alt

Junior-Jupiter schmeißt eine Party

von Klaus M. Schmidt

Oberhausen, 25. Mai 2012. Ist das nicht zum Verrücktwerden? Ein anderer schlüpft in die eigene Identität, betrügt einen mit der eigenen Frau, weil diese den falschen für den echten Gatten hält, und dann ist man auch noch auf die Gnade des Betrügers angewiesen, um wieder der sein zu können, der man war.

In Oberhausen jedoch wird Kleists Titelheld Amphitryon höchstens einmal ungehalten. Zur existentiellen Krise wächst sich in der Inszenierung von Sarantos Zervoulakos rein gar nichts aus, als ob Kleist der Molièrschen Vorlage das Verwirrspiel um die Identität nie eingeschrieben hätte.

Die Figuren und ihre Spiegelbilder

Man blickt bis zur Brandmauer, das bestimmende Element der Bühne von Raimund Orfeo Voigt ist eine spiegelnde und spiegelglatte Fläche, die von einem Quadratumriss aus Neonröhren grell beleuchtet wird. Das wirkt zunächst stimmig, da hier Figuren ihren Spiegelbildern begegnen werden. Alle Spieler, die Männer zunächst in schwarzen Jeans und weißen Hemden (Kostüme: Geraldine Arnold), Elisabeth Kopps Alkmene im luftigen weißen Sommerkleidchen, bleiben die ganze Zeit auf der Bühne.

amphitryon2 560 birgit hupfeld u© Birgit Hupfeld
Göttervater Jupiter hat Alkmene in Gestalt ihres Mannes heimgesucht und verführt. Als der Gatte Amphitryon am nächsten Morgen aus siegreicher Schlacht sein Haus erreicht, kann Alkmene nicht begreifen, dass ihr Mann leugnet, die Nacht mit ihr verbracht zu haben. Amphytrion wiederum ist verwirrt über die Behauptung seiner Frau, er wäre bei ihr gewesen.

Amphitryons Diener Sosias bekommt es ebenfalls mit einem göttlichen Widerpart zu tun. Merkur bewacht das Schäferstündchen Jupiters in Sosias' Gestalt. Als der echte Sosias auf den falschen trifft, setzt es für den echten Schläge. Merkur als Sosias traktiert seinen eigenen Oberkörper, und der echte Sosias windet sich unter den Treffern. Das ist immerhin einmal eine originelle Spielidee.

Werbespot-Protagonisten

Ansonsten aber gelingt es Regisseur Zervoulakos leider, die Parallelhandlung um Merkur, Sosias und dessen Frau Charis allzu sehr ins Possenhafte abzudrängen. Klaus Zwick verstolpert seinen Sosias als Narren zweiter Klasse, und auch Manja Kuhl als seine Frau Charis muss zu oft mit dem Popo wackeln, Schmollschnütchen ziehen und so fort. Das wirkt nicht nur aufgesetzt, das ist es auch.

Martin Hohner gibt den Jupiter, Peter Waros den Merkur. Beide Darsteller sind deutlich jünger als die Darsteller von Amphytrion und Sosias. Beide dürfen auch ihre muskulösen nackten Oberkörper zeigen und auf den Schulterblättern tätowierte Flügel als göttliche Zeichen. Die jugendlichen Götter gemahnen an die heutige Vergötterung der Jugend, doch die affektierte Unbedarftheit, mit der Hohner diese Jugendlichkeit ausstellt, gerät immer mehr zum Ärgernis. Gilt der erotisierte Blick der sich wacker mühenden Elisabeth Kopp als Alkmene wirklich diesem Jeans-Spot-Protagonisten. Ihr Spiel läuft bei diesem Junior-Jupiter, den man in der neunten Reihe auch kaum mehr verstehen kann, ins Leere.

Partygeplauder im Hintergrund

Die langen Dialoge Kleists lässt Zervoulakos spannungsarm durchstehen. Die Darsteller kommen also wortwörtlich nicht vom Fleck, umso schwerer fällt es da zunehmend, dem roten Faden in Kleists windungsreichen Sentenzen zu folgen.

Ein Absperrelement aus zwei Stelen und einem sie verbindenden Band markiert auf der Spiegelfläche schließlich doch noch einen Ort. Mobile Türen dieser Art separieren im rchtigen Leben in Innenräumen beispielsweise VIP-Bereiche. Merkur alias Sosias bedient das Türchen auf der Oberhausener Bühne: wird es von ihm geöffnet, stimmen die nicht beteiligten Kollegen im Hintergrund Partygeplauder an. Die, die die nicht zur Party dürfen, sind natürlich Amphitryon und Sosias. Erschöpft sich hierin schon ihr Drama? Offenbar.

Vor über einem Jahr debütierte Regisseur Zervoulakos in Oberhausen mit Goethes Iphigenie. Die so konzentrierte wie intelligente Inszenierung steht dort immer noch auf dem Spielplan. Dass diesem verschenkten "Amphitryon" ein ähnlicher Erfolg blüht, muss bezweifelt werden. Der Applaus des Premierenpublikums fiel zwar lang aus, doch enthusiastisch zeigten sich die treuen Oberhausener Theatergänger dabei eher nicht.

Amphitryon – Ein Lustspiel nach Molière
von Heinrich von Kleist
Regie: Sarantos Zervoulakos, Bühne: Raimund Orfeo Voigt, Kostüme: Geraldine Arnold, Dramaturgie: Simone Kranz.
Mit: Martin Hohner, Elisabeth Kopp, Manja Kuhl, Sergej Lubic, Henry Meyer, Peter Waros, Klaus Zwick.

www.theater-oberhausen.de

Kritikenrundschau

Sarantos Zervoulakos setze Kleists Stück "als reines Wortwechseldrama" in Szene, schreibt Jens Dirksen in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (29.5.2012). Die Bühne sei offen und leer, die Kulisse müsse aus der Phantasie des Publikums wachsen. "Viele kleine Regie-Einfälle geben dem Komödienaffen Puderzucker." Auf diese Weise gelinge es Zervoulakos, Kleist pur herauszuschälen. "Was noch besser gelänge, wenn sich die Schauspieler nicht so hastig an den Wortgirlanden des Dichters entlanghangeln würden wie in der Premiere."

"Obwohl die Götter wie coole Clubgänger auf dem Party-Zenit mit nacktem Oberkörper spielen, sprechen sie wie alle anderen Figuren Kleist", beschreibt Max Florian Kühlem den Abend in der Rheinischen Post (30.5.2012). Manchmal verliere man ihre neue Verortung so völlig aus den Augen und sehe nur Schauspieler, die – "nicht immer sehr packend" – ihren Text auf der fast leeren Bühne aufsagten. Kleist habe Molières Lustspiel um die tragische Dimension des Identitätsverlusts nd der Vertrauensprüfung zwischen Liebenden erweitert. In Sarantos Zervoulakos' knapper Fassung trete sie zugunsten der komödiantischen Aspekte wieder in den Hintergrund. "So ziehen 100 Minuten sprachlich anspruchsvolle, aber letzlich doch leichte Unterhaltung am Zuschauer vorbei, die leider nie wirklich berühren."

Kommentare  
Amphitryon, Oberhausen: Gebrauchsanweisung
Des Kritikers Unsicherheit bei der Schreibweise des Namens "Amphitryon/Amphytrion" (in der früheren Netz-Fassung der Kritik, inzwischen in aller Eile behoben) erscheint symptomatisch. Hat er Kleist gelesen? Oder geht er nur in Premieren? Seine längliche Besprechung jedenfalls scheint uns wenig erhellend. Statt treffender Beschreibung ungelenke Gebrauchsanleitungsprosa ("ein Absperrelement aus zwei Stelen und einem sie verbindenden Band" könnte uns bei Loriot herzlich erheitern). Statt sachverständiger Argumente Kritikergefühle und vage Eindrücke. Keine vergleichenden Verweise auf andere Inszenierungen des Stücks (Gorki-Theater ...).
Wer ein wenig Überblick über das Theater dieser Jahre hat (aus eigener Anschauung, nicht aufgrund nachgelesener Kritiken von Kollegen), müsste wissen, dass das Oberhausener Ensemble zur Zeit eines der interessantesten, spielfreudigsten und begabtesten im deutschsprachigen Raum ist. Das war auch beim neuen Kleist nicht anders zu erleben.
Fazit: Der Narr Sosias war in der Oberhausener Premiere offenbar nicht der einzige Narr. Aber der bei weitem bessere.
Amphitryon, Oberhausen: schön, aber …
Schöne Inszenierung, aber ein wenig verständlicher Jupiter.
Mit einigen Strichen war ich unzufrieden.
Kommentar schreiben