altDie zugehörig Heimatlosen

von Esther Slevogt

Berlin, 25. April 2012. Wie könnte man wohl die Liebe definieren in unseren bezugslosen Zeiten? Die junge Frau, Thea heißt sie, versucht es: Wenn man zum Beispiel darum kämpft, gemeinsam am selben Ort leben zu können. Wenn man seinen Beruf vernachlässigt, um den Kampf gegen die Behörden aufnehmen zu können, gegen Zuzugsregelungen und Ausländergesetze. Kraft und Ausdauer für einen zähen Papier- und Telefonkrieg hat. Ob die Bereitschaft dazu vorhanden ist, daran misst Thea die Liebe, auch ihre Liebe zu ihrem Freund Filip und dem neugeborenen Sohn.

Dabei wäre der Aufwand in ihrem Fall gar nicht nötig. Denn es gibt keine Anzeichen dafür, dass solche Hürden dem Zusammenleben der Journalistin mit ihrem Freund entgegenstehen. Anders als bei ihrer Jugendfreundin Marwa, die abgeschoben werden soll aus dem Land, das die Dramatikerin Marianna Salzmann Dänemark genannt hat in ihrem Stück "Beg your pardon", das nun von Hakan Savas Mican am Ballhaus Naunynstrasse uraufgeführt worden ist.

Hadern mit der Lebensform

Und während Marwa sich nichts mehr als ein Zuhause wünscht und das Geborgenheitsversprechen des bürgerlichen Familienmodells für sie von utopischem Glanz erfüllt ist, hadert die engagierte Thea mit dieser Lebensform und läuft schließlich Mann und Kind davon. Als sie zurückkehrt, hat Marwa ihren Platz eingenommen, für die Filip nun all diese Bürden des Behördenkriegs auf sich genommen hat, die für Thea die Merkmale der Liebe in Zeiten der Migration sind.

Das klingt alles realistischer, als es ist. Denn Marianna Salzmann reißt in ihrem Stück Motive und Figuren stets nur an, um sie dann ins Fantastische ausfransen zu lassen, beladen mit assoziativen Versatzstücken und hart recherchierten Wirklichkeitsfragmenten, die sie aber dann ins Surreale verflüssigt. Den populistischen Politiker zum Beispiel, den Thea gleich am Anfang des Stücks interviewt, eine Figur, in die auch Erfahrungen einfließen, die Marianna Salzmann mit europäischen Politikern machte, die sie im Zuge der Arbeit an ihrem Stück befragt hat. Zu den surrealen Momenten des Stücks gehört auch der Affe Chica, ein Wesen, dessen Ort in der Realität nie so recht definiert wird. Der Affe begleitet Thea auf ihrer Flucht in eine Art Hippieparadies, kehrt aber nicht mit ihr zurück.

Bevölkert mit Fantasiewesen

Regisseur Hakan Savas Mican lässt dieses Fantasiewesen in seiner Inszenierung nur als Videoprojektion in Erscheinung treten, als ziemlich monumentales und King-Kong-hafte Figur, deren brachiale Gesichtszüge irgendwann auf der zarten Baumwollgaze im Bühnenzentrum mit denen von Maryam Zaree verschwimmen, die hier die Salzmann-Heldin Thea spielt. begyourpardon3 280q david ghione u"Beg your pardon" © David Ghione

Manchmal wird auch ein sehr verwohntes riesiges Altbauzimmer darauf projiziert, in dem man Thea in klaustrophobischen Alptraumszenen (kunstvoll von Katharina Wyss in Szene gesetzt) begegnet. Wie sie verloren auf einer alten Badewanne sitzend, zum Beispiel ihr Kind bekommt. Manchmal werden die Umrisse des Raums auch auf die Bühnenwände projiziert, dass der Eindruck entsteht, das Stück ereigne sich nur in Theas Kopf. Einmal jagt ein überlebensgroßer Hund als Projektion über die Wände.

Gegen diese surrealen Bilder und Filmszenen steht auf der Bühne eine manchmal fast hölzern-realistische Spielweise mit glutvollen, fernsehspielhaften Ausbrüchen und anderen Ausformungen des guten alten Einfühlungstheaters. Und doch denkt man immer wieder: das kann vielleicht auch gar nicht anders sein. Denn irgendwie muss in dieser Welt der zerfallenden analogen Gesellschaften, Systeme und Diskurse, die immer wieder Marianna Salzmanns Thema sind, doch noch eine Vorstellung der alten Gestalt dieser Begriffe (und ihrer Spielweisen) gegeben werden.

Und so folgt man dieser merkwürdigen Reise einer jungen Frau, die vor sich selber (oder wovor auch immer) mit diffusen Weltverbesserungsgedanken in ein bezugsloses Hippieparadies flieht, auch mit gemischtem Gefühl.

Das Glück zum Preis des Unglücks

Maryam Zaree macht aus dieser Figur eine schillernde Unbedingtheitsfanatikerin, aufbrausend und in emotionale Abgründe stürzend. Knut Berger ist ihr Freund Filip, ein sanfter Riese mit ikeagemütlicher Geborgenheitsausstrahlung. Aber auch einem Phlegma, das Theas Fluchtreflex nachvollziehbar macht. Marwa, die migrantische Freundin, die am Ende das Nest besetzt, das Thea verlassen hat, hat Marleen Lohse (mit flammendroter Pippi-Langstrumpf-Mähne) als besessene Romantikerin angelegt, die dem pathetischen Gutmenschentum ihrer Freundin mit deutlicher Distanz begegnet.

Die explodierende Frühlingsidylle, die sie am Ende mit stählerner Glückseligkeit dem Publikum entgegenschleudert, lässt momentweise das Blut in den Adern gefrieren. Denn jede Idee vom Glück scheint hier plötzlich nur um den Preis des Unglücks anderer realisierbar zu sein. Auch wenn Marwa nur aufhob, was Thea weggeworfen hat.

Heute hier, morgen dort

Zwischendurch gibts Volkslieder, deren Texte ausländerfeindlich verfremdet worden sind. Oder Hannes Waders berühmten deutschen Folksong "Heute hier, morgen dort", der mit seinen Gedanken vom Bleiben und Fortgehen so etwas wie ein Leitmotiv des Abends ist. In den 1960er Jahren hatte Wader mal kurzzeitig seine Wohnung der Terroristin Gudrun Ensslin überlassen, die ja auch ihr Kind zwecks Weltverbesserung verließ, und an die man an diesem Abend manchmal denken muss. Auch deshalb, weil die Weltverbesserung damals ausgefallen ist.

Die Trägerin des diesjährigen Kleistförderpreises Marianna Salzmann, 1985 im russischen Wolograd geboren, und in den 1990er Jahren nach Deutschland gekommen, zeigt ein paar Menschen aus einer aus den Fugen geratenen Welt zwischen Zugehörigkeitssehnsucht und Bezugslosigkeit. Heimatlose sind sie alle, und irgendwie verloren auch. Lösungen oder Handlungsspielräume nicht in Sicht. Man kann nur schuldig werden. Aber ob man sich mit diesem Befund zufrieden geben will?

 

Beg your pardon (UA)
von Marianna Salzmann
Regie: Hakan Savas Mican, Bühne & Kostüm: Sylvia Rieger, Video: Katharina Wyss, Dramaturgie: Irina Szodruch.
Mit: Knut Berger, Marleen Lohse, Mehmet Yilmaz, Maryam Zaree.

www.ballhausnaunynstrasse.de

 
Kritikenrundschau

Im Deutschlandfunk (26.4.2012) resümiert Eberhard Spreng: Marianna Salzmann gelinge es in ihrem Stück nicht, das Allgemeine der Politik und das Besondere der Biografien ihrer Figuren dramaturgisch schlüssig ineinander zu verschränken. "Denn schnell ist nichts weiter zu erleben, als das Seelenporträt einer jungen Frau in der Muttersinnkrise." Die Geschichte habe viel vom Scheitern der Aussteiger vergangener Jahrzehnte, und Regisseur Hakan Savaş Mican mache dies mit leicht ironischen Songzitaten kenntlich, konterkariere außerdem mit der Besetzung der deutschen Figur durch eine Schauspielerin mit Migrationshintergrund und der Figur mit Migrationshintergrund mit einer deutschen Schauspielerin gängige Klischees. Trotzdem bleibe nach dem Abend als "merkwürdiges Fazit" übrig: "Emanzipation und Militanz sind in der Figur der Thea ein ernst zu nehmendes Psychoproblem und gehören in die existenzielle Leere geschickt."

Kommentare  
Beg your pardon, Berlin: in puncto Einfühlungstheater
"Gegen diese surrealen Bilder und Filmszenen steht auf der Bühne eine manchmal fast hölzern-realistische Spielweise mit glutvollen, fernsehspielhaften Ausbrüchen und anderen Ausformungen des guten alten Einfühlungstheaters. Und doch denkt man immer wieder: das kann vielleicht auch gar nicht anders sein. Denn irgendwie muss in dieser Welt der zerfallenden analogen Gesellschaften, Systeme und Diskurse, die immer wieder Marianna Salzmanns Thema sind, doch noch eine Vorstellung der alten Gestalt dieser Begriffe (und ihrer Spielweisen) gegeben werden."
Verstehe ich nicht. Gilt das nicht für jeden Text von Aischylos bis Albee? Oder heißt das: Einfühlungstheater ist schlecht, außer es hilft dem Text auf die Beine?
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