altSpielzeugland ist abgebrannt

von Rudolf Mast

Berlin, 21. Mai 2012. Der Mai ist gekommen, die Festivalzeit beginnt. Dem Theatertreffen, folgt quer durch den deutschsprachigen Raum eine Fülle von Festivals, mit denen das sommerliche Theaterloch gestopft werden soll. Nicht jede dieser Veranstaltungen verfügt über so viel Geld wie Salzburg und kann Gastspiele exklusiv verpflichten oder gar selbst produzieren. Die Folge ist, dass von Mai bis September ein Tross von Inszenierungen durch Deutschland und Europa zieht, um hier und dort die Zelte aufzuschlagen.

So konnte das Berliner HAU eine Folge von Gastspielen zu einem "Festival des jungen lateinamerikanischen Theaters" bündeln, das vom 21. bis zum 26. Mai dauert und sechs Inszenierungen von fünf Gruppen aus vier Ländern zeigt. Verbunden werden die Gastspiele durch die Sprache Spanisch und den Titel, der einer älteren Arbeit der Argentinierin Lola Arias entlehnt ist, die (mit einer Fortsetzung) das Festival eröffnete: La vida despues – Das Leben danach."

Rekonstruierte Guerrilla-Biografie

Die Formulierung zielt auf den Umstand, dass die meisten Staaten Südamerikas bis ins zweite Drittel des letzten Jahrhunderts Diktaturen waren, nach deren Ende sich eine junge Generation politisch gänzlich anders definieren muss, als es ihren Eltern möglich war. Für "El rumor del incendio – Die Sprache des Feuers", die zweite am Eröffnungstag gezeigte Arbeit, trifft das nur bedingt zu: Sie stammt aus Mexiko, das zwar autoritär regiert wurde, aber keine Diktatur war. Und so handelt die Arbeit der Gruppe "Lagartijas tiradas al sol" (etwa: Eidechsen, die sich sonnen) auch nicht vom Nach-Leben einer Militärjunta, sondern von einer Guerillera, deren Biografie die Gruppe rekonstruiert hat.

elrumor 560 andrealopez x© Andrea López

Der Abend spielt auf Kunstrasen, der von zwei langen, niedrigen Tischen, einer bemalten Kulisse und einer Videowand begrenzt wird. Wohin das Auge auch blickt, finden sich Zutaten einer Miniaturwelt, die mit Häusern, Flugzeugen, Landschaften, einer mexikanischen Flagge, einem Aquarium und zahllosen Plastikfiguren bestückt ist. In diese putzige Welt treten zwei Männer und eine Frau und verlesen Artikel 39 der mexikanischen Verfassung, laut dem das Volk das Recht hat, jederzeit die Regierungsform zu ändern. Dass das Ende zu diesem Anfang einen Bogen schlagen wird, ist da nicht abzusehen, weil noch 100 Minuten weit weg.

Revolutionsfolklore und Luftgitarrenspiel

Die sind der Lebensgeschichte von Margarita Urias Hermosillo, Jahrgang 1944, gewidmet, die sich in jungen Jahren der Guerilla anschließt, im Gefängnis landet, später studiert und als Dozentin arbeitet. Dieses Leben einer politisch aktiven Frau wird mit der Schauspielerin als Ich-Erzählerin chronologisch aufgerollt und mit Daten aus der Geschichte Mexikos und seiner Guerillabewegung parallelisiert. Wer sich für Namen und Daten interessiert, kommt hier auf seine Kosten, doch weil historische Zusammenhänge, Ursachen und Motive weitgehend ausgeblendet bleiben, hat das Ganze Züge eines ausführlichen Eintrags bei Wikipedia.

Die Inszenierung kann die positivistische Faktenhuberei nicht wettmachen, weil die Spielszenen oft unfreiwillig komisch geraten, so die wiederholte Luftgitarre zu revolutionärer Folklore oder das Stricken in der imaginierten Zelle. Auch der Einsatz der Miniaturwelt, mit der Schlachten nachgestellt und Flugzeugentführungen simuliert werden, und von Videos, die historische Aufnahmen und nachgedrehte Szenen zeigen, helfen dem Abend weder auf die Sprünge, noch bieten sich so Anknüpfungspunkte an die Gegenwart.

Appell an die eigene Generation

Die kommt erst ins Spiel, wenn das Jahr 1983 und die Geburt von Luisa erreicht ist, Margaritas drittem Kind. Die Schauspielerin wechselt in die Rolle der Tochter, die den Lebensweg der Mutter bis zum Tod im Jahr 2000 referiert. Der Abend endet mit der Frage, wie die Kinder der nächsten Generation später wohl über die Jugend ihrer Eltern sprechen werden – über die Jugend jener Generation also, die sich heute gänzlich anders definieren muss, als es ihren Eltern möglich war. Und weil dieser Generation auch die Schauspieler angehören, enthält die Frage zugleich den Appell an die eigene Generation, nach Wegen zu suchen, auf denen sich eine gerechtere Welt abzeichnet.

In Mexiko bietet sich dafür Artikel 39 der Verfassung an, der es dem Volk erlaubt, jederzeit die Regierungsform zu ändern. Derzeit muss das Land aber erleben, dass die Gewalt mitunter weder vom Volk noch vom Staat ausgeht. Gleichwohl ist die Intention des Abends einleuchtend und moralisch über jeden Zweifel erhaben. Nur in Sachen Theater kommt er über die Größe der Plastikfiguren, die er benutzt, nicht hinaus.

 

El rumor del incendio – Die Sprache des Feuers
von Lagartijas tiradas del sol
Koordination und Text: Luisa Pardo, Gabino Rodríguez, Video: Yulene Olaizola, Licht: Marcela Flores, Juanpablo Avendaño.
Mit: Mit Francisco Barreiro, Luisa Pardo, Gabino Rodríguez
Schauspieler im Video: Harold Torres, Cesar Ríos, Mariana Villegas

www.hebbel-am-ufer.de

 

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