altDer Genius tobt im Bildersaal

von Esther Boldt

Frankfurt am Main, 11. Mai 2012. Neue Spielorte öffnen dem Theater nicht nur andere Räume, sie setzen auch die Routine außer Kraft. Zur gewohnten Zeit habe ich das Haus verlassen, zur ungewohnten bin ich angekommen: zu spät. Für Oliver Reeses Uraufführung seines Stückes "Bacon talks" ist das Schauspiel Frankfurt ans gegenüberliegende Mainufer gezogen, ins Städel Museum, wo sich die Kritikerin im herrlich pointiert einsetzenden Platzregen prompt verlief. Darum setzt diese Kritik etwa um 19.27 Uhr ein, am Rand des Schauspiels, dort, wo hinter den Zuschauerreihen noch ein paar Stühle für die Logenschließer stehen.

Ein rotmundiger Viktor Tremmel spielt das Publikum an, das in drei Reihen im Halbkreis sitzt. Gleichmäßig ist der White Cube ausgeleuchtet, an seiner Rückwand steht im Goldrahmen und auf Rädern ein echter Bacon. Im grauen Anzug tigert Martin Rentzsch durch den Raum, pöbelt Tremmel an und gießt Öl ins Feuer seiner Tirade. Da klebt ein Nachbild noch auf meiner Netzhaut: Francis Bacons Pferdekiefer, seine weinschweren Lippen und Lider, wie er sich an seinem Glas festhält und in Melvyn Braggs BBC-Show "South Bank" ziemlich unterspannt über Kunst und Leben skandiert. Dagegen kommen Tremmel und Rentzsch kaum an, und vielleicht wollen sie es auch gar nicht, spielen sie doch vielmehr eine Vorstellung des Extremkünstlers als diesen selbst.

Bacon verdoppelt

Aus Interviews des Kunstkritikers David Sylvester mit Francis Bacon hat Intendant, Regisseur und Autor Oliver Reese einen Monolog extrahiert, ein zeitgemäßes Copy&Paste-Stück, aus dem man meint, auch Zitate von Melvyn Braggs Show herauszuhören. In formidabler, ebenso intelligenter wie bärbeißiger Prägnanz reflektiert Bacon Kunst (eigene und fremde, Eisenstein, Rembrandt und Picasso, seine Papstserien und das Motiv der schreienden Münder) sowie das Leben, das er im Flüchtigen, in der Rauheit des Moments aufsucht, in Sex und Drogen.

bacon2 280 birgit hupfeld uMartin Rentzsch vor dem Bacon
© Birgit Hupfeld
An die Stelle des Interviewers tritt der Zuschauer, der Antworten erhält, ohne Fragen gestellt zu haben. Doch immerhin hat ihn ein Begehren hierher geführt, eine Langeweile oder Pflicht. Frei nach Rimbauds Theorie-Kalauer "Ich ist ein Anderer", der in den letzten Jahren zum beliebten Theaterstilmittel avancierte, teilt sich dieser Francis Bacon auf in zwei Schauspieler: Der junge (Tremmel) wütet und zürnt, er zischt die Worte heraus und zertrümmert auch mal eine Orange, während der alte (Rentzsch) Fragezeichen anstelle von Punkten setzt, als betaste er seine Sätze von ihrem Ende her und mit gewisser Vorsicht. In der Leere des Raumes tigern beide rastlos umher, fallen sich ins Wort, werfen sich selten Blicke zu und ignorieren einander oft. Kein Bild bleibt dabei ein Rätsel, zuverlässig wird alles auserklärt – der graue Anzug von Martin Rentzsch beispielsweise. Oder eben die zerquetschte Orange, die Bacons Lieblingsfarbe Orange und die Gewalttätigkeit seiner Bilder symbolisiert.

Obsessiver Künstler

bacon4 280 birgit hupfeld uVictor Tremmel als Power-Bacon im Städel
© Birgit Hupfeld
In seinem glatten Charme sucht "Bacon talks" weniger das Eigene, das Besondere im Werk des großen britischen Künstlers, diesen verstörenden Bildern fragmentierter, verzerrter Körper, die beispielsweise die Choreografin Meg Stuart inspirierten oder in Frankfurt zuletzt den Tänzer und Choreografen Antony Rizzi zu einer wundervoll lässigen Performance Monkey on the table anregten. Vielmehr entwirft es ein exemplarisches Bild der Künstlerpersönlichkeit: Da sich ihr der Ursprung des eigenen Werkes entzieht, versucht sie in einer obsessiven, konzentrisch kreisenden künstlerischen Selbstauskunft, sich dem eigenen Schaffen anzunähern. Im Randstand der Gesellschaft stehend ringt sie um Anerkennung – zuvörderst durch sich selbst.

Dieser welt- und selbstzweiflerisch tobende Genius ist eine anerkannte Figur, die Attacken von Marcel Duchamp bis Andy Warhol scheinbar schadlos überstanden hat. Während sich der Platzregen nach der schwülen Gereiztheit des Tages zur Erlöserfigur aufspielt und sich mit pathetischer Melancholie ein schweflig-grauer Regenbogen über das Palastgerippe der neuen EZB spannt, während also das große Schauspiel vor der Tür stattfindet, gibt es drinnen – in würziger Kürze – eine elegante Petitesse.


Bacon talks (UA)
von Oliver Reese
nach den Gesprächen zwischen Francis Bacon und David Sylvester
Regie: Oliver Reese, Raum: Hansjörg Hartung, Kostüme: Dorothee Joisten. Dramaturgie: Johanna Vater
Mit: Martin Rentzsch, Viktor Tremmel.

www.schauspielfrankfurt.de



Kritikenrundschau

Als "ein ungewöhnliches und den Zuschauer mit ungewöhnlichen – bescheidenen und effizienten – Mitteln bezwingendes Drei-Figuren-Stück" empfindet Judith von Sternburg in der Frankfurter Rundschau (14.5.2012) "Bacon talks" von Oliver Reese. "Erst kommt einem das vielleicht alles zu einfach vor, dann zu verwickelt, dann merkt man hoffentlich, dass es der einfach verwickelten Situation restlos entspricht. Es geht ja genau darum, dass das, was hier gemacht wird, eigentlich nicht geht". Nämlich das Gespräch über Malerei mit einem Maler, das als solches immer eine unzureichende "Übersetzung" bleiben müsse. Reese habe dieser Situation entsprechend Figuren als "unruhige, gequälte, aufmerksame Text-Transporteure" erfunden.

Auch Bettina Boyens von der Gießener Allgemeinen (13.5.2012) hat Sympathie für Reeses "kunstübergreifende Idee", zumal sein Stück mit einer "grandiosen Spielfreude von Viktor Tremmel und Martin Rentzsch" umgesetzt werde. Ohne sich "kolportagehaft" in der Biographie Bacons zu bedienen, würden "die unterschiedlichsten Facetten seiner Persönlichkeit" ausgelotet, "die von quälenden Selbstzweifeln ebenso geprägt war wie von berserkerhaften Wutattacken und die auf unnachahmliche Weise seine Offenheit in der Wahrheitssuche mit Selbsthass konterkarierte".

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