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Durchs Schlüsselloch gesehen

von Harald Raab

Mannheim, 14. April 2012. Sie wälzen sich auf Kissen – mal voll Lust und mal mit purer Gewalt: Der Fall Kachelmann funktioniert bloß voyeuristisch, auch auf der Bühne. Stammtisch wie Theaterpublikum möchten gar zu gern ihre Phantasien befriedigt bekommen. Das bringt Quote, Leser und auch Zuschauer. Warum soll es in der darstellenden Kunst anders sein als in der schnöden Realität? Das Thema Jörg Kachelmann auf der Bühne: die letzte Station in der durchgenudelten Endlosschleife. Für den Wettermann ist Mannheim Schicksal. Hier saß er vier Monate in Untersuchungshaft und beharrlich schweigend neun Monate als Beschuldigter vor dem Landgericht.

Fragezeichen noch heute
Geschichte wie Geschichten, alles wiederholt sich. Aus Tragödie wird Farce. Als solche war das Theaterprojekt der kleinen Mannheimer Bühne Felina-Areal natürlich nicht gemeint. Sie war nur die erste, die sich den Stoff, den das Leben schrieb, nicht entgehen ließ. Autor und Regisseur Sascha Koal hat also Erstgeburtsrecht an der theatralischen Aufbereitung des Mega-Aufregerstoffs Kachelmann. Und es gab vorab überregionale Beachtung von Spiegel bis Bild. Was will man mehr?

Freispruch damals. Fragezeichen noch heute. Das Urteil ist rechtskräftig: Der Vorwurf der besonders schweren Vergewaltigung konnte mit zu einer Verurteilung ausreichenden Gewissheit nicht erhärtet werden. Im Revisionsverfahren wurde der Klägerin auch noch verboten zu behaupten, sie wäre von dem Wettermoderator unter Morddrohung zum Sex gezwungen worden. Große Medienbühne, großer Auftritt für Starjuristen, Gutachtergezänk und eine Heerschar von Medienwindmachern, so dass man streckenweise den Eindruck hatte nicht ein unabhängiges Gericht, sondern der aufgeputschte deutsche Wut- und Moralbürger hat die Hoheit über das Verfahren.

Aussage gegen Aussage
Wie es einer Frau ging und geht, die elf Jahre lang die Geliebte eines dreisten Beziehungsspielers war und ihn zum Schluss doch angezeigt hat, das interessierte eigentlich nur am Rande. Durch welche Psychohölle ist sie gegangen? Statistisch gesehen, sind falsche Beschuldigungen, erhoben von enttäuschten, gedemütigten Frauen in Vergewaltigungsprozessen, eher selten. Schutz der Täter: Es steht naturgemäß Aussage gegen Aussage. Wenn dann die Frau auch nicht in allen Punkten bei der polizeilichen Vernehmung die Wahrzeit gesagt hat, wenn die Indizienlage nicht eindeutig ist, dann kommt es zu diesen unbefriedigenden Freisprüchen nach dem alten Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten.

Was kann Kunst, was kann das Theater, was die Realität nicht vermag? Gelingt eine höhere, mit juristischen Mitteln nicht erreichbare Wahrheit, wenigstens ein bisschen mehr Einsicht in menschliche Abgründe?

KachelmannsRashomon1 560 DangerZone u"Kachelmanns Rashomon" © DangerZoneSchlauer sind wir nach der Uraufführung des Stücks im Theater Felina-Areal nicht. Nicht hat sich die Waagschale zugunsten eines der Protagonisten gesenkt oder gehoben. Autor und Regisseur Sascha Koal wollte das auch gar nicht. Es ging ihn um das ganze Phänomen Promi-Prozess. Er bleibt mit seinem Material dicht an der Dramaturgie, die von dem Gerichtsverfahren vorgegeben war. Eine besondere Perspektive versucht er mit einer Art psychoanalytischem Setting. Er lässt ihn und sie die traumatischen Ereignisse nachspielen, jeder aus seiner Sicht.

Lüge oder Wahrheit
Der im Titel angeführte Rashomon-Effekt ist das Phänomen, dass ein und die selbe Handlung von Beteiligten und Beobachtern sehr unterschiedliche, oft diametral entgegengesetzt wahrgenommen wird. Das trifft hier nicht zu. Es geht schlicht um Lüge oder Wahrheit. Die beiden Beteiligten wissen genau, wie es gewesen ist. Mit verhandelt wird die Enthüllungsgier einer lüsternen Öffentlichkeit und der Medien, die sie bedient. Nur die Story zählt - auch für die Vorkämpferin des Feminismus', Alice Schwarzer, die für Bild den Prozess beobachtet hat?

Das jedoch kommt alles sehr leitartikelnd, papiermoralisch daher und ist entsprechend schablonenhaft gespielt. Nur in der Szene, in der die Vergewaltigung nachgestellt wird, gelingt Authentizität, emotionale bedrückende Nähe. Hier zeigen Sarah Gros und Dirk Mühlbach, dass sie den Figuren dramatisch Leben zu geben vermögen. Es gelingt ihnen dabei, aus dem langen Schatten dessen zu treten, was wir dank dem Boulevard-Getrommel zu wissen glauben. Das Ungeheuerliche einer Vergewaltigung ist quälend präsent. Aber wirkmächtig letztlich auch nur durch den Schlüsselloch-Effekt.

Kachelmanns Rashomon (UA)
von Sascha Koal – nach Akutagawa Ryunosuke und dem Prozess um Jörg Kachelmann
Regie und Bühne: Sascha Koal.
Mit: Sarah Gros und Dirk Mühlbach.

www.theater-felina-areal.de


Kritikenrundschau

Für die bunten Seiten von Welt online (16.4.2012) hat Hannelore Crolly den Weg zur kleinen "Hinterhofbühne" Felina-Areal in Mannheim auf sich genommen. Unter der Überschrift "Jörg Kachelmann als Opfer badischer Kleinkunst" berichtet sie, was sich in "teils derber Direktheit auf der Bühne und dort meist auf dem Boden abspielt". Zum Beispiel: "Da versucht ein halbnackter 'Er' mit schmierigem Charme und aggressivem Druck, seine Freundin zu einer ihr unangenehmen Sexvariante zu überreden (...)". "In weiten Teilen" wirke das Stück "wie direkt aus den Prozessberichten abgetippt. Selbst kleinste Details wie das Aussehen der angeblichen Tatwaffe stimmen mit dem, was im Gerichtssaal passierte, genau überein." Crolly hat auch den Regisseur des Abends zum Boulevardappeal seiner Unternehmung befragt: "Ein schlechtes Gewissen, am Ende der Verwertungskette auch aus diesem Schicksal Kapital gezogen zu haben, hat Koal nicht (...)."

Sascha Koal sei "eine philosophische Meditation gelungen, die sich aus Rechtswesen und Literaturgeschichte speist. Ein gut ausformuliertes Theaterstück mit starken Dialogen". So urteilt Christian Hoffmann im Wiesbadener Tagblatt (16.4.2012). Der Regisseur und Autor interessiere sich weniger für die Person Kachelmann als für "dessen Allgemeingültigkeit als Angeklagter in einem Strafverfahren", "in dem Aussage gegen Aussagen steht". Die "Grundaussage" des Stückes fasst der Kritiker so: "Es gibt keine endgültige Wahrheit." Mithin stelle das Unternehmen "die richtigen Fragen, ohne Antworten zu geben. Stattdessen liefert das Stück Überlegungen und Hinweise".

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