Oh Thalia, da Du hangestalt

von Matthias Schmidt

Halle, 6. Juli 2012. Der Himmel über Halle blieb wie durch ein Wunder trocken – die Unwetterwarnung des Wetterdienstes endete eine halbe Stunde vor der Premiere des "Till Eulenspiegel". "Till, Meiner, ein Handwerk sollst du lernen", sagt die Mutter zu dem Jungen, der auf dem Dach des neuen theaters Halle herumturnt wie ein Kind mit ADHS. Doch Till denkt nicht daran, zieht lieber in die Welt hinaus, um den Menschen Streiche zu spielen. Wir sind in Halle. Es ist Sommertheater.

Ein Spaß, der von viel Lokalkolorit lebt (ja, Eulenspiegel war auch hier "bei uns", in Halle), vor allem aber davon, was der Innenhof von Peter Sodanns Kulturinsel hergibt. Nahezu von allen Seiten bespielbar und zudem bis hoch auf die Dächer des vierten Stocks. Die Kulturinsel wird inzwischen nicht mehr so genannt, obwohl sie mehr und mehr eine Insel wird. Immerhin, als Kulisse für Freilufttheater ist sie nach wie vor ideal. Überall im Hof und auf den verschiedenen Spielebenen sind Bilderrahmen montiert, aus denen heraus die Schauspieler agieren und mit dem sehr gelungenen Bühnenbild herumkalauern: man bewegt sich also im "Rahmen der Möglichkeiten".

Aus dem Rahmen gefallen

Nur einer fällt aus selbigem: Till Eulenspiegel. Mit seinen verstrubbelten Haaren und dem historisierenden Kostüm mutet er wie ein Punk aus der Reformationszeit an. Es sind jene Jahre kurz nach dem Bauernkrieg, in denen man sich schon Lutheraner nennen darf, es aber besser noch hinter vorgehaltener Hand tut. "Heutzutage weiß man nicht, in welchen Arsch man kriechen soll", bringt es der Bürgermeister auf den Punkt.

In dieser allgemeinen Verunsicherung schwelgt die Inszenierung mit allem, was das herkömmliche Theater zu bieten hat. Gundolf Nandico macht live Musik und Geräusche, spielt Horn und Alphorn und dreht die Windmaschine. Jenny Schall hat Kostüme entworfen, die auf den ersten Blick in jeden Kostümschinken passen, bei genauerem Hinsehen aber dieses und jenes raffiniert heutige Detail enthalten. Die Stückfassung bedient von zotig bis romantisch, von hysterisch bis raffiniert alle Tasten der Unterhaltungsklaviatur.

till eulenspiegel 560 gertkiermeyer uAlexander Pensel ist Till Eulenspiegel © Gert Kiermeyer

Des einen Aufstieg ist des anderen Abstieg

Gespielt wird, was das Zeug hält. Es geht Treppen und Leitern hoch und runter. Es wird gesungen und getanzt. Ein Possenspieler führt – als Spiel im Spiel – Eulenspiegels Streiche auf - mit den echten Figuren: menschlichen Marionetten. Porzellan wird zerscherbelt, Wasser über der Szene ausgeschüttet, Kunstnebel versprüht. Kurzum: ein Sommertheater, an dem Team und Zuschauer gleichermaßen Freude haben. Flach genug für Bier und Weißweinschorle, tiefgründig genug, um als Inszenierung einer städtischen Bühne durchzugehen. "Bevölkerungstheater", wie Intendant Matthias Brenner es zu Beginn seiner Intendanz formulierte, sich abgrenzend vom "Spezialistentheater". Das ist die Haben-Seite, ein vergnüglicher, anspielungsreicher Abend.

Dass Till Eulenspiegel am Ende dem Galgen durch einen weiteren Streich entkommt, liegt im Wesen eines solchen Abends. Aber irgendwie ist eben doch nicht alles gut in der Theaterstadt Halle. Denn während hier im Neuen Theater flott ein unterhaltsamer Sommerabend endet, hat die Stadt ihr zweites Schauspiel – das Thalia Theater – soeben endgültig verloren. Gerade läuft noch einmal die so genannte "Kinderstadt", ein Sommertheater der ganz anderen Art. Hier können Kinder "Stadt spielen". Hier ist Theater eine Mischung aus Sozialarbeit und Ferienspielen, und es ist mehr als fraglich, ob es solche Projekte auch nach der Schließung des Thalia Theaters und der Beurlaubung von dessen Intendantin Annegret Hahn weiterhin geben wird.

Gute Nacht, oh Land der Frühaufsteher!

Mag sein, es tut dem schönen "Eulenspiegel" unrecht, aber man kann am Thema "Thalia-Theater" nicht so einfach vorbei. 2001 hatte man auch dort einen "Eulenspiegel" uraufgeführt. In der Bühnenmitte stand damals ein Sarg, und nun liegt das ganze Thalia drin. Mehr als zehn Jahre lang hat Annegret Hahn mit ihren Ideen und Theaterformen die Stadt bereichert (was man gut und gerne auch "Bevölkerungstheater" nennen kann), und jetzt ist das Licht aus. So schön es ist, im Innenhof der Kulturinsel die Späße des Schalks Till wegzulachen, so unmöglich ist es nach wie vor, den schlechten Scherz zu begreifen, den Geschäftsführer Rolf Stiska da verzapft hat. Den die übrigen Kollegen der Bühnen Halle GmbH offenbar billigend zur Kenntnis genommen haben. Den die Stadtpolitik sich hat gefallen lassen oder gar gewollt hat, weil man damit 300.000 Euro sparen konnte, während man gleichzeitig gerne mehrere Millionen Euro dafür ausgab, dass der lokale Fußballclub für die soeben erreichte 3. Liga ein neues Stadion bekommt.

Des einen Aufstieg ist des anderen Abstieg. Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn (SPD) verteidigte kürzlich übrigens diese Geldströme mit einem Hinweis darauf, dass nach seinen Informationen die Zuschauerzahlen in den Fußballstadien größer seien als die in den Theatern. "Gute Nacht", oh Land der Frühaufsteher, möchte man rufen, denn wer jemals in die Nähe einer Rotte HFC-Hools geraten ist, wird sofort verstehen, warum Kinder- und Jugendarbeit, wie sie das Thalia geleistet hat, dringend nötig ist. Mainstream-Theater wird hier nicht genügen.

 

Till Eulenspiegel
nach dem deutschen Volksbuch
Bühnenfassung von Matthias Brenner und Reiner Müller
Regie: Andreas Rehschuh, Bühne: Nicolaus-Johannes Heyse, Kostüme: Jenny Schall, Dramaturgie: Matthias Brenner, Musikalische Leitung: Gundolf Nandico.
Mit: Sophie Lochmann, Louise Nowitzki, Bettina Schneider, Wolf Gerlach, Alexander Pensel, Jonas Schütte, Joachim Unger, Peer-Uwe Teska, Hilmar Eichhorn.

www.kulturinsel-halle.de

 

Am Thalia Theater Halle, das nun geschlossen wird, verwirklichte der in Halle geborene Dramatiker Dirk Laucke 2009 ein umstrittenes Projekt mit radikalen HFC-Fans - Ultras -, das die rechtsradikalen Fussballfans ebenso nachhaltig verstörte, wie die städtische Kulturpolitik. Dirk Laucke beschrieb sein Ultras-Projekt hier.

 

Kritikenrundschau

Keine neuen Wege beschreitet diesee große Sommertheaterproduktion aus Sicht von Maria Böhme von der Mitteldeutschen Zeitung (7.7. 2012). 'Till Eulenspiegel' sei "ein munteres Mittelalterspektakel mit opulenten Kostümen, launiger Musik und voller wunderbar überzeichneter Stereotypen." Als Coup betrachtet die Kritikerin die Besetzung der Titelrolle. "Alexander Pensel als Till Eulenspiegel ist eine wahre Freude: kindlich, verspielt und verführerisch. Dem jungen Mann blitzt regelrecht der Schalk aus den Augen. Mit unglaublicher Ausdauer und Energie bespielt er die verschiedenen Ebenen der Bühne, die an zwei Seiten des Hofes an den Häuserwänden angebracht ist." Ohnehin sei das Spiel mit dem Raum in dieser Produktion wirklich gut gelungen. Und doch sei die Figur des Eulenspiegels komplexer, als das hier herausgearbeitet worden sei.

 

Kommentare  
Till Eulenspiegel, Halle: Dank
Danke für die Worter für das Thalia!
Till Eulenspiegel, Halle: bitter
Danke, Herr Schmidt für Ihre anschauliche Kritik. Aber trotzdem: Theater (auch Kinder- und Jugendtheater!) ist Kunst und keine Sozialarbeit. Einen Begründungszusammenhang herzustellen zwischen Fußball-Hooligans und der Notwendigkeit von Ki-Ju-Theater finde ich bitter.
Till Eulenspiegel, Halle: Bullerjahn irrt
auch ich danke ihnen herr schmidt, vor allem für ihre haltung bezüglich des gesamtzusammenhangs von kultur, kunst und kommune. der finanzminister bullerjahn irrt übrigens eindeutig. theater und opern und konzerte besuchen viel mehr zuschauer als fußballspiel...
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