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Du bist zu reich, du Spast!

von Andreas Schnell

Wilhelmshaven, 5. Mai 2012. Wo Lion Feuchtwanger in seinem historischem Roman "Die Jüdin von Toledo" nicht zuletzt Aufarbeitung jüdischer Geschichte betreibt, interessiert sich Kristo Šagor in seiner neuen Bühnenfassung des Romans mehr für allgemeinere Fragen zu Herrschaft, Gewalt, dem Verhältnis von Privatem und Öffentlichem.

Nicht zuletzt bekriegen sich hier zwei Staatsmodelle, die im Grunde das gleiche wollen: Die eine Seite, das ist das Modell von Machterwerb durch Diplomatie und wirtschaftlicher und kultureller Überlegenheit. Für diese Strategie steht Jehuda Ibn Esra, ein reicher Jude, der von Sevilla, wo er Ratgeber des Emirs war, nach Kastilien übersiedelte, wo er nun König Alfons dient – und wieder seinen jüdischen Glauben annimmt. Die Dinge lassen sich gut an. Sogar sein altes "Castillo" darf er wieder beziehen. Dann allerdings lernt König Alfons Jehudas Tochter kennen, die schöne Raquel, und verliebt sich in sie. Was nicht nur problematisch ist, weil Alfons Christ ist und Raquel Jüdin. Sondern auch, weil Alfons schon eine Frau hat.

Immer noch nicht zufrieden
Eleonor, seine Gattin, sorgt mit Hilfe ihrer Mutter, der Königin von England, dafür, dass sich der Konflikt mit den Moslems zuspitzt und Alfons schließlich sein Heer in eine vernichtende Niederlage führt, während daheim in Toledo der Mob Jehuda und Raquel umbringt. Am Ende ist Alfons immer noch König, ein besserer als zuvor. Und einen "neuen Juden" hat er sich auch gesucht. "Ich sollte zufrieden sein. Aber ich bin es nicht."

juedinvontoledo2 560 volker beinhorn uToledo in Wilhelmshaven © Volker BeinhornDiesen Stoff erzählt Šagor mit viel Witz und kunstvoll. König Alfons, Königin Leonor, deren Mutter, die Königin von England, der Bischoff Don Martin, die Krieger also, sie reden Prosa, während Jehuda, sein Freund Musa Ibn Da'ud oder auch Don Rodrigue, Alfons Beichtvater, die Vertreter von Kultur und friedlicher Koexistenz, in Blankversen sprechen. Viel von Feuchtwangers Ton ist hier enthalten, versetzt mit Kraftausdrücken von heute. Der Kontrast zwischen Prosa und Metrik ging zumindest bei der Premiere etwas unter. Davon abgesehen gab das Ensemble eine überzeugende Vorstellung. Vor allem Cino Djavid als Alfons überzeugte. Geradezu in Helge-Schneider-Manier schnoddert und fuhwerkt er sich durch seinen Part, schmäht Toledo als "kackendlangweilig", herrscht Jehuda an: "Du bist zu reich, du Spast!" Und ist dann auf einmal ganz der ungeschickte 17-Jährige, wenn er mit Raquel zusammen ist. Launisch, zickig, hin und hergerissen zwischen seinem Beruf des Ritters und seiner Liebe. Das spielt Djavid sehr nuanciert, wo es sein muss, mit hinreißendem Elan, wenn Alfons wieder einmal durchzudrehen hat.

Im Verschlag
Überzeugend auch Alexander Schillings Regiekonzept. Er lässt in einer Art Verschlag spielen. Und zeigt in diesem Mikrokosmos präzise die Machtverhältnisse im Königreich Kastilien und ihre Entwicklung. Nichts bleibt verborgen, Bischoff, Königin, Minister Belardo, Jehuda – sie alle sind beinahe permanent anwesend, kommentieren das Geschehen, und wenn es nur mit subtilen Gesten des Missfallens ist. Auch die englische Königin ist stets präsent. Zwar greift sie erst im zweiten Teil des Dramas in die Handlung ein. Allerdings sitzt sie von Anfang an am linken Bühnenrand, gelangweilt, gelegentlich indigniert hüstelnd.

Der Verschlag seinerseits ist ebenfalls durchaus raffiniert: Die drei Wände bestehen aus Tafeln, zwischen denen, wie in einem hinfälligen Bretterverschlag das Licht durchscheint. Die sind zugleich Kulturträger. Musa beschreibt sie mit Sprüchen in hebräischer und arabischer Schrift – und sie gehen natürlich zu Bruch, als sich die Krieger durchsetzen und das einst prosperierende Königreich in Gewalt versinkt. Und auch die Kostüme unterlaufen ganz wie Šagors Sprache, mit diversen Brechungen wie zum Beispiel Cowboystiefeln, allzu historische Lesarten.

Die Jüdin von Toledo
von Kristo Šagor
Regie: Alexander Schilling, Bühne und Kostüme: Diana Pähler, Dramaturgie: Peter Hilton Fliegel.
Mit: Thomas Hary, Anna Rausch, Cino Djavid, Aida-Ira El-Eslambouly, Joachim Kwasny, Axel Julius Fündeling, Johannes Simons, Sebastian Moske, Christian Simon, Julia Blechinger.

www.landesbuehne-nord.de

 

Mehr über den Regisseur Alexander Schilling erfahren Sie in seinem Lexikoneintrag auf nachtkritik.de.

Kritikenrundschau

Von einer "respektablen Leistung" der Wilhelmshavener Landesbühne berichtet Norbert Czyz auf dem Onlineportal der Nordwest Zeitung (7.5.2012). Als "Parabel in Oratorienform" habe Kristo Šagor seine Feuchtwanger-Adaption angelegt. Im Handlungsgeflecht macht der Kritiker einen systematischen Zusammenhang aus. Die "Qualität der Inszenierung" bestehe darin, dass sie "den (Stil-)Bruch zum Wesensmerkmal des Systems erhebt und damit den Schein vermeidet, die Abläufe seien logisch. Große Momente und Banalitäten wechseln in Sekundenschnelle und belegen die Schwäche des Systems". Regisseur Schilling "überzeichnet und übersteigert", allerdings gerate dabei – so "gut das dramatische Konzept" von Šagor "funktioniert" – die "Psychologie der Figuren ist nicht immer schlüssig".

Eine "souveräne Spielfreude" des Ensembles in einer "flüssig gestalteten, einfallsreichen Regie" hat Ernst Richter für das Jever Wochenblatt (7.5.2012) erlebt. Regisseur Alexander Schilling habe den Roman "mit einer komprimierten Handlung" in ein "dramatisches Schauspiel verwandelt, das die Historie ausspielt, die Gegenwart streift und das Publikum fasziniert". Einziges Manko des Abends sei es, "dass oft die Dialoge nicht verständlich beim Publikum im Parkett ankommen" und manch Figurengespräch ruhig hätte "gekürzt werden" können.

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