African Moon - Gabriel Gbadamosi versorgt das Theater Krefeld mit einer Reise ins Herz der Finsternis
Urwaldtrip mit Seelenstrip
von Guido Rademachers
Krefeld, 3. Juni 2012. Nora macht Yoga. David schraubt am Motorrad. "NORA: Haben Sie schon gefrühstückt? DAVID: Das übliche Porridge. Arbeiten Sie hier? NORA: Nein, ich besuche Onkel Paul." So hören sie sich an: scheinbar aus dem Leben gegriffenen Dialoge ohne weitere literarische Ambition. Gabriel Gbadamosis in der Krefelder Fabrik Heeder uraufgeführtes Auftragswerk "African Moon" steht spürbar in der Tradition neuerer britischer Dramatik. Und damit das ungebrochen Lebensechte nicht allzu belanglos gerät, wird es genretypisch mit Schockinformationen versorgt, die idealerweise den persönlichen mit dem politischen Eklat verzahnen.
Im Verlauf von "African Moon" ergibt sich in Etwa folgendes Bild: Nora ist lesbisch und befindet sich nach dem Krebstod ihrer Geliebten auf der Suche nach deren im afrikanischen Busch verschollenen "Onkel" Paul, der eigentlich der leibliche Vater ist. Bevor diese unterste Schublade eines Nachmittags-Talkshow-Psychogramms vollständig herausgezogen ist, funkt allerdings schon der Polit-Skandal dazwischen. Papa Pauls Krankenstation restverwertet nämlich verdorbenen Impfstoff aus Europa, der eine schwer apathisch machende Krankheit namens "African Moon" auslöst. "60 Prozent der Medikamente sind gefälscht oder abgelaufen", belehrt Journalist David das Publikum.
Traumland postkolonialer Fantasien
Man könnte das Stück schnell als fadenscheiniges Konstrukt abtun, wäre nicht genau das ohnehin zentrales Thema. Schon der Plot beweist nicht Lebens-, sondern Literaturnähe. Paul ist ein Widergänger von Joseph Conrads Handelsagent Kurtz aus "Heart of Darkness". Schwierigkeiten mit westlichen Impfprogrammen finden sich auch schon in Louis-Ferdinand Célines "Voyage au bout de la nuit". Seit den Reisen bis ans Ende der Nacht und in das Herz der Finsternis gibt's offenbar nicht Neues über Afrika: der Kontinent als schwarze Projektionsfläche für den weißen Mann, als Sehnsuchtsort, Hölle, Traumland postkolonialer Fantasien. Nur nicht als Realität. Der 1961 in England geborene und dort lebende Gbadamosi mit irischer Mutter und nigerianischem Vater schreibt nicht über Afrika, sondern über die Sicht von Europäern auf Afrika. Mithin über ihre Sicht auf sich selbst.
Das hätte konzeptioneller Ausgangspunkt einer Inszenierung sein können. Krefelds Schauspieldirektor Matthias Gehrt lässt es im großen Psycho-Getöse einer sich ansonsten konventionell auf Handlungsverlauf und Beziehungsgeflecht konzentrierenden Regie untergehen.
Es wird viel geschwitzt, geschrieen und über die leere, mit einem roten Kreuz bemalte quadratische Spielfläche gekrochen. Krankenpfleger Martin (Christopher Wintgens) schleppt sich als formloser Haufen Elend zur nächsten Ginflasche. Felix Banholzer post, wenn er sich nicht prügeln muss, als Journalist David mal lässig, mal elegisch im schwarzen Muscle-Shirt vor sich hin. Und Marianne Kittel hakt kantig-schwerknochig und etwas zu angespannt das Pensum der verschiedenen Ausdrucksformen ihrer Nora ab. Leichte Verzweiflung: Haare raufen. Starke Verzweiflung: mit den Fäusten auf den Motorradsattel trommeln und schreien.
Urwaldgeräusche
Joachim Henschke gönnt indes seinem Stationsvorsteher Dr. Paul König eine schauspielerische Premiumbehandlung. Keine Aktion ohne zelebrierte Sondernummer. Bevor ein Brief übergeben wird, muss erstmal mit ihm Luft zugewedelt, die Wange gestreichelt und an ihm gerochen sein. Vor seinem ersten Auftritt fliegt ein Skelett aus dem bühnennebelumwaberten Hintergrund auf die Bretter. Dann schält sich langsam Henschkes mächtiger Glatzkopf aus dem Dunkeln. Langsam schreitet er im langen Arztkittel nach vorne zu einem Plastiksessel, lässt sich hineinfallen. Die Hände gleiten zwischen den Beinen bis zum Boden, der Kopf sinkt nach vorne und lässt das Publikum wieder mit seiner Glatze allein.
Aus unendlichen Tiefen dringt hin und wieder ein bedächtiger, fast tonloser Satz hervor, unterlegt mit einem feinen Zittern der Stimme. Dann dreht sich der Kopf zur Seite, die Augen blitzen eine der fünfzig über der Spielfläche aufgehängten Lautsprecherboxen an, aus denen Urwaldgeräusche kommen sollen (wahrscheinlich kommen sie aus den normalen Bühnenlautsprechern) und schließlich blitzen sie auch nach vorne in eine nicht vorhandene Kamera.
Bei Henschkes Coverversion von Marlon Brandos Colonel Kurtz aus "Apocalypse Now" ist es wenigstens noch im Ansatz da: das Bilderalbum nicht einer Reise in die Fremde, wohl aber einer durch das Fremde ausgelösten Reise zum Ich.
African Moon (UA)
von Gabriel Gbadamosi
Regie: Matthias Gehrt, Bühne und Kostüme: Elissa Bier, Sound: Sven Treeß, Dramaturgie: Leona Benneker.
Mit: Marianne Kittel, Joachim Henschke, Christopher Wintgens, Felix Banholzer.
www.theater-krefeld.de
In der Rheinischen Post (5.6.2012) findet Petra Diederichs: "Afrika erzählen – ohne einen einzigen Afrikaner zu zeigen. Den Klang einer fremden Welt einfangen – ohne Buschtrommeln zu schlagen. Schwüle spürbar machen – ohne die Luftfeuchtigkeit zu erhöhen." Gabriel Gbadamosi gelinge in seinem Stück "African Moon" all das. Der Uraufführungsinszenierung von Matthias Gehrt sei die Vertrautheit von Autor und Regisseur anzumerken. Die Zurückhaltung der Regie verschärfe die Wirkung des Stücks.
"Regisseur Matthias Gehrt zeigt den schwarzen Kontinent gleichzeitig als einen Ort der Sehnsucht und des Schreckens, vor allem für die Europäer, die dort leben", beschreibt Agnes Absalon die Uraufführung in der Westdeutschen Zeitung (5.6.2012). Die Schauspieler lieferten sich einen intensiven Schlagabtausch auf der Bühne. "Man merkt, dass der britische Autor Gabriel Gbadamosi ihnen die Rollen förmlich auf den Leib geschrieben hat." Gbadamosi habe die Emotionen der Figuren in eine poetische Sprache gepackt, die reich an Bildern sei und damit eine große Kraft entfalte. Das Bühnenbild und die Kostüme von Elissa Bier und die Soundinstallation von Sven Treeß täten ihr Übriges, um eine dichte, flirrende, beinahe stickige Atmosphäre zu erzeugen. Aus Lautsprechern über den Köpfen der Schauspieler drängen Geräusche aus dem Dschungel. "Afrika als Soundcollage – das funktioniert besser als jedes Bild."
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