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Into Outer Space With Tony Kushner

von Bernd Mand

Mannheim, 15. Juni 2012. Die amerikanische Dramatik hat es in unseren Breitengraden nicht leicht. Sozialromantische Klassiker gehören zwar zum festen Repertoire, und Cole Porter verirrt sich dann auch mal ins Opernhaus. Aber mit vielen zeitgenössischen Autoren aus Nordamerika kommt man nicht in Berührung. Grund dafür ist keine generelle Ablehnung, sondern vielmehr die Schwierigkeit, eine anständige Übersetzung zu finden. Das ist erst einmal kein rein sprachliches Problem, sondern eine Frage der kulturellen Identität und dem eigentlichen Wissen voneinander. Die deutschsprachige Erstaufführung von "Tiny Kushner", einem Monodramen-Reigen von Tony Kushner, dessen Übersetzung von Frank Heibert sprachlich gesehen dem Original ziemlich genau auf der Spur ist, geht als gutes Beispiel für das transnationale Übersetzungsproblem durch.

Daher gilt der Applaus am Ende des anderthalbstündigen Abends im Werkhaus Studio des Mannheimer Nationaltheaters zu einem großen Teil auch dem Aushalten und Beharren der Beteiligten. Denn es ist keine leichte Kost, die Nicole Schneiderbauer und Robert Teufel einem in ihrer gemeinsamen Regiearbeit vorsetzen. Und damit ist bei diesem wirr daher fallenden Abend nicht die inhaltliche Unbekömmlichkeit gemeint. Vielmehr klappt der Patchworkteppich schnell zu einem bemühten Aufsagen mit kleinen Tonausbrüchen und hilflosen Effekten zusammen, was einen ohne Umwege auf Distanz schiebt und dann am ausgestreckten Arm verhungern lässt. Den Text im Übrigen auch.

Auf der Ostküsten-Couch

Grundsätzlich geht es hier um fünf lose Episoden, die inhaltlich so wenig miteinander zu tun haben wie die Gartenliege und der Eisberg. Man könnte sie unter Umständen auf den kleinsten thematischen Nenner des politisch aktivistischen Theaterschaffens bringen (wie es im Pressetext feinklein angedeutet wird), muss man aber nicht. Und somit schenken sich in unverbindlicher Reihenfolge Michaela Klamminger und Sven Prietz im noch recht präzis humorierten Divenstreit "Flip Flop Fly" den reinen Wein der Hassliebe zwischen Europa und Amerika ein, lassen sich Almut Henkel, Jacques Malan und beide bereits Genannten in "Zu Ende kommen oder Sonett LXXV oder 'Lass meine Schmerzen nicht verloren sein' oder Ambivalenz" ungelenk in die psychosexuellen Verwirrungen der New Yorker Hautevolee fallen.

"Ostküstenode an Howard Jarvis – Ein kleines Fernsehstück in kleinen Monologen" bringt dann noch Sascha Tuxhorn und Martin Aselmann mit ins Spiel, das sich hier um freiheitliche Steuerbefreiungskämpfe dreht und ursprünglich als Drehbuchidee fürs Fernsehen entstanden ist. Wird passenderweise hier mit Fernsehern inszeniert. Dann landet man auf der Couch mit "Dr. Arnold A. Hutschnecker im Paradies" und erfährt im plätschernden Dialog von Richard Nixons Mutterkomplex und den Vorzügen der Gegenübertragung. Zum Schluss liest Laura Bush toten iranischen Kindern im Himmel noch aus den Brüdern Karamasow vor. Die Abteilung nennt sich dann "Wir allein, wir, die das Geheimnis bewahren, nur wir werden unglücklich sein." Und holt einen mit derben Krachattacken und mulmigem Doing Gender-Fez mit Bartstoppeln und Pumps wieder aus dem Polsterschlummer.

Ungeborgene Assoziationsschätze

Das Problem dieser kleinen Tragödien ist in erster Linie nicht die oft verloren wirkende Regiearbeit, sondern die Frage nach der formalen und bildlichen Übersetzung eines uramerikanischen Autors, der sich in seinen großen Dramen gekonnt in die Welt des universellen Kulturverständnis retten kann, aber bei diesen Kurzdramen so tief in der US-amerikanischen Hyper-, Kon- und überhaupt Textualität steckt, dass sich viele Bilder und Sentiments einer simplen sprachlichen und stilistischen Übersetzung in die nichtamerikanische Dramatik nicht nur erwehren, sondern glatt verweigern.

Frank Churchills "Heigh-Ho" aus der Walt Disney-Verfilmung von "Schneewittchen", das Almut Henkel knapp anstimmt oder allein schon der von Michaela Klamminger erwähnte Albumtitel "Into Outer Space With Lucia Pamela" sind überbordende Assoziationsschätze, die hier ungeborgen verpuffen, während man sich strikt an Komik, Schock und Irritation in Kushners Texten klammert. Texte, die soviel mehr verdient haben als schnöden Klischeetaumel und die eurozentrische Sturheit, die hier empathiefrei ihre Machete schwingt. Und denen die Konzentration auf ihre oberflächliche Radikalität und laute Pointenspitzen schnell die Luft zum Atmen nimmt. Und das ist äußerst schade.

 

Tiny Kushner
von Tony Kushner
in der Übersetzung von Frank Heibert
Deutschsprachige Erstaufführung
Regie: Nicole Schneiderbauer und Robert Teufel, Bühne: Linda Johnke, Kostüme: Rebekka Zimlich, Musik: Sascha Tuxhorn, Dramaturgie: Jan-Philipp Possmann.
Mit: Almut Henkel, Michaela Klamminger, Martin Aselmann, Jacques Malan, Sven Prietz, Sascha Tuxhorn.

www.nationaltheater-mannheim.de

 

Vor einigen Monaten inszenierte Burkhard C. Kosminski ebenfalls in Mannheim Tony Kushners Familiendrama mit dem schönen Titel Ratgeber für den intelligenten Homosexuellen zu Kapitalismus und Sozialismus mit Schlüssel zur Heiligen Schrift.

 

Kritikenschau

Einwänden schulmeisterlicher Art entziehe sich "der überwiegend komödiantisch angelegte neue Abend im Studio schon deshalb, weil er ganz offensichtlich vor allem schmerzfreie Unterhaltung bieten will", schreibt Monika Frank in der Rhein-Neckar-Zeitung (18.6.2012). Was ihm auch hervorragend gelinge. Erstaunlich sei, "wie viel Fülle und Farbe" die Schauspieler "aus Kushners plakativ gezeichneter Typen-Parade herausholen". Ihr Fazit: "Ein Abend, der in Anbetracht hiesiger Entwicklungen auch zum Nachdenken darüber anregen könnte, wie weit wir noch von Kushners amerikanischem Endzeit-Szenario entfernt sind ..."

"Kushners Figuren kämpfen zwischen Licht und Schatten um historische Bedeutung", fasst Ralf-Carl Langhals die fünf Mini-Dramen im Mannheimer Morgen (18.6.2012) zusammen. "Doch seine besserwisserische Intellektuellenphilippika im bedeutungshuberischen Sartre/Brecht/Albee-Gewand zeigt, dass er selbst nichts anderes tut." Schneiderbauer und Teufel inszenierten das aber "durchaus vielversprechend".

Auch Dietrich Wappler in der Rheinpfalz (18.6.2012) ist von Kushners Texten wenig angetan: Im besten Falle seien es pointenreich-gemeine Hiebe, die der Autor hier austeilen, dramatische Schnellschüsse aus aktuellem Anlass mit überschrittenem Verfallsdatum. Robert Teufel mit dem Holzhammer und Nicole Schneiderbauer mit subtilerem Werkzeug könnten daran nichts ändern.

"Tiny Kushner" ist so etwas wie der Versuch, amerikanische Neurosen von der Staatsphobie der Tea Party bis zum antieuropäischen Ressentiment in freien Assoziationen zur Sprache zu bringen, beschreibt Martin Halter in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (19.6.2012) das Stück. Was aber nach scharf gewürzten Snacks klinge, sei leichtverderbliches Fastfood. Und die Schauspieler Robert Teufel und Nicole Schneiderbauer bräuchten nur neunzig Minuten, um die fünf Einakter halbgar zu machen, "aber sie müssen dem Tempo hohen Tribut zollen: Alle Ansätze zur Vertiefung der Figuren werden schrill und laut wegtherapiert." Fazit: Den Import derartiger Winzigkeiten mit abgelaufenem Verfallsdatum kann man sich sparen.      

 

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