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Wie ein Fähnchen im Wind

von Michael Stadler

München, 22. April 2012. Hosen runter, Wunden zeigen. Wer Konsul werden will, der muss seinem Volk auch was zum Bestaunen bieten. Das weiß die Mama von Coriolanus. Auch wenn ihm die Blöße peinlich ist, muss der Kriegsheld die Selbstdarstellung in Unterwäsche durchstehen, muss akzeptieren, dass andere mit ihm kurzzeitig auf dem Podest stehen, so Leute aus dem Volk, die dem Patrizier eigentlich ein Dorn im Auge sind. Dann bekommt er aber das Amt, singt seiner Erzeugerin einen ungarischen Schlager, woraufhin die ein "The winner takes it all" anstimmt. Das Muttersöhnchen gewinnt erst mal und meint auf Anfrage, jaja, er habe da ein schönes kleines Programm. Was das beinhaltet, sagt er nicht. Jetzt ist er ja erst mal Konsul von Rom. Da habt ihr's.

Ein Volk bekommt die Volksvertreter, die es verdient – eine einseitige Anklage gegen Machthaber ist das nicht, was Csaba Polgár und seine Budapester Hoppart Company aus Shakespeares selten gespieltem Spätwerk "Coriolanus" herausholt, sondern eine Breitseite auf alle, die an so einer als Demokratie bezeichneten Regierungsform teil haben. Das stark eingekürzte Römerdrama wurde mit Versatzstücken von Brecht bis Kleist und Eigenem angereichert. Dahinter vermutet man keine harte Regiefuchtel, sondern mehr einen Prozess des kreativen Austauschs, angeleitet von einem, der wie andere in der Truppe selbst als Schauspieler an einem Stadttheater arbeitet und die vom Staat unter Premier Viktor Orbán kaum bis gar nicht mehr subventionierte freie Szene als weite Spielwiese versteht. Wer kein Geld bekommt, ist unabhängig und kann schön mit so einem Shakespeare herzeigen, was im rechtskonservativ regierten Ungarn falsch läuft. Da habt ihr's.

korijolanusz1 560 jozsef szabo xDas Volk und der Scheinwerfer: "Korijolanusz" © Jozsef Szabo

Dass Csaba Polgár, Jahrgang 1982, mit diesem "Korijolánusz" bei Radikal jung, dem Festival junger Regisseure eingeladen wurde, ist eine feine Sache, selbst wenn das Hoch- und Runterschauen von den Übertiteln zur Bühne auf Dauer ermüdend ist. Aber für so ein frisches Stück politisches Theater nimmt man doch einiges auf sich, Nackenschmerzen und zuvor den Weg zum Theater Gut Nederling am Rande Münchens, wo gewöhnlich das Landstorfer Ensemble oder das Chiemgauer Volkstheater spielen. Die Budapester Truppe teilt den Raum in zwei lange Hälften, die eine für die Publikumsreihen, die andere für die zwölf Spieler, nicht viel mehr als ein paar Sitzmöbel, ein Kühlschrank, ein paar Leuchtstoffröhren dazu.

Und wer ist Schuld?

Von der Empore rechts oben schnippt der Anführer der Volsker eine Zigarette hinunter und besucht über eine Leiter die abgewrackten Römer. Doch Vorsicht: Caius Martius verabreicht ihm bald einen Satz warme Ohren im Terence-Hill-Stil, erobert damit symbolisch die Volkserstadt Corioli, erbackpfeifft sich seinen Ehrennamen. Da hat Zoltán Friedenthál schon längst die Titelfigur als einen Wichtigtuer etabliert, der sein kindlich-cholerisches Temperament nicht zügeln kann, nach seiner Rom-Rückkehr auch als Konsul weiter aufs Volk schimpft und von einem Volkstribun genarrt wird. Der Tribun lässt sich fallen und tut so, als ob Coriolanus ihn geschlagen habe. Der tritt dann tatsächlich böse zu und muss mitsamt dem Scheinwerfer, mit dem er sich beständig selbst bestrahlt, das Weite suchen.

korijolanusz3 280 daniel borovi xHilfreiche Familienbande: "Korijolanusz" mit Frau und Mutter © Daniel BoroviDie Frage, wer an all dem politischen Schlamassel Schuld trägt, ist schon bei Shakespeare schwer zu beantworten. Ihn habe gerade diese moralische Unbestimmtheit gereizt, wird Regisseur Polgár später beim Publikumsgespräch sagen. Das Volk ist bei ihm ein Fähnchen im Kriegswind, zuerst Zeter und Mordio gegen die Korn hortenden Patrizier schreiend, dann Faschingströten blasend, als Coriolanus siegreich nach Rom heimkehrt. Und dann sind sie doch gegen den arroganten Tribun-Treter. Was alles einerlei ist. Man isst, man schläft, man zahlt Steuern – ist es nicht letztlich in jedem Staate so? Wenn die Volsker, auf deren Seite sich Coriolanus nun schlägt, zur Revanche Rom attackieren, hält sich die Angst bei den Römern doch in Grenzen. Und weil irgendwann das Spiel aus sein muss, wird der Wendehals zuletzt als Verräter entfernt, nachdem ihn seine Mutter Volumnia (eigentlich radikal jung, aber gekonnt die Machtmama spielend: Nóra Diána Takács) verstoßen hat.

Klaffenden ungarischen Wunden

Er habe zwanzig Jahre Ungarn in dem Stück wieder entdeckt, so Polgár, "wie wir alle einen Ausweg gesucht haben." Den findet auf der Bühne niemand. Dafür wird Bier getrunken und Fernsehen geschaut. Dass die Presse in Ungarn auf Linie gebracht wird, thematisiert die Hoppart Company gleich mit, lässt aber nie Tristesse, sondern böse Heiterkeit aufkommen. Dazu kommt prächtiger Gesang. Einige der Mitglieder, darunter Polgár, studierten Musiktheater in Budapest, aus der Abschlussklasse ging die Hoppart Company hervor. So finden Römer und Volsker immerhin im schönen Klang zusammen, wenn man sich schon in geschlossener Gesellschaft befindet. Nicht mal der Blick hinaus ist möglich.

Möglich erscheint dennoch vieles. Zum Beispiel, dass man mit wenigen Mitteln einen starken, transportierfähigen Abend erfinden kann. Coriolanus lässt die Hosen runter, und zu sehen sind die Wunden, die unter Viktor Orbán immer weiter klaffen. Viel mehr kann politisches Theater nicht tun.

 

Korijolánusz (Coriolanus)
von William Shakespeare
Regie: Csaba Polgár, Bühne und Kostüme: Lili Iszák, Dániel Borovi, Musik: Tamás Matkó, Dramaturgie: Sebastian Hube, Text: Ildikó Gáspár, Gergely Bánki.
Mit: Imre Baksa, Richárd Barabás, Gergely Bánki, Diána Drága, Zoltan Friedenthál, Ádám Földi, Tamás Herczeg, Diána Magdolna Kiss, Zsolt Máthé, Katalin Szilágyi, Nóra Diána Takács, Sándor Terhes.

www.radikaljung.de


Mehr zu Theater aus Ungarn? Das Budapester Örkény Theater, an dem Csaba Polgár als Schauspieler arbeitet, nahmen wir in einem Theaterbrief genauer unter die Lupe. Mehr zu Ungarn auf nachtkritik.de steht im nachtkritik.de-Lexikon.

Mehr zum diesjährigen Radikal jung-Festival finden Sie in der Festival-Übersicht.

 

Kritikenrundschau

Im Theater Gut Nederling glaube man sich "in einer postsozialistischen Debattierbude", skizziert Egbert Tholl in der Süddeutschen Zeitung (24.4.2012) die Bühne. Darum gehe es Polgar: "Mittels Shakespeares Römerdrama, dem darin ausgebreiteten Unwohlsein gegenüber Volk und Volksvertretern, entwirft er eine grimmige Farce auf die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse in Ungarn. Viel und toll wird hier gesungen, mühelos folgt man dem Text in Übertiteln; es geht lustig zu - und ist doch sehr bitter."

Eine osteuropäische Produktion bewies außergewöhnliche Klasse: "Korijolánusz", eine Shakespeare-Bearbeitung vom Ungarn Csaba Polgár, der die Fabel des Klassikers rotzfrech in die ungarische Nachwendewirklichkeit versetze, schreibt Michael Laages (Welt, 23.11.2012) in seinem Gesamtbericht über das Festival Fast Forward in Braunschweig, bei dem auch "Korijolánusz" lief. "Aber Vorsicht – zwar nimmt Polgár das Ungarn von heute ins Visier, doch befragt er jenseits der eigenen Heimat auch generell die Demokratietauglichkeit moderner Gesellschaften."

 

Kommentare  
Korijolánusz, Berlin: Varietékünstler des Populismus
Polgár lässt den Machtreigen als launige Parodie spielen, mit farcenhaften Elementen, Slapstickpassagen – etwa jene, in der Coriolanus Aufidius besiegt, ohne zu bemerken, dass dieser Sieg nichts wert ist, eine Erkenntnis, die dem Zuschauer nicht entgeht. Polgár betont das Show-hafte, die Macht des Scheins, das Theatrale erfolgreicher Politik, lässt seine Protagonisten immer wieder als Darsteller auftreten, die wirkungsvoll eine Rolle spielen, Varietékünstler des Populismus, für die das Performative längst das Inhaltliche verdrängt hat. In einer Zeit, in der alles im Fluss ist, in der die alte Ordnung abgedankt hat und die neue noch nicht konsolidiert ist, geht es darum, wer sich am besten in den Vordergrund spielt und am effektivsten die Menschen auf seine Seite zu ziehen versteht. Dabei bleiben die Verhältnisse vergleichsweise stabil, Arm und Reich, Oben und Unten verschieben sich nur leicht, die Ordnung stellt sich wieder her, mit neuen Gesichtern vielleicht, aber mit den alten Rollenzuteilungen. Eine Scheinveränderung nur, die jedoch um der behaupteten Glaubwürdigkeit willen Bauernopfer verlangt. Einen wie Coriolanus also. Und so geht man am Ende zur Tagesordnung über, widmet sich bürokratisch und pragmatisch dem Anliegenden. Und wenn es von der Decke tropft, wird einfach ein Eimer hingestellt. Ist das Dach auch undicht, Hauptsache, das (Macht-)Fundament steht.

Das ist in seiner Stringenz klug durchkomponiert und bei aller Ironie und Komik von durchaus verstörender Logik. Wer will, kann Bezüge zum Populismus der derzeitigen, auf Kontrolle aller wichtigen Gesellschaftsbereiche und langfristigen Machterhalt ausgerichteten Strategie der gegenwärtigen ungarischen Regierung sehen – oder das Ganze als universelle Zustands- und Entwicklungsbeschreibung moderner Gesellschaftssysteme ansehen. Von da ist es nicht mehr weit zum „Die da oben sind nur an ihrer Macht interessiert und machen sowieso mit uns was sie wollen“, zu Politikverachtung, Resignation und Apathie. Dem hat der Abend wenig entgegenzusetzen, denn auch von Universalität zu Beliebigkeit ist der Weg ein kurzer. Vielleicht wirkt das in Ungarn stärker, greifen die hier beschriebenen Mechanismen dort stärker die noch brüchigen Fundamente einer vergleichsweise jungen Gesellschaft an, reißt das hier gezeigte womöglich offene Wunden auf. .So aber gerät Korijolánusz denn doch ein wenig plakativ und holzschnitthaft, gefällt sich zu sehr im Schwarz und Weiß als dass der Abend wirklichen Erkenntnisgewinn brächte.

Komplette Kritik: http://stagescreen.wordpress.com/2014/03/10/showmaster-der-macht/
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