Salomé - Günter Krämer inszeniert in Frankfurt den Kontrast von Natur und Künstlichkeit
Dreifach unmoralisches Begehren
von Grete Götze
Frankfurt, 24. März 2012. Wie wird Valery Tscheplanowa den Tanz aller Tänze tanzen, fragt sich der Zuschauer, als er sich zur Premiere von Oscar Wildes Stück "Salomé" in den Sitz des Frankfurter Schauspiels sinken lässt. Wie wird Regisseur Günter Krämer den Tanz inszenieren, der die Opferung des Heiligen um des Begehrens willen bedeutet? Den Tanz, welcher der biblischen Geschichte Johannes des Täufers entstammt, in der die Tochter der Königin Herodias so schön tanzt, dass ihr Stiefvater Herodes einen Eid darauf schwört, ihr jeden Wünsch zu erfüllen. Den Tanz, nach dem sich die Tänzerin den Kopf des keuschen Wüstenpredigers Johannes in einer Schale wünscht.
Und dann bricht sich die Enttäuschung Bahn, nachdem hinter einer transparenten Leinwand, auf die das Bild "Der Traum" des naiven Malers Henri Rousseau projiziert ist, auf acht Stufen in rot und schwarz ein Männerchor in Kniestrümpfen, das unselige Königspaar und Salome sich zum Höhepunkt des Einakters hingespielt haben. Denn Tscheplanowa tanzt den Tanz nicht. Krämer gibt Herodes nicht Tscheplanowa, nicht die echte Frau aus Fleisch und Blut in die Hand, sondern eine Puppe, ihren in Tüll gehüllten Ersatz, mit dem er sich tanzend wähnend glücklich aufwacht. Seine Gattin Herodias (Franziska Junge) tanzt zwei Stufen darunter den verzweifelten Tanz einer betrogenen Ehefrau, den keiner sehen will. Nicht die schöne junge Prinzessin tanzt also, sondern die vulgäre alte Königin.
Puppendrama
Tscheplanowa, in weißem Kostüm und mit Glatze so androgyn wie ihr Puppenersatz, setzt sich als Salome in den Zuschauerraum und fordert mit fester Stimme den Kopf des Jochanaan. Immer. Wieder. Allen Smaragden, weißen Pfauen mit purpurnen Füßen, Perlen und dunkelschwarze Amethysten, die ihr der verzweifelte König Herodes (Wolfgang Michael) anbietet, zum Trotz.
Warum hat Krämer das so gemacht, warum hat er in einem Stück über ein dreifach unmoralisches Begehren – Herodes' Begehren nach seiner einstigen Schwägerin Herodias, dann das Begehren nach seiner Stieftochter, und schließlich Salomes Begehren nach Jochanaan – den Wendepunkt des Dramas einer Puppe überlassen? Weil das einer Logik folgt. Weil "Salomé" ein Stück der Jahrhundertwende ist, in der plötzlich Künstlichkeit an die Stelle von Natur tritt. Eine Zeit, in welcher der Maler Oskar Kokoschka sich eine Puppe bauen lässt, die genau so aussehen soll wie seine verlorene Geliebte Alma Mahler. Eine Zeit, in der die ästhetische Erfahrung der Welt dominiert.
Ein bisschen schief und widerlich
Aber der Einsatz der Puppe folgt nicht nur der Logik des Stückes aus einer Epoche der literarischen Décadence, sondern auch jener der Inszenierung. Die Katastrophe bricht im Großen Haus des Schauspiels erst herein, als das Begehren nicht mehr an der Puppe, am Ersatz ausgelebt wird, sondern an der Natur, an der Wirklichkeit. Vorher ist alles ein bisschen schief und widerlich, aber das Begehren in der Substitution funktioniert.
Die Katastrophe bricht erst herein, als Tscheplanowa mit nacktem Rücken zum Zuschauerraum steht und als Salome endlich den Kopf des Mannes küssen kann, der sie verschmäht hat. Es ist der Moment, in dem die Natur plötzlich wieder an die Stelle von Künstlichkeit tritt. Der Moment, der zeigt, dass dieser Versuch in einem Décadence-Stück zum Scheitern verurteilt ist. Genauso wie die Erfüllung des kopflosen, absoluten Begehrens wider alle religiösen und familiären Gesetze. Das bringt nur den Tod. Und das Ende einer eineinhalb stündigen Inszenierung, zu der sich ihr Regisseur etwas gedacht hat.
Salomé
von Oscar Wilde, deutsch von Hedwig Lachmann
Regie: Günter Krämer, Choreinstudierung: Uwe Hergenröder, Bühne: Jürgen Bäckmann, Kostüme: Falk Bauer, Licht: Johan Delaere, Dramaturgie: Johanna Vater.
Mit: Wolfgang Michael, Franziska Junge, Valery Tscheplanowa, Mathis Reinhardt, Atheer Adel, Amin Haile; Chor: Petar Becker, Firat Yusuf Bender, Alexander Bettendorff, Steven Gänge, Tom Gerngroß, Jan-Erik Hohl, Konstantin Keidel, Adrian Kraege, Johannes Krobbach, Maik Schröder, Oliver Wiedem.
www.schauspielfrankfurt.de
Gleich zu Beginn mache Günter Krämer "in seiner fulminanten Frankfurter Inszenierung deutlich: Verführung ist nicht Salomes Natur, es ist ihre Verkleidung, eine Frage der Technik, der Überlebenstechnik", schreibt Hubert Spiegel in der Frankfurter Allgemeinen (26.3.2012). Die "eindringliche und konsequent durchdachte Inszenierung" sei "eine Entdeckungsreise: Man stellt fest, dass Wildes Königspaar nicht viel anders klingt als Richard Burton und Elisabeth Taylor bei Edward Albee klangen, man erkennt das kollektive Phantasma in dem legendären Schleiertanz, den die unheimliche Valery Tscheplanowa mit ihrer Puppe in ein Liebessehnsuchtsknäuel mit Jungmannen und König überführt, und man entdeckt das Drama einer asexuellen Kindfrau".
Einen "faszinierenden, sorgfältigen, vollkommen lieblosen Abend" hat Judith von Sternburg von der Frankfurter Rundschau gesehen (26.3.2012). Günter Krämer sei hier "befreit von den Banden, die die Oper ihm auferlegen würde. Und er macht was draus." An die Stelle der Ekstase trete "fast vollständig die Kalkulation, eine spannende und beziehungsreiche Kalkulation." Salome halte sich hier so zurück, "dass eigentlich nur Valery Tscheplanowa selbst übrig bleibt, schön, aufrecht und neutral (...) Mehr blanke Projektionsfläche kann eine Salome nicht sein." Dem Herodes Wolfgang Michaels (den von Sternburg übrigens konsequent Michael Weber nennt) und der Herodias Franziska Junges gehöre "der schönste, schauspielerischste Teil der Inszenierung, ein grandioses abgehalftertes Ehepaar, geradezu knochenlos im übrigen vor Beweglichkeit und in jeder Hinsicht losgelassen."
Günter Krämer kühle "den hitzigen Einakter (...) herunter auf die Normaltemperatur eines Familienkrachs, bewahrt aber eine gewisse Exotik und jene tändelnde Dekadenz, die Oscar Wilde stets zugeschrieben wird: Kunst um der Kunst willen, ohne sachlichen Zweck, selbstverliebt", meint Sabine Kinner in der Frankfurter Neuen Presse (26.3.2012). Es sei "viel inszenatorisches Handwerk zu spüren in Günter Krämers Regiearbeit, dazu ein starker Stilisierungswille und eine entschiedene Schauspielerführung." Es fehle nur wenig: "eben das gewisse Etwas".
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Jochanaan wird von Atheer Adel gespielt,nicht von Mathis Reinhardt, der den Narraboth darstellt.
Und in der FR-Kritik von Judith von Sternburg soll Michael Weber Herodas sein... auch das ist falsch, denn es ist Wolfgang Michael !
(Anm. Redaktion. Vielen Dank für den Hinweis! Wir haben unseren Fehler in der Bildunterschrift im zweiten Foto korrigiert. Unsere Kritikerin trifft hier keine Schuld. Mit freundlichen Grüßen aus der Redaktion, Christian Rakow)
ach ne, echt?! das ist ja eine spannende info!
Danke für die interessante Zusatzinformation. Wolfang Michael ist ja wirklich ein ganz toller Schauspieler!
Franziska Junge und Wolfgang Michael sind die Stars des Abends. Sie schießen nonchalant ihre Dialoge ab, hauen Pointen raus, und wie Franziska Junge das Bühnenbild hochkraxelt verdient Szenenapplaus. Apropos Bühnenbild: das erinnert allzu deutlich an das "Kaufmann von Venedig"-Bühnenbild und ist wohl der alten Frankfurter Recycle-Krankheit geschuldet (sonst gibt es ständgie E-Gitarren-Untermalung, jetzt macht man halt dauernd das gleiche Bühnenbild).
Valery Tscheplanowa hat sich mir erst in ihrem Monolog am Ende ins Bewusstsein gerückt.
Sehr gut gefallen haben mir das Licht und die Nutzung des Bühnenbilds. Aber wegen des schon oben genannten Krakeelens bleibt mir der Abend eher als nervenzerrend in Erinnerung.
recyle-krankheit? das ist so bescheuert... und zeugt davon, dass man keinerlei ahnung von den produktionsbedingungen an einem theater hat.
krämer hat mit seiner salome in jedem fall die beste seiner drei arbeiten in ffm unter reese abgeliefert. selbstverständlich ist es eine inszenierung, die unter dem stempel "l'art pour l'art" läuft - extreme formalästhetik, absolute stilisierung; zudem bewusst unter dem vorzeichen "campy" zu lesen... und das operlibretto als grundlage für den judenchor zu nutzen, gabs zwar schon, hat aufgrund der stakkatohaften paralinguistik dennoch eine unheimliche durchschlagskraft.
die überraschung... ganz klar franziska junge, die meistens am schauspiel frankfurt die sexbombe gibt, hier zwar auch - jedoch wird der inhärente slapstick wunderbar für die rhythmitisierung der gesamten aufführung genutzt.
der abend hat eine betörende, berauschende kraft!
Stilpluralismus?
Das heißt, verschiedene Leute machen unterschiedliche Sachen auf unterschiedliche Art und Weise? Ich will den Krämer da nicht über einen Kamm mit anderen scheren, aber was ansonsten in Frankfurt so passiert, ist mit dem Wort Pluralismus wohl nicht ganz getroffen: Leute stehen an der Rampe rum, schreien ins Publikum und stellen sich vor, sie wären in einer Thalheimer-Inszenierung. Ich würde das nicht Plurlismus nennen. Lieber Gruß
das halte ich für eine - den anderen Arbeiten am Schauspiel Frankfurt gegenüber - sehr ungerechte These.
Schau dir (ich dutze jetzt einfach) mal (wenn nicht schon geschehen) Krafts TRAUMNOVELLE, Henkels WILDENTE, Kriegenburgs STELLA, den SOMMERNACHTSTRAUM von Bothe und vielleicht noch NIPPLE JESUS von der ganz und gar bezaubernden Assistentin Barbara Wolf an. In keiner dieser Inszenierungen wird im Sinne von Herrn Thalheimer geschrien, sondern aus aus der Inszenierung heraus, wenn auch höchst unterschiedlich motiviert, begründet, Seelenzustände ausgefochten, manchmal eben auch mit lautem Schreien.
Thalheimers Ästhetik immer auf ein "Schreien" zu reduzieren, finde ich ohnehin sehr kurzgetgriffen. Was er macht ist eine Art Architextualität, er legt das Gerüst eines Textes über Figuren im Extremzustand offen (die starke Rampenfokussierung ist dabei auch eher Altmann geschuldet)... da es nun mal um TEXT geht, ist "Schreien" ein probates Mittel, was nicht heißt, dass in seinen Produktionen auch punktuell sehr klug mit Stille, Flüstern etc. gearbeitet wird... So, das wird ein wenig Off-Topic.
Aber ich glaube, was du meinst, ist eher dieser "glatte" Regiestil, wo bedingt SALOME hineinfällt, aber sich durch das, meiner Meinung nach phantastische Konzept abhebt. DIE RÄUBER, HAMLET oder auch IWANOW kann man sich wirklich sparen... weil da einfach nur ein Stück inszeniert wird, um den Saal zu füllen. Das ist eines der Probleme in Frankfurt - der Wagemut im Spielplan fehlt mir. Dass dann ein Lübbe geholt wird und der Herr Intendant ihren Einheitsbrei sehr gekünstelt an der Rampe aufzwirbeln, sollte die anderen echt großen Inszenierungen in FFM nicht überschatten. Ein großer Fehler ist z.B. auch jemanden wie Pollesch für seinen dreisten Reproduktionsabklatsch wahrscheinlich sehr hohe Summen hinterher zu schmeißen (WIR SIND SCHON GENUG ist ja wohl an Selbstgefälligkeit und Arroganz kaum zu übertreffen).
Ich gehe seit 2009 so gern nach Frankfurt... Für viele ästhetische Erfahrungen in den letzten 3 Jahren hätte ich sonst nach Berlin oder München fahren müssen. Aber cool, dass du darauf geantwortet hast.