Die hübschen Pointen der Religion

von Shirin Sojitrawalla

Frankfurt am Main, 21. November 2007. Die Regisseurin Anja Gronau ist bekannt dafür, dass sie sich klassische Texte so lange zur Brust nimmt, bis nur noch Skelette übrig bleiben. Diesmal hat sie zu August Strindbergs gewaltiger Dramentrilogie "Nach Damaskus" gegriffen, um die alten Gretchenfragen neu zu stellen. Während sich Strindberg auf etwa 250 eng bedruckten Seiten der Frage nach dem Warum des Seins von allen Seiten nähert, verkürzt Gronau auf rund 50 locker bedruckten Seiten die Frage zu einem Themenabend über Religion und Glauben.

Was bei Strindberg noch ein Wanderungsdrama mit zahllosen Etappen und Entwicklungsstufen des Helden, ist bei Gronau ein Spaziergang direkt in unsere Gegenwart hinein. Die Bühne im Kleinen Haus des Frankfurter Schauspiels mutet dabei an wie ein Probenraum. Auf dem Boden liegt lackierte Folie aus, verschiedene Elemente aus Styropor sind drum herum gruppiert.

Zitate wie Ziegelsteine 

Zu Beginn deklamiert die erprobte Gronau-Schauspielerin Claudia Wiedemer den Prolog, spielt in verteilten Rollen Gott, Luzifer und ein paar Engel. Das Licht bleibt erst einmal aus, langsam erst erhellt sich die Szenerie, und alle Darsteller werden sichtbar: fünf Personen, zwei Männer, drei Frauen, die an diesem Abend immer präsent sein werden.

Außer Wiedemer als Anna, verkörpert Eva Löbau Eva, in Anlehnung an die Dame bei Strindberg, die immer wieder verzweifelt versucht, ihren Mann auf den ihrer Meinung nach richtigen Weg zu schubsen. Martina Schiesser ist dagegen eine von Heiligkeit beseelte Mutterfigur, die einige stille Momente genießt.

Im Mittelpunkt aber steht Jakob – Strindbergs Unbekanntem nachempfunden – der an nichts glauben kann, nicht einmal an sich selbst. Stefan Düe verkörpert ihn als schluffigen Zeitgenossen, wie man ihn in jeder x-beliebigen Wohngemeinschaft trifft. Ein Loser und Alleskönner, der vor Größenwahn und Selbstmitleid kaum noch geradeaus denken kann. Doch erst einmal schläft er sich noch aus, während sich die anderen schon den großen Fragen widmen.

Dazu werfen sie sich Zitate an den Kopf wie Ziegelsteine. Kant und Marx rufen durcheinander, Einstein meldet sich zu Wort und auch Harpe Kerkeling wird ins Spiel gebracht. Wie im philosophischen Proseminar werden Satzbrocken zu Meinungen aufgepolstert, Bücher als Zeugen aufgerufen.

Und ab heute: ohne Gott

Die alten Antworten werden von den Akteuren wie Neuware ausgestellt, eilig anprobiert und wieder zurück gehängt. Was bleibt, ist der nicht mehr revolutionäre Dreisprung "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit", doch der bringt die eifrigen Diskutanten auch keinen Schritt weiter.

Denn schon auf die gute alte Freiheit können sie sich nicht verständigen. Marcus Reinhardt verkörpert als Thomas dabei die Stimme der Vernunft. Als Wanderprediger stellt er sich an die Bühnenrampe und proklamiert die gottlose Gesellschaft. "Ab heute leben wir ohne Gott!", verspricht er und schickt den alten Mann zum Teufel.

Doch gleich darauf wird ein Vatikankorrespondent zitiert, dem zum Papstboom in Deutschland einfällt: "Das Land, das Luther, Nietzsche und Marx hervorgebracht hat, hat den Glauben an die Gottlosigkeit verloren." Wie wahr! Oder auch nicht?!

Die Religion? Ein Spiel 

So geht das munter hin und her, eineinhalb Stunden lang, die manches Rätsel bergen. Das Stück verknüpft die Dramenvorlage mit dem Leben Strindbergs sowie heutigen Diskursen über Religion und Gottsuche. Mehr als ein fadenscheiniger Assoziationsteppich kommt dabei leider nicht heraus, auch wenn der Text manch eine hübsche Pointe gebiert und auch das Spiel der Darsteller manch schönen Moment.

Als Ganzes ist der Abend jedoch so durcheinander wie ein unaufgeräumtes Kinderzimmer, wobei die Unordnung und das Bruchstückhafte wohl dem Projektcharakter geschuldet sind. Die Religion ist hier eben nicht viel mehr als ein Spiel, bei dem man alles setzen und letztendlich nur verlieren kann. Zumindest Jakob aber glaubt am Schluss wieder an sich selbst. Und Gott? Der lacht.

Nach D. – Erlebnis Religion
Ein Projekt auf den Spuren von August Strindbergs "Nach Damaskus"
Regie: Anja Gronau, Bühne: Mechthild Feuerstein, Kostüme: Olaf Habelmann, Dramaturgie: Christine Elbel, Künstlerische Mitarbeit: Marcel Luxinger.
Mit: Stefan Düe, Eva Löbau, Marcus Reinhardt, Martina Schiesser, Claudia Wiedemer.

www.schauspielfrankfurt.de

 

Kritikenrundschau

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (23.11.2007) fragt Claudia Schülke nicht gerade amüsiert: "Sind wir im Disney Park?" Und antwortet: "Nein: in der Geisterbahn." Strindbergs "Stationendrama aus paulinischem Geist", das "eine Vorwegnahme von Expressionismus, Surrealismus, Konstruktivismus und absurdem Theater" gewesen sei, werde "zum Spielmaterial für ein 'Erlebnis Religion'". Die zusätzliche Anreicherung des Abends mit Texten aus "apokryphen und gnostischen Quellen" mache die Sache nicht besser. Die Inszenierung sei "heiße Luft", und Stefan Düe, Eva Löbau, Marcus Reinhardt, Martina Schiesser sowie Claudia Wiedemer bemühten sich "mehr schlecht als recht, Strindbergs Resümee aus 'Humanität und Resignation' plausibel zu machen".


Sylvia Staude diagnostiziert in der Frankfurter Rundschau (24.11.2007), dass die Strindbergsche Vorlage ein "Monster" sei, das dringend bearbeitet gehöre. "Anja Gronau hat erst gar kein Strindberg-Text-Umschreiben versucht, sondern legt mit 'Nach D. - Erlebnis Religion' gleich was Eigenes vor." Dieser eigene Text sei aber ein "konfuser Essay, bestenfalls ein Sturm im Phrasenglas." Allerdings habe Gronau als Regisseurin "gerettet, was zu retten war". Die Schauspieler spielen so, "als ginge sie das Thema tatsächlich was an", sie tragen "mit Fassung Kostüme, die so seltsam buntscheckig sind wie die Lebens- und Glaubenssätze, die sie äußern müssen." Staude resümiert jedoch insgesamt, dass sich das "Nirvana", in das man im Frankfurter Kleinen Haus im Moment so oft schaue, in "Nach D." "folgen- und spurenlos versendet". 

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