hofer, Ausstattung: Dirk Seesemann, Fechtchoreographie: Claus Großer, Dramaturgie: Janny Fuchs.
Mit: Tim Ehlert, Laura Bleimund, Dirk Donat, Stephan Fiedler, Michael Ruchter, Jörg Schulze, Sandra-Uma Schmitz, Björn-Ole Blunck, Paul Walther, Lisa Flachmeyer.
www.volkstheater-rostock.de
Der Bericht aus Rostock ist Teil des Nord-Schwerpunkts von nachtkritik.de in dieser Spielzeit.
"Shakespeare ist und bleibt ein Rätsel", beginnt Antje Jonas ihre Kritik in den Norddeutschen Neuesten Nachrichten (19.3.2012) – ist dann aber doch ziemlich angetan von Christine Hofers "intelligenter Rostocker Inszenierung". Die folge konsequent der Jugendlichkeit der Hauptfiguren Romeo und Julia und versetze die Geschichte in unsere Zeit, ohne dabei vordergründige Effekte erzielen zu wollen. Das junge Ensemble spiele präzise, schnell und leidenschaftlich. Der Regie sei es gelungen, ausnahmslos alle Figuren charakterstark und zuweilen tragikomisch in Szene zu setzen.
In der Unterüberschrift der Ostsee Zeitung (19.3.2012) ist aus Christine Hofer bezeichnenderweise Juliane Hofer geworden. In seiner Kritik findet Dietrich Pätzold: Hofers Inszenierung vermittle mit geschickt gestraffter Text-Fassung, mit Spielwitz und flottem Tempo, "wie sehr sich da alles überstürzt". Dass das berühmteste Liebespaar der Welt sterben müsse, weil die beiden Familien so sehr verfeindet seien – das scheine in dieser Inszenierung etwas in den Hintergrund gerückt. "Aber so verblüffend direkt gespielt wie hier wird die Geschichte von Romeo und Julia (...) neu erlebbar." Zwar komme auch das Ende dieser Rostocker Inszenierung nicht ohne Pathos aus, "aber es wirkt maßvoll".
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